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OLG Frankfurt zur Frage der Korrektur einer vergaberechtswidrigen Wertung in einer späteren Phase des Vergabeverfahrens

OLG Frankfurt zur Frage der Korrektur einer vergaberechtswidrigen Wertung in einer späteren Phase des Vergabeverfahrens

Ein Vertrauen der Bieter auf die Beibehaltung einer vergaberechtswidrigen Wertung ist nicht schützenswert. Die Vergabestelle kann deshalb grundsätzlich eine Wertung, nach der ein Bieter wegen fehlender Eignung ausgeschlossen wurde, in einer späteren Phase des Vergabeverfahrens korrigieren, wenn sie vergaberechtswidrig ist.
OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.2.2009, 11 Verg 16/08

Gründe

I. Die Antragsgegnerin gab am 4.10.2007 die Vergabe von Bauarbeiten für die Straßenbahnanbindung „A“ in der Stadt … europaweit bekannt. In einem Vermerk der mit der technischen Prüfung beauftragten Ingenieurgesellschaft vom 30.1.2008 „Prüfung und Wertung der Angebote zur Ausschreibung“ -(Bl. 219 ff. d.A.) – heißt es unter 2. Prüfung der Eignung in Bezug auf Bieter Nr. 9 ( Beigeladene): „ … Für die Tiefbauarbeiten in geschlossenen Bauweisen aus dem Los 3 liegt der entsprechende Nachweis nach RAL Gütezeichen Kanalbau VO nicht vor. Aus den vorgelegten Referenzobjekten sind solche Arbeiten nicht zu entnehmen, damit auch keine Fachkunde und Leistungsfähigkeit nachvollziehbar dargestellt. … “

Im selben Vermerk heißt es unter 8. Vergaberelevante Hinweise:

„Bieter 9 hat in einem Bietergespräch zu folgenden Punkten Aufklärung zu verschaffen: … Aufklärung über die Art der Ausführung der Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise (siehe auch Kapitel 2 Eignung der Bieter) …“ In einem ebenfalls das Datum 30.1.2008 tragenden „Ergänzungsbericht (nach den Erläuterungsgesprächen)“ – (Bl. 238 ff. d.A.) – heißt es unter 3. Zusammenfassung der Ergebnisse Bieter Nr. 9:

„3.2 Aufklärung über zu erbringende Eigenleistungen und Nachunternehmerleistungen In einem Bietergespräch wurde die Bietergemeinschaft gebeten, nochmals einige Erläuterungen bzgl. einiger fachspezifischen Leistungen aus den Losen 1 bis 6 anzugeben, ob diese in Eigenleistung ausgeführt werden. … Bzgl. der Kanalbauarbeiten (offene Bauweisen) aus Los 3 und Los 4 teilte der Bieter im Erläuterungsgespräch mit, dass diese Arbeiten in Eigenleistung erbracht werden. Mit Schreiben vom 30.1.2008 (Anlage C) wurde durch den bevollmächtigten Vertreter der Bietergemeinschaft –Hr. B von C Bau – mitgeteilt, dass es der Bietergemeinschaft nicht möglich ist, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen. Wir möchten darauf hinweisen, dass aus formalen Gründen die Bietergemeinschaft aus dem Vergabeverfahren auszuschließen ist.

3.3 Aufklärung über Ausführung der Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise
Wie auch in der Niederschrift zum Erläuterungsgespräch festgehalten ist, teilte die Bietergemeinschaft mit, dass diese Arbeiten in Eigenleistung ausgeführt werden. Im Rahmen des Erläuterungsgesprächs wurde seitens der Bietergemeinschaft mitgeteilt, dass die gewünschten Nachweise für die Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise innerhalb der Unternehmen vorliegen. Seitens des AG erfolgte einvernehmlich die Einräumung einer Nachlieferungsfrist für die bisher nicht vorgelegten Nachweise bis 30.1.2008, 12:00 Uhr. In einem weiteren Schreiben vom 30.1.2008 (per Fax: Eingang 12.32 Uhr, siehe auch Anl. E) erfolgte die aus Sicht der Bietergemeinschaft als nicht verpflichtend angesehene Nachsendung der Nachweise zum Stollenbau. Der Nachweis der Fachkunde konnte auf der Basis der vorgelegten Unterlagen nicht eindeutig nachgewiesen werden, da die vorgelegten Unterlagen aus technischer Sicht die Art und den Umfang der ausgeschriebenen Leistungen nicht ausreichend sicherstellen.

Aufgrund der o.g. Punkte ist die Eignung des Bieters Nr. 9 für das Los 3 und 4 als nicht gegeben anzusehen.“

Abschließend heißt es in dem ergänzenden Bericht:

„5 Angebotsbeurteilung der Bieter Nr. 7 und 9 nach Erläuterungsgesprächen

Da der Bieter Nr. 9 sowohl aus den zuvor genannten formalen Gründen (s. Pkt. 3.2) und des fehlenden Eignungsnachweises für die Teilleistungen „Tiefbau geschlossene Bauweise“ ( siehe Punkt 3.3) aus dem Vergabeverfahren auszuschließen wäre, empfehlen wir die Vergabe der in den Losen 1 bis 6 ausgeschriebenen Leistungen an den auf Rang 2 liegenden Bieter…“.

Das in diesem Vermerk erwähnte Schreiben der C Bau GmbH & Co. KG vom 30.1.2008 (Anlage Bf. 3 = GA 76) lautet:

„… wir bedauern sehr Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir die von Ihnen geforderten Nachweise und Zertifikate für eigenes Fachpersonal, für die in Los 3 und 4 beschriebenen Stollenbauarbeiten nicht nachweisen können. Ebenso ist es uns nicht möglich, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen, welche wir bei Angebotsabgabe nicht benannt haben. …“

Das in dem Ergänzungsbericht erwähnte weitere Schreiben (Fax) der Beigeladenen vom 30.1.2008 enthält als Anlage eine Liste von Referenzobjekten zum Stollenbau.

Im Schreiben der Antragsgegnerin vom 31.1.2008, mit welchem sie der Beigeladenen mitteilte, dass deren Angebot aus der Wertung ausgeschlossen werden müsse, heißt es u.a. (Anl. Bf 5 = GA 78 f):

„Unabhängig von den Gründen des Ausschlusses möchten wir Sie darüber informieren, dass der Versuch des Nachweises der Fachkunde durch die von Ihnen per Fax 30.1. vorgelegten Unterlagen, weder eindeutig noch ausreichend ist, den in den Ausschreibungsunterlagen gestellten Anforderungen zu genügen“

In der Vorlage zu Punkt 4 der TO der Geschäftsführersitzung 06/2008 am 11.2.2008 (Anl. AG 6 – vertraulich) heißt es u.a. (dies zitiert die Antragsgegnerin):

„ Die auf Platz 1 liegende Bietergemeinschaft hatte keinen Nachweis zur Eignung und Fachkunde eingereicht und erhielt im Erläuterungsgespräch die Gelegenheit, den Nachweis zu erbringen. Dies ist der Bietergemeinschaft nicht gelungen, was zum formalen Ausschluss gemäß der VOB-Richtlinien führte.“

Mit Telefax vom 11.2.2008 (Bl. 39 VK) informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin, sie beabsichtige deren Angebot nach Ablauf der Frist des § 13 VgV anzunehmen.

Unter dem 19.2.2008 (Bl. 40 VK) teilte die Antragsgegnerin den Bietern dann mit, die Ausschreibung werde aufgehoben, weil kein Angebot eingegangen sei, das den Ausschreibungsbedingungen entspreche, und ein anderer schwerwiegender Grund in Form der Unwirtschaftlichkeit einer Bezuschlagung bestehe.

Mit Telefax vom selben Tag (Bl. 41 VK) teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie ihr Angebot von der Wertung habe ausschließen müssen, weil sie nicht über das geforderte Zertifikat RAL-GZ 962 verfüge. Mit Schreiben vom 21.2.2008 (Bl. 43 VK) rügte die Antragstellerin die Aufhebung des offenen Verfahrens und machte geltend, ihr Angebot sei annehmbar und bezugschlagbar. Die Forderung eines Gütezeichens verstoße in einem europaweit durchgeführten Wettbewerb gegen das Diskriminierungsverbot, da es sich um eine rein nationale Zertifizierung handele. Der Nachweis habe überdies nicht verlangt werden dürfen, weil er nicht bereits in der Bekanntmachung gefordert worden sei. Der Grund für die Aufhebung des offenen Verfahrens sei in keiner Weise für sie nachvollziehbar. Da die Antragsgegnerin der Rüge nicht abgeholfen hat, leitete die Antragstellerin am 4.3.2008 ein Nachprüfungsverfahren ein.

Die Vergabekammer hat diese Nachprüfungsanträge mit Beschluss vom 22.4.2008 zurückgewiesen. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat der Senat durch Beschluss vom 15.7.2008 (11 Verg 4/08) diesen Beschluss der Vergabekammer (Az.: 69 d VK -12/2008) aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, die Ausschlussentscheidung gegenüber der Antragstellerin zurückzunehmen und die Antragstellerin wieder zum Vergabeverfahren zuzulassen. Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, die Antragsgegnerin habe die Antragstellerin zu Unrecht vom Vergabeverfahren ausgeschlossen, weil sie mit ihrem Angebot nicht auch den geforderten Gütesicherungsnachweis RAL-GZ 962 vorgelegt hat. Die Anforderung des Gütenachweises sei vergaberechtswidrig gewesen, der Ausschluss der Antragstellerin habe deshalb nicht auf den fehlenden Nachweis gestützt werden dürfen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der Begründung wird auf den Senatsbeschluss vom 15.7.2008 (Anl. Bf 1 = GA 39 ff.) Bezug genommen.

Die Antragsgegnerin hat daraufhin beschlossen, die Aufhebung des offenen Verfahrens zurückzunehmen und das Verfahren in den Stand vor der erstmaligen Bieterinformation von Februar 2008 zurückzuversetzen. Zugleich hat sie den Ausschluss des Angebots der Beigeladenen zurückgenommen und unter dem 2.7.2008 der Antragstellerin mitgeteilt, sie beabsichtige, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen, da es das wirtschaftlichste sei.

In einem Vermerk vom 29.7.2008 (Anl. AG 1 = GA 173) heißt es:

„…konnte sich die Vergabestelle bei der Prüfung der Unterlagen zulässigerweise nur auf die tatsächlich von den Bietern vorgelegten Unterlagen stützen. Diese Unterlagen stellten indes eine ausreichende Tatsachengrundlage für eine ordnungsgemäße Eignungsprüfung dar, insbesondere lagen zum Nachweis der jeweiligen Fähigkeiten jeweils zahlreiche Referenzen aus vergleichbaren Projekten sowie die Ausbildungs- und Qualifikationsnachweise der jeweiligen Mitarbeiter einschließlich der Eintragungen in das Berufsregister vor. Mithin waren unabhängig von den fehlenden formalen Nachweisen ausreichende materielle Nachweise für eine Prüfung und Feststellung der Eignung gegeben….“

Nachdem die Antragstellerin mit Telefax vom 4.7.2008 die beabsichtigte Zuschlagserteilung gerügt und die Antragsgegnerin der Rüge nicht abgeholfen hat, hat sie am 14.7.2008 ein weiteres Nachprüfungsverfahren eingeleitet.

Die Antragstellerin hat beantragt, 1. der Antragsgegnerin zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Bietergemeinschaft C/D-E zu erteilen, 2. hilfsweise, Zuschlag auf das Angebot der Bietergemeinschaft C/D-E zu erteilen, 2. hilfsweise, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die von der Vergabekammer festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen, 3. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist 4. die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts durch die Antragstellerin für notwendig zu erklären.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 05.9.2008 zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird auf den angefochtenen Beschluss (Anl. Bf 2 = GA 62 ff.) Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt:

Der angefochtene Beschluss vermittle den unzutreffenden Eindruck, der Ausschluss des Angebots der Beigeladenen sei allein wegen des fehlenden RAL-Gütezertifikats erfolgt. Bei der formalen Wertung auf der ersten Wertungsstufe seien tatsächlich aber zahlreiche Gründe festgestellt worden, die gegen eine Eignung der Beigeladenen sprächen. Das Mitglied der Beigeladenen, die C GmbH und Co KG, habe zudem mit Schreiben vom 30.1.2008 selbst mitgeteilt, dass sie die geforderten Nachweise und Zertifikate für eigenes Fachpersonal für die in Los 3 und 4 beschriebenen Stollenbauarbeiten nicht nachweisen könne. Ebenso sei es ihr nicht möglich, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen, welche sie jedoch bei Angebotsabgabe nicht benannt habe. Dieses Schreiben habe die Antragsgegnerin bei der Wertung der Angebote gemäß Ziffer 3.2 ihres Ergänzungsberichts vom 30.1.2008 auch berücksichtigt und dementsprechend mit Schreiben vom 31.1.2008 die Beigeladene vom weiteren Verfahren ausgeschlossen.

Die Antragsgegnerin sei verpflichtet, nach Angebotsabgabe auftretende Hinweise auf die mangelnde Eignung eines Bieters zu berücksichtigen. Dies gelte erst recht für eigene Erklärungen des Bieters. Das Schreiben der C GmbH und Co. KG vom 30.1.2008 sei der Beigeladenen gemäß § 164 BGB zuzurechnen, da die C GmbH & Co. KG bevollmächtigte Vertreterin der Beigeladenen ist. Die Erklärung sei von der C GmbH & Co KG im Namen der Bietergemeinschaft abgegeben worden. Deshalb könnten sich die Aussagen über die mangelnde Eignung der in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten nur auf die Bietergemeinschaft insgesamt beziehen. Der Ausschluss des Angebots der Beigeladenen sei mithin erfolgt, weil sie selbst erklärt habe, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten weder selbst ausführen zu können, noch mit dem Angebot Nachunternehmererklärungen vorgelegt habe. Ein Zusammenhang mit den RAL-Zertifikaten bestehe nicht.

Die Antragstellerin beantragt,

1. die Entscheidung der 1. Vergabekammer des Landes Hessen beim Regierungspräsidium Darmstadt vom 5. September 2008 – Az.: 69 d – VK – 39/2008 aufzuheben,
2. der Beschwerdegegnerin zu untersagen, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen,
3. hilfsweise die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die von dem angerufenen Senat festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen,

Die Antragsgegnerin beantragt,

1. die Anträge der Antragstellerin abzuweisen,
2. die Kosten des Nachprüfungsverfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen,
3. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin notwendig war.

Die Antragsgegnerin trägt vor, nach der Rechtsauffassung des Senats dürfe sie die Gütezeichen RAL 961 und 962 von den Bietern mangels ausreichender

Bekanntmachung nicht fordern. Sie habe daher eine neue Eignungsprüfung auf der Grundlage der von den Bietern eingereichten Unterlagen durchgeführt. Auf der Grundlage dieser Unterlagen sei sie zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beigeladene zur Ausübung der geforderten Leistungen in der Lage sei.

Insbesondere habe sich zweifelsfrei gezeigt, dass die Beigeladene die von den

Gütezeichen RAL 961 und 962 (Kanalbau in Stollenbauweise, Kabelleitungstiefbau)

Gütezeichen RAL 961 und 962 (Kanalbau in Stollenbauweise, Kabelleitungstiefbau)

umfassten Leistungen mit eigenem Fachpersonal auszuführen in der Lage sei, wie sich aus dem Vergabevermerk vom 29. Juli 2008 ergebe. Der seinerzeitige Ausschluss sei ausschließlich aufgrund der Tatsache erfolgt, dass die Beigeladene nicht über die geforderten Gütezeichen verfüge und die Leistungen deshalb nicht selbst erbringen konnte. Infolgedessen hätte sie die relevanten Leistungen nur mit Nachunternehmern, die über ein entsprechendes Zertifikat verfügen, erbringen können. Solche habe sie im Angebot nicht benannt. Andere Ausschlussgründe habe es nicht gegeben.

Die Vermerke der beratenden Ingenieursgesellschaft BGS vom 30.1.2008 seien nicht maßgebend, weil die Antragsgegnerin sich diese nicht zu Eigen gemacht habe. Die Einschätzung im Prüfbericht der externen Firma sei ihr nicht zuzurechnen. Die Antragsgegnerin habe allein aufgrund des Vergabevermerks vom 4.2.2008 (Anl. AG 5) und der Vorlage zu Punkt 4 der TO der Geschäftsführersitzung 06/2008 am 11.2.2008 (Anl. AG 6) entschieden. Dies ergebe sich aus der Ergebnisniederschrift zu dieser Sitzung (Anl. AG 7).

Maßgebend seien allein das fehlende RAL-GZ 961 (Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise) und die fehlenden Nachunternehmernachweise gewesen. Über die materielle Eignung, die sich aus den Referenzen ergibt, habe sie sich keine irgendwie verfestigte Meinung gebildet. Dies belege die Vorlage zu Punkt 4 der TO der Geschäftsführersitzung 06/2008 am 11.2.2008 (Anl. AG 6). Im Gegensatz zum RAL-GZ 962 (Kabeltiefbauarbeiten), das der Antragstellerin fehlte, habe das RAL-GZ 961 (Tiefbauarbeiten in geschlossener Bauweise) eine deutlich größere Bedeutung gehabt, da eine 30 m lange Unterquerung einer verkehrsreichen Hauptstraße zu erstellen sei. Aus der Absicht, den Zuschlag der Antragstellerin trotz Fehlens des RAL-GZ 962 zu erteilen, könne daher kein Rückschluss auf die Willensbildung der Antragsgegnerin erfolgen.

Eine ergänzende Eignungsprüfung sei bis zum Zuschlag möglich. Jedenfalls aber könne die Verneinung der Eignung nicht auf die unzureichenden Referenzen gestützt werden, da nicht bekannt gemacht worden sei, dass deren Vorlage erforderlich ist. Maßgebend müssten daher die tatsächlich vorgelegten Unterlagen und nicht die geforderten Referenzen sein. Die Vergabestelle sei auch nicht an ihre ursprüngliche Beurteilung der Eignung gebunden.

Sie, die Antragsgegnerin, habe die vollumfängliche Eignung der Beigeladenen im Rahmen der neuen Eignungsprüfung positiv festgestellt. Tatsachen, die einer Eignung der Beigeladenen entgegenstünden, lägen nicht vor. Da die Beigeladene das wirtschaftlichste Angebot abgegeben habe, sei ihr der Zuschlag zu erteilen. Die neue Eignungsprüfung sei allein auf die von den Bietern schon mit dem Angebot eingereichten Unterlagen gestützt worden. Die Entscheidung über die Eignung der Beigeladenen sei auf Grundlage der als Anlagen AG 10a und 10b zur Akte gereichten Unterlagen erfolgt. Entsprechend sei bei der Antragstellerin an Hand der als Anlage 11a und 11b zur Akte gereichten Unterlagen verfahren worden. Die Feststellung sowohl der Eignung der Antragstellerin wie der Beigeladenen beruhe somit auf vergleichbaren Unterlagen.

Das Schreiben der C GmbH & Co. KG vom 30.1.2008 stehe dem nicht entgegen.

Es sei keineswegs in dem von der Antragstellerin behaupteten Sinne gemeint.

Andere Ausschlussgründe als das Fehlen der Gütezeichen RAL 961 und 962 habe es nicht gegeben. Damit stehe fest, dass die Beigeladene infolge des vom Senat vorgegebenen Verzichts auf das Gütezeichen RAL 962 selbst ausführen könne.

Die Beigeladene beantragt,

1. die sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung der 1. Vergabekammer des Landes Hessen beim Regierungspräsidium Darmstadt vom 5. September 2008 – Az.: 69 d – VK – 39/2008 zurückzuweisen,
2. die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin aufzuerlegen,
3. festzustellen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Beigeladene notwendig war.

Die Beigeladene trägt vor, sie habe der Antragsgegnerin im Rahmen eines Bietergesprächs am 29.1.2008 dargelegt, dass alle im Leistungsverzeichnis beschriebenen Stollen- und Kanalbauarbeiten durch das Mitglied der Bietergemeinschaft D-E GmbH & Co. KG durchgeführt würden, weil das andere Mitglied, die C GmbH & Co. KG, nicht in der Lage sei, diese Arbeiten auszuführen.

Mitglied, die C GmbH & Co. KG, nicht in der Lage sei, diese Arbeiten auszuführen.

Die Antragsgegnerin habe daraufhin die D-E GmbH & Co KG aufgefordert, ihre Eignung zur Vornahme der im Los 3 und 4 beschriebenen Stollenbauarbeiten mittels Nachweisen und Zertifikaten zu belegen. Diesbezügliche Nachweise seien weder in den Verdingungsunterlagen noch in der Bekanntmachung gefordert worden. Die Vorgehensweise der Antragsgegnerin sei deshalb als vergaberechtswidrig gerügt worden. Zusätzlich habe die C GmbH & Co. KG gegenüber der Antragsgegnerin nochmals bestätigt, dass sie mangels eigener fachlicher Eignung nicht in der Lage sei, die Arbeiten durchzuführen. Da dies nur die fachliche Eignung des ersten Mitglieds der Bietergemeinschaft betroffen habe, sei die Erklärung nicht auf dem Briefkopf der Bietergemeinschaft abgegeben worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

II. Die zulässige Beschwerde (§§ 116, 117 GWB) hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Vergabekammer hat den zulässigen Nachprüfungsantrag zutreffend als unbegründet zurückgewiesen.

Die Antragstellerin kann nicht mit Erfolg geltend machen, die Absicht der Antragsgegnerin, den Zuschlag der Beigeladenen zu erteilen, sei vergaberechtswidrig.

Die Antragsgegnerin durfte nach erneuter Prüfung die Eignung der Beigeladenen bejahen.

Die Antragsgegnerin war nicht gehindert, die Eignung der Beigeladenen erneut zu prüfen.

Welcher Zeitpunkt für die Beurteilung der Eignung maßgeblich ist, ist umstritten.

Teilweise wird vertreten, Eignungsgesichtspunkte könnten generell auch zu einem späteren Zeitpunkt erfüllt werden.

Nach anderer Auffassung müssen die Kriterien der Fachkunde und der Zuverlässigkeit spätestens zum Zeitpunkt der Angebotswertung vorliegen (OLG Brandenburg, Beschl. v. 14.12.2007, Verg W 21/07 zit. nach juris; zum Meinungsstreit vgl. etwa Müller-Wrede/Noch, VOL/A 2. Aufl. § 25 Rn. 189 ff.)

Nach einer weiteren Auffassung ist hinsichtlich aller Eignungsmerkmale im Interesse der Transparenz, der Gleichbehandlung und des fairen Wettbewerbs allein auf den Zeitpunkt der Angebotsabgabe abzustellen.

Unabhängig davon stellt sich hier die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine bereits durchgeführte Eignungsprüfung wiederholt und ggfs. revidiert werden kann.

Grundsätzlich ist der Auftraggeber an eine einmal getroffene Ermessensentscheidung zur Eignung eines Bieters gebunden (OLG Frankfurt, VergabeR 01, 243), wenn er in Ausübung seines Beurteilungsspielraums die Zuverlässigkeit, fachliche Eignung und Leistungsfähigkeit bejaht hat (Weyand, Vergaberecht, 2. Aufl., § 97 GWB Rn. 809 ff).

Eine erneute Eignungsprüfung kann allerdings geboten sein, wenn der Auftraggeber andernfalls einem ungeeigneten Bieter den Auftrag erteilen müsste.

Ein nach Angebotsabgabe eintretender Wegfall der Eignung ist danach stets beachtlich. Werden dem Auftraggeber nachträglich solche Umstände bekannt, so muss er seine Wertung wiederholen. Das Wettbewerbsinteresse bzw. das Interesse der Allgemeinheit daran, dass nur geeignete Unternehmen die Leistung ausführen, überwiegt gegenüber dem Vertrauensinteresse des Bieters (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.07.2003 Verg 11/03; Beschl. v. 5.5.2004 – VII Verg 10/04; Weyand, a.a.O. Rn. 809 ff).

Es ist darüber hinaus grundsätzlich unbedenklich und kann sogar geboten sein, eine Eignungsprüfung nachträglich zu korrigieren, wenn sich zwischenzeitlich aufgrund neuer Erkenntnisse herausgestellt haben sollte, dass die ursprüngliche Eignungsprüfung letztlich auf falschen Tatsachen beruhte (Weyand, a.a.O. Rn. 810 m.w.N.).

Das gilt grundsätzlich nicht nur für Umstände, die die bereits bejahte Eignung eines Bieters in Frage stellen, sondern muss umgekehrt auch Geltung eines Bieters in Frage stellen, sondern muss umgekehrt auch Geltung beanspruchen in Fällen, in denen die Eignung eines Bieters aufgrund „falscher Tatsachen“ zunächst verneint worden war. Denn der öffentliche Auftraggeber ist nicht gehindert, im Zuge einer ihm durch die Nachprüfungsinstanzen aufgegebenen erneuten Angebotswertung bislang vorhandene Wertungsfehler zu beseitigen. Das gilt unabhängig davon, ob sie Gegenstand der betreffenden Nachprüfungsentscheidung waren oder nicht. Ein Vertrauen der Bieter auf Beibehaltung der bisherigen vergaberechtswidrigen Wertung ist rechtlich nicht schützenswert und deshalb schon aus Rechtsgründen nicht anzuerkennen (Weyand, a.a.O. Rn. 807 m.w.N.).

So liegt der Fall auch hier. Vorliegend war die Antragsgegnerin an ihre frühere Eignungsprüfung, aufgrund derer die Beigeladene ausgeschlossen wurde, nicht gebunden, weil sie vergaberechtswidrig war und auf falschen Voraussetzungen beruhte. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass die Forderung nach dem RAL – Gütezeichen 961 – wie der Senat für das Zeichen RAL 962 entschieden hat (Beschl. v. 15.07.2008 11 Verg 4/08). – vergaberechtswidrig war. Darüber hinaus war auch die Forderung nach weiteren Referenzunterlagen anlässlich des „Aufklärungsgesprächs“ am 29.01.2008 vergaberechtswidrig, so dass die nachgereichten Unterlagen ebenso wenig zur Eignungsprüfung hätten verwendet werden dürfen (VK Bund, Beschluss v. 04.09.2007, VK 1 – 89/07, IBR 2008, 43). Nicht – ordnungsgemäß – mit der Bekanntmachung geforderte Unterlagen, die ein Bieter gleichwohl vorlegt, darf der Auftraggeber für die Prüfung der Eignung jedenfalls zu Lasten eines Bieters nicht heranziehen.

Zwar ist die Beigeladene gegen ihren Ausschluss nicht mit einer Rüge bzw. einem Nachprüfungsverfahren vorgegangen. Die Vergabestelle kann aber – wie dargelegt – von sich aus Mängel des Verfahrens in einem späteren Stadium korrigieren, soweit sie dabei die allgemeinen Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung beachtet. Gegen ihre Vorgehensweise, das (vergaberechtswidrig) ausgeschlossene Angebot der Beigeladenen wieder in die Wertung mit einzubeziehen, nachdem der Senat entschieden hatte, dass bei der Eignungsprüfung das RAL Gütezeichen nicht hätte berücksichtigt werden dürfen, sind vergaberechtliche Bedenken deshalb weder ersichtlich noch geltend gemacht worden. Auch die Antragstellerin hat nicht grundsätzlich gerügt, dass das Angebot der Beigeladenen überhaupt wieder in die Wertung einbezogen worden ist. Eine neue Eignungsprüfung der Beigeladene ist entgegen der Ansicht der Antragstellerin auch nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil sich die Beigeladene mit Schreiben vom 30.1.2008 unabhängig von den vergaberechtswidrig geforderten RAL-Gütezeichen selbst für ungeeignet erklärt hätte.

Das Schreiben der C Bau GmbH & Co. KG vom 30.1.2008 (GA 76) bezieht sich insgesamt nur auf die Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise. Denn für die Kanalbauarbeiten in offener Bauweise hatte die Beigeladene das RAL-GZ 961 Anforderungen Gruppe AK1 und AK 2 mit den Angebotsunterlagen (Anlage 5.1) vorgelegt. Auch war Gegenstand des Erläuterungsgesprächs am 29.1.2008 nur der Nachweis der eigenen Fachkunde der Beigeladenen für die Ausführung der Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die C Bau GmbH & Co. KG der Antragsgegnerin durch das vorerwähnte Schreiben mitteilt, die Beigeladene könne weder die geforderten Zertifikate für eigenes Fachpersonal nachweisen, noch die Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise mit RAL-zertifizierten Nachunternehmern ausführen, weil deren Benennung in den Angebotsunterlagen unterblieben ist.

Ausgehend davon bezieht sich auch die Feststellung unter 3.2 des Ergänzungsberichts vom 30.1.2008, wonach mit Schreiben vom 30.1.2008 (Anlage C) mitgeteilt worden sei, dass es der Bietergemeinschaft nicht möglich sei, die in Los 3 und 4 beschriebenen Kanalbauarbeiten ohne Nachunternehmer auszuführen, auf die Kanalbauarbeiten in geschlossener Bauweise. Insofern ist der sich an diese Feststellung anschließende Hinweis folgerichtig, dass aus formalen Gründen – nämlich wegen der fehlenden RAL-Zertifikate Anforderungen Gruppe VO für die geschlossene Bauweise – die Beigeladene aus dem Vergabeverfahren auszuschließen ist.

Aus dem Ergänzungsbericht vom 30.1.2008 (Punkt 3.3) wie aus dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 31.1.2008 (Anl. Bf 5 = GA 78 f), mit welchem sie der Beigeladenen mitteilte, dass deren Angebot aus der Wertung ausgeschlossen Beigeladenen mitteilte, dass deren Angebot aus der Wertung ausgeschlossen werden müsse, geht zwar hervor, dass die Eignung der Beigeladenen auch im Hinblick auf die mit dem weiteren Schreiben vom 30.1.2008 nachgereichten Unterlagen verneint wird.

Die Verwertung dieser nachgeforderten Unterlagen zum Nachteil der Beigeladenen war jedoch – wie ausgeführt – nicht zulässig, weil es der Vergabestelle grundsätzlich nicht erlaubt ist, Nachweise für die Prüfung eines Eignungsmerkmals heranzuziehen, die von den Bietern tatsächlich vorgelegt wurden, obwohl dies in der Bekanntmachung nicht gefordert war (VK Bund, Beschluss v. 04.09.2007, VK 1 – 89/07, IBR 2008, 43).

Der Vergabevermerk vom 29.7.2008 steht auch nicht im Widerspruch zu den früheren Feststellungen im Schreiben der Antragsgegnerin vom 31.1.2008. Die tatsächlich von den Bietern vorgelegten Unterlagen, auf die dieser Vermerk abstellt, sind nicht die mit dem Schreiben vom 30.1.2008 nachgereichten Unterlagen. Bei den zum Nachweis der jeweiligen Fähigkeiten vorgelegten Referenzen aus vergleichbaren Projekten sowie den Ausbildungs- und Qualifikationsnachweisen der jeweiligen Mitarbeiter handelt es sich vielmehr um die als Anlagen AG 10a und 10b zur Akte gereichten Unterlagen. Soweit ein Dokumentationsmangel darin begründet sein sollte, dass aus dem Vergabevermerk vom 29.7.2008 nicht ohne weiteres ersichtlich war, auf welche Unterlagen die Antragsgegnerin abgestellt hat, kann dies nicht zu Gunsten der Antragstellerin berücksichtigt werden, da diese einen Dokumentationsmangel nicht gerügt hat.

Die von Anfang an mit den Angebotsunterlagen eingereichten Eignungsunterlagen durfte die Antragsgegnerin – ebenso wie bei der Antragstellerin – als Erkenntnisgrundlage verwerten. Es lag im Rahmen ihres Prüfungsermessens, diese Unterlagen als eine ausreichende Tatsachengrundlage für eine ordnungsgemäße Eignungsprüfung anzusehen. Diese Unterlagen lagen zwar schon im Zeitpunkt der ersten Prüfung vor. Die erste Wertung, die zur Verneinung der Eignung der Beigeladenen führte, beruht jedoch nicht auf diesen Unterlagen, sondern – wie dargelegt – auf dem fehlenden RAL – Gütezeichen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 97 Abs. 1 ZPO. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren war angesichts der Komplexität des vorliegenden Falles für notwendig zu erklären. Für die Beigeladene folgt die Notwendigkeit, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, schon aus dem Gesetz (§ 120 Abs. 1 S. 1 GWB), weshalb es einer dahingehenden Tenorierung nicht bedurfte. Der Streitwert war gemäß § 50 Abs. 2 GKG festzusetzen (5% der Bruttoangebotssumme der Antragstellerin).

OLG Frankfurt zu der Frage der Wertung von Nebenangeboten bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte

OLG Frankfurt zu der Frage der Wertung von Nebenangeboten bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte

1. Da gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A-EU Nebenangebote bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte nur dann gewertet werden können, wenn sie vom Auftraggeber ausdrücklich zugelassen worden sind, muss sich aus den Ausschreibungsbedingungen unter dem maßgeblichen Blickwinkel eines verständigen und sachkundigen Bieters hinreichend klar ergeben, ob und wenn ja, in welchem Umfang der Auftraggeber Nebenangebote zugelassen hat.

Die Vorschrift folgt einem völlig anderen Regelungsmechanismus, wie er für den Unterschwellenbereich im ersten Abschnitt der VOB/A gem. § 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A vorgeschrieben ist. Während der Auftraggeber dort angeben muss, ob er Nebenangebote nicht oder nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zulässt (andernfalls sie vom Bieter abgegeben werden durften und gewertet werden müssen), kann der Bieter hier nur dann auf eine Wertung seiner Nebenangebote hoffen, wenn der Auftraggeber Nebenangebote entweder uneingeschränkt oder eingeschränkt für den vom Bieter angebotenen Bereich ausdrücklich zugelassen hat (vgl. Kapellmann/Messerschmidt-von Rintelen, VOB-Kommentar, 7. Aufl., Rn 12 zu § 8 VOB/A-EU).

Ein Nebenangebot liegt vor, wenn ein Bieter eine von den Vertragsunterlagen abweichende Art der Leistung anbietet, unabhängig von dem Umfang und dem Gegenstand der Änderung. Eine Abweichung kann daher in technischer, wirtschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht erfolgen (Kapellmann/Messerschmidt-von Rintelen, aaO., Rn 54 zu § 8 VOB/A; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2.11.2011 – VII Verg 22/11, OLG Jena, Beschluss vom 21.9.2009, 9 Verg 7/09). Ein technisches Nebenangebot enthält eine abweichende Lösung von den Vorgaben in den Vergabeunterlagen. Rechtliche Abweichungen betreffen in der Regel den Inhalt des Bauvertrags. Ein wirtschaftliches oder kaufmännisches Nebenangebot liegt beispielsweise im Angebot einer abweichenden Vergütungsform oder im Angebot bestimmter Preisnachlässe unter bestimmten Bedingungen, wie der Beauftragung mehrerer Lose (vgl. dazu Liebschwager in: Burgi/Dreher Beck`scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., Rn 8 zu § 35 VgV).

Der Auftraggeber kann bei der Zulassung von Nebenangeboten differenzieren, z.B. nur technische oder nur kaufmännische Nebenangebote zulassen bzw. diese auf bestimmte Teile der Leistung beschränken. Dies wird auch durch § 8 Abs. 2 Nr. 3 lit a) und b) VOB/A-EU verdeutlicht, wenn dort vorgeschrieben ist, dass der Auftraggeber anzugeben hat, in welcher Art und Weise Nebenangebote einzureichen sind und wenn ihm vorgeschrieben wird, Mindestbedingungen an Nebenangebote zu stellen.

Der Erklärungswert von Vergabeunterlagen richtet sich nicht nach dem subjektiven Verständnis des Antragstellers eines Nachprüfungsverfahrens, sondern nach dem objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, so dass der Senat die Unterlagen aus der Sicht eines verständigen, mit der Materie vertrauten Bieters auslegen muss (vgl. BGH, Urteil vom 10.6.2008 – X ZR 78/07 – Nachunternehmererklärung, Rn 10 bei juris).

2. Die Abgabe eines Pauschalpreisnebenangebots ist nicht zulässig, wenn der beabsichtigte Bauvertrag ersichtlich als Einheitspreisvertrag konzipiert war und wenn der Auftraggeber in der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten (unter Verwendung des Formblatts 211 – EU) lediglich für einzelne Titel technische Nebenangebote, z.B. in Form eines alternativen Bauverfahrens, zugelassen und insoweit formale und qualitative Mindestanforderungen an die technische Ausführung gestellt hat.

OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 25.11.2021 – 11 Verg 4/21

Gründe

I.

Mit EU-Bekanntmachung vom 23.10.2020 schrieb die Antragsgegnerin das streitgegenständliche Vergabeverfahren „A, Referenznummer der Bekanntmachung: B-…“ aus. Gegenstand der Ausschreibung ist der Kanalneubau des A in Stadt1-Stadtteil1 und Stadt1-Stadtteil2 in 4 Bauabschnitten.

Gemäß Amtsentwurf beinhaltet die Ausschreibung im Wesentlichen ca. 580 m offenen Kanalbau einschließlich Schachtbauwerken, einigen Anschlusskanälen, der Übernahme von Hausanschlüssen und Straßeneinläufen und der vollständigen Wiederherstellung der Oberflächen. Die Ausschreibung erfolgte im Offenen Verfahren. Einziges Zuschlagskriterium ist der Preis.

Der Sammler entlang des X-Stadions (Bauabschnitt 2) soll aus Fertigteilen in offener Bauweise hergestellt werden, der Sammler in den Bauabschnitten 3 und 4 in Ortbetonbauweise. Gemäß Ziffer 6.2 der Angebotsaufforderung waren dazu Nebenangebote in folgendem Umfang zugelassen:

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Der Angebotsaufforderung lag das Formblatt 212 bei, wo es wörtlich wie folgt lautet:

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Das rund 300 Seiten lange Leistungsverzeichnis gliedert sich in Ordnungszahlen, Leistungsbeschreibung, Mengenansätze, Einheitspreis und Gesamtpreis, vereinzelt finden sich auch Positionspauschalpreise (Bl. 71 – 374 VA).

Die Antragstellerin stellte am 20. November 2020 unter anderen eine Frage zur Zulässigkeit der Nebenangebote, die ihrer Ansicht nach nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben worden sind. In der Bieteranfrage heißt es wörtlich wie folgt:

„… Gemäß Ziffer 6.2 der Aufforderung zur Angebotsabgabe sind Nebenangebote nur für die Titel 30.10 und 40.41 zulässig. Liest man sodann jedoch weiter, sind Änderungen, die sich aus Nebenangeboten zu diesen Titeln ergeben, titelübergreifend in den betroffenen LV-Positionen abzubilden. Das resultiert daraus, dass die zulässigen Änderungen auch Einfluss auf weitere Titel der Ausschreibung haben. Denn bei genauerer Betrachtung ist durch die gemäß Mindestbedingungen zugelassenen Varianten die Mehrheit der ausgeschriebenen Titel (BE, Erdarbeiten, Abbrucharbeiten, Stahlbetonarbeiten, Bauwerke, Grundwasserhaltung, Wasserhaltung) betroffen. Demnach müssen Nebenangebote auch für andere Titel zulässig sein. Die in Ziffer 6.2 gewählte Formulierung ist widersprüchlich bzw. nicht eindeutig. Um ihr eine erforderliche Klarheit für den Wettbewerb zu schaffen, sollten die Mindestbedingungen so formuliert werden, dass klar benannt wird, wo keine Nebenangebote zulässig sind…“

Die Antragsgegnerin beantwortete die von der Antragstellerin gestellten Bieteranfragen durch Schreiben vom 23. November 2020 auszugsweise wie folgt:

„Die B hat für die auszuführenden Arbeiten das Leistungsbestimmungsrecht… Aufgrund der Auflagen bzw. Abstimmungen mit dem Stadionbetreiber wurden ausnahmsweise Fertigteile entlang des Stadions durch die B zugebilligt, da die Bauzeit in diesem Bereich verkürzt werden sollte. Ansonsten sind Ortbetonkastenkanäle auszuführen. Durch die nunmehr zeitlich verschobene Baumaßnahme in die Jahre 2021/2022 wurde unter weitestgehend Aufrechterhaltung der B Standards die Verlegung von Kastenkanalfertigteilen durch die B toleriert. Dafür können durch die Bieter Nebenangebote eingereicht werden. Diese Nebenangebote müssen selbstverständlich die sich ändernden anderen dafür notwendigen Leistungen erfassen (Erdarbeiten etc.). (Unterstreichung durch den Senat)“ (Anlage ASt 3).

Die Antragstellerin gab am 8.12.2020 fristgerecht ein Hauptangebot sowie sechs Nebenangebote ab. Das Nebenangebot 1 bezieht sich auf die Herstellung des Kanals im Bauabschnitt 3 und 4 (Titel 40.41) mit Hilfe von Fertigbauteilen anstatt Ortbetonbauweise und wird mit einer pauschalen Angebotssumme angeboten. Die Antragstellerin legte unter Ziffer 1.5 ihres Angebots dar, dass i. E. die alternative Bauweise Auswirkungen auf „fast jede(n) Titel des Leistungsverzeichnisses“ habe, weswegen es sich bei ihrem Nebenangebot um eine weitreichende Planungs- und Verfahrensänderung handle, „die nicht eins zu eins im LV des Amtsentwurfs abgebildet werden könne“ (Anlage ASt 4 Vergabekammerakte, im folgenden VKA). Deshalb fügte sie ihrem Nebenangebot 1 ein nach eigenen Positionsnummern umformuliertes Leistungsverzeichnis (Kurz-LV – N1) sowie die Aufstellung „Angebotserläuterung und Zuordnung“ bei, in der sämtliche Positionen des Amts-Leistungsverzeichnisses denjenigen des Nebenangebots zugeordnet werden, wobei das Nebenangebot etwaig entfallende Positionen explizit als solche ausweist (Anlagen ASt 21 + AStV 22 VKA).

Das Nebenangebot 2 ist eine optionale Ergänzung zum Nebenangebot 1 und hat einen alternativen Rohrvortrieb im Bauabschnitt 2 (Titel 30.10) zum Gegenstand, der ebenfalls mit einer pauschalen Angebotssumme angeboten wird, um die sich die Angebotssumme des Nebenangebots 1 erhöht (Anlage ASt 5 VKA).

Mit Schreiben vom 9. März 2021 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin gemäß § 134 GWB mit, dass sie beabsichtige den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Das Hauptangebot der Antragstellerin sei nicht zu berücksichtigen, weil ein wirtschaftlicheres Nebenangebot der Mitbieterin vorliege. Das Nebenangebot 1 der Antragstellerin erfülle nicht die geforderten Mindestanforderungen, da es u.a. eine Pauschalierung der Gesamtsumme vorsehe, was den Vorgaben der Bekanntmachung widerspreche. Die Nebenangebote 2 – 6 seien als Option zum Nebenangebot 1 definiert und daher ebenfalls nicht zu werten (Anlage AST 7 VKA).

Einer entsprechenden Rüge der Antragstellerin half die Antragsgegnerin nicht ab, führte allerdings nun zur Begründung aus, dass die Nebenangebote der Antragstellerin aus formalen Gründen auszuschließen seien (Anlage AST 13).

Auf erneute Rüge der Antragstellerin teilte die Antragsgegnerin ihr unter Verweis auf eine gutachterliche Stellungnahme ihres Verfahrensbevollmächtigten mit Schreiben vom 30. April 2021 mit, die eingereichten Nebenangebote seien als „nicht zugelassene Nebenangebote“ gemäß § 16 EU Nr. 5 VOB/A von der Wertung auszuschließen. Die Antragsgegnerin habe lediglich Nebenangebote für technische Alternativen zu den Titeln 30.10 und 40.41, nicht aber wirtschaftliche oder preisliche Nebenangebote, wie z.B. Pauschalpreisangebote zugelassen. Als solches stelle sich das Nebenangebot 1 der Antragstellerin dar. Die vorangegangenen Vergabeentscheidungen, bei denen der Ausschluss der Nebenangebote auf die Nichterfüllung von Mindestanforderungen bzw. auf formale Gründe gestützt wurden, werden durch diese Stellungnahme zurückgenommen (Anlagen AST 17 und 18).

Die Antragstellerin hat daraufhin ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet. Sie hat dazu vorgetragen, ein Ausschlussgrund nach § 16 EU Nr. 5 VOB/A liege hinsichtlich ihrer Nebenangebote 1 und 2 nicht vor. Die Antragsgegnerin habe in der Auftragsbekanntmachung und in ihrer Angebotsaufforderung Nebenangebote grundsätzlich zugelassen und in technischer Hinsicht eine Einschränkung nur in Bezug auf explizit benannte Bereiche vorgenommen. Pauschalpreis-Nebenangebote seien weder in der Bekanntmachung noch in den Vergabeunterlagen ausgeschlossen worden. Dies lasse sich bei verständiger Würdigung auch aus der Formulierung in dem beigefügten Formblatt 212 entnehmen. Sie – die Antragstellerin – habe sich daran orientiert und im Nebenangebot 1 lediglich eine technische Alternative zu der im Titel 40.41 beschriebenen Leistung angeboten, wie es in der Ausschreibung schon vorgesehen worden sei. Dass dieser Alternative Auswirkungen auf nahezu alle anderen Positionen des Leistungsverzeichnisses habe, ergebe sich aus dem damit geänderten Leistungsprofil. Dies sei auch bereits in der oben dargestellten Bieteranfrage problematisiert worden, die die Antragsgegnerin abschlägig beantwortet habe.

Durch das Kurz-Leistungsverzeichnis und die Konversionstabelle (Anlagen AST 21 und 22 VKA) habe die Antragstellerin der Antragsgegnerin eine Zuordnung der im Nebenangebot enthaltenen Leistungen zu den im ausgeschriebenen Leistungsverzeichnis enthaltenen Positionen ermöglicht. Ihre Nebenangebote erfüllten daher die Mindestvoraussetzungen. Es könne auch nicht angenommen werden, dass sich das Nebenangebot 1 als vollständig autarkes Nebenangebot darstelle. Daher seien die formalen Anforderungen gemäß § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 a VOB/A erfüllt.

Die Vergabekammer hat der Antragstellerin ursprünglich mitgeteilt, sie beabsichtige, ohne mündliche Verhandlung nach Aktenlage zu entscheiden, weil der Nachprüfungsantrag offensichtlich unbegründet sei. Das Angebot der Antragstellerin sei schon wegen § 16 Nr. 6 VOB/A – EU auszuschließen, weil sie mit ihrem Nebenangebot 1 unzulässigerweise ein zweites Hauptangebot abgegeben habe. Ferner ergebe sich ein Ausschlussgrund aus § 16 Nr. 5 VOB/A-EU, weil die Antragstellerin ein Pauschalpreisangebot eingereicht habe, obwohl dies nach den Ausschreibungsunterlagen nicht zugelassen worden sei (Bl. 226 f. VKA). Dem ist die Antragstellerin entgegengetreten.

Die Vergabekammer hat dann nach mündlicher Verhandlung den Nachprüfungsantrag als unbegründet zurückgewiesen. Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin sei nicht gegeben, denn ihre Nebenangebote seien gemäß § 16 a EU Abs. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A zwingend vom Vergabeverfahren auszuschließen. Die Kammer hat es offengelassen, ob nach den Vergabeunterlagen tatsächlich auch ein Pauschalpreisvertrag zulässig gewesen wäre, so dass die Nebenangebote der Antragstellerin gegebenenfalls als wirtschaftliche Nebenangebote zu werten seien. Der Annahme eines Pauschalpreisvertrages erfordere jedenfalls eine eindeutige, darauf abzielende pauschalierte Pauschalierungsabrede, die sich hier in den Vergabeunterlagen nicht finde.

Unabhängig davon wäre die Antragstellerin nach Ansicht der Vergabekammer verpflichtet gewesen, ihre beiden Nebenangebote nicht nur nach Mengenansätzen sondern auch nach Einheitspreisen aufzugliedern, was hier nicht geschehen sei. Dabei spielt es keine Rolle, dass die Antragstellerin das Risiko von Ausführungs- und Mengenabweichungen übernommen habe. In den Vergabeunterlagen seien Nebenangebote ausschließlich unter der Bedingung zugelassen worden, dass sämtliche Positionen bepreist würden. Es fehlten hier auch Preispositionen, die nicht als unwesentlich betrachtet werden könnten und bei denen eine Nachforderung von Unterlagen durch die Vergabestelle bzw. eine Aufklärung und Verhandlung über den Angebotsinhalt daher nicht möglich sei.

Die Vergabekammer sei nicht an die rechtliche Begründung gebunden, die die Antragsgegnerin für den Ausschluss der Nebenangebote gegeben habe. Der Ausschluss sei hier zwingend, so dass eine Ermessensentscheidung der Vergabestelle nicht in Betracht komme.

Die Antragstellerin hat gegen die abweisende Entscheidung der Vergabekammer, die ihr am 15. Juli 2021 zugestellt worden ist, mit dem am 30. Juli 2021 beim Gericht eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Sie wirft der Vergabekammer vor, ihren Prüfungsspielraum überschritten zu haben, indem sie die Nebenangebote wegen angeblich fehlender Preisangaben ausgeschlossen habe, ohne dass die Antragsgegnerin als Vergabestelle eine solche Beurteilung zuvor vorgenommen habe.

Der den Vergabekammern zustehende Prüfungsmaßstab beschränke sich gemäß § 168 Abs. 1 GWB auf eine reine Rechtskontrolle. Zweckmäßigkeitsüberlegungen müssten außen vor bleiben, weswegen die Vergabekammer ihre eigenen Wertungen nicht an die Stelle derjenigen des öffentlichen Auftraggebers setzen dürfe. Hier habe sich die Antragstellerin mit dem Nachprüfungsverfahren gegen den Ausschluss ihrer Nebenangebote gewehrt, den die Antragsgegnerin auf § 16 EU Nr. 5 VOB/A gestützt habe. Die Vergabekammer habe mit § 16 a EU Abs. 2 i.V. § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A einen neuen Ausschlussgrund herangezogen, ohne zu beachten, dass dem Ausschluss von Angeboten nach dieser Vorschrift eine eigenständige Prüfung der Vergabestelle vorangehen müsse, die hier nicht durchgeführt worden sei. Ein Ausschluss nach dieser Vorschrift setze nämlich voraus, dass die Vergabestelle prüft ob (a) wesentliche Preisangaben überhaupt fehlen sowie (b) ob diese gegebenenfalls nachzufordern sind. Diesen Ausschlussgrund habe die Vergabestelle hier überhaupt nicht in Betracht gezogen, so dass es an einem entsprechenden Überprüfungsgegenstand für die Vergabekammer fehle.

Unabhängig davon sei ein Ausschlussgrund nach § 16 a EU Abs. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A hier auch nicht gegeben. Die rechtliche Bewertung der Vergabekammer sei falsch, denn im Hinblick auf die Prüfung von § 13 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A liege dem angefochtenen Beschluss eine Fehlvorstellung zu Grunde. Die Antragsgegnerin habe in den Vergabeunterlagen nicht vorgegeben, das Nebenangebote in Mengenansätze und Einheitspreisen zu gliedern seien. In den oben bereits zitierten Teilnahmebedingungen werde unter Ziffer 4.3 vielmehr klargestellt, dass Nebenangebote, soweit sie Teilleistungen des Leistungsverzeichnisses beeinflussen, nach Mengenansätze und Einzelpreisen (und nicht nach Einheitspreisen) aufzugliedern seien (auch bei Vergütung durch Pauschalsumme). Genau das habe die Antragstellerin mit ihrem Kurz- Leistungsverzeichnis des Nebenangebotes 1 auch getan und darüber hinaus der Antragsgegnerin eine Handreichung gegeben, in dem durch die Konversionstabelle eine Zuordnung der im Nebenangebot aufgeführten Einzelleistungen zu dem Amts-Leistungsverzeichnis vorgenommen worden sei.

Der Antragsgegnerin habe auch nicht vorgegeben, dass in den Nebenangeboten sämtliche Positionen „bepreist“ werden müssten. Vielmehr schreibe Ziffer. 6.2 der Angebotsaufforderung lediglich vor, dass sämtliche notwendigen Arbeiten sowie alle hierfür entfallenden bzw. zusätzlichen Leistungen, die im Hauptangebot beschrieben sind, positionsweise in dem Nebenangebot mit den entsprechenden Mengenvordersätzen zu erfassen und preislich darzustellen sind. Die Antragsgegnerin habe keine weiteren Anforderungen an die Art der Darstellung von Nebenangeboten gemacht, so dass nicht verlangt werden könne, dass die Bieter über eine Aufgliederung der notwendigen Arbeiten hinaus auch noch Einzelpositionen mit Einheitspreisen angegeben müssten.

Aus der Konversionstabelle ergebe sich, dass alle Positionen und damit alle Leistungen des Amtsleistungsverzeichnisses in ihrem Nebenangebot enthalten seien. Die Antragsgegnerin habe eine derartige Gestaltung des Angebotes ermöglicht, indem sie bereits in Ziffer 4.2 des der Angebotsaufforderung beiliegenden Formblatts 212 klargestellt habe, dass die Gliederung des Leistungsverzeichnisses nur beizubehalten sei, „soweit dies möglich“ ist. Dem sei die Antragstellerin auch nachgekommen, habe aber in ihrem Anschreiben klargestellt, dass durch die alternative Ausführung der Leistung gem. Ziffer 40.41 des Amts-LV mit Fertigbauteilen Änderungen bei fast jedem Titel des Leistungsverzeichnisses einträten und dass deswegen ein exaktes „Runterbrechen“ der veränderten Leistungen auf die Positionen nicht in Gänze möglich sei. Besondere Eile in Bezug auf die Zuschlagsentscheidung sei nicht gegeben, es sei auch nicht ersichtlich, dass die zu erbringende Leistung durch eine verzögerte Realisierung gefährdet wäre.

Die Antragsgegnerin ist dem entgegengetreten und hat vorgebracht, die Nebenangebote 1 und 2 der Antragstellerin müssten vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, denn dort habe es die Antragstellerin versäumt, beide Nebenangebote nicht nur nach Mengen, sondern auch nach Einheitspreisen aufzugliedern. In den Vergabeunterlagen seien Nebenangebote ausdrücklich nur unter der Bedingung zugelassen worden, dass sämtliche Leistungen mit den entsprechenden Mengenvordersätzen positionsweise erfasst und preislich dargestellt würden. Dies habe die Antragstellerin versäumt. Die Antragsgegnerin trägt weiter vor, sie habe sich im Vergabeverfahren ausdrücklich vorbehalten, eine Preisermittlung auf Einheitspreisebene vorzunehmen. Sinn und Zweck sei es gewesen, jeder einzelnen Leistung einen nachvollziehbaren Preis zuzuordnen, damit etwaige Mengenanpassungen oder anderer Nachträge preislich korrekt bewertet werden könnten. Mit den von ihr ausgeschlossenen Nebenangeboten 1 und 2 in der Antragstellerin sei dies nicht möglich.

Der Senat hat zum einen die Fa. E zum Beschwerdeverfahren beigeladen und dieser Einsicht in die wesentlichen Unterlagen des Vergabenachprüfungsverfahrens gegeben. Ferner hat der Senat durch Beschluss vom 6. September 2021 antragsgemäß die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde bis zur Entscheidung über die Beschwerde verlängert und der Antragstellerin Einsicht in das geschwärzte Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen gewährt.

Die Antragstellerin wiederholt ihren Vorwurf, die Vergabekammer habe § 16a Abs. 2 VOB/A-EU nicht als Ausschlussgrund heranziehen dürfen, weil dies voraussetze, dass die Vergabestelle nach einer technischen Prüfung zu dem Ergebnis gekommen ist, dass sich die Änderungen im Nebenangebot 1 hinsichtlich der Mengen, Qualitäten und Preise auf die Einzelpositionen im Amtsentwurf auswirken. Eine solche Prüfung sei nicht erfolgt und habe auch von dem Verfahrensbevollmächtigen der Antragsgegnerin mangels hinreichender Fachkenntnis nicht durchgeführt werden dürfen. Die Antragstellerin untermauert ihren Sachvortrag durch ein Privatgutachten des Bausachverständigen C (Anlage Bf 2).

Der direkte Vergleich der angebotenen Leistungen belege ferner, dass das von der Beigeladenen zum Titel 40.41 des Leistungsverzeichnisses vorgelegte Nebenangebot von der Wertung ausgeschlossen werden müsse, weil ihm eine titelübergreifende Darstellung der entfallenden und der zusätzlichen Leistungen fehle und es namentlich nicht berücksichtige, dass sich durch die Umstellung von Ort- auf Fertigbeton die Preisgestaltung für andere Titel des Leistungsverzeichnisses, wie z.B. des Titels 20 „Erd- und Verbauarbeiten“ zwingend ändern müsse. Im Hinblick auf die Frage, ob kaufmännische Nebenangeboten zugelassen worden seien, verweist die Antragstellerin nochmals auf Ziffer II.2.3. der Vergabebekanntmachung (Anlage AST 1 VKA), wo sich keine entsprechende Differenzierung finde.

Die Antragstellerin beantragt,

1. den Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom 8. Juli 2021 aufzuheben und der Antragsgegnerin aufzugeben, den Ausschluss der Nebenangebote 1 und 2 der Antragstellerin in dem Vergabeverfahren „A, Referenznummer der Bekanntmachung: B-…“ zurückzunehmen und der Antragsgegnerin aufzugeben, das Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen von der Wertung auszuschließen und die Prüfung und Wertung der Angebote unter Einbindung der Nebenangebote 1 und 2 der Antragstellerin zu wiederholen,

2. festzustellen, dass die Hinzuziehung von Verfahrensbevollmächtigten seitens der Antragstellerin erforderlich war und

3. der Antragsgegnerin die Kosten des Nachprüfungsverfahrens sowie die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde, einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin aufzuerlegen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Die Vergabekammer habe ihre Prüfungskompetenz nicht überschritten, denn sie habe auf Grundlage der von ihr als richtig angesehenen tatsächlichen Sacherwägungen der Antragsgegnerin lediglich eine andere rechtliche Wertung vorgenommen, was ihr unbenommen sei. Die Nebenangebote 1 und 2 der Antragstellerin müssten vom weiteren Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, denn dort habe es die Antragstellerin versäumt, beide Nebenangebote nicht nur nach Mengen, sondern auch nach Einheitspreisen aufzugliedern. Die Antragsgegnerin habe sich im Vergabeverfahren ausdrücklich vorbehalten, eine Preisermittlung auf Einheitspreisebene vorzunehmen. Sinn und Zweck sei es gewesen, jeder einzelnen Leistung einen nachvollziehbaren Preis zuzuordnen, damit etwaige Mengenanpassungen oder anderer Nachträge preislich korrekt bewertet werden könnten.

Mit den von ihr ausgeschlossenen Nebenangeboten 1 und 2 in der Antragstellerin sei dies nicht möglich, denn die Antragstellerin habe in ihrer Konversationstabelle, die sie mit dem Kurz-Leistungsverzeichnis zum Nebenangebot (Kurz-LV NA 1) vorgelegt habe, in zahlreichen Fällen einzelne Positionen des Amts-Leistungsverzeichnisses mehreren Positionen ihres Kurz-LV NA 1 zugeordnet, ohne dass nachvollziehbar wäre, welcher Bruchteil welcher Amtsentwurfsposition in welche Position des Kurz-LV übergegangen wäre und welche Mengenangaben maßgeblich seien. Dies wird in Ergänzung zu dem bereits im Vergabenachprüfungsverfahren vorgelegten Schriftsatz vom 20.Mai 2021 nochmals anhand mehrerer Einzelpositionen des Amtsentwurfs erläutert und veranschaulicht.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Die Beigeladene ist der Ansicht, dass die Antragsgegnerin hier keine kaufmännischen Nebenangebote zugelassen habe. Maßgeblich seien die Festlegungen in Ziffer 6 der mit dem Formblatt 211 EU-Hessen bekannt gemachten Aufforderung zur Angebotsabgabe, die dem Auftraggeber insgesamt vier Optionen für die Zulassung von Nebenangeboten eröffne. Die Antragsgegnerin habe sich dafür entschieden, lediglich für zwei konkret genannte Bereiche technische Nebenangebote zuzulassen, darüber hinaus vorgegeben, welchen Inhalt die technischen Nebenangebote zu diesen Bereichen überhaupt haben durften und Mindestbedingungen dafür festgelegt.

Die Antragstellerin habe sich ausweislich des ihr vorliegenden Vergabevermerks schon in technischer Hinsicht nicht an die Vorgaben der Ausschreibung gehalten und statt der geforderten Spundwand eine nur vermeintlich gleichwertige Verfahrensweise nach dem von ihr patentierten „D“ angeboten. Im Übrigen sei sie von der vorgegebenen Vergütungssystematik abgewichen. Schon bei unverändertem Leistungsinhalt sei ein Pauschalpreisangebot nicht mit einer Angebotssumme auf Basis der im Leistungsverzeichnis genannten Vordersätze vergleichbar. Dies gelte umso mehr, wenn sich der Pauschalpreis – wie hier – eine vom Bieter alternativ angebotene, in weiten Teilen andere Leistung beziehe. Die mit den Nebenangeboten 1 und 2 von der Antragstellerin unterbreiteten Pauschalpreisnebenangebote seien daher zwingend von der Wertung auszuschließen.

Die Beigeladene tritt dem Vorwurf, ihr Nebenangebot Nr. 5 erfülle nicht die Vorgaben der Ausschreibung, entgegen und trägt vor, sämtliche notwendigen Änderungen seien erfasst worden.

II.

Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Antragsgegnerin hat das Nebenangebot 1 und das optional darauf bezogene Nebenangebot 2 der Antragstellerin mit Recht gem. § 16 Nr. 5 VOB/A-EU von der Wertung ausgeschlossen, weil es sich um ein nicht zugelassenes Pauschalpreisnebenangebot handelt. Mit Recht wurde auch das Nebenangebot der Beigeladenen nicht ausgeschlossen, so dass die erst im Beschwerdeverfahren erhobene Rüge ebenfalls ins Leere geht. Dazu im Einzelnen:

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 173 Abs. 1 S. 1 GWB).

2. Die sofortige Beschwerde ist nicht begründet.

Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist zwar zulässig. Dies hat die Vergabekammer bereits zutreffend festgestellt und begründet, so dass auf die Erwägungen in der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden kann.

Der Nachprüfungsantrag ist aber nicht begründet.

a) Die Antragstellerin wehrt sich ohne Erfolg gegen den Ausschluss ihrer Nebenangebote, denn diese sind zu Recht von der Antragsgegnerin als nicht zugelassene Nebenangebote von der Wertung ausgenommen worden (§§ 16 Nr. 5, 1. Alt., 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A-EU). Es kann daher offenbleiben, ob die Rechtsauffassung der Vergabekammer zutrifft, wonach diese Nebenangebote gem. § 16a Abs. 2 S. 2 VOB/A-EU zwingend von der Wertung ausgenommen waren, weil sie nicht die geforderten Preise enthielten (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU).

Nach der hier maßgeblichen Regelung in § 8 Abs. 2 Nr. 3 S. 2 VOB/A-EU können Nebenangebote bei der Vergabe von Bauaufträgen oberhalb der Schwellenwerte nur dann gewertet werden, wenn sie vom Auftraggeber ausdrücklich zugelassen worden sind. Die Vorschrift folgt einem völlig anderen Regelungsmechanismus, wie er für den Unterschwellenbereich im ersten Abschnitt der VOB/A gem. § 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A vorgeschrieben ist. Während der Auftraggeber dort angeben muss, ob er Nebenangebote nicht oder nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zulässt (andernfalls sie vom Bieter abgegeben werden durften und gewertet werden müssen), kann der Bieter hier nur dann auf eine Wertung seiner Nebenangebote hoffen, wenn der Auftraggeber Nebenangebote entweder uneingeschränkt oder eingeschränkt für den vom Bieter angebotenen Bereich ausdrücklich zugelassen hat (vgl. Kapellmann/Messerschmidt-von Rintelen, VOB-Kommentar, 7. Aufl., Rn 12 zu § 8 VOB/A-EU).

Ein Nebenangebot liegt vor, wenn ein Bieter eine von den Vertragsunterlagen abweichende Art der Leistung anbietet, unabhängig von dem Umfang und dem Gegenstand der Änderung. Eine Abweichung kann daher in technischer, wirtschaftlicher oder rechtlicher Hinsicht erfolgen (Kapellmann/Messerschmidt-von Rintelen, aaO., Rn 54 zu § 8 VOB/A; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2.11.2011 – VII Verg 22/11, OLG Jena, Beschluss vom 21.9.2009, 9 Verg 7/09). Ein technisches Nebenangebot enthält eine abweichende Lösung von den Vorgaben in den Vergabeunterlagen. Rechtliche Abweichungen betreffen in der Regel den Inhalt des Bauvertrags. Ein wirtschaftliches oder kaufmännisches Nebenangebot liegt beispielsweise im Angebot einer abweichenden Vergütungsform oder im Angebot bestimmter Preisnachlässe unter bestimmten Bedingungen, wie der Beauftragung mehrerer Lose (vgl. dazu Liebschwager in: Burgi/Dreher Beck`scher Vergaberechtskommentar, 3. Aufl., Rn 8 zu § 35 VgV).

Der Auftraggeber kann bei der Zulassung von Nebenangeboten differenzieren, z.B. nur technische oder nur kaufmännische Nebenangebote zulassen bzw. diese auf bestimmte Teile der Leistung beschränken. Dies wird auch durch § 8 Abs. 2 Nr. 3 lit a) und b) VOB/A-EU verdeutlicht, wenn dort vorgeschrieben ist, dass der Auftraggeber anzugeben hat, in welcher Art und Weise Nebenangebote einzureichen sind und wenn ihm vorgeschrieben wird, Mindestbedingungen an Nebenangebote zu stellen.

Der Erklärungswert von Vergabeunterlagen richtet sich nicht nach dem subjektiven Verständnis des Antragstellers eines Nachprüfungsverfahrens, sondern nach dem objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter, so dass der Senat die Unterlagen aus der Sicht eines verständigen, mit der Materie vertrauten Bieters auslegen muss (vgl. BGH, Urteil vom 10.6.2008 – X ZR 78/07 – Nachunternehmererklärung, Rn 10 bei juris). Es war daher zu untersuchen, ob aus dieser Sicht den Vergabeunterlagen hinreichende Anhaltspunkte für die Zulassung kaufmännischer Nebenangebote, etwa in Form von Pauschalpreisnebenangeboten, zu entnehmen waren. Das ist bei der erforderlichen Gesamtbetrachtung der Vergabeunterlagen nicht der Fall:

aa) Die Antragstellerin kann sich nicht darauf berufen, dass bereits durch die Auftragsbekanntmachung (Anlage AST 1 VKA, dort Ziffer II.2.10) Nebenangebote einschränkungslos zugelassen worden wären. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beigeladenen und der Antragsgegnerin bot die von der Vergabestelle zwingend zu verwendende elektronische Vorlage für die Auftragsbekanntmachung (https://simap.ted.europa.eu/ documents/10184 /99158/DE_Fo2. pdf) keinen Raum für eine konkrete Festlegung des Umfangs der Zulassung von Nebenangeboten. Vielmehr sieht das Bekanntmachungsformular nur die Ankreuzoptionen „ja/nein“ vor und bleibt damit hinter Optionen zurück, die der Gesetzgeber den Vergabestellen eröffnet hat. Der Umstand, dass die Antragsgegnerin hier „ja“ angekreuzt hat, lässt dementsprechend keine Rückschlüsse darauf zu, dass sie damit einschränkungslos Nebenangebote zulassen wollte. Es kommt vielmehr darauf an, ob nach einer Gesamtschau der Vergabeunterlagen festgestellt werden kann, dass Nebenangebote in dem hier streitgegenständlichen Umfang ausdrücklich zugelassen waren.

bb) Maßgeblich ist in erster Linie die ebenfalls mit Hilfe der einschlägigen Vorlagen (Formblatt 211 EU-Hessen) bekannt gemachte „Aufforderung zur Abgabe eines Angebots“. Dieses Formblatt bietet der Vergabestelle unter Ziffer 6. die Möglichkeit, Nebenangebote entweder für die gesamte Leistung, eingeschränkt für konkret zu benennende Bereiche, grundsätzlich in weitem Umfang aber mit Ausnahme konkret benannter Bereiche und zuletzt unter konkreten weiteren Bedingungen, wie z.B. nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zuzulassen.

Hier hat die Antragsgegnerin durch Ankreuzen der Option 6.2 für die Ausführung von zwei Titeln des Leistungsverzeichnisses (Titel 30.10 und Titel 40.41) Nebenangebote zugelassen. Die Antragsgegnerin differenziert dort zwar bezüglich der Zulassung von Nebenangeboten nicht zwischen technischen und kaufmännischen Nebenangeboten. Ein verständiger Bieter wird aber dem Fließtext in Ziffer 6.2 entnehmen, dass nur technische, nicht aber kaufmännische Abweichungen von den Vergabeunterlagen zulässig sein sollten. Die Antragsgegnerin hat dort nämlich konkret vorgegeben, welchen Inhalt Nebenangebote zu diesen Bereichen überhaupt haben dürfen: ein alternatives Bauverfahren zu Titel 30.10 und die Errichtung des Kanals aus Fertigbauteilen anstatt aus Ortbeton zu Titel 40.41. Darüber hinaus hat sie den gesetzlichen Vorgaben entsprechend formale und qualitative Mindestanforderungen an die technische Ausführung aufgestellt, denen ein Nebenangebot in dem eingeschränkt zugelassenen Rahmen genügen muss, um gewertet zu werden. Mindestanforderungen für etwaige kaufmännische Nebenangebote zu diesen Titeln sind dagegen nicht erkennbar, was bereits indiziert, dass die Antragsgegnerin diese auch gar nicht zulassen wollte.

Auch die in Ziffer 6.2 enthaltene Passage „…Sämtliche dafür notwendigen Arbeiten sind im Nebenangebot zu erfassen sowie alle entfallenden bzw. zusätzlichen Leistungen, die im Hauptangebot beschrieben sind (auch titelübergreifend), positionsweise mit den entsprechenden Mengenvordersätzen zu erfassen und preislich darzustellen…“ [Unterstreichung durch den Senat] führen die angesprochenen Bieter nicht zu der Erkenntnis, dass es ihnen erlaubt wäre, eigene Positionen anstatt der Einzelpositionen aus dem Amtsleistungsverzeichnis zu formulieren. Diese Passage ist vielmehr so verstehen, dass die Antragsgegnerin realisiert hat, dass sich die alternative Bauausführung auf weitere Titel auswirken kann, dass sie aber an der Kalkulationsgrundlage des Baupreises festhalten wollte, wie sie in dem von ihr vorgegebenen Leistungsverzeichnis festgelegten worden war.

Der beabsichtigte Bauvertrag war von der Antragsgegnerin erkennbar als Einheitspreisvertrag konzipiert, denn die Leistungsbeschreibung war von den Bietern nach Mengen und Einheitspreisen, teilweise auch nach Positionspreisen aufzugliedern. Mangels einer eindeutigen gesetzlichen Regelung wird der Pauschal(preis)vertrag in Abgrenzung zum Einheitspreisvertrag definiert. Während beim Einheitspreisvertrag die Vergütung immer erst nach Ausführung der Leistung feststeht, weil sie gem. § 2 Abs. 2 VOB/B aus der Multiplikation der ausgeführten Mengen mit dem jeweiligen Einheitspreis ermittelt wird, ist es beim Pauschalvertrag genau umgekehrt: Die Vergütung steht grundsätzlich schon vor der Ausführung fest, nämlich in Form einer „festen“ Summe, eben des Pauschalpreises (vgl. Kapellmann/Messerschmidt-Kapellmann, VOB-Kommentar, 7. Aufl., Rn 447 zu § 2 VOB/B). Wenn die Antragsgegnerin somit für die beiden o.g. Titel des Leistungsverzeichnisses auch kaufmännische Nebenangebote, beispielsweise in Form von Pauschalpreisangeboten hätte zulassen wollen, so wäre ihr Verlangen nach einer positionsweisen Aufschlüsselung der Mengenvorder-sätze mit entsprechender preislicher Darstellung nicht notwendig und auch nicht sinnvoll gewesen.

cc) Die Antragstellerin kann sich auch darauf berufen, dass der in Ziffer 6.2 des Formulars 211 EU Hessen vorgegebene Text den Passus „…- ausgenommen Nebenangebote, die ausschließlich Preisnachlässe mit Bedingungen beinhalten…“ enthält. Die Antragstellerin will daraus ableiten, dass die Frage einer Zulassung kaufmännischer Nebenangebote quasi „vor die Klammer“ gezogen wurde und dass die Antragsgegnerin nur diese Variante von kaufmännischen Nebenangeboten ausschließen und sie im Übrigen uneingeschränkt zulassen wollte.

Dem kann nicht gefolgt werden. Selbst wenn man außer Acht lässt, dass dieser Text bei Verwendung des Formulars bereits vorgegeben war und schon von daher in seinem Aussagewert erheblich eingeschränkt ist, spricht entscheidend gegen die Argumentation der Antragstellerin, dass das Formular den Vergabestellen nachfolgend die Option eröffnet, Nebenangebote „…nur für nachfolgend genannte Bereiche…“ zuzulassen, womit die Möglichkeit geschaffen wird, den Vorgaben des § 8 Abs. 2 Nr. 3 VOB/A-EU entsprechend ausdrücklich ganz bestimmte Nebenangebote, wie beispielsweise ausschließlich technische Nebenangebote zuzulassen. Hiervon hat die Antragsgegnerin – wie schon dargestellt – auch explizit Gebrauch gemacht. Wenn man das anders sehen und der Argumentation der Antragstellerin folgen würde, so wäre den Vergabestellen bereits durch die Gestaltung des Formulars ein erheblicher Teil ihres Spielraums zur Bestimmung der „Art und Weise“ von Nebenangeboten (vgl. § 8 Abs. 2 Nr. 3 a VOB/A-EU) genommen, denn sie wären in allen Fällen der Zulassung von Nebenangeboten gem. Ziffer 6.2 des Formulars gezwungen, mindestens auch kaufmännische Nebenangebote zuzulassen.

dd) Die Antragstellerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Antragsgegnerin durch die Verwendung des von den Bewerbungsbedingungen des VHB Bund übernommenen Formblatts „Teilnahmebedingungen 212 EU“ (vgl. dazu Kapellmann/Messerschmidt-Planker, aaO.,Rn 41 zu § 13 VOB/A) Pauschalpreisnebenangebote zu den o.g. Titeln des Leistungsverzeichnisses bzw. sogar zur gesamten Bauleistung zulassen wollte. Sie verweist ohne Erfolg auf den Umstand, dass dort in Ziffer 4.3 im Klammerzusatz die Passage („…auch bei Vergütung durch Pauschalsumme…“) enthalten ist.

Es ist nicht nachvollziehbar, wieso ein verständiger, mit der Materie vertrauter Bieter annehmen sollte, dass der Auftraggeber durch die Verwendung dieses Formblatts eine Erweiterung der Zulassung auch auf kaufmännische Pauschalpreisangebote intendiert haben könnte. Viel näher liegt dagegen ein Verständnis, dass der Auftraggeber damit zum Ausdruck bringen will, dass er eine Aufgliederung der Teilleistungen in dem geforderten Sinn auch dann verlangt, wenn in der Aufforderung zur Angebotsabgabe kaufmännische Pauschal(preis)angebote ausdrücklich zugelassen worden sind.

Entsprechendes gilt für die oben bereits wörtlich wiedergegebene Antwort der Antragsgegnerin auf die Bieterfragen vom 23.11.2020 (Anlage ASt 3), denn diesem Schreiben sind nicht einmal ansatzweise Anhaltspunkte zu entnehmen, wonach kaufmännische Nebenangebote zu den Titeln 30.10 und 40.41 des Leistungsverzeichnisses zulässig sein sollten.

ee) Für die dargelegte Einschätzung spricht zuletzt auch, dass sich die Antragsgegnerin mit der Zulassung von Pauschalpreisnebenangeboten – sei es nur zu den genannten Titeln des Leistungsverzeichnisses, sei es zu weiteren damit einhergehenden Bauleistungen – letztlich unlösbare Probleme bei der Wertung des besten Preis-Leistungsverhältnisses geschaffen hätte. Die Beigeladene hat mit Recht darauf hingewiesen, dass ein angebotener Pauschalfestpreis und eine Angebotssumme auf Basis vorgegebener Vordersätze prinzipiell nicht vergleichbar sind. Er hat an dieser Stelle zutreffend auf eine Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 2.12.2002 (Verg 24/02) hingewiesen, in der folgendes ausgeführt wird:

„…Der vertraglichen Abrechnung nach Einheitspreisen wohnt die Tendenz inne, dass qualitativ so gebaut wird, wie es sich der Auftraggeber vorstellt. Dieser Anreiz fehlt bei einer Pauschalierung. Die damit einhergehende Gefahr, für die beiden Leistungen mehr bezahlen zu müssen, als dies nach Einheitspreisen notwendig ist, erlaubt den Ausschluss der Nebenangebote.[…] Preislich vorteilhafter ist für den Auftraggeber eine Pauschalierung vielmehr in der Regel nur, wenn die Ersparnis in jeder denkbaren Variante einer noch vertragsgerechten Leistungserbringung größer ist, als wenn nach Einheitspreisen abgerechnet würde. (Rn 63 bei juris).“

Auch wegen dieser grundsätzlichen Wertungsprobleme kann daher mangels hinreichender konkreter Anhaltspunkte in den Ausschreibungsunterlagen nicht angenommen werden, dass die Antragsgegnerin bereit war, eine vom vorgegebenen Leistungsverzeichnis abweichende Vergütungsform zuzulassen.

ff) Es kann offenbleiben, ob die Antragstellerin auch in technischer Hinsicht von den einschlägigen Vorgaben der Antragsgegnerin abgewichen ist, wie die Beigeladene unter Bezugnahme auf den Vergabevermerk reklamiert. Hierauf kommt es nicht an, denn das Pauschalpreisnebenangebot NA 1 der Antragstellerin hält sich als kaufmännisches Nebenangebot nicht innerhalb der von der Antragsgegnerin in Ziffer 6.2 der Aufforderung zur Angebotsabgabe festgelegten engen Grenzen und muss aus diesem Grund von der Wertung ausgeschlossen werden.

Die Nebenangebote 1 und 2 pauschalieren den Werklohn sowohl für die Herstellung der Titel 30.10 und 40.41 als auch für alle weiteren Titel des Leistungsverzeichnisses und weichen damit von der vorgegebenen Vergütung nach Einheitspreisen ab. Bereits aus diesem Grund kann das Nebenangebot 1 und das optional darauf bezogene Nebenangebot 2 als nicht zugelassenes Nebenangebot nicht in die Wertung eingehen. Dementsprechend spielt es im Ergebnis auch gar keine Rolle, ob die Antragstellerin mit ihrem Kurz-Leistungsverzeichnis und der Konversionstabelle eine Zuordnung der Einzeltitel des von der Antragsgegnerin vorgegebenen (amtsseitigen) Leistungsverzeichnisses zu dem Kurz-Leistungsverzeichnis ermöglicht hat oder nicht. Vielmehr bleibt als Ergebnis festzuhalten, dass die Antragsgegnerin die Nebenangebote der Antragstellerin mit Recht ausgeschlossen hat.

b) Ohne Erfolg bleibt auch die im Beschwerdeverfahren erhobene Rüge, das Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen sei von der Wertung auszuschließen, weil es die ausschreibungsseitig geforderten Preise nicht enthalte.

aa) Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin zwar bereits mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2021 das Nebenangebot Nr. 5 als unzureichend beanstandet hatte, nachdem ihr am 29. September 2021 Akteneinsicht in das geschwärzte Nebenangebot gewährt worden war. Ihre Rüge ist aber erst durch die Antragserweiterung in der mündlichen Verhandlung zum Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens gemacht worden.

Ein Beschwerdeführer bestimmt mit seiner Erklärung, inwieweit die Entscheidung der Vergabekammer angefochten und eine abweichende Entscheidung beantragt wird, den Gegenstand der Entscheidungsfindung, also den Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens (vgl. Steck in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Aufl., Rn 5 zu § 178 GWB; Schäfer in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, Kommentar zum GWB-Vergaberecht, 5. Aufl., Rn 8 zu § 178 GWB, jeweils m.w.N.). Dies lässt sich u.a. daraus ableiten, dass die für den Beschwerdesenat maßgebliche Vorschrift des § 178 (S. 4) GWB lediglich § 168 Abs. 2 GWB für entsprechend anwendbar erklärt, nicht aber § 168 Abs. 1 GWB, der für die Vergabekammern eine umfassende Rechtsprüfung vorschreibt, die nicht an die gestellten Anträge gebunden ist (vgl. Jaeger in Byok/Jaeger, Vergaberecht, 4. Aufl., Rn 3 zu § 178 GWB).

Die Antragstellerin hatte ihren Beschwerdeantrag zu Ziffer 1.) ursprünglich darauf gerichtet, der Antragsgegnerin aufzugeben, den Ausschluss ihrer eigenen Nebenangebote zurückzunehmen und die Prüfung und Wertung unter Einschluss dieser Angebote zu wiederholen. Erst durch die in der mündlichen Verhandlung erklärte Antragserweiterung war der vom Beschwerdegericht zu prüfende Streitstoff auch auf eine Untersuchung des Angebots der Beigeladenen erstreckt worden.

Es bestand dementsprechend auch für die Antragsgegnerin und die Beigeladene bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat keine Veranlassung, auf den dazugehörigen Vortrag der Antragstellerin einzugehen. Vor diesem Hintergrund muss auch die Erwiderung der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung gewertet werden. Sie ist dem Vorwurf der Antragstellerin dezidiert entgegengetreten und hat dargelegt, dass ihr Angebot sowohl in preislicher Hinsicht vollständig war als auch sämtliche durch die alternative technische Ausführung erforderlichen entfallenden und zusätzlichen Leistungen beinhaltet.

bb) Auf dieser Grundlage lässt sich weder feststellen, dass das Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen gem. §§ 16a Abs. 2 i.V. 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU wegen fehlender Preisangaben, noch, dass es gem. §§ 16 Nr. 5 i.V. 8 Abs. 2 Nr. 3b VOB/A-EU von der Wertung ausgeschlossen werden müsste.

(1) Das Angebot eines Bieters muss gem. § 13 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU die im Leistungsverzeichnis bzw. den sonstigen Vergabeunterlagen zweifelsfrei geforderten Preisangaben enthalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss jeder in der Leistungsbeschreibung vorgesehene Preis, so wie gefordert, vollständig und mit dem Betrag angegeben werden, der für die betreffende Leistung beansprucht wird. Dies wird damit begründet, dass ein transparentes, auf Gleichbehandlung aller Bieter beruhendes Auswahlverfahren nur dann gewährleistet werden kann, wenn in jeder sich aus den Verdingungsunterlagen ergebender Hinsicht vergleichbare Angebote abgegeben werden (BGH, Beschluss vom 7.1.2003, X ZR 50/01, Rn 23 bei juris; BGH, Beschluss vom 18.5.2004, X ZB 7/04 – Mischkalkulationen, Rn 24 bei juris). Demzufolge liegt eine unvollständige Preisangabe schon dann vor, wenn zumindest bezüglich einer einzigen Ordnungsziffer des Leistungsverzeichnisses kein Preis angegeben wird (Kapellmann/Messerschmidt-Fister aaO., Rn 28 zu § 16a EU VOB/A).

Es ist auch nach den Ausführungen der Antragstellerin nicht ersichtlich, dass das in Verbindung mit dem Hauptangebot abgegebene Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen insoweit unvollständig wäre. Im Nebenangebot werden die bei entsprechender Wertung des Angebots entfallenden Positionen zum Titel 40.41 aufgeführt und die alternativ dazu angebotenen Positionen dargestellt, während im Übrigen das Hauptangebot maßgeblich sein soll.

(2) Mit ihrem Vorwurf, im Nebenangebot Nr. 5 habe es die Beigeladene versäumt, bautechnisch notwendige Änderungen bei der Bepreisung anderer Titel des Leistungsverzeichnisses zu berücksichtigen, zielt die Antragstellerin auch in eine andere Richtung. Sie reklamiert nämlich explizit einen Verstoß gegen Ziffer 6.2. der Aufforderung zur Angebotsabgabe, wo eine titelübergreifende Erfassung und Darstellung der entfallenden und der zusätzlichen Leistungen gefordert wird.

Ein Ausschluss des Nebenangebots Nr. 5 käme auf dieser Tatsachengrundlage somit dann in Betracht, wenn die erwähnte Vorgabe als Mindestanforderung i.S. von § 8 VOB/A-EU anzusehen wäre, bei deren Fehlen ein zwingender Ausschluss gem. § 16 Abs. 1 Nr. 5 VOB/A-EU die Folge ist. Ein Verstoß lässt sich aber nicht feststellen.

Dabei kann offenbleiben, ob die Antragsgegnerin in Ziffer 6.2 der Aufforderung zur Angebotsabgabe lediglich technische Mindestanforderungen für die zugelassene alternative Bauausführung gestellt hat, wofür der innere Zusammenhang zwischen der Zulassung des Nebenangebots und deren geforderter Qualität spricht („…Die in diesem Titel beschriebenen Kastenprofilkanäle (…) können alternativ auch als Fertigteile geliefert und eingebaut werden. Es hat sämtliche Eigenschaften und die Vorgaben der ZTV-Emscher zu erfüllen…“).

Auch wenn man die titelübergreifende Erfassung der entfallenden und der zusätzlichen Leistungen als Mindestanforderung betrachtet, kommt ein Ausschluss des Nebenangebots Nr. 5 der Beigeladenen nicht in Betracht, weil sich ein entsprechendes Defizit nicht feststellen lässt.

Die Antragstellerin trägt unter Bezugnahme auf ein Privatgutachten des Sachverständigen C (Anlage Bf 2) vor, die Herstellung in Ortbetonbauweise nehme deutlich längere Zeit in Anspruch, als die Herstellung in Fertigbauweise. Es ergäben sich u.a. Auswirkungen durch den Entfall der Schalung auf der Baustelle, die Verringerung von Montagezeiten auf der Baustelle, die Verkürzung von Bauzeiten vor Ort, Änderungen der Baubehelfe (Kräne) etc. (Anlage Bf 2, Seite 5 – Bl. 240 d. A.).

Weder aus dem Privatgutachten von Herrn C noch aus dem weiteren Vortrag der Antragstellerin im Schriftsatz vom 11. Oktober 2021 lassen sich hinreichende Anhaltspunkte dafür finden, dass das Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen unter diesen Umständen den Vorgaben der Ausschreibung nicht entsprechen und etwaige entfallende bzw. zusätzliche Leistungen nicht enthalten würde. Es ist durch die Antragstellerin kein einziger Untertitel des amtsseitigen Leistungsverzeichnisses, etwa aus den Titeln „Erdarbeiten, Grundwasserabsenkung, Baustelleneinrichtung“ benannt worden, der konkret durch das Nebenangebot Nr. 5 der Beigeladenen hinzugekommen oder in Wegfall geraten wäre.

Die Beigeladene hat vielmehr durch Bezugnahme auf ihr Nebenangebot Nr. 5 dargelegt, dass sie die erforderlichen Änderungen, wie beispielsweise den Entfall der Schalung auf der Baustelle, berücksichtigt hat. Sie hat ferner zutreffend ausgeführt, dass sie der Antragsgegnerin auch einen auf das Nebenangebot bezogenen Bauzeitenplan vorgelegt hat. Sofern die Beigeladene davon abgesehen haben sollte, im Hinblick auf die geänderte Bauweise Preisermäßigungen bei anderen Titeln anzubieten, bewegte sie sich nicht außerhalb der Vorgaben der Antragstellerin.

3. Da die Beschwerde erfolglos bleibt, sind der Antragstellerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens aufzuerlegen (§§ 175 Abs. 2, 71 S. 1 GWB).

4. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens beträgt gem. § 50 Abs. 2 GKG 5 Prozent der Bruttoauftragssumme.

OLG Hamm zu der Frage der von der Regelung der DIN ausgehende Vermutungswirkung

OLG Hamm zu der Frage der von der Regelung der DIN ausgehende Vermutungswirkung

1. Die Außenwandabdichtung mittels Kombinationslösung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung entspricht für den Wasserlastfall aufstauendes Sickerwasser – trotz Konformität mit den Regelungen der DIN 18195-6 bzw. DIN 18533 – nicht den anerkannten Regeln der Technik.

2. Die von der Regelung der vorgenannten DIN ausgehende Vermutungswirkung sieht der Senat – insbesondere aufgrund der Vielzahl an aufgetretenen Schadensfällen – als widerlegt an.

OLG Hamm, Urteil vom 14.08.2019 – 12 U 73/18

Gründe

A.

Die Klägerinnen begehren von der Beklagten u.a. Zahlung eines Vorschusses für die Beseitigung der Mängel, die dazu geführt haben, dass der Keller ihres neu errichteten Hauses feucht ist.

Mit notariellem Bauträgerkaufvertrag vom 11.05.2012 erwarben die Klägerinnen von der Beklagten das später so bezeichnete Hausgrundstück X-Straße 10. Die Beklagte verpflichtete sich, auf diesem Grundstück ein Wohnhaus (Doppelhaushälfte) zu errichten.

Der notarielle Kaufvertrag enthält unter § 4 Regelungen zur Bauverpflichtung der Beklagten. Folgendes ist dort u.a. geregelt: „Der Verkäufer verpflichtet sich, das Vertragsobjekt nach der Baubeschreibung und den Exposéplänen herzustellen. (…) Die Baubeschreibung nebst Flächen- und Kubaturberechnung sind als Anlagen 3 und 4 als wesentlicher Bestandteil der heutigen Vereinbarung dieser Niederschrift beigefügt (…).“

§ 2 des notariellen Vertrages regelt Rechte und Ansprüche des Käufers bei Mängeln und enthält unter Ziff. 3. folgenden Passus: „Hinsichtlich des Gebäudes gilt das werkvertragliche Leistungs-Störungsrecht des BGB (…).“

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den notariellen Kaufvertrag vom 11.05.2012 des Notars Y, UR 126/2012, Anlage K1, Bl. 8 ff. d.A., verwiesen.

Nach der durch notariellen Vertrag in Bezug genommenen Baubeschreibung war u.a. in Ziff. 1.7 eine senkrechte Isolierung gemäß DIN 18195, Teil 6, gegen zeitweise aufstauendes Wasser vorgesehen. Der für die Beklagte tätige Architekt Dipl.-Ing. D, der im vorliegenden Rechtsstreit Streitverkündete zu 3.), sah eine Kombinationsabdichtung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung an den Kelleraußenwänden vor, die auch so ausgeführt wurde.

Die Beklagte beauftragte u.a. die Streithelferinnen zu 1.) und zu 2.) mit der Ausführung der Bauleistungen, die in der Zeit vom 04.07. bis 06.07.2013 die Bauwerksaußenabdichtung herstellten.

Das fertiggestellte Gebäude wurde den Klägerinnen am 15.07.2013 übergeben; der Einzug erfolgte im September 2013. Die Eigentumsumschreibung auf die Klägerinnen zu je ½ fand statt.

Anfang Juni 2014 stellten die Klägerinnen fest, dass in zwei Kellerräume des Hauses Nässe eingedrungen war.

Mit an den Geschäftsführer der Beklagten gerichteter Email vom 10.07.2014 wies die Klägerin zu 1.) auf den Wasserschaden hin und bat um schnellstmögliche Klärung (Anlage K2, Bl. 27 d.A.).

Am 16.07.2014 fand ein Ortstermin in den betroffenen Kellerräumen statt, an dem u.a. die Klägerinnen, der Geschäftsführer der Streithelferin zu 2.) und ein Mitarbeiter der Streithelferin zu 1.) teilnahmen. Die Feuchtigkeitsschäden wurden von den Beteiligten gesichtet, ohne eine Bauteilöffnung vorzunehmen.

Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 16.07.2014 setzten die Klägerinnen der Beklagten eine Frist zur Mangelbeseitigung bis zum 16.08.2014 (Anlage K15, Bl. 105 d.A.).

Mit Schreiben vom 18.07.2014 (Anlage K17, Bl. 106 d.A.) wies die Streithelferin zu 1.) darauf hin, dass eine Bauteilöffnung zwar möglich, aber aufwändig und langwierig sei und schlug vor, ohne vorhergehende Bauteilöffnung eine Kellerwandinnensanierung nach dem sog. INTRASIT-System durchzuführen. Die Beklagte schloss sich dem von der Streithelferin zu 1.) unterbreiteten Sanierungsvorschlag an und setzte die Klägerinnen hiervon in Kenntnis.

Die Klägerinnen beauftragten sodann, da sie dem von der Beklagten unterbreiteten Sanierungsvorschlag kein Vertrauen schenkten, einen Sachverständigen der DEKRA, Herrn Dipl.-Ing. T, mit der Begutachtung des Schadens und der Überprüfung der von der Beklagten vorgeschlagenen Sanierungsmethode. Die Klägerinnen setzten die Beklagte über die Beauftragung des Sachverständigen in Kenntnis.

Der Sachverständige T teilte den Klägerinnen mit Schreiben vom 25.07.2014 (Anlage K3, Bl. 28 f. d.A.) nach Durchführung eines Ortstermins mit, dass er von dem vorgeschlagenen Sanierungssystem mittels INTRASIT-Methode abrate, da diese Maßnahme nicht die Ursache, nämlich die schadhafte Abdichtung erdberührter Bauteile, sondern nur das Symptom des Mangels beseitige und somit nicht zu einer fachgerechten Beseitigung des Mangels führen könne. Weiter teilte der Sachverständige mit, dass aus seiner Sicht eine Freilegung der betroffenen Außenwandbereiche unumgänglich sei. Der Sachverständige schlug den Klägerinnen vor, die betroffene Außenwand freizulegen, um die Schadensstelle zu lokalisieren, und einen entsprechenden Sanierungsvorschlag mit den Beteiligten abzustimmen. Für die Erstellung des Gutachtens stellte der Sachverständige T den Klägerinnen unter dem 26.08.2014 einen Betrag von 440,30 Euro in Rechnung (Anlage K8, Bl. 38 d.A.).

Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.07.2014 teilten die Klägerinnen der Beklagten mit, dass die vorgeschlagene Kellerwandinnensanierung die Ursache für die Nässeschäden nicht beseitigen könne, und wiesen darauf hin, dass die Ursache der Schäden durch Freilegen der Abdichtung von außen ermittelt werden müsse (Anlage K18, Bl. 107 d.A.).

In der Folgezeit verhandelten die Parteien darüber, ob und in welcher Weise eine Bauteilöffnung vorgenommen werden sollte. Es wurde Einigkeit darüber erzielt, den Estrich in Teilbereichen zu entfernen.

Am 18.09.2014 fand ein Ortstermin in den Kellerräumen der Klägerin statt, an dem neben den Klägerinnen der Geschäftsführer der Beklagten, der Geschäftsführer der Streithelferin zu 2.) und der DEKRA-Sachverständige Dipl.-Ing. T teilnahmen. Dabei wurde in einem der Kellerräume in Bodenhöhe der Kelleraußenecke der Estrich teilweise entfernt und festgestellt, dass der Feuchtigkeitsschaden über die Kelleraußenwand entstanden sein musste.

Mit Schreiben vom 26.09.2014 (Anlage B2, Bl. 71 d.A.) empfahl die Streithelferin zu 1.), bezugnehmend auf die Ergebnisse des vorgenannten Ortstermins, nochmals eine Kellerwandinnensanierung nach dem INTRA-SIT-System, wobei nicht nur die betroffene Ecke, sondern auch die daneben liegenden Steine, also mindestens drei Steine je Seite, behandelt werden sollten.

Der DEKRA-Sachverständige T stellte den Klägerinnen unter dem 29.10.2014 für seine weitere Tätigkeit einen Betrag von 440,30 Euro in Rechnung (Anlage K9, Bl. 40 f. d.A.).

Mit Schreiben vom 01.12.2014 teilte die Beklagte den Klägerinnen mit, dass an der vorgeschlagenen Kellerwandinnensanierung festgehalten werde und keine Veranlassung für darüber hinaus gehende Arbeiten bestehe (Anlage K5, Bl. 32 f. d.A.).

Daraufhin beantragten die Klägerinnen im Januar 2015 beim Landgericht Bochum (Beiakte I- 2 OH 4/15) die Einleitung eines – inzwischen abgeschlossenen – selbstständigen Beweisverfahrens.

Der gerichtlich beauftragte Sachverständige Dipl.-Ing. U erstattete am 28.01.2016 ein schriftliches Sachverständigengutachten, das er am 12.10.2016 und 27.04.2017 jeweils schriftlich ergänzte.

Der Sachverständige stellte fest, dass von außen Feuchtigkeit in die Kellerräume eintrete und die geplante und ausgeführte Art der Abdichtung grundsätzlich für den hier vorliegenden Wasserlastfall „aufstauendes Sickerwasser“ (und auch den Wasserlastfall „Bodenfeuchte“) nicht geeignet sei, eine Abdichtung nach den anerkannten Regeln der Technik herzustellen. Da bereits die Planung der Abdichtung mangelhaft sei, habe er die ausgeführte Abdichtung nicht weiter auf Ausführungsmängel untersucht.

Zwar könne die DIN 18195 („Bauwerksabdichtungen“) in der Fassung ab 2010 dahingehend interpretiert werden, dass die geplante und ausgeführte Kombinationsabdichtung für den Wasserlastfall „aufstauendes Sickerwasser“ – abweichend von der bis zum Jahre 2010 geltenden Fassung der DIN 18195 – zulässig wäre. Die Änderungen seien aber durch den Normenausschuss der DIN 18195 vorgenommen worden, obwohl den Mitgliedern das Ergebnis einer im Jahre 2009 durchgeführten Befragung unter allen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen der BRD für die Fachgebiete „Mängel und Schäden in und an Gebäuden“, „Schäden an Gebäuden“ und „Bauwerksabdichtungen“ bekannt gewesen sei. Die Befragung habe ergeben, dass die Sachverständigen mit großer Mehrheit aufgrund einschlägiger Erfahrungen bestimmt hätten, dass es sich bei der streitgegenständlichen Art der Abdichtung um eine für die beiden höheren Wasserlastfälle nicht geeignete Bauweise handelt. Die Zulassung der streitgegenständlichen Art der Abdichtung sei also in DIN 18195 eingeführt worden in dem Wissen, dass die große Mehrheit der zuvor erwähnten Sachverständigen sie als mangelhaft bezeichnet habe, so dass die DIN 18195 insoweit keine allgemein anerkannte Regel der Technik darstellen könne. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, dass die Normenausschüsse, die die DIN-Normen verfassten, oftmals nicht mehr paritätisch besetzt seien, sondern von einschlägigen Interessenvertretern dominiert würden.

Auch er – der Sachverständige – halte die geplante und ausgeführte Kombinationslösung aufgrund seiner gesammelten Berufserfahrung für mangelhaft. Er selbst habe mit dem streitgegenständlichen Fall vergleichbare Schadensfälle in den letzten Jahren extrem häufig begutachtet. Das geplante und ausgeführte Abdichtungssystem sei für die allermeisten Fälle von eindringendem Wasser in das Innere von Bauwerken in deren erdberührten Bereichen verantwortlich.

Der Sachverständige stellte weiter fest, dass eine wirksame Abdichtung nur durch das Einbringen eines Gelschleiers aus dem Innenbereich heraus zwischen Kelleraußenwand und Erdreich erreicht werden könne. Hierbei würden die Außenwände und auch die Stahlbetonbodenplatte durchbohrt und ins Erdreich Gel verbracht, wobei das Erdreich als Stützgerüst diene. Die Kosten hierfür bezifferte der Sachverständige auf 85.705,29 Euro.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgenannten Gutachten verwiesen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 24.03.2016 setzten die Klägerinnen der Beklagten eine Frist zur Mangelbeseitigung unter Durchführung derjenigen Maßnahmen, die der Sachverständige U in seinem Gutachten vorgeschlagen hat, bis zum 20.04.2016. Die Beklagte ließ diese Frist fruchtlos verstreichen.

Im Juli 2017 wurde die DIN 18195-6 durch die – betreffend die hier streitgegenständliche Abdichtungsmethode inhaltsgleiche – DIN 18533-3 bestätigt.

Die Klägerinnen haben behauptet, dass die von der Beklagten vorgeschlagene Maßnahme, die Kellerwandinnensanierung, nicht zu einer fachgerechten und dauerhaften Beseitigung des Mangels führen könne. Vielmehr komme, wie der Sachverständige Dipl.-Ing. U festgestellt habe, für eine fachgerechte Mangelbeseitigung nur der Einbau eines Gelschleiers aus dem Innenbereich vor die erdberührten Teile über die gesamte Kellerfläche in Frage.

Die Klägerinnen waren der Ansicht, dass die Frage, ob die Planung und Ausführung der Abdichtung den anerkannten Regeln der Technik entspreche, nur zweitrangig von Bedeutung sei, da das Werk schon deshalb mangelhaft sei, weil die Abdichtung nicht den ihr zugedachten Zweck erfülle.

Die Klägerinnen waren weiter der Auffassung, dass ihnen gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses für Mangelbeseitigungskosten in Höhe von 85.705,29 Euro netto zustehe. Zudem haben die Klägerinnen Erstattung der aufgewandten Kosten für die beiden durch den DEKRA-Sachverständigen Dipl.-Ing. T erstellten Gutachten in Höhe von 880,60 Euro, der Kosten der Beratung eines im Dezember 2013 beauftragten Gebäudeenergie- und Umweltberaters in Höhe von 107,10 Euro sowie der Kosten für die im Juni 2013 (für 297,50 Euro) und im September 2014 (für 139,00 Euro) – unstreitig – angeschafften elektronischen Luftentfeuchter verlangt. Schließlich haben die Klägerinnen – erstinstanzlich – Schadensersatz für die entgangene Nutzung der feuchten Kellerräume in Höhe von 4.800,00 Euro begehrt.

Die Klägerinnen haben erstinstanzlich beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubiger 91.929,49 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.09.2017 zu zahlen.

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihnen als Gesamtgläubiger alle über den Betrag von 91.929,49 Euro hinausgehenden Schäden zu ersetzen, der den Klägerinnen durch die fehlerhafte Abdichtung des Gebäudes X-Straße 10, C künftig noch entsteht.

Die Beklagte und die Streithelferinnen haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, dass die geplante und ausgeführte Art der Außenabdichtung den anerkannten Regeln der Technik entspreche. Dies folge bereits daraus, dass die verwendete Kombinationsabdichtung für den hier vorliegenden Wasserlastfall – unstreitig – den Vorgaben der DIN 18195 und der seit Juni 2017 geltenden Nachfolgenorm DIN 18533 entspreche. Die gegenteilige Feststellung des Sachverständigen U, dass die geplante und ausgeführte Abdichtung nicht den anerkannten Regeln der Technik entspreche, sei nicht nachvollziehbar dargelegt. Soweit sich der Sachverständige zur Begründung auf eine von ihm selbst durchgeführte Umfrage berufe, habe er keinerlei Angaben zu den Einzelheiten der Befragung und der Ermittlung des konkreten Ergebnisses gemacht. Im Übrigen habe sich der Sachverständige U auch nicht hinreichend mit der bereits im selbstständigen Beweisverfahren vorgelegten gutachterlichen Stellungnahme des Dipl.-Ing. K auseinandergesetzt, wonach die geplante und ausgeführte Bauweise dem Stand der Technik entspreche und sich langjährig bewährt habe. Eine hiervon abweichende Feststellung könne im Übrigen nicht auf Grundlage der Beurteilung eines Sachverständigen, sondern nur durch eine Befragung der beteiligten Fachkreise und Bausachverständigen erfolgen.

Der Sachverständige U hätte zudem auch Feststellungen dazu treffen müssen, ob der Feuchtigkeitseintritt möglicherweise auf einer unzureichenden Materialverarbeitung beruht, was er jedoch nicht getan habe.

Die Klägerinnen hätten die Ursache für die eindringende Feuchtigkeit möglicherweise sogar selbst gesetzt, indem sie – unstreitig – die Kelleraußenwand durch eine Elektrofirma haben durchbohren lassen, um dort Elektrokabel zu verlegen.

Sie – die Beklagte – habe den Klägerinnen mit der vorgeschlagenen Kellerwandinnensanierung eine fachgerechte Nachbesserung, die zur dauerhaften Mangelbeseitigung geführt hätte, angeboten. Das INTRASIT-System sei ein geeignetes und in der Praxis bewährtes, erfolgreich eingesetztes Verfahren, das den vertraglich geschuldeten Erfolg gewährleistet hätte. Selbst wenn nach partieller Abdichtung der Kellerwände an anderer Stelle Feuchtigkeit in die Kellerwand eingedrungen wäre, hätte sie – die Beklagte – die Kellerwandinnenabdichtung ohne weiteres erweitern können, zumal die Streithelferin zu 1.) eine 10-Jahres-Garantie für Abdichtungsmaßnahmen zugesagt hätte.

Die Beklagte war der Ansicht, dass die von den Klägerinnen gesetzte Frist zur Nacherfüllung zur Unzeit erfolgt sei, da zunächst der Ausgang des selbstständigen Beweisverfahrens und die Ermittlung der Schadensursache durch den Sachverständigen hätte abgewartet werden müssen. Mit der Forderung an sie – die Beklagte -, die voraussichtlichen Mangelbeseitigungskosten gemäß Gutachten des Sachverständigen U zu zahlen, hätten die Klägerinnen die Nachbesserung durch sie erneut und endgültig abgelehnt. Die Klägerinnen hätten damit Mängelbeseitigungsansprüche verloren und könnten nun nicht mehr die Kosten einer Ersatzvornahme von ihr – der Beklagten – verlangen.

Jedenfalls seien, soweit den Klägerinnen ein Zahlungsanspruch zugesprochen werden würde, die Kosten für die von ihr – der Beklagten – angebotene Nachbesserung durch Kellerwandinnensanierung mittels INTRASIT-Systems in Höhe von 15.000,00 Euro netto in Abzug zu bringen.

Schließlich war die Beklagte der Auffassung, dass die von den Klägerinnen geforderten, übrigen Schadenspositionen deshalb nicht ersatzfähig seien, weil die Klägerinnen die von ihr – der Beklagten – angebotene Nachbesserung, die weitere Feuchtigkeitseintritte unterbunden hätte, abgelehnt hätten.

Die Streithelferin zu 1.), die dem Rechtsstreit aufseiten der Beklagten beigetreten ist, hat sich deren Ausführungen angeschlossen. Ergänzend war sie der Ansicht, dass die von dem Sachverständigen U in Bezug genommene Umfrage schon deshalb nicht aussagekräftig sei, weil sich danach nicht einmal 20 % der befragten Sachverständigen der Auffassung des Gerichtsgutachters angeschlossen hätten.

Die Streithelferin zu 1.) hat behauptet, dass sie – von den Klägerinnen mit Nichtwissen bestritten – in der Vergangenheit eine dem vorliegenden Fall entsprechende Abdichtung für 97 Keller mit Lastfall 6 „aufstauendes/stauendes Wasser“ und 26 Keller mit Lastfall 6 „drückendes Wasser“ ausgeführt habe, wobei es nur in 12 Fällen Beanstandungen gegeben habe, die ausschließlich Verarbeitungsfehler (geringe Schichtdicke, mangelnde Ausführung und Untergrundvorbereitung) betroffen hätten.

Die Streithelferin zu 2.), die dem Rechtsstreit ebenfalls aufseiten der Beklagten beigetreten ist, hat behauptet, dass die Abdichtung nicht mangelhaft ausgeführt worden sei, was auch die Streithelferin zu 1.) bei Abnahme der Abdichtung festgestellt habe.

Das Landgericht Bochum hat der Klage erstinstanzlich überwiegend – mit Ausnahme der geforderten Nutzungsentschädigung in Höhe von 4.800,00 Euro – stattgegeben und den Klägerinnen einen Zahlungsanspruch in Höhe von 87.129,49 Euro nebst Zinsen zugesprochen. Auch den Feststellungsantrag hat es insoweit für begründet erachtet. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Vorschussanspruch aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen U bestehe. Der Sachverständige habe dargelegt, dass Maßnahmen zur Mangelbeseitigung erforderlich seien, die Kosten in Höhe von 85.705,29 Euro verursachen würden. Die von der Beklagten vorgeschlagene INTRASIT-Methode, welche nur punktuell an Stellen der Durchfeuchtung angewandt werden sollte, sei dagegen ungeeignet. Das Gericht folge dem Sachverständigen aufgrund eigener Kenntnis durch diverse Fortbildungsmaßnahmen dahingehend, dass das von der Beklagten geplante und ausgeführte Abdichtungssystem grundsätzlich nicht geeignet sei, eine mangelfreie Abdichtung des klägerischen Bauwerks herbeizuführen. Da die Kelleraußenflächen insgesamt durch ein ungeeignetes System abgedichtet seien, hätte eine punktuelle Nachbesserung im Bereich der Feuchteerscheinungen, wodurch möglicherweise und zufällig Trockenheit noch für die Gewährleistungsfrist hätte erreicht werden können, nicht ausgereicht. Hierauf hätten sich die Klägerinnen auch nicht einlassen müssen. Ein Abzug der für diese Nacherfüllungsmaßnahme erforderlichen Kosten von dem Vorschussanspruch der Klägerinnen komme daher nicht in Betracht.

Die weitergehend von den Klägerinnen als Schadensersatz geltend gemachten Positionen seien ersatzfähig, mit Ausnahme des geltend gemachten Nutzungsausfalls, da die Klägerinnen nicht substantiiert vorgetragen hätten, dass eine Nutzung der Kellerräume trotz Einsatz der Luftentfeuchtungsgeräte mit weniger feuchtigkeitsempfindlichen Gegenständen nicht möglich gewesen wäre.

Den Klägerinnen stünden darüber hinaus der geltend gemachte Zinsanspruch sowie der mit Klageantrag zu 2.) geltend gemachte Feststellungsanspruch zu.

Hiergegen wenden sich die Beklagte und die Streithelferin zu 1.) mit der von ihnen eingelegten Berufung.

Die Beklagte meint, dass das Werk betreffend die geplante und ausgeführte Abdichtung vertragsgemäß sei, da es die vertraglich geschuldete Beschaffenheit aufweise, indem sie der DIN 18195-6 entspreche.

Das Landgericht habe den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt, da der Sachverständige nicht untersucht habe, ob weitere mögliche Mangelursachen bestehen. Insbesondere habe der Sachverständige nicht bewertet, ob die von Klägerseite durchgeführten Bohrungen in den Kellerräumen als Ursache für die Durchfeuchtung in Frage kämen.

Die Feststellungen des Sachverständigen seien auch deshalb nicht tragfähig, weil er sich auf eine Umfrage stütze, die er – trotz Aufforderung – nicht vorgelegt habe. Zudem könne schon auf Grundlage der Angaben des Sachverständigen darüber, wie viele Rückmeldungen es gegeben hätte, im Ergebnis nicht von einer „Mehrheit der Befragten“ gesprochen werden. Zudem stelle der Sachverständige seine persönliche Meinung weit über die gebildeten Regelungen hinaus, ohne sich mit der Kritik der Beklagten und der Streithelferin auseinander zu setzen. Auch sei zu sehen, dass der Sachverständige in der Praxis nur mit „problematischen Fällen“ zu tun habe, in denen Mängel aufgetreten seien. Daraus zu schließen, dass aufgrund der festgestellten Mangelhaftigkeit der jeweiligen Fälle eine generelle Eignung der in der einschlägigen DIN geregelten Ausführungsweise nicht bestehe, sei ein unzulässiger Zirkelschluss. Es seien tausende Häuser in der vorliegenden Ausführung geplant und durchgeführt worden, ohne dass sich Mängel gezeigt hätten.

Die Vermutungswirkung der DIN 18195 sei vorliegend im Übrigen nicht widerlegt worden. Dies folge schon daraus, dass die vorgenannte DIN im Jahre 2017 novelliert und mit den inhaltlich gleichen Regelungen erneut veröffentlicht worden sei. Auch das vom Sachverständigen herangezogene Argument, dass bereits die Entscheidungsfindung der DIN-Gremien nicht tauglich sei, da dort lediglich Herstellerinteressen vertreten würden, verfange nicht, sondern sei schlichtweg übertrieben und falsch. Schließlich hätte sich der Sachverständige auch ausführlich mit in Wissenschaft und Technik vertretenen Gegenansichten auseinandersetzen müssen, was er jedoch nicht getan habe. Das Tatgericht habe all dies rechtsfehlerhaft nicht gewürdigt.

Ergänzend verweist die Beklagte darauf, dass sie zwischenzeitlich eine deutschlandweite Umfrage zur im Streitverfahren kontroversen Beurteilung der Praxisbewährung von Abdichtungsübergängen von kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung auf WU-Beton habe durchführen lassen. Wegen des Ergebnisses verweist sie – die Beklagte – auf einen Abschlussbericht des Aachener Instituts für Bauschadensforschung und angewandte Bauphysik gGmbH vom 14.03.2019. Ergebnis dieser Umfrage sei laut dem Projektleiter Prof. A, dass die fachlichen Stellungnahmen der befragten Personen keinen Anlass gäben, die grundsätzliche Eignung des Übergangs der Abdichtung aus PMBC auf Beton infrage zu stellen; es ergebe sich weder aus der Anzahl der Schadensfälle noch aus der Erfahrung der Umfrageteilnehmer, dass die vorgenannte Ausführung nicht anerkannte Regel der Technik sei.

Auch die weiteren Schadenspositionen hätten den Klägerinnen nicht zugesprochen werden dürfen. Das DEKRA-Gutachten des Sachverständigen T sei als bausachverständiges Gutachten ungeeignet und unergiebig gewesen. Überdies seien die in Rechnung gestellten Kosten weder ortsüblich noch angemessen.

Zudem wäre die von der Beklagten angebotene Nachbesserung zur Mangelbeseitigung geeignet gewesen. Das von dem Sachverständigen vorgeschlagene Verfahren sei mit dem INTRASIT-Verfahren vergleichbar und gleichwertig, zumal von der ausführenden Firma eine Herstellergarantie von 10 Jahren gegeben werde.

Die Streithelferin zu 1.) stützt die von ihr eingelegte Berufung ebenfalls darauf, dass die Abdichtung entsprechend DIN 18195-6 und damit vertragsgemäß ausgeführt worden sei. Darüber hinaus sei die Eignung der von ihr – der Streithelferin zu 1.) – vertriebenen kunststoffmodifizierten Bitumendickbeschichtung auch – unstreitig – durch Prüfzeugnis des Materialprüfungsamts des Landes NRW vom 25.10.2013 nachgewiesen worden.

Soweit sich der Sachverständige auf Kenntnisse aus seiner sachverständigen Praxis beziehe, sei diese Äußerung viel zu unbestimmt. Es müsse vielmehr im Einzelnen dargelegt werden, was konkret Ursache für die eingetretene Undichtigkeit gewesen sein soll, zumal auch schlichte Ausführungsfehler in Betracht kämen.

Das Landgericht habe sich zudem nicht mit der gebotenen Sorgfalt mit dem von der Beklagten vorgelegten Privatgutachten des Sachverständigen K und den von der Beklagten und den auf Beklagtenseite beigetretenen Streithelfern gegen das Gutachten des Sachverständigen U vorgetragenen Einwänden auseinandergesetzt.

Das Landgericht hätte sich zudem mit ihrer – der Streithelferin zu 1. – Behauptung befassen müssen, dass es bislang keinerlei Beanstandungen im Hinblick auf die grundsätzliche Eignung des verwandten Abdichtungssystems gegeben hätte, was unter Beweis durch Vernehmung des Zeugen S gestellt worden sei.

Letztlich sei die Klage bereits deshalb unbegründet, weil die Klägerinnen die angebotene Nachbesserung mittels INTRASIT-System – unberechtigt – abgelehnt hätten.

Die Beklagte und die Streithelferinnen beantragen,

unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerinnen beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerinnen verteidigen das angefochtene Urteil. Die geplante und ausgeführte Abdichtungsart für die Wasserlastfälle „aufstauendes Sickerwasser“ und „Bodenfeuchte“ entspreche nicht den anerkannten Regeln der Technik. Dies habe der Sachverständige U in seinem Gutachten ausführlich und mehrfach dargestellt. Es sei auch sinnvoll gewesen, nicht nach anderen Ursachen zu suchen, weil bereits die Planung der Abdichtung mangelhaft sei, so dass es auf die Ausführung nicht mehr ankomme. Darauf, dass die DIN vertraglich vereinbart worden sei, könne sich die Beklagte nicht berufen, da sie sich für die beabsichtigte Verwendung als untauglich erwiesen habe und damit nicht dem Vertragssoll entspreche. Die Beklagte sei aufgrund der verschuldensunabhängigen Erfolgshaftung nachbesserungspflichtig. Eine vollständige und dauerhafte Mangelbeseitigung komme nur durch die Versiegelung der gesamten Kellerräume nach den Vorgaben des Sachverständigen U in Betracht. Die von Beklagtenseite angebotene stellenweise Nachbesserung sei demgegenüber weder ausreichend noch den Klägerinnen zuzumuten, zumal diese nicht dauerhaft sei.

B.

Die Berufung ist zulässig, aber nur im tenorierten Umfang begründet, im Übrigen unbegründet.

I.

Die Berufung der Beklagten ist zwar – isoliert betrachtet – unzulässig, da sie keine formgerechte Berufungsbegründungsschrift innerhalb der Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 und 3 ZPO) eingereicht hat. Die schriftsätzliche Begründung i.S.v. § 520 Abs. 3 S. 1 ZPO muss von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt (§ 78 Abs. 1 ZPO) eigenhändig unterzeichnet sein, der sich damit den Inhalt der Begründung zu eigen macht und die Verantwortung übernimmt (MüKo/Rimmelspacher, ZPO, 5. Aufl. 2016, § 520 Rn. 23). Daran fehlt es vorliegend. Die innerhalb der Frist eingegangene Berufungsbegründungsschrift der Beklagten ist von ihrem Prozessbevollmächtigten nicht unterschrieben worden.

Da allerdings eine form- und fristgerechte Berufung der Streithelferin zu 1.) vorliegt, ist der Senat an einer Sachentscheidung nicht gehindert. Denn bei einer von Hauptpartei und Streithelfer eingelegten Berufung handelt es sich nur um eine – einheitlich zu betrachtende – Berufung; die von dem Nebenintervenienten eingelegte Berufung ist immer Rechtsmittel für die Hauptpartei (BGH NJW 1990, 190; 1985, 2480). Daraus folgt, dass die Berufung aufgrund der durch die Streithelferin zu 1.) rechtzeitig und formgerecht eingereichten Berufungsschrift als insgesamt zulässig anzusehen ist, zumal das Rechtsmittelverhalten der Streithelferin dem der Beklagten nicht widerspricht (§ 67 ZPO).

II.

Die Berufung ist indes nur teilweise begründet. Die Klage ist zulässig und – weit überwiegend – begründet.

1.

Den Klägerinnen steht gegenüber der Beklagen ein Anspruch auf Zahlung eines Kostenvorschusses in Höhe von 85.705,29 Euro aus §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1, 3 BGB zu.

a.

Aufgrund der Regelung in § 2 Ziff. 3 des zwischen den Parteien geschlossenen notariellen Vertrages finden die Gewährleistungsvorschriften des im BGB geregelten Werkvertragsrechts, insbesondere die §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1, 3 BGB, vorliegend Anwendung. Denn die Klägerinnen behaupten eine mangelhafte Abdichtung der Kellerräume, also einen Sachmangel, dessen Ursache in der Errichtung des Bauwerks begründet wäre.

b.

Zwar setzt die Geltendmachung eines Vorschussanspruchs i.S.v. § 637 Abs. 1, 3 BGB grundsätzlich voraus, dass eine Abnahme der Werkleistung durch den Besteller erfolgt ist (vgl. BGH, Urteil vom 19.01.2017 – VII ZR 301/13). Eine solche lässt sich vorliegend mangels entsprechenden Vortrags der Parteien nicht feststellen.

Allerdings kann ein Vorschussanspruch auch ohne vorherige Abnahme durch den Besteller geltend gemacht werden, wenn das Vertragsverhältnis in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen ist (vgl. BGH, Urteil vom 19.01.2017 – VII ZR 301/13). Ein Abrechnungsverhältnis kann insbesondere dann angenommen werden, wenn der Besteller ausdrücklich oder konkludent zum Ausdruck bringt, unter keinen Umständen mehr mit dem Unternehmer, der ihm das Werk als fertiggestellt zur Abnahme angeboten hat, zusammenarbeiten zu wollen, also endgültig und ernsthaft eine (Nach-)Erfüllung durch ihn ablehnt. In dieser Konstellation kann der Besteller nicht mehr zum (Nach-)Erfüllungsanspruch gegen den Unternehmer zurückkehren (vgl. BGH, Urteil v. 19.01.2017 – VII ZR 301/13, a.a.O., Tz. 44 ff.).

Im vorliegenden Fall liegt jedenfalls ein Abrechnungsverhältnis vor. Die streitgegenständliche Doppelhaushälfte ist unstreitig fertiggestellt und von den Klägerinnen in Gebrauch genommen worden. Weiterhin ist unstreitig, dass die Klägerinnen die von der Beklagten angebotene Art der Nacherfüllung (mittels INTRASIT-System) endgültig und ernsthaft abgelehnt haben und ihr – der Beklagten – gegenüber nur noch Zahlungsansprüche geltend machen.

c.

Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht das Vorliegen eines Mangels angenommen, der die Klägerinnen zur Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen berechtigt.

Das Werk der Beklagten ist mangelhaft i.S.v. § 633 Abs. 2 S. 1 BGB, da es insofern nicht die zwischen den Parteien vereinbarte Beschaffenheit aufweist, als die am streitgegenständlichen Gebäude der Klägerinnen installierte Abdichtung nicht funktionstauglich ist.

Welche Beschaffenheit eines Werkes die Parteien vereinbart haben, ergibt die Auslegung des Werkvertrages (§§ 133, 157 BGB); zur vereinbarten Beschaffenheit im Sinne des § 633 Abs. 2 Satz 1 BGB gehören alle – ausdrücklich oder konkludent vereinbarten – Eigenschaften, die nach der Vereinbarung den vertraglich geschuldeten Erfolg herbeiführen sollen (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2007 – VII ZR 183/05 Rn. 15, BGHZ 174, 110). Bei der Bestimmung der Soll-Beschaffenheit kommt es in erster Linie auf die Vorstellungen der Parteien an. Ein weiterer Bestandteil des geschuldeten Erfolges ist außerdem die Funktionalität des Werkes; die Funktionalität ist zumeist (zumindest konkludent) Bestandteil der Beschaffenheitsvereinbarung (sog. funktionaler Mangelbegriff) (vgl. BGH Urt. v. 08.11.2007 – VII ZR 183/05). Nach ständiger Rechtsprechung des BGH entspricht ein Werk dann nicht der vereinbarten Beschaffenheit, wenn es nicht die vereinbarte Funktionstauglichkeit aufweist (BGH, Urteil vom 08. November 2007 – VII ZR 183/05 -, BGHZ 174, 110-126), und zwar ungeachtet der vertraglich vereinbarten Leistung oder Ausführungsart, der Einhaltung von DIN-Vorschriften oder der anerkannten Regeln der Technik (vgl. BGH, Urteil vom 08.11.2007, VII ZR 183/05, Senat, Urteil vom 09. November 2018 – I-12 U 20/18 -, juris; OLG Düsseldorf, Urteil vom 14. April 2015 – I-21 U 182/14 -; OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.02.2013, I-23 U 185/11 m.w.N.).

Von diesen Grundsätzen ausgehend liegt vorliegend ein negatives Abweichen der Ist- von der geschuldeten Sollbeschaffenheit vor.

Zwar steht nicht in Streit, dass die am Gebäude der Klägerinnen ausgeführte Abdichtung in Form einer Kombination aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung den Vorgaben der durch den notariellen Kaufvertrag in Bezug genommenen Baubeschreibung entsprach.

Allerdings ist zwischen den Parteien ebenso unstreitig, dass es zu einem Wassereintritt von außen in die Kellerräume der Klägerinnen gekommen ist. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Wassereintritt in die Kellerräume Symptom einer Undichtigkeit der ausgeführten Abdichtung ist, die Abdichtung mithin die ihr zugedachte Funktion nicht erfüllt hat. Hiervon geht letztlich auch die Beklagte selbst aus, was ihre vorgerichtlich signalisierte Bereitschaft zeigt, Nachbesserungsarbeiten an den Kellerwänden im Hause der Klägerinnen durchzuführen.

Demnach weist die Werkleistung der Beklagten, ungeachtet der Tatsache, dass die ausgeführte Abdichtung dem Vertragstext oder DIN-Vorschriften entspricht, jedenfalls aufgrund ihrer mangelnden Funktionstauglichkeit nicht die Beschaffenheit auf, die die Parteien – zumindest konkludent – vereinbart haben.

Die Einwendung der Beklagten, dass der Wassereintritt in die Kellerräume der Klägerinnen durch mangelhaft ausgeführte und abgedichtete Bohrlöcher für die Installation elektrischer Leitungen (zumindest mit-)verursacht worden sei, greift nicht durch.

Zum einen kann die Beklagte mit ihrer Einwendung bereits deshalb nicht gehört werden, weil sie nicht näher konkretisiert hat, wann, an welchen Stellen und auf welche Weise die Kellerwand durchbohrt worden sein soll, so dass sich ihre Behauptung als – im Ergebnis unbeachtliche – bloße Behauptung ins Blaue hinein darstellt. Entsprechender Vortrag wäre der Beklagte, die selbst mehrfach vor Ort war und den bei den Klägerinnen eingetretenen Schaden begutachtet hat, nach Ansicht des Senats allerdings ohne weiteres möglich gewesen.

Zum anderen ist die Behauptung der Beklagten durch die überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. U widerlegt. Der Sachverständige hat festgestellt und im Rahmen seiner Anhörung im Senatstermin nochmals nachvollziehbar und anschaulich erklärt, dass die alleinige Ursache des Wassereintritts im Versagen der ausgeführten Kombinationsabdichtung liege. Denn die ausgeführte Kombinationsabdichtung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung könne für den – hier vorliegenden – Wasserlastfall „aufstauendes Sickerwasser“ keine dauerhafte Dichtigkeit erzeugen, weil eine dauerhafte Verbindung von WU-Betonplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung nicht gewährleistet sei. In das Gebäude der Klägerinnen sei Wasser lediglich in den unteren Wandbereichen eingedrungen, genau dort, wo die Verbindung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung offensichtlich versagt habe.

Der Senat schließt sich den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. U nach eigener Sachprüfung vollumfänglich an. Der Sachverständige U ist dem Senat bereits aus anderen Rechtsstreitigkeiten, an denen er als Bausachverständiger beteiligt war, als kompetent, sorgfältig und gewissenhaft bekannt. Sein Gutachten ist insgesamt widerspruchsfrei, detailliert und nachvollziehbar. Es lässt erkennen, dass sich der Sachverständige mit den Beweisfragen in sorgfältiger Weise auseinandergesetzt hat. Der Sachverständige hat den gesamten Akteninhalt berücksichtigt und ausgewertet. Zudem hat sich der Sachverständige im Rahmen eines durchgeführten Ortstermins selbst ein Bild von den örtlichen Verhältnissen gemacht und weitere Untersuchungen, insbesondere partielle Bauteilöffnungen, vorgenommen. Seine Feststellungen hat der Sachverständige im Rahmen einer Anhörung im Senatstermin vom 28.06.2019 glaubhaft bekräftigt, sich insbesondere mit den Einwendungen der Parteien eingehend befasst und zu diesen in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise Stellung genommen.

d.

Das Landgericht hat des Weiteren im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die Klägerinnen von der Beklagten Zahlung eines Vorschusses in der geforderten Höhe, die auf den Feststellungen und der Berechnung des Sachverständigen U beruht, verlangen können.

Die von dem Sachverständigen U festgestellte Maßnahme, das Einbringen eines Gelschleiers, und die hierfür anfallenden Kosten sind zur Mangelbeseitigung erforderlich.

Die Klägerinnen mussten sich demgegenüber nicht auf die von der Beklagten angebotene Kellerwandinnensanierung mittels INTRASIT-Systems einlassen.

Zwar ist der Beklagten zuzugestehen, dass der Unternehmer grundsätzlich die Herstellungs- oder Beseitigungsmethode bestimmen kann. Das bedeutet, dass er nicht nur die Wahl hat, ob er das Werk neu herstellt oder es nachbessert, sondern er bestimmt ebenfalls, in welcher Weise er im Rahmen dieser Vorentscheidung seine Leistungen ausführt, um ein mangelfreies Werk durch Nacherfüllung zu erreichen. Der Nacherfüllungsanspruch gibt dem Besteller also grundsätzlich nicht das Recht, zu bestimmen, auf welche Weise die Mängel zu beseitigen sind (vgl. Moufang/Koos in: Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 3. Auflage 2018, BGB, § 635, Rn. 43 m.w.N.). Allerdings betrifft dieses Wahlrecht nur Maßnahmen, die auf Herstellung des Zustandes gerichtet sind, der nach dem Inhalt des Werkvertrages von vornherein bei ordnungsgemäßer Vertragserfüllung hätte herbeigeführt werden müssen. Dabei muss der Unternehmer grundsätzlich den Mangel einschließlich seiner Ursache beseitigen, die Beseitigung seiner Symptome oder seiner Folgen genügt dagegen nicht (vgl. Moufang/Koos, a.a.O., Rn. 28 m.w.N.).

Die von der Beklagten angebotene Kellerwandinnensanierung mittels INTRASIT-Systems stellt keine geeignete Maßnahme dar, um eine dauerhaft funktionsfähige Abdichtung, d.h. den vertragsgemäßen Zustand, herbeizuführen. Denn das INTRASIT-System vermag nur die Symptome, nicht jedoch die Mangelursache zu beseitigen.

Der Senat schließt sich auch insoweit den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen U an. Im Rahmen seiner Anhörung im Senatstermin hat der Sachverständige U ausgeführt, dass im Falle des Versagens einer in einen Neubau eingebrachten Abdichtung mittels Kombinationsabdichtung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung nur das Einbringen eines Gelschleiers eine dauerhafte Dichtigkeit gewährleisten könne. Demgegenüber stelle das INTRASIT-System, bei dem die Kellerinnenwände nur punktuell im Bereich der Wasseraustrittsstellen behandelt würden, im vorliegenden Fall keine geeignete Maßnahme zur Mangelbeseitigung dar. Denn im Falle des Versagens einer Kombinationsabdichtung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung sei es unmöglich, anhand der Wasseraustrittstellen im Gebäudeinneren auf die Lage der Schad- bzw. Leckstellen im Randbereich zwischen Bodenplatte und Bitumendickbeschichtung zu schließen. Die Schichten zwischen Abdichtung und Betonplatte wiesen wasserleitende Eigenschaften auf, so dass das aufgrund von Undichtigkeiten eindringende Wasser an völlig anderer Stelle im Gebäudeinneren wieder austreten könne. Eine Reparatur der Kombinationsabdichtung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung sei daher nicht möglich. Im Falle der nur punktuellen Behandlung der Schadstellen mittels INTRASIT-Systems werde lediglich das Mangelsymptom behandelt, nicht jedoch die Schadensursache beseitigt, da weiterhin Wasser durch die noch bestehende Schadstelle eindringen und an anderer Stelle im Gebäudeinneren wieder austreten könne. Das Einbringen eines Gelschleiers führe demgegenüber zu einer vollständigen und dauerhaften Dichtigkeit. Das eingebrachte Gel könne aufgrund seines Anpressdrucks nicht von Wasser unterdrungen werden. Selbst wenn sich nach Einbringen des Gelschleiers herausstellen sollte, dass eine unvergelte Stelle zurückgeblieben wäre, sei diese im Nachhinein gut sichtbar und ohne weiteres zu lokalisieren, so dass eine Nachbehandlung möglich sei.

Schließlich scheidet auch eine Reparatur des Übergangs zwischen WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung von außen – nach vorangegangener Ausschachtung und Freilegung der Außenwände – aus. Denn auch diese Methode würde keine geeignete Maßnahme darstellen, um eine dauerhaft funktionsfähige Abdichtung herbeizuführen.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die gewählte und ausgeführte Abdichtungsmethode, die Kombinationslösung aus WU-Betonbodenplatte und kunststoffmodifizierter Bitumendickbeschichtung, für den – hier vorliegenden – Wasserlastfall aufstauendes Sickerwasser – trotz Konformität mit den Regelungen der DIN 18195-6 bzw. DIN 18533 – nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht. Die von der Regelung der vorgenannten DIN ausgehende Vermutungswirkung, auf die sich die Beklagte zu ihrer Entlastung beruft, sieht der Senat – insbesondere aufgrund der Vielzahl an aufgetretenen Schadensfällen – als widerlegt an.

Der Senat schließt sich wiederum vollumfänglich den Feststellungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. U an, der überzeugend, detailliert und nachvollziehbar dargelegt hat, dass die geplante und ausgeführte Abdichtungsmethode für den Wasserlastfall aufstauendes Sickerwasser keine dauerhafte Dichtigkeit erzeugen könne und damit insoweit – trotz Konformität mit den Regelungen der DIN 18195-6 bzw. DIN 18533 – nicht den anerkannten Regeln der Technik entspreche.

Anerkannte Regeln der Technik sind diejenigen technischen Regeln für den Entwurf und die Ausführung baulicher Anlagen, die in der technischen Wissenschaft als theoretisch richtig erkannt sind und feststehen sowie insbesondere in dem Kreise der für die Anwendung der betreffenden Regeln maßgeblichen, nach dem neuesten Erkenntnisstand vorgebildeten Techniker durchweg bekannt und aufgrund fortdauernder praktischer Erfahrung als technisch geeignet, angemessen und notwendig anerkannt sind (Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 6. Teil – Die Haftung des Unternehmers für Mängel -, Rn. 32 m.w.N.). Dem Grundsatz nach tragen DIN-Normen die (widerlegliche) Vermutung in sich, den anerkannten Regeln der Technik zu entsprechen (vgl. nur BGH Urt. v. 24.05.2013 – V ZR 182/12).

Der Sachverständige U hat festgestellt, dass die streitgegenständliche Kombinationsabdichtung für den Wasserlastfall aufstauendes Sickerwasser technisch nicht geeignet sei, eine dauerhafte Abdichtung herzustellen. Die generelle Schwäche der Kombinationsabdichtung liege im unteren Bereich der Abdichtung, nämlich dort, wo die kunststoffmodifizierte Bitumendickbeschichtung auf die Bodenplatte aufgeklebt werde. In diesem Bereich komme es zu Ablöseerscheinungen und Unterwanderungen. Zur Begründung hat der Sachverständige auf seine langjährige sachverständige Erfahrung verwiesen. Im Rahmen seiner Anhörung im Senatstermin hat der Sachverständige erläutert, dass er seit Beginn seiner Sachverständigentätigkeit im Jahre 2003 ca. 15-20 Fälle pro Jahr zu begutachten gehabt habe, in denen es im Falle der Verwendung der hier vorliegenden Kombinationsabdichtung bei aufstauendem Sickerwasser zu Wassereintritten ins Gebäudeinnere gekommen sei. Demgegenüber habe er lediglich einen Fall begutachtet, in dem es bei Verwendung einer Abdichtung durch Bitumenbahnen zu einem Wassereintritt gekommen sei, wobei der Schaden im begutachteten Fall auf einem offensichtlichen Ausführungsfehler beruht habe.

Seine Einschätzung, dass die Kombinationsabdichtung für den Wasserlastfall aufstauendes Sickerwasser technisch ungeeignet sei und damit nicht den anerkannten Regeln der Technik entspreche, hat der Sachverständige zudem mit dem Ergebnis einer von ihm im Jahre 2009 veranlassten Befragung aller zur damaligen Zeit öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen mit den Fachgebieten Schäden an Gebäuden und Bauwerkssanierung begründet. Die streitgegenständliche Kombinationsabdichtung sei von den Sachverständigen, die sich zurückgemeldet hätten, mehrheitlich als technisch ungeeignet eingestuft worden.

Soweit die Beklagte eingewandt hat, dass die Feststellungen des Sachverständigen U aufgrund der Ausführungen des Prof. Dipl.-Ing. A in seinem Abschlussbericht vom 14.03.2019 zu einer von ihr – der Beklagten – selbst in Auftrag gegebenen Umfrage zur Praxisbewährung von Abdichtungsübergängen vom PMBC auf WU-Beton widerlegt seien, kann dem nicht gefolgt werden. Im Gegenteil hat der Sachverständige Prof. A ausweislich Seite 8 des Abschlussberichts die technischen Schwächen der streitgegenständlichen Kombinationsabdichtung selbst erläutert und somit die Feststellungen des Sachverständigen U bestätigt. Unter Punkt 2.3 des Berichts hat Prof. A die Kombinationsabdichtung als bei Druckwasser „problematisch“ eingestuft, insbesondere im Hinblick darauf, dass sich eventuelle Undichtigkeiten während der Bauphase nicht zeigten und erst später, ggf. auch erst Jahre später, zu Wasserschäden im Gebäudeinneren führen könnten. Aufgrund der wasserleitenden Eigenschaft der Schutzschichten zwischen Abdichtungen und Bodenplatten seien die schadensverursachenden Leckstellen nach Fertigstellung des Gebäudes meistens nicht auffindbar und damit nicht reparabel. Dies deckt sich uneingeschränkt mit den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen U, denen der Senat folgt.

Auch das von dem Sachverständigen U dargestellte Ergebnis seiner Umfrage aus dem Jahre 2009 ist durch die Ausführungen des Sachverständigen Prof. A in seinem Abschlussbericht – entgegen der Ansicht der Beklagten – nicht widerlegt. Denn ausweislich des Abschlussberichts hat auch dort eine nicht unerhebliche Anzahl an Umfrageteilnehmern angegeben, negative Erfahrungen mit der streitgegenständlichen Kombinationsabdichtung im Falle des Vorliegens von Druckwasser gemacht zu haben (30 von 139 Umfrageteilnehmern). Insgesamt 107 Umfrageteilnehmer hätten sich laut des Berichts zu den Ursachen eingetretener Schäden geäußert, wobei 23 Teilnehmer das Abdichtungssystem als generell ungeeignet beschrieben hätten. Das Ergebnis der von der Beklagten in Auftrag gegebenen Umfrage stützt damit wiederum die Feststellungen des Sachverständigen U und dessen Einordnung der streitgegenständlichen Kombinationsabdichtung als – für den Wasserlastfall aufstauendes Sickerwasser – schadensanfällig und damit technisch ungeeignet.

Dem Einwand der Beklagten, der Sachverständige U könne nicht einschätzen, ob sich die streitgegenständliche Kombinationsabdichtung in der Praxis bewährt habe, weil er es als Sachverständiger ausschließlich mit Schadensfällen zu tun bekomme, kann ebenfalls nicht gefolgt werden. Denn der Sachverständige hat, wie bereits dargelegt, nachvollziehbar erläutert, aus welchen Gründen die streitgegenständliche Abdichtungsmethode technisch ungeeignet ist und sich in der Praxis gerade nicht bewährt hat. Dass der Sachverständige es aufgrund seines Fachgebiets ausschließlich mit Schadensfällen zu tun hat, liegt in der Natur der Sache und vermag an seiner fachlichen Kompetenz zur Einschätzung der technischen Geeignetheit der streitgegenständlichen Abdichtungsmethode nichts zu ändern. Letztlich hat auch die Streithelferin zu 1.) zugestanden, dass die Verwendung der streitgegenständlichen Abdichtungsmethode nicht ausschließlich schadens- und beanstandungsfrei geblieben ist. Sie hat eingeräumt, dass es bei etwas mehr als 100 für den Wasserlastfall aufstauendes Sickerwasser mit der streitgegenständlichen Methode abgedichteten Kellern zu immerhin 12 Beanstandungen gekommen sei. Dabei ist für die Einschätzung der technischen Geeignetheit der Abdichtungsmethode unbeachtlich, welche Ursache die beanstandeten Schadensfälle hatten. Denn auch eine Abdichtungsmethode, die ausführungsfehleranfällig ist, kann nicht den anerkannten Regeln der Technik entsprechen. Dass der Streithelferin zu 1.) nicht mehr Schadensfälle bekannt sind, kann – wie der Sachverständige U plausibel erklärt hat – daran liegen, dass Undichtigkeiten oftmals über einen längeren Zeitraum hinweg unerkannt blieben und erst nach Ablauf der Gewährleistungsfrist sichtbar würden, so dass die bauausführenden Unternehmen nicht mehr in Anspruch genommen werden könnten und demnach auch keine Kenntnis von dem Versagen der Abdichtung erlangten.

Auch die Verteidigung der Beklagten, dass die generelle Eignung der kunststoffmodifizierten Bitumendickbeschichtung für den konkreten Lastfall bauaufsichtsrechtlich geprüft und zertifiziert worden sei, vermag im Ergebnis nicht durchzugreifen. Der Sachverständige U hat plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass das Vorliegen einer derartigen Prüfbescheinigung nichts an seiner Feststellung ändere, dass die streitgegenständliche Kombinationsabdichtung keine hinreichende Dichtigkeit erzeuge. Denn eine derartige Prüfbescheinigung werde nach Durchführung von Untersuchungen „unter Laborbedingungen“ (sauber, trocken, ohne Grate), die sich von den Bedingungen in tatsächlichen Baugruben wesentlich unterschieden, erteilt. Zudem werde die Dichtigkeit unter Laborbedingungen in einem Zeitraum von lediglich 28 Tagen überprüft, so dass die Erteilung einer Prüfbescheinigung im Hinblick auf die dauerhafte Haltbarkeit der Abdichtungsmethode nicht aussagekräftig erscheine.

Auch die Einwendung der Beklagten, der Sachverständige U habe sich mit den Feststellungen des leitenden Baudirektors a.D. Dipl.-Ing. K in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 08.05.2016 nicht hinreichend auseinander gesetzt, vermag nicht durchzugreifen. Der Sachverständige U hat nachvollziehbar ausgeführt, dass sich an seiner Feststellung, dass die streitgegenständlichen Abdichtungsmethode für den Wasserlastfall „aufstauendes Sickerwasser“ generell ungeeignet sei, auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Dipl.-Ing. K nichts ändere. Wie dargelegt, ist der Senat aufgrund der Feststellung des Sachverständigen U davon überzeugt, dass sich die streitgegenständliche Abdichtungsmethode in der Praxis – entgegen der Ansicht des Dipl.-Ing. K – gerade nicht bewährt hat.

Der Senat sieht aufgrund der überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen U nach alledem die Vermutungswirkung der DIN 18195-6 bzw. DIN 18533 als widerlegt an.

e.

Die Klägerinnen haben der Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 24.03.2016 eine angemessene Frist zur Mangelbeseitigung entsprechend der von dem Sachverständigen U vorgeschlagenen Maßnahmen gesetzt, die fruchtlos verstrichen ist.

f.

Der Einwand der Beklagten, dass von dem den Klägerinnen zugesprochenen Vorschuss ein Abzug in Höhe von 15.000,00 Euro (Kosten des INTRASIT-Verfahrens) vorzunehmen sei, geht mangels rechtlicher Grundlage ins Leere.

Ungeachtet dessen, dass die Beklagte die tatsächlichen Grundlagen für die Berechnung des in Abzug zu bringenden Betrages von 15.000,00 Euro bereits nicht näher dargelegt und aufgeschlüsselt hat, ist der Senat, wie bereits oben dargelegt, von der Ungeeignetheit des von der Beklagten vorgeschlagenen INTRASIT-Systems zur Mangelbeseitigung überzeugt, so dass sich die von der Beklagten begehrte Kürzung des Vorschussanspruchs der Klägerinnen auch aus diesem Grunde verbietet.

2.

Darüber hinaus steht den Klägerinnen gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 1.019,60 Euro gemäß §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB zu. Ein weitergehender Anspruch der Klägerinnen besteht allerdings nicht.

a.

Die Klägerinnen können Ersatz der Kosten für die Erstattung der beiden DEKRA-Gutachten in Höhe von 880,60 Euro sowie das zweite, im September 2014 angeschaffte Trocknungsgerät in Höhe von 139,00 Euro aus dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes neben der Leistung verlangen.

aa.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass sowohl die Kosten für die Beauftragung des DEKRA-Sachverständigen, als auch die Kosten für die Anschaffung des zweiten Trocknungsgeräts kausal auf dem oben festgestellten Mangel, nämlich der mangelnden Funktionsfähigkeit der Abdichtung und dem dadurch hervorgerufenen Wassereintritt in die Kellerräume der Klägerinnen beruhten.

bb.

Bei den aufgewandten Kosten handelt es sich um – im Rahmen des Schadensersatzes neben der Leistung grundsätzlich erstattungsfähige – Mangelfolgeschäden.

Die Kosten eines vom Auftraggeber eingeholten Privatgutachtens, um etwaig bereits vorhandene oder etwaig noch zu erwartende Mängel (Symptome/Erscheinungen bzw. Ursachen) festzustellen bzw. um abzuklären, welche Maßnahmen zur Mängelbeseitigung erforderlich sind, sind als Mangelfolgeschäden i.S. eines materiellrechtlichen Schadensersatzanspruchs neben der Leistung einzuordnen (vgl. BGH, Urteil vom 27.02.2003, VII ZR 338/01; OLG Düsseldorf Urt. v. 9.8.2013 – 22 U 4/13).

Auch die Kosten für das Trocknungsgerät stellen einen nach §§ 634 Nr. 4, 280 Abs. 1 BGB erstattungsfähigen Mangelfolgeschaden dar. Denn der Einsatz des Trocknungsgeräts zielte darauf ab, die eingedrungene Feuchtigkeit bzw. die Feuchtigkeitsschäden an den Kellerwänden zu beseitigen. Sowohl die aufgetretenen Feuchtigkeitsschäden als auch die aufgewandten Kosten für das Trocknungsgerät sind durch den oben festgestellten Werkmangel (die nicht funktionierende Abdichtung) verursacht worden.

cc.

Die Erforderlichkeit der für die Anschaffung des zweiten Trocknungsgeräts aufgewandten Kosten steht zwischen den Parteien außer Streit.

Der Senat hat auch keine Zweifel an der Erforderlichkeit der für die Erstattung der DEKRA-Gutachten aufgewandten Kosten.

Soweit die Beklagte einwendet, dass die DEKRA-Gutachten deshalb untauglich seien, weil der Sachverständige T das Objekt nicht in Augenschein genommen habe, ist dieser Einwand bereits aufgrund ihres eigenen erstinstanzlichen Vortrags widerlegt. Denn die Beklagte hat in ihrer Klageerwiderung Bezug auf die Schreiben der Streithelferin zu 1.) vom 26.09.2014 (Bl. 71 d.A.) und vom 01.12.2014 genommen, ausweislich derer zwei Ortstermine stattgefunden haben, an denen u.a. der Sachverständige T teilgenommen hat. Im Übrigen hat der Sachverständige in seinen beiden an die Klägerinnen gestellten Rechnungen die Durchführung zweier Ortstermine abgerechnet.

Auch die Einwendung der Beklagten, die DEKRA-Gutachten seien deshalb untauglich, weil der Sachverständige Feststellungen getroffen habe, ohne zuvor eine Bauteilöffnung vorgenommen zu haben, vermag nicht durchzugreifen. Der Sachverständige war von den Klägerinnen – unstreitig – damit betraut, die Geeignetheit der von der Beklagten vorgeschlagenen Kellerwandinnensanierung mittels INTRASIT-System zu überprüfen und zu bewerten. Ausweislich seines Gutachtens vom 25.07.2014 (Bl. 28 f. d.A.) hat der Sachverständige festgestellt, dass das von der Beklagten vorgeschlagene Sanierungssystem ungeeignet sei, weil nicht der Mangel an sich – die aufgrund des Wassereintritts offensichtlich schadhafte Abdichtung erdberührter Teile – sondern nur das Mangelsymptom beseitigt werde. Für diese Feststellung war eine Bauteilöffnung offensichtlich nicht erforderlich; vielmehr hat der Sachverständige ausdrücklich festgehalten, dass eine Freilegung der betroffenen Außenwandbereiche lediglich für die spätere Lokalisierung der Schadstelle erforderlich sei.

Dass die von dem DEKRA-Gutachter abgerechneten Kosten unangemessen hoch wären, ist von der Beklagten weder hinreichend konkret vorgetragen worden, noch ersichtlich.

dd.

Die Beklagte hat den Mangel, der den Vermögensschaden verursacht hat, auch zu vertreten, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Sie hat sich von dem Vorwurf der zumindest fahrlässigen Herbeiführung des Mangels nicht zu entlasten vermocht.

Der einen Schaden verursachende Mangel muss auf einem Umstand beruhen, den der Unternehmer zu vertreten hat (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Das Verschulden des Unternehmers wird gemäß § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vermutet, d.h. der Unternehmer muss darlegen und beweisen, dass er hinsichtlich des Mangels, hier der mangelhaften Abdichtung, nicht schuldhaft gehandelt hat. Soweit sich der Unternehmer zur Ausführung der Werkleistung Subunternehmern bedient, werden diese als seine Erfüllungsgehilfen i.S.v. § 278 BGB tätig (vgl. Moufang/Koos, a.a.O, § 636 Rn. 113 m.w.N.).

Die Beklagte handelte zumindest fahrlässig i.S.v. § 276 Abs. 2 BGB, wobei im Ergebnis dahinstehen kann, ob sie bzw. ihre Erfüllungsgehilfen das Werk technisch fehlerhaft ausgeführt oder den Mangel durch fehlerhafte Planung, nämlich der Wahl einer für das Gebäude der Klägerinnen ungeeigneten Abdichtungsmethode, verursacht haben.

(1)

Die Beklagte hat sich nicht mit ihrer Behauptung zu entlasten vermocht, dass die gewählte und ausgeführte Abdichtungsmethode den anerkannten Regeln der Technik entspreche. Der Senat ist, wie bereits ausgeführt, vielmehr davon überzeugt, dass die gewählte und ausgeführte Abdichtungsmethode nicht den anerkannten Regeln der Technik entspricht; die Vermutungswirkung der DIN 18195-6 bzw. DIN 18533 sieht der Senat als widerlegt an.

Dass der Beklagten die bereits seit vielen Jahren in Fachkreisen geführte Diskussion um die technische Geeignetheit der streitgegenständlichen Kombinationsabdichtung, auf die auch der Sachverständige U sowohl in seinen schriftlichen Gutachten als auch im Rahmen seiner Anhörung im Senatstermin hingewiesen hat, gänzlich unbekannt gewesen wäre, behauptet sie – die Beklagte – selbst nicht. Auch angesichts des bereits oben dargelegten Umstandes, dass ihre Erfüllungsgehilfin, die Streithelferin zu 1.), eingeräumt hat, dass es bei zumindest 12 der von ihr mit der Kombinationslösung abgedichteten Kellern zu Beanstandungen gekommen sei, vermag sich die Beklagte von dem Vorwurf, den Mangel zumindest fahrlässig herbeigeführt zu haben, nicht zu entlasten.

(2)

Die Beklagte kann sich auch mit ihrem Vortrag, dass es im vorliegenden Fall aufgrund von Ausführungs- oder Verarbeitungsfehlern zum Schadenseintritt bei den Klägerinnen gekommen ist, nicht entlasten.

Soweit Ausführungs- oder Verarbeitungsfehler bei Durchführung der Abdichtungsarbeiten vorgelegen hätten, wäre ein etwaig fahrlässiges Verhalten der Mitarbeiter der Streithelferinnen der Beklagten als deren Subunternehmerin gemäß § 278 BGB zuzurechnen.

Dass die für die Abdichtung verwandten Materialien herstellungsbedingt fehlerhaft gewesen wären, behauptet die Beklagte selbst nicht.

Im Übrigen hat der Sachverständige U eine herstellungsbedingte Fehlerhaftigkeit der für die Abdichtungsmethode verwandten Materialien auch nicht festgestellt. Wie bereits dargelegt, führt der Sachverständige das Versagen der streitgegenständlichen Kombinationsabdichtung auf die generelle Ungeeignetheit des Systems, das im Bereich der Verbindung zwischen WU-Betonbodenplatte und Bitumendickbeschichtung keine ausreichende Dichtigkeit erzeugen kann, zurück. Der Sachverständige hat zudem im Rahmen seiner Anhörung im Senatstermin betont, dass die Kombinationsabdichtung aufgrund der festgestellten Schwachstelle im Verbindungsbereich auch ohne Vorliegen eines Verarbeitungs- oder Ausführungsfehlers undicht sein kann.

b.

Demgegenüber besteht kein Anspruch der Klägerinnen auf Erstattung der für die Anschaffung des ersten Trocknungsgeräts aufgewandten Kosten (in Höhe von 297,50 Euro) sowie der für die Beauftragung des Energieberaters aufgewandten Kosten (in Höhe von 107,10 Euro). Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Mangel und dem im Zusammenhang mit den vorgenannten Kosten eingetretenen Vermögensschaden ist weder vorgetragen, noch ersichtlich.

Das erste Trocknungsgerät wurde ausweislich der Rechnung, Anlage K 11, Bl. 43 d.A., bereits am 24.06.2013, und damit nicht nur vor Übergabe (im Juli 2013) und vor Einzug der Klägerinnen in das streitgegenständliche Haus (im September 2013), sondern sogar vor Ausführung der streitgegenständlichen Abdichtung im Juli 2013 angeschafft. Es fehlt damit offensichtlich an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Mangel und Schaden.

Der Energieberater wurde von den Klägerinnen bereits im Dezember 2013 beauftragt (Anlage K12, Bl. 42 d.A.). Die Klägerinnen haben jedoch in erster Instanz selbst vorgetragen, das (mangelbedingte) Eindringen von Nässe erst im Juli 2014 entdeckt zu haben. Soweit die Klägerinnen im Verhandlungstermin vor dem Landgericht Bochum am 18.04.2018 angedeutet haben, schon vor Juli 2014 „Schimmelerscheinungen“ in den Kellerräumen festgestellt zu haben, ist von ihnen weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, dass diese Erscheinungen bereits auf der mangelhaften Außenabdichtung beruhten.

3.

Der geltend gemachte Zinsanspruch folgt, soweit der Hauptanspruch besteht, aus §§ 291, 288 BGB. Die Klage ist der Beklagten am 19.09.2017 zugestellt und damit rechtshängig geworden, so dass die Beklagte zur Zahlung von Rechtshängigkeitszinsen ab dem 19.09.2017 verpflichtet ist.

II.

Der Feststellungsantrag ist zulässig und – im tenorierten Umfang – begründet.

1.

Erstinstanzlich hatten die Klägerinnen – ausweislich der Klarstellung in ihrer Klageschrift vom 21.08.2017, Bl. 7 d.A. – Feststellung begehrt, dass die Beklagte zur Übernahme sowohl von künftig entstehenden Mangelbeseitigungskosten, soweit sie die aus dem Gutachten des Sachverständigen U ersichtlichen Kosten von 85.705,29 Euro übersteigen, als auch von künftig entstehenden weiteren Ansprüchen auf Zahlung von Schadensersatz wegen entgangener Nutzung der Kellerräume verpflichtet ist. Das Bestehen letztgenannter Ansprüche hat das Landgericht jedoch – rechtskräftig – bereits dem Grunde nach verneint, so dass die von den Klägerinnen insoweit begehrte Feststellung nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens ist.

Vor diesem Hintergrund hat die Berufung der Beklagten insoweit Erfolg, als das Landgericht einen Feststellungsanspruch der Klägerinnen hinsichtlich eines jeden, künftig durch die fehlerhafte Abdichtung noch entstehenden, über den zugesprochenen Betrag hinausgehenden Schadens angenommen hat. Der Feststellungsanspruch der Klägerinnen beschränkte sich vielmehr – angesichts der Klarstellung in ihrer Klageschrift vom 21.08.2017, Bl. 7 d.A. – allein auf die Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme künftig entstehender Mangelbeseitigungskosten, soweit sie einen Betrag von 85.705,29 Euro übersteigen.

2.

Der Feststellungsantrag ist zulässig; insbesondere besteht das erforderlich Feststellungsinteresse.

a.

Zwar ist ein Feststellungsantrag für zusätzliche Kosten der Mängelbeseitigung in der Sache nicht erforderlich, weil in dem Ausspruch eines Vorschussanspruches zugleich auch die Feststellung der auf die tatsächliche Höhe der Mangelbeseitigungskosten gerichteten Zahlungspflicht enthalten ist, man also ohne weiteres aufgrund dieses Titels auch Mehrforderungen geltend machen kann (BGH, Urt. v. 25.09.2008 – VII ZR 204/07 -, juris). Dies macht aber einen dennoch gestellten Feststellungsantrag nicht unzulässig. Denn ein rechtliches Interesse ist immer dann zu bejahen, wenn der entstandene oder noch entstehende Schaden nicht bereits in vollem Umfang durch den Antrag auf Zahlung erfasst wird. Der Besteller, der – wie vorliegend – nicht zu überblicken vermag, ob der von ihm verlangte Vorschuss für die Mängelbeseitigung ausreicht, kann deshalb nicht gehindert werden, ergänzend die den Vorschuss übersteigende Kostentragungspflicht des Unternehmers feststellen zu lassen (BGH, Urt. v. 15.01.2008 – VI ZR 3/07 -, BauR 2008, 867; Urt. v. 20.02.1986 – VII ZR 318/84 -, juris). Denn einem solchen Feststellungsantrag kommt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine klarstellende Funktion zu und ist damit nicht unzulässig (vgl. OLG Köln, Urteil vom 31. Oktober 2018 – 11 U 166/17 -, juris).

3.

Der Antrag ist begründet, soweit ein Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses besteht. Denn es ist durchaus wahrscheinlich, dass die tatsächlich entstehenden Kosten die von dem Sachverständigen nach allgemeinen Grundsätzen kalkulierte Höhe übersteigen könnten (vgl. OLG Köln, a.a.O.).

C.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 97 Abs. 1, 101 Abs. 1, 2. HS. ZPO.

Die Kosten des Rechtsstreits waren gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 BGB der Beklagten aufzuerlegen, da die Zuvielforderung der Klägerinnen verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat.

Da der Beklagten als der von ihnen unterstützten Partei die Kosten des Rechtsstreit auferlegt wurden, tragen die Streithelferinnen die ihnen jeweils entstandenen Kosten selbst, vgl. § 101 Abs. 1 2. HS ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

D.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Der Rechtssache kommt weder eine grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts wegen der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 543 Abs. 2 ZPO.

OLG Stuttgart zu der Frage, ob Kosten für ein von der Partei beauftragtes Gutachten über Ursache und Ausmaß der eingetretenen und vielleicht noch zu erwartenden Mängel als Mangelfolgeschaden materiellrechtlich gemäß § 13 Nr. 7 VOB/B zu ersetzen sind

OLG Stuttgart zu der Frage, ob Kosten für ein von der Partei beauftragtes Gutachten über Ursache und Ausmaß der eingetretenen und vielleicht noch zu erwartenden Mängel als Mangelfolgeschaden materiellrechtlich gemäß § 13 Nr. 7 VOB/B zu ersetzen sind

Kosten für ein von der Partei beauftragtes Gutachten über Ursache und Ausmaß der eingetretenen und vielleicht noch zu erwartenden Mängel können als Mangelfolgeschaden materiellrechtlich gemäß § 13 Nr. 7 VOB/B zu ersetzen sein (vgl. BGH NJW 2002, 141 f.; BGH NJW 1971, 99 ff.;). Dieser Schaden entsteht von vornherein neben dem Nachbesserungsanspruch, weshalb eine Fristsetzung nach § 13 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B nicht Anspruchsvoraussetzung ist (BGH NJW 2002, 141 f.). Zu ersetzen sind die (Privat-) Gutachterkosten, soweit sie im Einzelfall erforderlich waren, um dem Bauherrn ein zuverlässiges Bild über die Mängel zu verschaffen und es ihm zu ermöglichen, seine diesbezüglichen Ansprüche richtig zu beurteilen (BGH NJW 1971, 99 ff.; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 11. Auflage 2005, Rdnr. 159 ff.). Dabei kann der nicht sachkundige Auftraggeber unter Umständen sogar überhöhte Kosten der Untersuchungen durch den Sachverständigen – die objektiv nicht erforderlich waren – erstattet verlangen. Denn er muss sich grundsätzlich darauf verlassen können, dass der Sachverständige nur solche Untersuchungen durchführt, die zur zuverlässigen Beantwortung der anstehenden Fragen erforderlich sind (vgl. Ingenstau/Korbion, Kommentar zur VOB, 14. Auflage 2001, § 13 Nr. 7 VOB/B, Rdnr. 715).

OLG Stuttgart, Urteil vom 18.10.2007 – 7 U 69/07

Gründe

I.

Die Klägerin ist gewerblich auf dem Gebiet der Kanaltechnik und Kanalsanierung tätig. Sie verlangt von der beklagten Gemeinde restlichen Werklohn für Kanalsanierungsarbeiten am Kanalnetz der Beklagten. Die Beklagte ihrerseits verlangt von der Klägerin im Wege der Widerklage Schadensermittlungskosten in Zusammenhang mit Mängeln an der Werkleistung der Klägerin.

Die Klägerin hatte bereits im Jahre 1999 Kanalsanierungsarbeiten für die Beklagte durchgeführt, die abgeschlossen und bezahlt wurden. Mit Bauvertrag vom 20.06.2000 (Anlage A 1, nach Bl. 12 d.A.) wurde die Klägerin von der Beklagten mit der Durchführung weiterer Kanalsanierungsarbeiten mit einer Gesamtvergabesumme von 552.539,66 DM beauftragt. Unstreitig wurde zwischen den Parteien dabei die Geltung der VOB/B vereinbart. Gegenstand der Beauftragung war keine umfassende Gesamtsanierung des Kanalsystems, sondern die Sanierung punktueller Schäden.

Die Werkleistungen der Klägerin wurden in der Folgezeit erbracht und unstreitig von der Beklagten abgenommen. Die Klägerin erteilte unter dem 05.12.2001 Schlussrechnung (Anlage A 2, nach Bl. 12 d.A.). Diese weist nach Berücksichtigung verschiedener Teilzahlungen der Beklagten einen noch zu bezahlenden Betrag von 140.631,19 DM aus, was 71.903,58 EUR entspricht. Dieser Betrag, der mit der Klage nebst Zinsen geltend gemacht wird, wurde von der Beklagten unter Hinweis auf zahlreiche behauptete Mängel der klägerischen Werkleistung nicht bezahlt.

Die Beklagte ließ im Juni 2002 durch eine Drittfirma – die Kanal-B. GmbH, E. – die Arbeiten der Klägerin überprüfen. Dabei wurde eine Kanalbefahrung mit einer Videokamera durchgeführt. In der Folgezeit hat die Beklagte in großem Umfang Mängel an der klägerischen Werkleistung behauptet und die Mängelbeseitigungskosten auf einen Betrag von 100.978,00 EUR beziffert. Mit einem von ihr in dieser Höhe behaupteten Schadenersatzanspruch hat die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit gegen die Klagforderung aufgerechnet und den überschießenden Betrag von 29.074,42 EUR nebst Zinsen im Wege der Widerklage geltend gemacht. Daneben hat die Beklagte, ebenfalls jeweils im Wege der Widerklage, Schadensermittlungskosten in Höhe von 28.316,76 EUR geltend gemacht und Feststellung begehrt, dass die Klägerin auch den weiteren Schaden zu ersetzen habe, der durch die mangelhafte Kanalsanierung entstanden sei oder noch entstehen werde. Die Schadensermittlungskosten betreffen die von der Beklagten beauftragte Mängelermittlung und Auswertung durch die Firma E., S..

Auf die weiteren tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird nach § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Das Landgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den behaupteten Mängeln die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 8.893,08 EUR nebst Zinsen zu bezahlen. Im Übrigen hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Auch die Widerklage wurde vom Landgericht abgewiesen. Beide Parteien haben gegen das Urteil des Landgerichts Berufung eingelegt, die Beklagte zudem auch Anschlussberufung.

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Berufung ihren Restwerklohnanspruch, soweit dieser noch nicht zuerkannt wurde, unter Vertiefung ihres bisherigen Vortrages weiter. Sie hält die von der Beklagten geltend gemachten Schadenersatzansprüche nach wie vor weder dem Grunde noch der Höhe nach für gegeben. Die Klägerin greift insbesondere die Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. S. zur Mangelhaftigkeit ihrer Werkleistungen an. Außerdem ist die Klägerin der Auffassung, dass etwaige Schadenersatzansprüche der Beklagten jedenfalls ohne Umsatzsteuer geschuldet wären.

Die Beklagte verfolgt mit ihrer Berufung die von ihr geltend gemachten Schadensermittlungskosten in Höhe von 28.316,76 EUR nebst Zinsen weiter. Sie hat dabei zuletzt Zahlung in Höhe eines Betrages von 12.667,20 EUR und Freistellung hinsichtlich des Restbetrages von 15.649,56 EUR verlangt. Zudem hat die Beklagte Anschlussberufung eingelegt und mit dieser eine Eventualwiderklage auf Feststellung erhoben, dass die Klägerin nach Ausführung der Mängelbeseitigungsarbeiten die anfallende Mehrwertsteuer zu erstatten habe. Die Eventualwiderklage ist für den Fall erhoben, dass die Aufrechnung gegen die Hauptforderung mit Schadenersatzansprüchen der Beklagten nur in Höhe des Nettobetrages oder nur in Höhe eines Mehrwertsteuersatzes von 16 % für begründet erachtet wird.

Die Klägerin beantragt wie folgt:

1. Das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 22. Februar 2007, Az: 3 O 516/02, wird abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, über den zuerkannten Betrag von 8.893,08 EUR nebst Zinsen hieraus von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 16. Januar 2002 hinaus weitere 63.010,50 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 16. Januar 2002 zu zahlen.

2. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Die Anschlussberufung wird als unbegründet zurückgewiesen.

4. Die Eventualwiderklage wird als unzulässig abgewiesen, hilfsweise als unbegründet.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Hinsichtlich der Widerklage hat die Beklagte zunächst wie folgt beantragt:

1. Das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 22.02.2007, Az: 3 O 516/02 III, wird abgeändert.

2. Auf die Widerklage der Beklagten wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 28.316,76 EUR nebst 8 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Widerklageschriftsatzes zu bezahlen.

Nunmehr beantragt die Beklagte hinsichtlich der Widerklage wie folgt:

1. Das Urteil des Landgerichts Heilbronn vom 22.02.2007, Az: 3 O 516/02 III, wird abgeändert.

2. Auf die Widerklage der Beklagten wird die Klägerin verurteilt, an die Beklagte 12.667,20 EUR nebst 8 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit Zustellung des Widerklageschriftsatzes zu bezahlen.

3. Die Klägerin wird verurteilt, die Beklagte von der Bezahlung einer Forderung in Höhe von 15.649,56 EUR der E. R. AG, S., freizustellen.

Im Rahmen ihrer Anschlussberufung beantragt die Beklagte – bedingt für den Fall, dass die Aufrechnung gegen die Hauptforderung mit Schadenersatzansprüchen der Beklagten nur in Höhe des Nettobetrages oder nur in Höhe eines Mehrwertsteuersatzes von 16 % für begründet erachtet wird -,

festzustellen, dass die Klägerin nach Ausführung der Mängelbeseitigungsarbeiten die anfallende Mehrwertsteuer zu erstatten hat.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Der ebenfalls zulässigen Berufung der Beklagten war hingegen stattzugeben. Die im Wege der Anschlussberufung zulässig erhobene Eventualwiderklage der Beklagten kommt nicht zum Tragen.

1. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Landgericht Heilbronn hat durch das angegriffene Urteil zu Recht lediglich einen Restwerklohnanspruch der Klägerin in Höhe von 8.893,08 EUR nebst Zinsen zuerkannt. Zutreffend hat das Landgericht Schadenersatzansprüche der Beklagten gegen die Klägerin in Höhe von 63.010,50 EUR bejaht. In dieser Höhe hat die Beklagte wirksam gegen die – im Ausgangspunkt unstreitige – Restwerklohnforderung aufgerechnet.

a) Die Parteien haben unstreitig die Geltung der VOB/B vereinbart. Angesichts des Datums des Vertragsschlusses (20.06.2000) ist von der Einbeziehung der VOB/B Ausgabe 1998 auszugehen. Die Anspruchsvoraussetzungen für die geltend gemachten Schadenersatzansprüche richten sich daher nach der Regelung des § 13 7 VOB/B in der damaligen Fassung. § 13 VOB/B enthält eine abschließende Regelung der Mängelrechte nach Abnahme (vgl. Palandt-Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Aufl. 2007, § 634 BGB, Rdnr. 28). Alle Leistungen der Klägerin sind unstreitig abgenommen.

b) Nach § 13 7 Abs. 1 VOB/B 1998 setzte die Schadenersatzpflicht einen wesentlichen Mangel voraus, der die Gebrauchsfähigkeit erheblich beeinträchtigt und auf ein Verschulden des Auftragsnehmers oder seiner Erfüllungsgehilfen zurückzuführen ist.

Soweit die Klägerin in der Berufungsbegründung meint, der Schadenersatzanspruch nach § 13 VOB/B setze Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit voraus, ist dies für den hier angesprochenen Bereich nicht richtig. Vielmehr regelte in der hier maßgeblichen Fassung der VOB/B lediglich § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B, dass ein ‑darüber hinausgehender, das heißt von Absatz 1 nicht erfasster, Schaden unter anderem dann zu ersetzen ist, wenn der Mangel auf Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruht (vgl. nunmehr § 13 Nr. 7 Abs. 2 VOB/B 2002). Im Bereich von § 13 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B 1998 war hingegen auch zum damaligen Zeitpunkt jede Form von Fahrlässigkeit haftungsbegründend.

c) Angesichts der vom Sachverständigen Prof. Dr.-Ing. S. festgestellten Mängel sind die vom Landgericht zuerkannten Schadenersatzansprüche begründet. Es handelt sich durchweg um wesentliche Mängel, die die Gebrauchsfähigkeit der Bauleistung jeweils erheblich beeinträchtigen und auf ein Verschulden der Klägerin als Auftragnehmerin respektive ihrer Erfüllungsgehilfen zurückzuführen sind. Gegenstand des vorliegenden Werkvertrages war die Sanierung der Abwasserkanäle der beklagten Kommune. Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. S. hat in der als Anlage zur gutachterlichen Stellungnahme vom Mai 2005 (Bl. 206 d.A.) beigefügten Tabelle für die insgesamt 123 Schadenspositionen jeweils in Spalte 13 eine Schadensbeschreibung aufgenommen, die im landgerichtlichen Urteil (Seiten 20 ff.) für die als mangelhaft eingestuften Einzelpositionen wiedergegeben ist. Es geht ganz überwiegend um nicht fachgerechte Rohrverbindungen mit sichtbarer Feuchtigkeit, des weiteren um Risse und um Stellen mit losem Verpressmaterial. Der Sachverständige Prof.-Dr.-Ing. D. S. hat im Rahmen seiner Anhörung im Berufungsverfahren ausgeführt, dass ein sanierter Kanal die Anforderungen erfüllen muss, die an einen neuen Kanal gestellt werden. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass es sich bei den von ihm festgestellten Mängeln nicht etwa um Schönheitsfehler handelt. Die vorliegenden Mängel stellen den Erfolg der Sanierungsmaßnahmen in Frage. Bei der richtigen Wahl der technischen Verfahren wäre es – so der Sachverständige – möglich gewesen, aus technischer Sicht einen Sanierungserfolg zu erzielen. Angesichts dieser klaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bestehen weder ernsthafte Zweifel an einer erheblichen Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit der Leistung noch am Verschulden der Klägerin.

d) Nicht gefolgt werden kann auch der ebenfalls in Zusammenhang mit der Frage der Mangelhaftigkeit stehenden Argumentation der Klägerin, das Landgericht habe die Rolle und die Befugnisse des Bauleiters der Beklagten, Herrn Dipl.-Ing. Ch. M., verkannt. Die Ausführungen des Landgerichts zur Frage der vertraglich geschuldeten lokalen Einzelleistungen, zur ‑sparsamen Arbeitsweise und zu Einzelweisungen sind in jeder Hinsicht klar und überzeugend. Der Senat hat diesen Ausführungen nichts hinzuzufügen.

e) Auch die mit der Berufung (erneut) vorgetragenen Einwendungen gegen die vom Sachverständigen gewählten Methodik und zum Inhalt der von ihm getroffenen Feststellungen sind nicht überzeugend.

Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. D. S. hat im Rahmen seiner Anhörung im Berufungsverfahren zunächst in grundsätzlicher Hinsicht ausgeführt, dass es heute üblich sei, Kanäle mittels einer Befahrung durch Fernsehkameras zu inspizieren. Die Auswertung dieser Befahrungen erfolgt dann in der Regel im Ingenieurbüro. Voraussetzung für tragfähige Feststellungen sei allerdings, dass die Videobänder aussagefähig sind, man also genug auf ihnen erkennen könne. Nach den klaren Darlegungen des Sachverständigen erfüllten die Videoaufnahmen, die ihm im Streitfall vorlagen, diese Voraussetzungen. Die Videoaufnahmen waren durch Geräte gefertigt, die dem Stand der Technik entsprachen. Insbesondere – so der Sachverständige weiter – entsprach auch die Ausleuchtung dem Stand der Technik. Der Sachverständige hat auch darauf hingewiesen, dass es entgegen der Auffassung der Klägerin eine feste Regel, wonach nur in Fließrichtung inspiziert werden dürfe, nicht gibt. Die Abnahmebefahrung der Klägerin wurde bei den Untersuchungen des Sachverständigen mitberücksichtigt. Die Vorgabe, dass vor Inspektionen die Innenflächen der Kanäle getrocknet sein müssen, war nach den Darlegungen des Sachverständigen ebenfalls erfüllt. Der Sachverständige hat bei alldem betont – und dies als Selbstverständlichkeit bezeichnet -, dass er seine Feststellungen unter Berücksichtigung der technischen Normen DIN EN-752-5 und DIN EN-1610 getroffen hat.

Im Weiteren hat der Sachverständige in überzeugender Weise zu den Einwendungen der Klägerin in Zusammenhang mit der Abgrenzung zwischen (bloßen) Glanzstellen und Feuchtigkeit Stellung genommen. Er hat sich, unter näherer Darstellung des Injektionsverfahrens mittel eines sogenannten Packers, erneut darauf festgelegt, dass die von ihm als Feuchtigkeitsstellen festgestellten Stellen tatsächlich feucht waren und es sich dort nicht um den sogenannten ‑Harzglanz handelte, sondern jeweils Infiltration von Wasser vorhanden war. Nachdem eine solche Festlegung nach den Ausführungen des Sachverständigen bereits anhand der vorhandenen Videoaufnahmen möglich war, bedurfte es hier auch keines Einweisungstermins.

Der Sachverständige hat schließlich auch in jeder Hinsicht nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass er anhand der Datierungen der ausgewerteten Videobänder einerseits und der Arbeitsberichte und Protokolle andererseits die Arbeitsstellen der Klägerin auf den Bändern verortet hat, um die Arbeitsergebnisse zu bewerten.

f) Das Landgericht hat auf der Grundlage der einzelnen Feststellungen des Sachverständigen die Schadensbeseitigungskosten zutreffend auf einen Gesamtbetrag von netto 52.950,- EUR addiert. Dass die Klägerin im Rahmen ihres Berufungsvortrages insoweit lediglich auf einen Betrag von 52.150,- EUR netto kommt, beruht darauf, dass die Klägerin in ihrer Auflistung die Schadensposition mit der laufenden Nummer 100 (‑Scherbenbildung im Sohlbereich ist nicht fachgerecht saniert) mit einem Nettobetrag von 800,- EUR nicht mit aufgeführt hat. Die Berechnung des Landgerichts ist demgegenüber zutreffend.

Der Sachverständige Prof. Dr.-Ing. S. hat im Rahmen der Berufungsverhandlung klarstellend erläutert, dass sich die Schadensbeseitigungskosten jeweils auf die konkrete Schadensstelle beziehen und lediglich in den wenigen Fällen, in denen mehrere Schadensstellen eng beieinander lagen, eine sogenannte Renovierung vorgeschlagen wurde, die dort günstiger ist als einzelne Reparaturen in jenen Bereichen. Die Beklagte erhält daher durch den Schadensausgleich keineswegs mehr als durch den ursprünglichen Auftrag, der unstreitig lediglich auf eine punktuelle Kanalsanierung (sogenannte Reparatur) ausgerichtet war.

g) Zu Recht hat das Landgericht im Rahmen der Berechnung der Schadenersatzansprüche der Beklagten jeweils die Umsatzsteuer aus den Nettobeträgen mitberücksichtigt.

aa) Dem Einwand der Klägerin, es handle sich um eine ‑echte Schadenersatzforderung, die nicht steuerbar sei, weil ein Austauschverhältnis insoweit fehle, kann nicht gefolgt werden. Beim Schadensausgleich in Geld gemäß § 13 7 VOB/B ist die Umsatzsteuer in der vorliegenden Konstellation grundsätzlich ersatzfähig (OLG München, IBR 2000, 114; vgl. Wirth in: Ingenstau/Korbion, VOB, 16. Auflage, § 13 Nr. 7 VOB/B, Rdnr. 117). Im Rahmen des Schadenersatzes werden Mängelbeseitigungskosten geltend gemacht. Es handelt sich um Aufwendungen, die der Auftraggeber selbst zur Schadensbeseitigung erbringen muss. Hierzu gehört die Umsatzsteuer (OLG München, a.a.O.). Zur Erreichung der Baumängelfreiheit fällt die Umsatzsteuer auf die erforderlichen Bauleistungen an (vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil vom 18.01.2007, 12 U 120/06, zit. nach JURIS). Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn als Schaden entgangener Gewinn oder ein merkantiler Minderwert verlangt wird (OLG München a.a.O.).

Ob die zur Mangelbeseitigung erforderlichen Bauleistungen tatsächlich ausgeführt werden, ist unerheblich. Die Regelung des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB, die verlangt, dass die Umsatzsteuer tatsächlich anfällt, ist schon wegen der Übergangsregelung des Art. 229 § 8 EGBGB hier nicht anwendbar. Die Vorschrift des § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB bezieht sich im Übrigen nur auf den Schadenersatz wegen Beschädigung einer Sache. Vorliegend geht es aber gerade nicht um den Ausgleich eines Integritätsschadens.

Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus Haushaltsvorschriften und einer aus diesen gegebenenfalls resultierenden Zweckgebundenheit der streitgegenständlichen Schadenersatzansprüche.

bb) Nicht im Rahmen des Schadenersatzes zu berücksichtigen ist die Umsatzsteuer im Ergebnis allerdings auch dann, wenn der Auftraggeber vorsteuerabzugsberechtigt ist. Denn dann entsteht ihm wegen § 15 UStG gar kein Schaden, weil er die zu zahlenden Mehrwertsteueranteile hinsichtlich der Schadensbehebungsmaßnahmen als Vorsteuerbetrag gegenüber dem Finanzamt wieder abziehen kann (vgl. OLG Celle, IBR 2004, 564; vgl. bereits BGH NJW 1972, 1460). Eine Vorsteuerabzugsberechtigung der beklagten Gemeinde kann aber für den hier konkret in Rede stehenden Bereich, nämlich der Sanierung des Abwasserkanalsystems, nicht festgestellt werden. Die Beklagte handelt hier nicht als Unternehmen bzw. auch nicht wie ein Unternehmen im Rahmen gewerblicher Tätigkeit. Gemäß § 2 Abs. 3 UStG sind die juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (§ 1 Abs. 1 Nr. 6 , § 4 des Körperschaftssteuergesetzes) und ihrer land- und forstwirtschaftlichen Betriebe gewerblich oder beruflich tätig. Die Beklagte betreibt nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vortrag die Abwasserbeseitigung als Pflichtaufgabe der Gemeinde im Wege eines sog. Regiebetriebs der Gemeinde als sog. Hoheitsbetrieb. Sie handelt demnach bei der Abwasserbeseitigung ‑hoheitlich im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 KStG und nicht im Rahmen eines Betriebes gewerblicher Art. Die Abwasserbeseitigung durch Personen des öffentlichen Rechts wird seit jeher als Ausübung öffentlicher Gewalt beurteilt (vgl. BFH DB 1998, 850).

Ist damit aber die beklagte Gemeinde hier nicht als Unternehmen bzw. wie ein Unternehmen tätig, scheidet eine Vorsteuerabzugsberechtigung gemäß § 15 UStG aus.

cc) Ebenfalls zutreffend hat das Landgericht der Schadensberechnung den gegenwärtig geltenden Umsatzsteuersatz von 19 % zugrunde gelegt. Der Anspruch auf Schadenersatz in Geld bemisst sich grundsätzlich nach den Wert- und Preisverhältnissen im Zeitpunkt der Erfüllung (vgl. Palandt-Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 66. Auflage 2007, Vorb. zu § 249 BGB, Rdnr. 174 m.w.N.). Im gerichtlichen Verfahren ist grundsätzlich von den Verhältnissen der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatrichter auszugehen, wobei die weitere Entwicklung der Nach- und Vorteile bis zur voraussichtlichen Erfüllung zu berücksichtigen ist (vgl. BGH NJW-RR 2001, 1450). Durch die Mehrwertsteuererhöhung zum 01.01.2007 ist der Schaden der Beklagten gestiegen, da sie für eine mangelfreie Herstellung des Werks nunmehr erhöhte Kosten hat. Nachdem die in Rede stehenden Schadenersatzansprüche nun Gegenstand des Berufungsverfahrens sind, ist der jetzt geltende Mehrwertsteuersatz maßgebend.

Die allein die Widerklage betreffende Berufung der Beklagten hat Erfolg.

a) Die im Schriftsatz vom 24.09.2007 enthaltene geänderte Antragstellung hinsichtlich der Widerklage begegnet keinen prozessualen Bedenken (§§ 533, 529 ZPO in Verbindung mit § 264 2 ZPO). Es handelt sich um eine qualitative Änderung des Antrages bei gleich bleibendem Klagegrund (vgl. Zöller-Greger, Zivilprozessordnung, 26. Auflage 2007, § 264 ZPO, Rdnr. 3 b m.w.N.).

b) Kosten für ein von der Partei beauftragtes Gutachten über Ursache und Ausmaß der eingetretenen und vielleicht noch zu erwartenden Mängel können als Mangelfolgeschaden materiellrechtlich gemäß § 13 7 VOB/B zu ersetzen sein (vgl. BGH NJW 2002, 141 f.; BGH NJW 1971, 99 ff.;). Dieser Schaden entsteht von vornherein neben dem Nachbesserungsanspruch, weshalb eine Fristsetzung nach § 13 Nr. 5 Abs. 2 VOB/B nicht Anspruchsvoraussetzung ist (BGH NJW 2002, 141 f.). Zu ersetzen sind die (Privat-) Gutachterkosten, soweit sie im Einzelfall erforderlich waren, um dem Bauherrn ein zuverlässiges Bild über die Mängel zu verschaffen und es ihm zu ermöglichen, seine diesbezüglichen Ansprüche richtig zu beurteilen (BGH NJW 1971, 99 ff.; Werner/Pastor, Der Bauprozess, 11. Auflage 2005, Rdnr. 159 ff.). Dabei kann der nicht sachkundige Auftraggeber unter Umständen sogar überhöhte Kosten der Untersuchungen durch den Sachverständigen – die objektiv nicht erforderlich waren – erstattet verlangen. Denn er muss sich grundsätzlich darauf verlassen können, dass der Sachverständige nur solche Untersuchungen durchführt, die zur zuverlässigen Beantwortung der anstehenden Fragen erforderlich sind (vgl. Ingenstau/Korbion, Kommentar zur VOB, 14. Auflage 2001, § 13 Nr. 7 VOB/B, Rdnr. 715).

c) Das Landgericht hat im vorliegenden Fall den geltend gemachten Anspruch auf Ersatz der Schadensermittlungskosten zu Unrecht verneint.

Das Landgericht hat darauf verwiesen, dass die Beklagte, die über ein eigenes Bauamt verfüge, sowohl die Planung der Kanalisationsarbeiten als auch die anschließende Durchführung ‑in eigener Zuständigkeit bzw. mit dem Streithelfer als Bauleiter erbracht habe. Es hätte nach Ansicht des Landgerichts unter Schadensminderungsgesichtspunkten (§ 254 BGB) nahe gelegen und wäre ausreichend gewesen, die der Beklagten vorliegenden Videobänder von einer fachkundigen Person wie dem Streithelfer auswerten zu lassen. Die Beklagte hat hierzu indessen ausgeführt, sie verfüge zwar über ein Bauamt, aber nicht über Mitarbeiter mit einer technischen Ausbildung. Deshalb sei sie gezwungen gewesen, fachkundige Personen – wie das Landgericht zutreffend feststelle – mit der Schadensermittlung zu beauftragen, was mit der Beauftragung der auf Kanalsanierungsarbeiten spezialisierten E. mit ihren Mitarbeitern Dipl.-Ing. St. und K. geschehen sei.

Angesichts der technisch durchaus schwierigen Materie liegt es auf der Hand, dass sich die Beklagte hier externer Fachleute bedienen musste, um sich ein Bild von Art und Ausmaß der Mängel zu verschaffen und diese in den vorliegenden Rechtsstreit einführen zu können.

d) Die Widerklageforderung ist auch der Höhe nach begründet.

Der von der E. abgerechnete Stundensatz von 120,- DM bzw. 60,- EUR ist gerichtsbekannt angemessen, jedenfalls nicht überhöht. Dies zeigen nicht zuletzt auch die Stundensätze des § 9 JVEG.

Die Beklagte hat unter Vorlage von Stundenlisten (Anlagen B 20 und B 21, nach Bl. 157 d.A.) und unter Abgrenzung zu anderen von der E. durchgeführten Aufträgen (Anlage B 22, nach Bl. 157 d.A.) dargetan, dass die Ingenieure der E. im Zeitraum vom 01.09.2001 bis 30.09.2002 insgesamt 182 Stunden und im Zeitraum zwischen dem 01.10.2002 und dem 31.01.2004 224,85 Stunden mit der Mangelermittlung und Auswertung befasst waren. Ob dieser Tätigkeitsumfang für die Schadensermittlung objektiv tatsächlich erforderlich war, was die Klägerin in Abrede stellt, kann nach dem oben Gesagten letztlich offen bleiben. Die Beklagte, die über eigene Sachkunde nicht verfügt, durfte sich darauf verlassen, dass die Ingenieure der E. nur die zur Schadensermittlung erforderlichen Untersuchungen durchführen würden.

e) Die Beklagte hat durch Vorlage eines Kontoauszuges nebst Buchungsaufstellung (Anlage B 26, Bl. 473-475 d.A.) bewiesen, dass sie einen Betrag von 12.667,20 EUR an die E. AG geleistet hat. Insoweit war die Klägerin zur Zahlung zu verurteilen. Der Anspruch auf Verzinsung dieses Betrages beruht auf § 291

Soweit die Beklagte ihrerseits noch nicht an die E. AG geleistet hat, war die Klägerin zur Freistellung zu verurteilen (§ 257 BGB), wobei die Verbindlichkeit, von der freizustellen ist, zur Klarstellung im Tenor näher bezeichnet wurde.

3. Die im Wege einer Anschlussberufung erhobene Eventualwiderklage auf Feststellung, dass die Klägerin nach Ausführung der Mängelbeseitigungsarbeiten die anfallende Mehrwertsteuer zu erstatten hat, ist bedingt für den Fall erhoben, dass die Aufrechnung gegen die Hauptforderung mit Schadenersatzansprüchen nur in Höhe eines Nettobetrages oder nur in Höhe eines Mehrwertsteuersatzes von 16 % für begründet erachtet wird. Beide Bedingungen sind nicht eingetreten.

III.

Der nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung noch eingegangene Schriftsatz der Klägerin vom 10.10.2007 bot keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. In rechtlicher Hinsicht ist allerdings darauf hinzuweisen, dass eine vorbehaltlose Abnahme nach § 640 Abs. 2 BGB a.F. – die VOB/B enthielt insoweit keine Sonderregelung – nicht zum Ausschluss des Rechts auf Schadenersatz führte. Ausgeschlossen waren vielmehr lediglich die Rechte aus §§ 633, 634 BGB.

IV.

Die Zulassung der Revision war nicht geboten. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung gemäß § 543 Abs. 2 ZPO. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung.

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

OLG München zur Frage der Fälligkeit des Werklohnanspruchs und der Teilabnahme bei Vertrag über die Lieferung und Erstellung eines Ausbauhauses

OLG München zur Frage der Fälligkeit des Werklohnanspruchs und der Teilabnahme bei Vertrag über die Lieferung und Erstellung eines Ausbauhauses

Enthält bei einem Vertrag über die Lieferung und Erstellung eines Ausbauhauses das Protokoll über die  „Schlussabnahme-Hausübergabe“ lediglich Feststellungen zur vertraglich geschuldeten Erstellung des Hauses selbst und nicht zur daneben vereinbarten – zum Zeitpunkt der Begehung noch nicht fertigstellten – Zusatzleistung „Technikpaket mit Betonkeller und Gas- und Brennwertheizung mit FBH inklusive Montage“, stellt sich die Unterzeichnung des Protokolls nur als Teilabnahme der Lieferung und der Errichtung des Ausbauhauses (ohne Zusatzleistungen) dar. (Rn. 20 – 25)

OLG München, Endurteil v. 15.01.2020 – 20 U 1051/19 Bau

Vorinstanz:
LG Landshut, Endurteil vom 08.02.2019 – 54 O 2698/17

Fundstellen:
ZfIR 2020, 154
BauR 2020, 1341
BeckRS 2020, 92
LSK 2020, 92
NJW-RR 2020, 594
NZBau 2020, 436

Tatbestand

I.

1
Die Parteien streiten um die Fälligkeit von Werklohnansprüchen der Klägerin und Gegenansprüche der Beklagten wegen behaupteter Mängel des Gewerks.

2
Die Parteien haben am 6. Juli/14. August 2014 einen von der Klägerin vorformulierten Vertrag über die Lieferung und Erstellung eines „m.-Ausbauhauses LifeStyle 1“ auf dem Grundstück der Beklagten mit den Zusatzleistungen „Elektropaket Keller inkl. Montage“, „Treppe Keller“ und „Technikpaket mit Betonkeller und Gas-Brennwertheizung mit FBH im EG + DG inkl. Montage“ zum Preis von € 159.680,00 geschlossen. Dieser Preis hat sich nach Vertragserweiterung um € 11.344,00 erhöht.

3
Nach Lieferung und Aufbau des Hauses durch die Klägerin wurde am 12. Februar 2016 ein „Schlussabnahme-Hausübergabe“-Protokoll (K 10) gefertigt. Die dort bezeichneten Mängel hat die Klägerin beseitigt.

4
Das von der Klägerin im Rahmen des vertraglich vereinbarten „Technikpakets mit Montage“ geschuldete Heizungs- und Sanitärpaket (vgl. Bau- und Leistungsbeschreibung Stand 06/2014, S. 23, S. 12, B 7) wurde durch Subunternehmer der Klägerin erbracht. Insoweit hat die Beklagte zu 2) am 18. Mai 2016 eine „Fertigstellungsmeldung“ (K 15) sowie ein „Druckprobenprotokoll“ (K 17) unterschrieben. In letzterem ist unter „Bemerkungen“ ausgeführt: „Sämtliche Wasser und Abwasseranschlüsse sowie Lüftungsauslässe und Heizungsverteiler wurden in Absprache mit Bauherren positioniert und montiert.“

5
Bei den montierten Heizungsverteilern handelt es sich um zwei Unterputzgeräte, die sowohl im Flur im Erdgeschoss als auch im Kinderzimmer im Dachgeschoss nicht in, sondern vor die Wand gesetzt wurden. Dies haben die Beklagten jedenfalls am 29. Juni 2016 telefonisch gegenüber der Klägerin moniert. Mit Rechtsanwaltsschreiben vom 6. September 2016 (B 3) haben die Beklagten die Klägerin unter Fristsetzung zum 20. September 2016 aufgefordert, die beiden Kästen samt Verrohrung unter Putz zu setzen. Nach fruchtlosem Fristablauf haben sie ein Zurückbehaltungsrecht in Höhe der doppelten Beseitigungskosten geltend gemacht (B 4, B 6). Die Klägerin hat diesbezüglich einen Mangel in Abrede gestellt (K 13).

6
Von der Forderung der Klägerin sind derzeit noch € 25.109,00 offen; eine Mahnung der Klägerin mit Fristsetzung zum 3. März 2017 (K 13) ist erfolglos geblieben. Die Beklagten haben zwischenzeitlich den Innenausbau fertiggestellt und das Haus bezogen.

7
Die Klägerin hat vor dem Landgericht behauptet, dass ein genauer Standort für die Heizkreisverteiler nicht vereinbart worden sei. Der Standort sei vor Ort festgelegt worden, wobei die Beklagten die Aufputzinstallation gewollt und die Ordnungsgemäßheit der Arbeit mit der „Fertigstellungsmeldung“ (K 15) bestätigt hätten. Sie hat die Auffassung vertreten, dass damit, jedenfalls aber durch die nachfolgende Herstellung des Innenausbaus durch die Beklagten, das Gewerk abgenommen worden sei.

8
Die Beklagten haben vorgebracht, dass die Heizkreisverteiler vertragswidrig gesetzt worden seien, die falsche Montage sei dem zuständigen Mitarbeiter der Klägerin sofort telefonisch gemeldet worden. Abgesehen vom optisch ungünstigen Eindruck schlage der auf Putz montierte Unterputzverteiler im Erdgeschoss an die Haustüre an. Zur Mängelbeseitigung seien € 12.554,50 erforderlich.

9
Auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils und die dort gestellten Anträge wird ergänzend Bezug genommen.

10
Mit Endurteil vom 8. Februar 2019 hat das Landgericht nach Vernehmung der Zeugen S., D. und J. die Beklagten zur Zahlung des Restwerklohns in der unstreitigen Höhe von € 25.109,00 nebst Zinsen verurteilt und das Bestehen des von den Beklagten geltend gemachten Zurückbehaltungsrechts verneint. Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass u.a. hinsichtlich der Montage der Unterputzkreisverteiler auf und nicht in den Wänden ein Mangel vorliege, ein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten allerdings daran scheitere, dass sie das Werk vorbehaltlos abgenommen hätten. Eine Abnahme könne bereits in der am 12. Februar 2016 erklärten Schlussabnahme gesehen werden. Auch wenn sich aus der „Fertigstellungsmeldung“ und dem „Druckprobenprotokoll“ keine Abnahme ergebe, sei zudem eine stillschweigende Abnahme anzunehmen. Denn die Beklagten hätten unstreitig nach Einbringung der Heizkreisverteiler den Innenausbau hergestellt, insbesondere den Estrich eingebracht. Offensichtlich sei die Positionierung der Heizkreisverteiler nicht schriftlich gerügt worden.

11
Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung erstreben die Beklagten die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils. Sie machen insbesondere geltend, dass eine stillschweigende Abnahme nicht angenommen werden könne. Das Landgericht habe nicht beachtet, dass, wie auch die Vernehmung des Zeugen D. ergeben habe, die Beklagten die Positionierung der Heizverteiler sofort gerügt hätten.

12
Die Beklagten beantragen zuletzt,

1.
Das Urteil des LG Landshut vom 8.02.2019, Az. 54 O 2698/17, wird aufgehoben.

2.
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin € 25.109,00 zu zahlen Zug um Zug gegen Versetzen der Heizkreisverteiler samt Verrohrung im Anwesen K. 12b in … G., gelegen im DG und EG, unter Putz.

Hilfsweise: Die Klage wird kostenpflichtig abgewiesen.

13
Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und beantragt,

Kostenpflichtige Zurückweisung der Berufung.

14
Sie macht geltend, dass das Landgericht fehlerhaft einen Mangel angenommen habe. Denn der Klagepartei habe es frei gestanden, die Verteiler dort zu positionieren, wo sie letztendlich auch montiert wurden. Zumindest hätte das Landgericht zu dieser Frage einen Sachverständigen hinzuziehen müssen. Ausweislich der am 12. Februar 2016 erklärten Schlussabnahme (K 10) sei das Werk abgenommen worden, jedenfalls stellten die „Fertigstellungsmeldung“ (K 15) und das „Druckprobenprotokoll“ (K 17) eine zulässige rechtsgeschäftliche Teilabnahme dar.

15
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze und auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 4. Dezember 2019 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.

16
Die zulässige Berufung der Beklagten hat im Hilfsantrag Erfolg. Das Urteil des Landgerichts war aufzuheben und die Klage als derzeit unbegründet abzuweisen.

17
Der Vertrag vom 6. Juli/14. August 2014 (K 1) über die Lieferung und Erstellung des Fertighauses auf dem Grundstück der Beklagten nebst Zusatzleistungen ist rechtlich als Werkvertrag einzuordnen. Denn die Klägerin hat nicht nur die Verpflichtung zur Übereignung von Fertigelementen übernommen, sondern auch die das Gesamtbild des Vertrags prägende Verpflichtung zur Herstellung bzw. Errichtung des Bauwerks (vgl. Palandt, BGB, § 650 Rn. 5 mwN).

18
Die unstreitig noch offene Werklohnforderung in Höhe von € 25.109,00 ist noch nicht fällig.

19
a) Eine Fälligkeit gemäß § 641 BGB ist wegen berechtigter Verweigerung der Abnahme des Gewerks „Heizung“ nicht gegeben.

20
aa) Abnahme ist die Anerkennung eines Werks als in der Hauptsache vertragsgemäße Leistung verbunden mit einer – soweit möglich – körperlichen Entgegennahme im Rahmen der Besitzübertragung (Palandt, BGB, § 640 Rn. 3 mwN). Soweit vertraglich vereinbart, ist auch eine Teilabnahme möglich, § 641 Abs. 1 Satz 2 BGB. Darüber hinaus steht es dem Besteller frei, solche Teile eines Werkes vor Fertigstellung des Gesamtwerkes abzunehmen, die sich bei natürlicher Betrachtungsweise abtrennen lassen und insoweit eine sinnvolle selbständige Einheit darstellen (MünchKom BGB, § 640 Rn. 23).

21
bb) Eine ausdrückliche Abnahme des Gewerks Heizung im vorstehenden Sinn hat nicht stattgefunden. Entgegen der Ansicht der Klägerin stellt weder die „Schlussabnahme – Hausübergabe“ (K 10), noch die „Fertigstellungsmeldung“ (K 15), noch das „Druckprobenprotokoll“ (K 17) eine Abnahme in Bezug auf die Positionierung der Heizkreisverteiler dar.

22
(1) Die „Schlussabnahme-Hausübergabe“ (K 10) vom 12. Februar 2016 bezog sich, wie sich aus dem Text dieses Protokolls ergibt, ausschließlich auf die vertraglich geschuldete Erstellung des Hauses selbst und nicht auf die daneben vereinbarten Zusatzleistungen. Zweck der gemeinsamen Begehung am 12. Februar 2016 war ausweislich des Protokolls (K 10) ausschließlich die „Abnahme des Hauses.“ Demgemäß haben die Besteller auch lediglich erklärt, dass „sich das Haus in einem sach- und fachgerechten Zustand befindet.“ Im Einklang hiermit wurde bei dieser Abnahme auch nur das Haus von außen (Dacheindeckung, Dachrinne, äußere Holzteile, Fenster, Türen, Wände) und von innen (Wände, Sauberkeit, Dachstuhl) geprüft.

23
Die daneben vertraglich geschuldeten Zusatzleistungen in Gestalt jedenfalls des „Technikpakets mit Betonkeller und Gas- und Brennwertheizung mit FBH im EG und DG inkl. Montage“ wurden ausweislich des Protokolls im Termin vom 12. Februar 2016 weder thematisiert noch geprüft, und auch – sofern mit der Erbringung der Zusatzleistungen überhaupt schon begonnen worden war – erst im Mai 2016 fertiggestellt.

24
Die Unterzeichnung des Protokolls (K 10) stellt sich deshalb nur als Teilabnahme, d.h. als Billigung lediglich eines Teils der Leistung, nämlich der Lieferung und der Errichtung des Ausbauhauses, als vertragsgemäße Leistung dar und beinhaltete ersichtlich nicht auch die Billigung der vereinbarten, noch nicht erbrachten Zusatzleistungen. Insoweit war aus der Sicht beider Vertragspartner auch noch keine Abnahmesituation gegeben.

25
Soweit die Klägerin meint, mit der Teilabnahme vom 12. Februar 2016 hätten die Beklagten die Abnahme sämtlicher, insbesondere auch der noch nicht erbrachten oder fertiggestellten Leistungen erklärt, geht dies fehl. Denn die Erklärung der Beklagten bezog sich ausweislich des Protokolls (K 10) nur auf bestimmte, genau bezeichnete Komponenten des Hauses bzw. insgesamt auf die Ordnungsgemäßheit von dessen Errichtung. Eine ausdrückliche Abnahme von anderen, im Anschluss an die Errichtung des Hauses zu erbringenden Leistungen war hiermit ersichtlich nicht verbunden.

26
Aus dem von der Klägerin zitierten Urteil des Oberlandesgerichts München (9 U 2533/11, NJW 2012, 397 ff.) ergibt sich nichts anderes. Vielmehr ist der dortige Sachverhalt mit dem hiesigen nicht vergleichbar. Denn anders als hier haben die Besteller in dem zitierten Verfahren in Kenntnis und unter Auflistung der fehlenden Leistungen und der Mängel ausdrücklich die Abnahme des gesamten Vertragsgegenstands erklärt. Derartiges ist – wie vorstehend ausgeführt – vorliegend jedoch nicht geschehen.

27
(2) Die „Fertigstellungsbescheinigung“ (K 15) lässt bereits keinen Willen der Beklagten erkennen, das Werk als vertragsgemäß zu billigen. Im Übrigen unterscheidet auch das von der Klägerin verwendete Vertragsformular (K 1) in § 7 Nr. 1 Satz 5 zwischen der schriftlichen Mitteilung über die Fertigstellung und der Abnahme, woraus erhellt, dass auch die Klägerin einer Fertigstellungsbescheinigung keine Abnahmewirkung beimisst.

28
(3) Soweit im „Druckprobenprotokoll“ (K 17) vermerkt ist, dass die Heizverteiler „in Absprache“ mit den Bauherrn positioniert worden seien, beinhaltet dies ebenfalls keine Billigung des Werks als vertragsgemäß durch die Beklagten. Denn die Positionierung erfolgte nach Angaben des Handwerkers, des Zeugen S., hier deshalb wie geschehen, weil Elektroleitungen und Wände eine andere Positionierung nicht zuließen (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2018, S. 2 f., Bl. 64 f.). Erklären sich die Besteller in einer solchen Situation zunächst mit der Montage einverstanden, liegt darin ersichtlich noch nicht die Billigung des Werks als vertragsgemäß.

29
cc) Auch eine stillschweigende Abnahme des Gewerks scheidet aus.

30
Die Beklagten haben unstreitig zeitnah Mängelrüge wegen der Positionierung der Heizverteiler erhoben. Die Klägerin ist der Darstellung der Beklagten, sie hätten die Positionierung der Heizverteiler sofort telefonisch bei der Klägerin moniert, nicht entgegengetreten.

31
Dem Weiterbau durch die Beklagten kann kein Erklärungswert beigemessen werden (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2019, VII ZR 274/17, BeckRS 2019, 3733 Rn. 31).

32
dd) Die Beklagten haben die Abnahme mit Recht verweigert, da die Positionierung der Heizkreisverteiler mangelhaft ist, § 633 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist auch ohne besondere Sachkunde für jedermann offensichtlich, dass die Anbringung der von der Klägerin als geschuldet gelieferten Unterputzverteiler auf Putz weder üblich ist noch von den Bestellern erwartet werden kann.

33
Ihre Behauptung, die Beklagten hätten die Aufputzmontage ausdrücklich gewollt, konnte die Klägerin nicht nachweisen. Der Zeuge S. hat Derartiges nicht bestätigt (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. Juni 2018, S. 3, Bl. 65).

34
Angesichts der nicht nur optischen Beeinträchtigung durch die fehlerhafte Positionierung der Heizverteiler, sondern des durch Lichtbilder (B 2) nachgewiesenen Umstands, dass der auf Putz montierte Heizverteiler im Eingangsbereich im Erdgeschoss das Öffnen der Haustüre behindert, liegt kein nur unwesentlicher Mangel vor.

35
b) Dass die Werklohnforderung wegen einer wirksamen Vereinbarung der Parteien unabhängig von einer Abnahme fällig geworden wäre, hat die Klägerin schon nicht behauptet.

36
Solches ergibt sich auch nicht aus dem vorgelegten Werkvertrag (K 1). Zwar enthält § 3 Ziffer 1 dieses Vertrages Regelungen zum Fälligwerden bestimmter Prozentsätze des Werklohns abhängig vom Stadium der Leistungserbringung. Allerdings verweist dieser Vertragspunkt gleichzeitig auf die Abnahme durch den Bauherrn und „die nach Abnahme fällige Zahlung“, so dass die im Zahlungsplan geregelten Fälligkeiten ersichtlich erst nach erfolgter Abnahme eingreifen. Jedenfalls aber gehen Unklarheiten zu Lasten des Verwenders.

37
c) Ein Fall einer Fälligkeit der Werklohnforderung ohne Abnahme ist nicht gegeben. Vielmehr begehren die Beklagten nach wie vor die Erfüllung des Vertrags durch die Klägerin, so dass zwischen den Parteien (noch) kein bloßes Abrechnungsverhältnis entstanden ist (vgl. Palandt, BGB, § 634 Rn. 6).

III.

38
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

39
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

40
Der Streitwert entspricht dem Wert des Interesses der Berufungsführer.

OVG Hamburg: Überlassung eines Grundstücks durch den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags, der an die Bedingung geknüpft ist, den Bau und die Trägerschaft einer Kindertagesstätte zu übernehmen, kann eine Maßnahme der Jugendhilfe darstellen

OVG Hamburg: Überlassung eines Grundstücks durch den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags, der an die Bedingung geknüpft ist, den Bau und die Trägerschaft einer Kindertagesstätte zu übernehmen, kann eine Maßnahme der Jugendhilfe darstellen

vorgestellt von Thomas Ax

1. Die Überlassung eines Grundstücks durch den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags, der an die Bedingung geknüpft ist, den Bau und die Trägerschaft einer Kindertagesstätte zu übernehmen, kann eine Maßnahme der Jugendhilfe darstellen.
2. Ein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe kann im Einzelfall einen Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses eines Erbbaurechtsvertrags durch einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit einer Eigengesellschaft dieses Trägers geltend machen, wenn er selbst auf dem streitgegenständlichen Grundstück eine geeignete Einrichtung zu errichten und zu betreiben in der Lage ist.
3. Ist dem Abschluss eines mit der Bereitschaft zum Bau und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags ein „Auswahlverfahren“ vorgeschaltet, an dem sich mehrere anerkannte Träger der freien Jugendhilfe beteiligt haben, so besteht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein Anspruch auf Unterlassen des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit einem Dritten nur dann, wenn der Antragsteller zudem glaubhaft machen kann, dass seine Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint.
OVG Hamburg, Beschluss vom 09.05.2023 – 4 Bs 157/22
vorhergehend:
VG Hamburg, 11.10.2022 – 20 E 1200/22

Zum Sachverhalt

Die Ast. begehrte im Wege der Beschwerde vorläufigen Rechtsschutz gegen den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags zwischen der Ag. und der Beigel. oder Dritten.

Die Ast. ist eine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe und betreibt, ebenso wie die Beigel., in Hamburg unter anderem mehrere Kindertagesstätten. Die Beigel. verfügt nicht über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII, sie ist in der Form einer gGmbH organisiert und die Ag. ist ihre alleinige Gesellschafterin. Laut Gesellschaftsvertrag bestimmt der Senat der Ag. sechs von neun Mitgliedern des Aufsichtsrats. Die Ag. ist örtliche und überörtliche Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe nach § 69 I SGB VIII iVm § 1 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe vom 25.6.1997, HmbGVBl 1997, 273 (AGSGB VIII).

Die Ag. stellte in einer Bedarfsanalyse fest, dass in dem Stadtteil ### eine unzureichende Versorgung mit Kindertagesstätten-Plätzen besteht. Sie forderte daraufhin in einer als „Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO“ bezeichneten Mitteilung unter dem Aktenzeichen ÖB 008/2021/FS 34 interessierte Bewerber auf, bis zum 31.8.2021 eine Interessenbekundung zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags für das Grundstück G. einschließlich der Bereitschaft zum Bau und zur Trägerschaft einer Kindertagesstätte abzugeben.

Beabsichtigt ist, dass die Ag. zu einem jährlichen Erbbauzins iHv 7.960 EUR mit dem erfolgreichen Bewerber einen Erbbaurechtsvertrag abschließt. Das Auswahlverfahren ist in den Punkten 4 bis 8 der Mitteilung näher ausgeführt und setzt unter anderem die Vorlage eines Trägerkonzepts, eines Finanzierungsnachweises sowie das Ausfüllen eines Bewerbungsformulars voraus. Zudem wird festgelegt, dass die Ausführungen in dem Bewerbungsformular mit Punkten bewertet werden und der Erbbaurechtsvertrag mit dem Bewerber mit den meisten Punkten abgeschlossen wird, bei Punktgleichstand mehrerer Bewerber entscheidet das Los. Das Ausschreibungsverfahren sieht weiter vor, dass, sofern mit dem bestbewerteten Bewerber kein Erbbaurechtsvertrag geschlossen wird, der Nächstplatzierte im Bewerbungsverfahren nachrückt. Die Ast. bewarb sich ebenso wie die Beigel. und weitere Bewerber (insgesamt zwölf Bewerbungen erfüllten die Zugangsvoraussetzungen) um den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags.

Mit Mitteilung vom 1.3.2022 teilte die Ag. der Ast. mit, dass deren Bewerbung nicht die höchste Punktzahl erreicht habe und die Auswahlentscheidung auf einen anderen Bewerber gefallen sei. Hiergegen erhob die Ast. am 3.3.2022 Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist. Ausgewählt wurde das Angebot der Beigel., welches den Höchstwert von 83 von 100 möglichen Punkten erhielt. Das Angebot der Ast. erhielt ausweislich der Bewertungsergebnisse der „Bewertungskonferenz IBV G.“ im Februar 2022 78 Punkte, ebenso wie das Angebot des „KJSH (Verbund für Kinder- Jugend- und Soziale Hilfen“), das Angebot der „Küstenkinder“ erhielt ebenso wie das von „Pedia“ 80 Punkte. Das Angebot von „Wabe“ (Wohnen arbeiten betreuen entwickeln) erhielt 83 Punkte. Das Angebot der Ast. war demnach das gemeinsam mit dem Angebot des KJSH fünftplatzierte Angebot.

Am 14.3.2022 hat die Ast. beim VG um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Sie sei als Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 4 II SGB VIII vorrangig gegenüber der Beigel., die Teil der öffentlichen Jugendhilfe sei, auszuwählen. Zudem liege eine Verletzung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs aus den Art. 12I, Art. 3 I GG vor, weil ihre Bewerbung inhaltlich besser sei als diejenige der Beigel. und sie daher hätte ausgewählt werden müssen.

Das VG Hamburg (Beschl. v. 11.10.2022 – 20 E 1200/22) hat den Antrag abgelehnt. Die Beschwerde der Ast. hatte Erfolg. Der Beschluss des VG Hamburg wurde geändert; der Ag. wurde im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, auf Grundlage des Interessenbekundungsverfahrens mit der Beigel. oder einem Dritten einen Erbbaurechtsvertrag betreffend das betroffene Flurstück abzuschließen und/oder dieses Flurstück der Beigel. oder einem Dritten anderweitig für die Planung, die Errichtung und/oder den Betrieb einer Kindertagesstätte zu überlassen, bis über die Bewerbung der Ast. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.

Aus den Gründen

(…)

Die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe erschüttern die tragenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses des VG (hierzu unter 1); nach der daraus folgenden, nicht mehr gem. § 146 IV VwGO beschränkten Prüfung durch das BeschwGer. ist die Entscheidung zu ändern (hierzu unter 2).

1. Die Ag. hat mit ihrer Beschwerdebegründung, auf die gem. § 146 IV 3 und 6 VwGO abzustellen ist, die Richtigkeit der entscheidungstragenden Erwägungen des VG erschüttert.

Dieses hat ausgeführt, dass sich der streitgegenständliche Anspruch vorliegend nicht aus § 4 II SGB VIII ergeben könne, weil es um die Schaffung einer neuen Einrichtung gehe, um den bestehenden Bedarf an Einrichtungen der Jugendhilfe überhaupt erst decken zu können und weil das Interessenbekundungsverfahren nur der Anbahnung einer Jugendhilfeleistung diene. Daher sei das Subsidiaritätsgebot aus § 4 II SGB VIII vorliegend nicht tangiert.

Diese tragende Erwägung hat die Ast. vorliegend mit ihren Ausführungen ernsthaft in Zweifel gezogen, weil bereits der Gesetzestext des § 4 II SGB VIII ausdrücklich darauf abstellt, dass die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Leistungen absehen soll, wenn geeignete Dienste, Einrichtungen oder Veranstaltungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können und somit ausdrücklich auch, wie vorliegend, erst künftig zu schaffende Einrichtungen in den Blick nimmt. Zudem ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt, dass das als Interessenbekundungsverfahren zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags mit der gleichzeitigen Verpflichtung zur Errichtung und der Übernahme der Trägerschaft für eine Kindertagesstätte bezeichnete Verfahren kein (bloßes) Interessenbekundungsverfahren ist, sondern bereits ein Auswahlverfahren darstellt, dessen Gewinner die ausgeschriebene Leistung, hier den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags und die Errichtung einer Kindertagesstätte mit 120 Plätzen, erhält (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

2. Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das BeschwGer. führt zu einer Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Nach dem wohlverstandenen Interesse der Ast. ist ihr Antrag gem. §§ 88122 I VwGO dahingehend auszulegen, dass sie auch die erneute Entscheidung über ihre Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt. Denn die bloße Untersagung der Überlassung des Grundstücks an die Beigel. oder einen Dritten ohne eine erneute Auswahlentscheidung der Ag., bei der die Auswahl der Ast. zumindest möglich ist, dürfte von ihr unter Berücksichtigung ihrer Ausführungen im Schriftsatz vom 10.11.2022 nicht begehrt werden und ein Rechtsschutzbedürfnis dürfte insoweit auch nicht bestehen (s. unten).

Der so verstandene Antrag hat Erfolg. Nach § 123 I 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Ast. vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 III VwGO iVm § 920 II, § 294 ZPO hat die Ast. glaubhaft zu machen, dass ihr der streitige Anspruch in der Hauptsache zusteht (sog. Anordnungsanspruch) und dessen vorläufige Sicherung nötig erscheint (sog. Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

a) Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es der Ast. unter Berücksichtigung ihrer Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dies ist vorliegend der Fall, weil durch den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. oder einem Dritten bereits ein endgültiger Zustand eintreten und der Ast. die Übernahme der Kitaträgerschaft am beabsichtigten Standort unmöglich gemacht würde (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; 17.3.2008 – 4 Bs 214/07, BeckRS 2008, 149104; vgl. auch VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Rn. 2?ff.; allg. zu einem Anordnungsgrund im Vorfeld des Abschlusses eines öffentlich-rechtlichen Vertrags mit einem Dritten OVG Berlin-Brandenburg NVwZ-RR 2011, 293 Rn. 8). Anders als in der Konstellation, die der Entscheidung des Senats im Verfahren 4 Bs 286/21 zugrunde lag, ist ein Anordnungsgrund vorliegend auch im Hinblick auf die Untersagung einer Zurverfügungstellung des Grundstücks an Dritte gegeben, da aus den nachfolgend genannten Gründen eine Vergabe des Grundstücks an die Beigel. im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes rechtlichen Bedenken begegnet und nach der Ausschreibung dann, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit dem ausgewählten Bewerber nicht abgeschlossen werden kann, der Nächstplatzierte nachrücken soll und somit konkrete Anhaltspunkte für eine Vergabe an die im Auswahlverfahren besser platzierten Bewerber als die Ast. bestehen.

b) Die Ast. hat vorliegend glaubhaft gemacht, dass ihr aus § 4 II SGB VIII ein Abwehrrecht und somit ein Anordnungsanspruch gegen eine Überlassung des Grundstücks an die Beigel. zur Errichtung einer Kindertagesstätte zukommt (hierzu unter aa) und dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint (hierzu unter bb).

aa) Ein Anordnungsanspruch folgt vorliegend nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angezeigten summarischen Prüfung aus § 4 II SGB VIII. Die Vorschrift des § 4 II SGB VIII findet vorliegend Anwendung, da sie ein tragendes Strukturprinzip der Jugendhilfe normiert, das in allen Handlungsfeldern der Jugendhilfe anzuwenden ist, unabhängig davon, ob auch die weiteren Vorschriften des SGB VIII, etwa § 74 SGB VIII, Anwendung finden oder der Vorrang des Landesrechts nach § 74a SGB VIII greift. Denn das Landesrecht vermag die Strukturprinzipien des bundesgesetzlich geregelten Jugendhilferechts nicht abzubedingen (vgl. BVerwGE 135, 150 = NVwZ-RR 2010, 148; OVG Münster 12.1.2021 – 21 A 3824/18BeckRS 2021, 190 Rn. 52; jurisPK-SGB VIII/Luthe, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 7). Der Anwendung des in § 4 II SGB VIII normierten bedingten Vorrangs der freien Träger der Jugendhilfe steht auch vorliegend, anders als durch das VG ausgeführt, nicht entgegen, dass das als „Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO“ bezeichnete Verfahren nur der Erforschung der Marktsituation dienen würde und noch keine Jugendhilfe im Sinne des SGB VIII darstelle. Vielmehr handelt es sich bei dem vorliegenden Verfahren gerade nicht um ein „bloßes“ Interessenbekundungsverfahren, sondern um das eigentliche Auswahlverfahren zum Abschluss eines untrennbar mit der Errichtung und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

19Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften erfüllt sein (hierzu unter aaa) und in der Rechtsfolge der Ast. ein Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. zukommen (hierzu unter bbb).

aaa) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften vorliegend erfüllt sein. § 4 II SGB VIII lautet:

„Soweit geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden oder rechtzeitig geschaffen werden können, soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen.“

Die Ast. ist unstreitig eine anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 75 I, II SGB VIII. Bei der zu errichtenden Kindertagesstätte handelt es sich zudem um eine Einrichtung iSd § 4 II SGB VIII. Unter dem Begriff der Einrichtungen versteht man die Erfüllung von Aufgaben unter Einsatz besonderer Sachmittel, insbesondere Gebäude, sächliche Ausstattung sowie personeller Mittel, dies umfasst unter anderem die Errichtung einer Kindertagesstätte (vgl. nur LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer, 8. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 38).

Die durch die Ast. geplante Kindertagesstätte dürfte zudem eine geeignete Einrichtung sein, die rechtzeitig geschaffen werden kann. Dass das Projekt der Ast. eine längere Realisierungsdauer hätte als die Projekte der Mitbewerber, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, so dass die Einrichtung durch die Ast. „rechtzeitig“ iSd § 4 II SGB VIII geschaffen werden kann. Geeignet nach dieser Vorschrift ist eine Einrichtung dann, wenn sie sowohl fachlichen (Mindest-)Standards als auch den Wünschen und Bedürfnissen der potenziellen Nutzer entspricht (vgl. Wiesner/Wapler/Wapler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 22; LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 4 Rn. 40; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (447 mwN). Die Ast. erfüllt als Trägerin mehrerer Kindertagesstätten in Hamburg die geltenden und über den Abschluss entsprechender Vereinbarungen nach § 15 KibeG abgesicherten fachlichen Standards. Sie hat in ihrer Bewerbung für den Standort G., in der unter anderem Ausführungen zu der Nachfrage von Plätzen durch die Bewohner der nahegelegen Wohnunterkunft und somit nach den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer sowie die Partizipation von Eltern und Kindern zu machen waren, 78 von 100 Punkten erreicht und nur fünf Punkte weniger als die ausgewählte Bewerberin. Dass die durch die Ast. geplante Einrichtung nicht geeignet wäre, die künftigen Interessen der Nutzer abzubilden, ist daher nicht ersichtlich.

bbb) Die Ast. dürfte vorliegend einen Anspruch auf Unterlassung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. gegen die Ag. herleiten können. § 4 II SGB VIII kann Trägern der freien Jugendhilfe, die über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII verfügen, bei Vorliegen seiner tatbestandlichen Voraussetzungen ein subjektives Abwehrrecht gegen ein Tätigwerden des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe vermitteln, sofern dieser gegen das dann aus der Norm folgende bedingte Subsidiaritätsgebot verstößt (vgl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 68 ff. unter Bezugnahme auf BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII sind vorliegend wie zuvor dargestellt erfüllt, zudem sind die Voraussetzungen des „bedingten“ Vorrangs des Trägers der freien Jugendhilfe – also der Ast. – gegeben.

Nach § 4 II SGB VIII „soll“ der Träger der öffentlichen Jugendhilfe unter anderem von eigenen Maßnahmen absehen, wenn geeignete Einrichtungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können. Anders als die Vorgängervorschrift des § 5 III 2 JWG, die vorsah, dass von eigenen Maßnahmen abzusehen „ist“, hat sich der Gesetzgeber bei Normierung des § 4 II SGB VIII ausdrücklich für den „bedingten“ Vorrang der freien Träger der Jugendhilfe entschieden, dies allerdings unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen Vorgaben des BVerfG im oben genannten Urteil vom 18.7.1967. Danach ist der „bedingte“ Vorrang der anerkannten Träger der freien Jugendhilfe dergestalt zu verstehen, dass das Jugendamt nur dann selbst Einrichtungen schaffen und Veranstaltungen vorsehen soll, wenn seine Anregungen und Förderungsmaßnahmen bei den Trägern der freien Jugendhilfe nicht zum Ziel führen, etwa weil der freie Träger keine angemessene Eigenleistung aufbringen kann. Ein Vorrang der Träger der freien Jugendhilfe umfasst beispielsweise auch nicht das Gebot für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, bestehende Angebote zugunsten der Träger der freien Jugendhilfe zu schließen, vielmehr soll ein sinnvoller Einsatz privater und öffentlicher wirtschaftlicher Mittel gewährleistet werden (vgl. BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795).

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so besteht ein gerichtlich durchsetzbarer Unterlassungsanspruch des anerkannten Trägers der freien Jugendhilfe gegen den Träger der örtlichen Jugendhilfe dann, wenn ein konkretes „Konkurrenzverhältnis“ besteht (vgl. grdl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 81 mwN; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (449)).

So liegt es hier. Die Überlassung des streitgegenständlichen Grundstücks zur Errichtung einer Kindertagesstätte durch die Ag. an die Beigel. ist eine „eigene“ Maßnahme iSd § 4 II SGB VIII. Die Beigel. ist zwar privatrechtlich organisiert, sie dürfte aber der Ast. als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe zuzurechnen sein (vgl. zur Abgrenzung von öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21 Rn. 84?ff.; vgl. hierzu auch OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05; 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172; BeckOGK/Janda, 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 11; jurisPK-SGB VIII/Trésoret, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 75 Rn. 37). Die Beigel. ist keine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe. Sie dürfte auch nicht zu den freien Trägern der Jugendhilfe gehören. Das SGB VIII sieht eine Definition des freien Trägers der Jugendhilfe nicht vor. Aus den Vorschriften lässt sich aber ableiten, dass grundsätzlich als Träger der freien Jugendhilfe jede Personengruppe, Initiative und Personenvereinigung sowie jede juristische Person in Betracht kommt, die auf dem Gebiet der Jugendhilfe ohne gesetzliche Verpflichtung aufgrund eigener freier Entscheidung tätig wird (vgl. LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 3 Rn. 16; BeckOK SozR/Winkler, 68. Ed. 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 1). Dies dürfte vorliegend bei der Beigel. nicht gegeben sein, da sie nicht aufgrund eigener freier Entscheidung Leistungen der Jugendhilfe erbringt, sondern sich die Ag. ihrer bedient, um ihre gesetzlichen Verpflichtungen unter anderem aus § 79 SGB VIII zu erfüllen. Denn die Beigel. ist als Eigenbetrieb der Ag. in Form einer gGmbH organisiert. Alleinige Gesellschafterin der Beigel. ist die Ag., diese hat auch das gesamte Stammkapital in Form einer Stammeinlage iHv 35 Mio. EUR übernommen. Gemäß § 7 des Gesellschaftsvertrags besteht der Aufsichtsrat aus neun Personen, von denen sechs durch den Senat der Ag. bestimmt werden und die unter anderem über die Ein- und Abberufung der Geschäftsführer bestimmen und deren Tätigkeit überwachen. Zudem unterliegen gem. § 8 des Gesellschaftsvertrags eine Vielzahl von Geschäften, unter anderem auch der Abschluss von bestimmten Miet- und Pachtverträgen, der Zustimmungspflicht des Aufsichtsrates und kann nach § 16 des Gesellschaftsvertrags die zuständige Behörde der Ag. die Recht- und Zweckmäßigkeit des „Geschäftsgebarens“ der Beigel. überprüfen. Allein dadurch, dass ein öffentlicher Träger der Jugendhilfe durch eine privatrechtlich organisierte Eigengesellschaft tätig wird, kann diese aber nicht zum freien Träger im Sinne des SGB VIII werden, sofern die wesentlichen Entscheidungen für die Einrichtung bei dem öffentlichen Träger verbleiben und sie diese über ihre Stellung als maßgebliche Gesellschafterin herbeiführen kann, wovon nach den vorherigen Ausführungen in Bezug auf die Beigel. auszugehen ist (vgl. OVG Weimar 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172 Ls. 1 u. Rn. 18; OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05 Rn. 54).

Es liegt auch ein konkretes Konkurrenzverhältnis vor, da nach den Bedingungen des Auswahlverfahrens der Abschluss des Erbbaurechtsvertrags untrennbar mit der Übernahme der Trägerschaft für die Kindertagesstätte verbunden ist. Es sind zudem keine Besonderheiten des Einzelfalls erkennbar, warum vorliegend die Kindertagesstätte am G. durch eine eigene Maßnahme der Ag. erschaffen werden müsste. Hiergegen spricht schon die Durchführung des „Interessenbekundungsverfahrens“ unter grundsätzlich gleichrangiger Beteiligung der freien Träger der Jugendhilfe. Nach den Planungen der Ag. besteht ein grundsätzlicher Bedarf für die Errichtung einer neuen Kindertagesstätte, weil im Stadtteil ### das bestehende Angebot nicht ausreichend ist und soweit ersichtlich auch nicht durch die Ausweitung bestehender Einrichtungen mit weniger wirtschaftlichem Aufwand gedeckt werden kann. Nach den im Auswahlverfahren eingereichten Finanzierungsplänen sollen die Kosten für den Bau der Kindertagesstätte durch den jeweiligen Träger aufgewendet werden, so dass ebenfalls nicht ersichtlich ist, dass die Durchführung der Maßnahme durch einen Träger der freien Jugendhilfe für den öffentlichen Träger wirtschaftlich belastender wäre als eine eigene Maßnahme. Wie oben dargestellt, ist auch nicht ersichtlich, dass das Angebot der Ast. den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer nicht genügen würde oder ein anderer Grund vorliegen würde, ausnahmsweise von einem Vorrang der öffentlichen Jugendhilfe im streitgegenständlichen Fall auszugehen. Die Pluralität des Angebots würde schließlich weder durch die Errichtung einer weiteren Einrichtung der Beigel. noch der Ast. erhöht, da beide bereits eine Vielzahl von Einrichtungen im Stadtgebiet betreiben.

bb) Die Ast. hat auch glaubhaft gemacht, dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint. Dies ist vorliegend erforderlich, weil trotz der Verletzung des bedingten Vorrangs der Maßnahmen der freien Träger der Jugendhilfe aus § 4 II SGB VIII ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Untersagung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. oder einen Dritten und mithin auch ein sicherungsfähiger Anspruch iSd § 123 VwGO nur dann besteht, wenn die Auswahl der Ast. selbst zumindest möglich erscheint (offen gelassen in OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; vgl. zu einem entsprechenden Erfordernis für den Rechtsschutz im Vergabeverfahren nach dem GWB Burgi/Dreher/Opitz/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160 Rn. 33; OLG Celle 12.10.2021 Rn. 78 mwN; zum beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch vgl. nur BVerfG NJW 2016, 309 Rn. 19 mwN).

Vorliegend hat das Angebot der Ast. 78 Punkte erhalten, dasjenige der „Küstenkinder“ und von „pedia“ jeweils 80 Punkte. Eines dieser Angebote würde gemäß den Verfahrensbedingungen nach Durchführung eines Losverfahrens nachrücken, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit der Beigel. aus den zuvor dargestellten Gründen nicht abgeschlossen werden kann. Ein sicherungsfähiger Anspruch liegt daher vorliegend nur vor, wenn die Ast. zusätzlich glaubhaft machen kann, dass ihre Bewerbung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglicherweise besser bewertet werden müsste als das Angebot der „Küstenkinder“ sowie von „pedia“, wobei der Senat mangels gegenteiliger Anhaltspunkte unterstellt, dass beide Träger anerkannte Träger der freien Jugendhilfe iSd § 75 SGB VIII sind.

Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt, denn die Ast. hat glaubhaft gemacht, dass die Vergabe von nicht mehr als 78 von 100 möglichen Punkten im streitgegenständlichen Auswahlverfahren sie dadurch in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 12 I, Art. 3 I, Art. 19 III GG verletzt und eine auf sie fallende Auswahlentscheidung bei fehlerfreier erneuter Durchführung des Verfahrens möglich erscheint, dass die Vergabe von fünf von zehn möglichen Punkten bei der Beantwortung der Frage zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Berücksichtigung der besonderen Bedarfe der Eltern und Kinder aus der nagelegengen Wohnunterkunft nicht sachlich nachvollziehbar und unter Verstoß gegen Art. 3 I GG ergangen ist.

Bemühen sich mehrere freie Träger um die Durchführung von Jugendhilfemaßnahmen, so steht ihnen auf der Grundlage der aus Art. 12 I GG abzuleitenden Wettbewerbsfreiheit ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung und chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren zu (vgl. VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Ls. 1 u. Rn. 18 mwN; OVG Hamburg, 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110). Dieser Anspruch beinhaltet zumindest einen aus Art. 3 I GG folgenden Gleichbehandlungsanspruch des Inhalts, dass die Bewertung der Bewerbungen der verschiedenen Anbieter anhand der gleichen Beurteilungsmaßstäbe in einem transparenten und fairen Verfahren vorgenommen wird (vgl. OVG Lüneburg NVwZ 2019, 656 Rn. 23 = NordÖR 2019, 86 zu einem Anspruch auf eine Auswahlentscheidung unter Wahrung der Anforderungen des Art. 3 I GG).

Dabei obliegt es dem Gericht nicht, die Vergabe der einzelnen Punkte inhaltlich zu bewerten und ein Angebot als besser oder schlechter zu beurteilen. Die am Maßstab des Art. 3 I GG ausgerichtete gerichtliche Kontrolle umfasst aber, ähnlich dem beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch, zumindest die Überprüfung, ob der Sachverhalt von der Ag. unvollständig oder unzutreffend erfasst worden ist, sie selbst aufgestellte Beurteilungsvorgaben nicht beachtet hat oder sachwidrige oder gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßende Erwägungen angestellt hat und ihre Wertung hierdurch fehlerhaft geworden ist (vgl. VG Hamburg 5.5.2021 – 2 S 417/21).

Das durch die Ag. zur Erfüllung ihrer Gesamtverantwortung aus § 79 I SGB VIII für die Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII gewählte „Interessenbekundungsverfahren“ mit den einzelnen in den Bewerbungsunterlagen abgefragten Kriterien dürfte dabei nach summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht gegen die Prinzipien des chancengleichen und transparenten Verfahrens verstoßen. Die Auswahlkriterien sind zudem an den gesetzlichen Anforderungen der §§ 22?ff. SGB VIII zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen ausgerichtet und begegnen keinen durchgreifenden Bedenken (vgl. bereits OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

Es erscheint aber zumindest möglich, dass die Bewerbung der Ast. bei der Beantwortung der Frage

„Bitte machen sie konkrete Ausführungen zur Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Hinblick auf zB Randzeitenbetreuung, einem Wechsel der Leistungsart, Bring- und Holzeiten etc. Bitte machen Sie konkrete konzeptionelle Ausführungen in welchem Umfang Fünf-Stunden-Plätze angeboten werden sollen, auch in Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften (zehn Punkte)“

unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz fehlerhaft nur mit fünf Punkten bewertet wurde, weil diese Bewertung sachlich nicht nachvollziehbar ist und die Vergleichbarkeit der angewendeten Beurteilungsmaßstäbe an unterschiedliche Bewerbungen nicht erkennen lässt. Die Ast. hat im Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften ausgeführt:

„Alle Kinder aus den nahe gelegenen Wohnunterkünften sind uns willkommen – Sternipark unterscheidet Kinder nicht nach Herkunft, Religion oder sonstigen Weltanschauungen. Ein Fokus muss darauf liegen, auch und gerade für diese Kinder einen guten Start ins deutsche Bildungssystem sicherzustellen. Da Sternipark mit 13 Kitas und 18 Sprachfachkräften am Bundesprogramm „Sprachkita“ partizipiert und hier über ein breites Erfahrungswissen verfügt, kann dieses zugunsten geflüchteter Kinder oder von Kindern mit Migrationshintergrund eingesetzt werden.“

Hierfür hat sie fünf von zehn Punkten erhalten. In der Mitteilung darüber, dass die Ast. nicht ausgewählt worden sei, hat die Ag. dargestellt, dass die Ausführungen eine „ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vermissen“ ließen. Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem VG hat die Ag. ihre Ausführungen dahingehend ergänzt, das die Ast. nicht ausführlich beschreibe, wie sie dem voraussichtlich erhöhten Bedarf an Fünf-Stunden-Plätzen aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft zu entsprechen beabsichtige.

Die Beigel. hat ausweislich der Sachakte in ihrer Bewerbung zur Beantwortung dieser Frage ausgeführt:

„Zugleich müssen wir zugunsten einer tragfähigen Personalausstattung und somit einer guten pädagogischen Arbeit den Anteil der Fünf-Stunden-Plätze in unseren Kitas auch begrenzen. Unser Betreuungsangebot ist entsprechend heterogen. Unsere Flexibilität bietet den Familien eine große Sicherheit, denn bei den Elbkindern einmal aufgenommen und eingewöhnt, verbleibt jedes Kind dauerhaft und sicher in seiner Kita, auch wenn sich eine veränderte Lebenssituation der Eltern auf ihren Kita-Gutschein auswirkt. Wir möchten, dass Eltern bei uns ein Angebot vorfinden, das ihrer Lebenssituation entspricht. Darüber hinaus möchten wir bei entsprechender Nachfrage gern ein passendes und bedarfsgerechtes Angebot für Kinder bereitstellen, die in Wohnunterkünften leben.“

Diese Ausführungen wurden mit zehn von zehn Punkten bewertet. Diese Bewertung lässt die Anwendung gleicher Bewertungsmaßstäbe nicht erkennen, da die Beigel. zu der Nachfrage aus den Wohnunterkünften lediglich auf ein „passendes und bedarfsgerechtes Angebot“ und das auch nur „bei entsprechender Nachfrage“ verweist, ohne dies im Ansatz zu konkretisieren und ohne zu berücksichtigen, dass die Nachfrage wegen der vorhandenen Wohnunterkünfte bereits feststeht. Dies ist sachlich nicht nachvollziehbar mit den Anforderungen in Einklang zu bringen, die die Ag. an das Angebot der Ast. gestellt hat, nämlich eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vorzunehmen. Es bleibt danach zwar möglich, dass das Angebot der Beigel. in diesem Punkt fehlerhaft zu viele Punkte erhalten hat, ebenso möglich und somit für die Annahme einer möglichen Besserbeurteilung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Verfahrens ausreichend ist es aber, dass an das Angebot der Ast. in diesem Punkt strengere Anforderungen auch als an dasjenige der besser platzierten Bewerber gestellt wurden.

Unbeachtlich sind hingegen die Einwendungen der Ast., soweit sie das Finanzierungskonzept der Beigel. betreffen, da eine Auswahlentscheidung, die auf die Beigel. fällt, nach den vorstehenden Ausführungen bei einer Wiederholung des Auswahlverfahrens nicht mehr möglich ist. Gleiches gilt soweit die Ast. die Beurteilung der Bewerbung hinsichtlich der Beschreibung des Sozialraumes rügt, da ihre eigene Bewerbung in diesem Punkt die maximale Punktzahl von zehn Punkten erreicht hat.

Zum Auswahlverfahren bei Grundstücksüberlassung mit Bauverpflichtung

OVG Hamburg
Beschluss vom 09.05.2023
4 Bs 157/22

GG Art. 3 Abs. 1; LHO-HH § 7 Abs. 3; SGB VIII § 4 Abs. 2, § 75; VwGO § 123
1. Die Überlassung eines Grundstücks durch den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags, der an die Bedingung geknüpft ist, den Bau und die Trägerschaft einer Kindertagesstätte zu übernehmen, kann eine Maßnahme der Jugendhilfe darstellen.
2. Ein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe kann im Einzelfall einen Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses eines Erbbaurechtsvertrags durch einen Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit einer Eigengesellschaft dieses Trägers geltend machen, wenn er selbst auf dem streitgegenständlichen Grundstück eine geeignete Einrichtung zu errichten und zu betreiben in der Lage ist.
3. Ist dem Abschluss eines mit der Bereitschaft zum Bau und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags ein „Auswahlverfahren“ vorgeschaltet, an dem sich mehrere anerkannte Träger der freien Jugendhilfe beteiligt haben, so besteht in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ein Anspruch auf Unterlassen des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit einem Dritten nur dann, wenn der Antragsteller zudem glaubhaft machen kann, dass seine Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint.
OVG Hamburg, Beschluss vom 09.05.2023 – 4 Bs 157/22
vorhergehend:
VG Hamburg, 11.10.2022 – 20 E 1200/22

Zum Sachverhalt

Die Ast. begehrte im Wege der Beschwerde vorläufigen Rechtsschutz gegen den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags zwischen der Ag. und der Beigel. oder Dritten.

Die Ast. ist eine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe und betreibt, ebenso wie die Beigel., in Hamburg unter anderem mehrere Kindertagesstätten. Die Beigel. verfügt nicht über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII, sie ist in der Form einer gGmbH organisiert und die Ag. ist ihre alleinige Gesellschafterin. Laut Gesellschaftsvertrag bestimmt der Senat der Ag. sechs von neun Mitgliedern des Aufsichtsrats. Die Ag. ist örtliche und überörtliche Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe nach § 69 I SGB VIII iVm § 1 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Achten Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe vom 25.6.1997, HmbGVBl 1997, 273 (AGSGB VIII).

Die Ag. stellte in einer Bedarfsanalyse fest, dass in dem Stadtteil ### eine unzureichende Versorgung mit Kindertagesstätten-Plätzen besteht. Sie forderte daraufhin in einer als „Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO“ bezeichneten Mitteilung unter dem Aktenzeichen ÖB 008/2021/FS 34 interessierte Bewerber auf, bis zum 31.8.2021 eine Interessenbekundung zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags für das Grundstück G. einschließlich der Bereitschaft zum Bau und zur Trägerschaft einer Kindertagesstätte abzugeben.

Beabsichtigt ist, dass die Ag. zu einem jährlichen Erbbauzins iHv 7.960 EUR mit dem erfolgreichen Bewerber einen Erbbaurechtsvertrag abschließt. Das Auswahlverfahren ist in den Punkten 4 bis 8 der Mitteilung näher ausgeführt und setzt unter anderem die Vorlage eines Trägerkonzepts, eines Finanzierungsnachweises sowie das Ausfüllen eines Bewerbungsformulars voraus. Zudem wird festgelegt, dass die Ausführungen in dem Bewerbungsformular mit Punkten bewertet werden und der Erbbaurechtsvertrag mit dem Bewerber mit den meisten Punkten abgeschlossen wird, bei Punktgleichstand mehrerer Bewerber entscheidet das Los. Das Ausschreibungsverfahren sieht weiter vor, dass, sofern mit dem bestbewerteten Bewerber kein Erbbaurechtsvertrag geschlossen wird, der Nächstplatzierte im Bewerbungsverfahren nachrückt. Die Ast. bewarb sich ebenso wie die Beigel. und weitere Bewerber (insgesamt zwölf Bewerbungen erfüllten die Zugangsvoraussetzungen) um den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags.

Mit Mitteilung vom 1.3.2022 teilte die Ag. der Ast. mit, dass deren Bewerbung nicht die höchste Punktzahl erreicht habe und die Auswahlentscheidung auf einen anderen Bewerber gefallen sei. Hiergegen erhob die Ast. am 3.3.2022 Widerspruch, über den noch nicht entschieden worden ist. Ausgewählt wurde das Angebot der Beigel., welches den Höchstwert von 83 von 100 möglichen Punkten erhielt. Das Angebot der Ast. erhielt ausweislich der Bewertungsergebnisse der „Bewertungskonferenz IBV G.“ im Februar 2022 78 Punkte, ebenso wie das Angebot des „KJSH (Verbund für Kinder- Jugend- und Soziale Hilfen“), das Angebot der „Küstenkinder“ erhielt ebenso wie das von „Pedia“ 80 Punkte. Das Angebot von „Wabe“ (Wohnen arbeiten betreuen entwickeln) erhielt 83 Punkte. Das Angebot der Ast. war demnach das gemeinsam mit dem Angebot des KJSH fünftplatzierte Angebot.

Am 14.3.2022 hat die Ast. beim VG um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Sie sei als Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 4 II SGB VIII vorrangig gegenüber der Beigel., die Teil der öffentlichen Jugendhilfe sei, auszuwählen. Zudem liege eine Verletzung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs aus den Art. 12 I, Art. 3 I GG vor, weil ihre Bewerbung inhaltlich besser sei als diejenige der Beigel. und sie daher hätte ausgewählt werden müssen.

Das VG Hamburg (Beschl. v. 11.10.2022 – 20 E 1200/22) hat den Antrag abgelehnt. Die Beschwerde der Ast. hatte Erfolg. Der Beschluss des VG Hamburg wurde geändert; der Ag. wurde im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig untersagt, auf Grundlage des Interessenbekundungsverfahrens mit der Beigel. oder einem Dritten einen Erbbaurechtsvertrag betreffend das betroffene Flurstück abzuschließen und/oder dieses Flurstück der Beigel. oder einem Dritten anderweitig für die Planung, die Errichtung und/oder den Betrieb einer Kindertagesstätte zu überlassen, bis über die Bewerbung der Ast. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.

Aus den Gründen

(…)

Die mit der Beschwerde vorgetragenen Gründe erschüttern die tragenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses des VG (hierzu unter 1); nach der daraus folgenden, nicht mehr gem. § 146 IV VwGO beschränkten Prüfung durch das BeschwGer. ist die Entscheidung zu ändern (hierzu unter 2).

1. Die Ag. hat mit ihrer Beschwerdebegründung, auf die gem. § 146 IV 3 und 6 VwGO abzustellen ist, die Richtigkeit der entscheidungstragenden Erwägungen des VG erschüttert.

Dieses hat ausgeführt, dass sich der streitgegenständliche Anspruch vorliegend nicht aus § 4 II SGB VIII ergeben könne, weil es um die Schaffung einer neuen Einrichtung gehe, um den bestehenden Bedarf an Einrichtungen der Jugendhilfe überhaupt erst decken zu können und weil das Interessenbekundungsverfahren nur der Anbahnung einer Jugendhilfeleistung diene. Daher sei das Subsidiaritätsgebot aus § 4 II SGB VIII vorliegend nicht tangiert.

Diese tragende Erwägung hat die Ast. vorliegend mit ihren Ausführungen ernsthaft in Zweifel gezogen, weil bereits der Gesetzestext des § 4 II SGB VIII ausdrücklich darauf abstellt, dass die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Leistungen absehen soll, wenn geeignete Dienste, Einrichtungen oder Veranstaltungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können und somit ausdrücklich auch, wie vorliegend, erst künftig zu schaffende Einrichtungen in den Blick nimmt. Zudem ist in der Rechtsprechung des Senats anerkannt, dass das als Interessenbekundungsverfahren zum Abschluss eines Erbbaurechtsvertrags mit der gleichzeitigen Verpflichtung zur Errichtung und der Übernahme der Trägerschaft für eine Kindertagesstätte bezeichnete Verfahren kein (bloßes) Interessenbekundungsverfahren ist, sondern bereits ein Auswahlverfahren darstellt, dessen Gewinner die ausgeschriebene Leistung, hier den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags und die Errichtung einer Kindertagesstätte mit 120 Plätzen, erhält (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

2. Die hiernach grundsätzlich zulässige vollständige Überprüfung der Sach- und Rechtslage durch das BeschwGer. führt zu einer Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.

Nach dem wohlverstandenen Interesse der Ast. ist ihr Antrag gem. §§ 88122 I VwGO dahingehend auszulegen, dass sie auch die erneute Entscheidung über ihre Bewerbung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrt. Denn die bloße Untersagung der Überlassung des Grundstücks an die Beigel. oder einen Dritten ohne eine erneute Auswahlentscheidung der Ag., bei der die Auswahl der Ast. zumindest möglich ist, dürfte von ihr unter Berücksichtigung ihrer Ausführungen im Schriftsatz vom 10.11.2022 nicht begehrt werden und ein Rechtsschutzbedürfnis dürfte insoweit auch nicht bestehen (s. unten).

Der so verstandene Antrag hat Erfolg. Nach § 123 I 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Ast. vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach § 123 III VwGO iVm § 920 II, § 294 ZPO hat die Ast. glaubhaft zu machen, dass ihr der streitige Anspruch in der Hauptsache zusteht (sog. Anordnungsanspruch) und dessen vorläufige Sicherung nötig erscheint (sog. Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

a) Ein Anordnungsgrund setzt voraus, dass es der Ast. unter Berücksichtigung ihrer Interessen unzumutbar ist, eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Dies ist vorliegend der Fall, weil durch den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. oder einem Dritten bereits ein endgültiger Zustand eintreten und der Ast. die Übernahme der Kitaträgerschaft am beabsichtigten Standort unmöglich gemacht würde (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; 17.3.2008 – 4 Bs 214/07, BeckRS 2008, 149104; vgl. auch VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Rn. 2?ff.; allg. zu einem Anordnungsgrund im Vorfeld des Abschlusses eines öffentlich-rechtlichen Vertrags mit einem Dritten OVG Berlin-Brandenburg NVwZ-RR 2011, 293 Rn. 8). Anders als in der Konstellation, die der Entscheidung des Senats im Verfahren 4 Bs 286/21 zugrunde lag, ist ein Anordnungsgrund vorliegend auch im Hinblick auf die Untersagung einer Zurverfügungstellung des Grundstücks an Dritte gegeben, da aus den nachfolgend genannten Gründen eine Vergabe des Grundstücks an die Beigel. im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes rechtlichen Bedenken begegnet und nach der Ausschreibung dann, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit dem ausgewählten Bewerber nicht abgeschlossen werden kann, der Nächstplatzierte nachrücken soll und somit konkrete Anhaltspunkte für eine Vergabe an die im Auswahlverfahren besser platzierten Bewerber als die Ast. bestehen.

b) Die Ast. hat vorliegend glaubhaft gemacht, dass ihr aus § 4 II SGB VIII ein Abwehrrecht und somit ein Anordnungsanspruch gegen eine Überlassung des Grundstücks an die Beigel. zur Errichtung einer Kindertagesstätte zukommt (hierzu unter aa) und dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint (hierzu unter bb).

aa) Ein Anordnungsanspruch folgt vorliegend nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angezeigten summarischen Prüfung aus § 4 II SGB VIII. Die Vorschrift des § 4 II SGB VIII findet vorliegend Anwendung, da sie ein tragendes Strukturprinzip der Jugendhilfe normiert, das in allen Handlungsfeldern der Jugendhilfe anzuwenden ist, unabhängig davon, ob auch die weiteren Vorschriften des SGB VIII, etwa § 74 SGB VIII, Anwendung finden oder der Vorrang des Landesrechts nach § 74a SGB VIII greift. Denn das Landesrecht vermag die Strukturprinzipien des bundesgesetzlich geregelten Jugendhilferechts nicht abzubedingen (vgl. BVerwGE 135, 150 = NVwZ-RR 2010, 148; OVG Münster 12.1.2021 – 21 A 3824/18BeckRS 2021, 190 Rn. 52; jurisPK-SGB VIII/Luthe, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 7). Der Anwendung des in § 4 II SGB VIII normierten bedingten Vorrangs der freien Träger der Jugendhilfe steht auch vorliegend, anders als durch das VG ausgeführt, nicht entgegen, dass das als „Interessenbekundungsverfahren in Anlehnung an § 7 III LHO“ bezeichnete Verfahren nur der Erforschung der Marktsituation dienen würde und noch keine Jugendhilfe im Sinne des SGB VIII darstelle. Vielmehr handelt es sich bei dem vorliegenden Verfahren gerade nicht um ein „bloßes“ Interessenbekundungsverfahren, sondern um das eigentliche Auswahlverfahren zum Abschluss eines untrennbar mit der Errichtung und dem Betrieb einer Kindertagesstätte verknüpften Erbbaurechtsvertrags (vgl. OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften erfüllt sein (hierzu unter aaa) und in der Rechtsfolge der Ast. ein Anspruch auf Unterlassung des Abschlusses des Erbbaurechtsvertrags mit der Beigel. zukommen (hierzu unter bbb).

aaa) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII dürften vorliegend erfüllt sein. § 4 II SGB VIII lautet:

„Soweit geeignete Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen von anerkannten Trägern der freien Jugendhilfe betrieben werden oder rechtzeitig geschaffen werden können, soll die öffentliche Jugendhilfe von eigenen Maßnahmen absehen.“

Die Ast. ist unstreitig eine anerkannte Trägerin der freien Jugendhilfe gem. § 75 I, II SGB VIII. Bei der zu errichtenden Kindertagesstätte handelt es sich zudem um eine Einrichtung iSd § 4 II SGB VIII. Unter dem Begriff der Einrichtungen versteht man die Erfüllung von Aufgaben unter Einsatz besonderer Sachmittel, insbesondere Gebäude, sächliche Ausstattung sowie personeller Mittel, dies umfasst unter anderem die Errichtung einer Kindertagesstätte (vgl. nur LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer, 8. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 38).

Die durch die Ast. geplante Kindertagesstätte dürfte zudem eine geeignete Einrichtung sein, die rechtzeitig geschaffen werden kann. Dass das Projekt der Ast. eine längere Realisierungsdauer hätte als die Projekte der Mitbewerber, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, so dass die Einrichtung durch die Ast. „rechtzeitig“ iSd § 4 II SGB VIII geschaffen werden kann. Geeignet nach dieser Vorschrift ist eine Einrichtung dann, wenn sie sowohl fachlichen (Mindest-)Standards als auch den Wünschen und Bedürfnissen der potenziellen Nutzer entspricht (vgl. Wiesner/Wapler/Wapler, 6. Aufl. 2022, SGB VIII § 4 Rn. 22; LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 4 Rn. 40; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (447 mwN). Die Ast. erfüllt als Trägerin mehrerer Kindertagesstätten in Hamburg die geltenden und über den Abschluss entsprechender Vereinbarungen nach § 15 KibeG abgesicherten fachlichen Standards. Sie hat in ihrer Bewerbung für den Standort G., in der unter anderem Ausführungen zu der Nachfrage von Plätzen durch die Bewohner der nahegelegen Wohnunterkunft und somit nach den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer sowie die Partizipation von Eltern und Kindern zu machen waren, 78 von 100 Punkten erreicht und nur fünf Punkte weniger als die ausgewählte Bewerberin. Dass die durch die Ast. geplante Einrichtung nicht geeignet wäre, die künftigen Interessen der Nutzer abzubilden, ist daher nicht ersichtlich.

bbb) Die Ast. dürfte vorliegend einen Anspruch auf Unterlassung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. gegen die Ag. herleiten können. § 4 II SGB VIII kann Trägern der freien Jugendhilfe, die über eine Anerkennung nach § 75 SGB VIII verfügen, bei Vorliegen seiner tatbestandlichen Voraussetzungen ein subjektives Abwehrrecht gegen ein Tätigwerden des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe vermitteln, sofern dieser gegen das dann aus der Norm folgende bedingte Subsidiaritätsgebot verstößt (vgl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 68 ff. unter Bezugnahme auf BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 II SGB VIII sind vorliegend wie zuvor dargestellt erfüllt, zudem sind die Voraussetzungen des „bedingten“ Vorrangs des Trägers der freien Jugendhilfe – also der Ast. – gegeben.

Nach § 4 II SGB VIII „soll“ der Träger der öffentlichen Jugendhilfe unter anderem von eigenen Maßnahmen absehen, wenn geeignete Einrichtungen durch die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe rechtzeitig geschaffen werden können. Anders als die Vorgängervorschrift des § 5 III 2 JWG, die vorsah, dass von eigenen Maßnahmen abzusehen „ist“, hat sich der Gesetzgeber bei Normierung des § 4 II SGB VIII ausdrücklich für den „bedingten“ Vorrang der freien Träger der Jugendhilfe entschieden, dies allerdings unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen Vorgaben des BVerfG im oben genannten Urteil vom 18.7.1967. Danach ist der „bedingte“ Vorrang der anerkannten Träger der freien Jugendhilfe dergestalt zu verstehen, dass das Jugendamt nur dann selbst Einrichtungen schaffen und Veranstaltungen vorsehen soll, wenn seine Anregungen und Förderungsmaßnahmen bei den Trägern der freien Jugendhilfe nicht zum Ziel führen, etwa weil der freie Träger keine angemessene Eigenleistung aufbringen kann. Ein Vorrang der Träger der freien Jugendhilfe umfasst beispielsweise auch nicht das Gebot für die Träger der öffentlichen Jugendhilfe, bestehende Angebote zugunsten der Träger der freien Jugendhilfe zu schließen, vielmehr soll ein sinnvoller Einsatz privater und öffentlicher wirtschaftlicher Mittel gewährleistet werden (vgl. BVerfGE 22, 180 = NJW 1967, 1795).

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, so besteht ein gerichtlich durchsetzbarer Unterlassungsanspruch des anerkannten Trägers der freien Jugendhilfe gegen den Träger der örtlichen Jugendhilfe dann, wenn ein konkretes „Konkurrenzverhältnis“ besteht (vgl. grdl. OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21, BeckRS 2022, 32097 Rn. 81 mwN; Nebendahl Schleswig-Holsteinische Anzeigen 2018, 443 (449)).

So liegt es hier. Die Überlassung des streitgegenständlichen Grundstücks zur Errichtung einer Kindertagesstätte durch die Ag. an die Beigel. ist eine „eigene“ Maßnahme iSd § 4 II SGB VIII. Die Beigel. ist zwar privatrechtlich organisiert, sie dürfte aber der Ast. als Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe zuzurechnen sein (vgl. zur Abgrenzung von öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe OVG Hamburg 25.8.2022 – 4 Bf 19/21 Rn. 84?ff.; vgl. hierzu auch OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05; 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172; BeckOGK/Janda, 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 11; jurisPK-SGB VIII/Trésoret, 3. Aufl. 2022, SGB VIII § 75 Rn. 37). Die Beigel. ist keine nach § 75 SGB VIII anerkannte Trägerin der öffentlichen Jugendhilfe. Sie dürfte auch nicht zu den freien Trägern der Jugendhilfe gehören. Das SGB VIII sieht eine Definition des freien Trägers der Jugendhilfe nicht vor. Aus den Vorschriften lässt sich aber ableiten, dass grundsätzlich als Träger der freien Jugendhilfe jede Personengruppe, Initiative und Personenvereinigung sowie jede juristische Person in Betracht kommt, die auf dem Gebiet der Jugendhilfe ohne gesetzliche Verpflichtung aufgrund eigener freier Entscheidung tätig wird (vgl. LPK-SGB VIII/Schindler/Elmauer SGB VIII § 3 Rn. 16; BeckOK SozR/Winkler, 68. Ed. 1.3.2023, SGB VIII § 75 Rn. 1). Dies dürfte vorliegend bei der Beigel. nicht gegeben sein, da sie nicht aufgrund eigener freier Entscheidung Leistungen der Jugendhilfe erbringt, sondern sich die Ag. ihrer bedient, um ihre gesetzlichen Verpflichtungen unter anderem aus § 79 SGB VIII zu erfüllen. Denn die Beigel. ist als Eigenbetrieb der Ag. in Form einer gGmbH organisiert. Alleinige Gesellschafterin der Beigel. ist die Ag., diese hat auch das gesamte Stammkapital in Form einer Stammeinlage iHv 35 Mio. EUR übernommen. Gemäß § 7 des Gesellschaftsvertrags besteht der Aufsichtsrat aus neun Personen, von denen sechs durch den Senat der Ag. bestimmt werden und die unter anderem über die Ein- und Abberufung der Geschäftsführer bestimmen und deren Tätigkeit überwachen. Zudem unterliegen gem. § 8 des Gesellschaftsvertrags eine Vielzahl von Geschäften, unter anderem auch der Abschluss von bestimmten Miet- und Pachtverträgen, der Zustimmungspflicht des Aufsichtsrates und kann nach § 16 des Gesellschaftsvertrags die zuständige Behörde der Ag. die Recht- und Zweckmäßigkeit des „Geschäftsgebarens“ der Beigel. überprüfen. Allein dadurch, dass ein öffentlicher Träger der Jugendhilfe durch eine privatrechtlich organisierte Eigengesellschaft tätig wird, kann diese aber nicht zum freien Träger im Sinne des SGB VIII werden, sofern die wesentlichen Entscheidungen für die Einrichtung bei dem öffentlichen Träger verbleiben und sie diese über ihre Stellung als maßgebliche Gesellschafterin herbeiführen kann, wovon nach den vorherigen Ausführungen in Bezug auf die Beigel. auszugehen ist (vgl. OVG Weimar 19.10.2004 – 2 KO 385/03, BeckRS 2004, 19172 Ls. 1 u. Rn. 18; OVG Weimar 6.4.2006 – 3 KO 237/05 Rn. 54).

Es liegt auch ein konkretes Konkurrenzverhältnis vor, da nach den Bedingungen des Auswahlverfahrens der Abschluss des Erbbaurechtsvertrags untrennbar mit der Übernahme der Trägerschaft für die Kindertagesstätte verbunden ist. Es sind zudem keine Besonderheiten des Einzelfalls erkennbar, warum vorliegend die Kindertagesstätte am G. durch eine eigene Maßnahme der Ag. erschaffen werden müsste. Hiergegen spricht schon die Durchführung des „Interessenbekundungsverfahrens“ unter grundsätzlich gleichrangiger Beteiligung der freien Träger der Jugendhilfe. Nach den Planungen der Ag. besteht ein grundsätzlicher Bedarf für die Errichtung einer neuen Kindertagesstätte, weil im Stadtteil ### das bestehende Angebot nicht ausreichend ist und soweit ersichtlich auch nicht durch die Ausweitung bestehender Einrichtungen mit weniger wirtschaftlichem Aufwand gedeckt werden kann. Nach den im Auswahlverfahren eingereichten Finanzierungsplänen sollen die Kosten für den Bau der Kindertagesstätte durch den jeweiligen Träger aufgewendet werden, so dass ebenfalls nicht ersichtlich ist, dass die Durchführung der Maßnahme durch einen Träger der freien Jugendhilfe für den öffentlichen Träger wirtschaftlich belastender wäre als eine eigene Maßnahme. Wie oben dargestellt, ist auch nicht ersichtlich, dass das Angebot der Ast. den Bedürfnissen der potenziellen Nutzer nicht genügen würde oder ein anderer Grund vorliegen würde, ausnahmsweise von einem Vorrang der öffentlichen Jugendhilfe im streitgegenständlichen Fall auszugehen. Die Pluralität des Angebots würde schließlich weder durch die Errichtung einer weiteren Einrichtung der Beigel. noch der Ast. erhöht, da beide bereits eine Vielzahl von Einrichtungen im Stadtgebiet betreiben.

bb) Die Ast. hat auch glaubhaft gemacht, dass ihre Auswahl im Fall einer erneuten, fehlerfreien Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglich erscheint. Dies ist vorliegend erforderlich, weil trotz der Verletzung des bedingten Vorrangs der Maßnahmen der freien Träger der Jugendhilfe aus § 4 II SGB VIII ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Untersagung der Grundstücksüberlassung an die Beigel. oder einen Dritten und mithin auch ein sicherungsfähiger Anspruch iSd § 123 VwGO nur dann besteht, wenn die Auswahl der Ast. selbst zumindest möglich erscheint (offen gelassen in OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110; vgl. zu einem entsprechenden Erfordernis für den Rechtsschutz im Vergabeverfahren nach dem GWB Burgi/Dreher/Opitz/Horn/Hofmann, 4. Aufl. 2022, GWB § 160 Rn. 33; OLG Celle 12.10.2021 Rn. 78 mwN; zum beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch vgl. nur BVerfG NJW 2016, 309 Rn. 19 mwN).

Vorliegend hat das Angebot der Ast. 78 Punkte erhalten, dasjenige der „Küstenkinder“ und von „pedia“ jeweils 80 Punkte. Eines dieser Angebote würde gemäß den Verfahrensbedingungen nach Durchführung eines Losverfahrens nachrücken, wenn der Erbbaurechtsvertrag mit der Beigel. aus den zuvor dargestellten Gründen nicht abgeschlossen werden kann. Ein sicherungsfähiger Anspruch liegt daher vorliegend nur vor, wenn die Ast. zusätzlich glaubhaft machen kann, dass ihre Bewerbung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Auswahlverfahrens zumindest möglicherweise besser bewertet werden müsste als das Angebot der „Küstenkinder“ sowie von „pedia“, wobei der Senat mangels gegenteiliger Anhaltspunkte unterstellt, dass beide Träger anerkannte Träger der freien Jugendhilfe iSd § 75 SGB VIII sind.

Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt, denn die Ast. hat glaubhaft gemacht, dass die Vergabe von nicht mehr als 78 von 100 möglichen Punkten im streitgegenständlichen Auswahlverfahren sie dadurch in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch aus Art. 12 I, Art. 3 I, Art. 19 III GG verletzt und eine auf sie fallende Auswahlentscheidung bei fehlerfreier erneuter Durchführung des Verfahrens möglich erscheint, dass die Vergabe von fünf von zehn möglichen Punkten bei der Beantwortung der Frage zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Berücksichtigung der besonderen Bedarfe der Eltern und Kinder aus der nagelegengen Wohnunterkunft nicht sachlich nachvollziehbar und unter Verstoß gegen Art. 3 I GG ergangen ist.

Bemühen sich mehrere freie Träger um die Durchführung von Jugendhilfemaßnahmen, so steht ihnen auf der Grundlage der aus Art. 12 I GG abzuleitenden Wettbewerbsfreiheit ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung und chancengleiche Teilnahme am Bewerbungsverfahren zu (vgl. VGH München NVwZ-RR 2022, 221 Ls. 1 u. Rn. 18 mwN; OVG Hamburg, 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110). Dieser Anspruch beinhaltet zumindest einen aus Art. 3 I GG folgenden Gleichbehandlungsanspruch des Inhalts, dass die Bewertung der Bewerbungen der verschiedenen Anbieter anhand der gleichen Beurteilungsmaßstäbe in einem transparenten und fairen Verfahren vorgenommen wird (vgl. OVG Lüneburg NVwZ 2019, 656 Rn. 23 = NordÖR 2019, 86 zu einem Anspruch auf eine Auswahlentscheidung unter Wahrung der Anforderungen des Art. 3 I GG).

Dabei obliegt es dem Gericht nicht, die Vergabe der einzelnen Punkte inhaltlich zu bewerten und ein Angebot als besser oder schlechter zu beurteilen. Die am Maßstab des Art. 3 I GG ausgerichtete gerichtliche Kontrolle umfasst aber, ähnlich dem beamtenrechtlichen Bewerbungsverfahrensanspruch, zumindest die Überprüfung, ob der Sachverhalt von der Ag. unvollständig oder unzutreffend erfasst worden ist, sie selbst aufgestellte Beurteilungsvorgaben nicht beachtet hat oder sachwidrige oder gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze verstoßende Erwägungen angestellt hat und ihre Wertung hierdurch fehlerhaft geworden ist (vgl. VG Hamburg 5.5.2021 – 2 S 417/21).

Das durch die Ag. zur Erfüllung ihrer Gesamtverantwortung aus § 79 I SGB VIII für die Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII gewählte „Interessenbekundungsverfahren“ mit den einzelnen in den Bewerbungsunterlagen abgefragten Kriterien dürfte dabei nach summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht gegen die Prinzipien des chancengleichen und transparenten Verfahrens verstoßen. Die Auswahlkriterien sind zudem an den gesetzlichen Anforderungen der §§ 22?ff. SGB VIII zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen ausgerichtet und begegnen keinen durchgreifenden Bedenken (vgl. bereits OVG Hamburg 29.4.2022 – 4 Bs 286/21, BeckRS 2022, 50110).

Es erscheint aber zumindest möglich, dass die Bewerbung der Ast. bei der Beantwortung der Frage

„Bitte machen sie konkrete Ausführungen zur Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Hinblick auf zB Randzeitenbetreuung, einem Wechsel der Leistungsart, Bring- und Holzeiten etc. Bitte machen Sie konkrete konzeptionelle Ausführungen in welchem Umfang Fünf-Stunden-Plätze angeboten werden sollen, auch in Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften (zehn Punkte)“

unter Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz fehlerhaft nur mit fünf Punkten bewertet wurde, weil diese Bewertung sachlich nicht nachvollziehbar ist und die Vergleichbarkeit der angewendeten Beurteilungsmaßstäbe an unterschiedliche Bewerbungen nicht erkennen lässt. Die Ast. hat im Hinblick auf die Nachfrage aus den Wohnunterkünften ausgeführt:

„Alle Kinder aus den nahe gelegenen Wohnunterkünften sind uns willkommen – Sternipark unterscheidet Kinder nicht nach Herkunft, Religion oder sonstigen Weltanschauungen. Ein Fokus muss darauf liegen, auch und gerade für diese Kinder einen guten Start ins deutsche Bildungssystem sicherzustellen. Da Sternipark mit 13 Kitas und 18 Sprachfachkräften am Bundesprogramm „Sprachkita“ partizipiert und hier über ein breites Erfahrungswissen verfügt, kann dieses zugunsten geflüchteter Kinder oder von Kindern mit Migrationshintergrund eingesetzt werden.“

Hierfür hat sie fünf von zehn Punkten erhalten. In der Mitteilung darüber, dass die Ast. nicht ausgewählt worden sei, hat die Ag. dargestellt, dass die Ausführungen eine „ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vermissen“ ließen. Im erstinstanzlichen Verfahren vor dem VG hat die Ag. ihre Ausführungen dahingehend ergänzt, das die Ast. nicht ausführlich beschreibe, wie sie dem voraussichtlich erhöhten Bedarf an Fünf-Stunden-Plätzen aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft zu entsprechen beabsichtige.

Die Beigel. hat ausweislich der Sachakte in ihrer Bewerbung zur Beantwortung dieser Frage ausgeführt:

„Zugleich müssen wir zugunsten einer tragfähigen Personalausstattung und somit einer guten pädagogischen Arbeit den Anteil der Fünf-Stunden-Plätze in unseren Kitas auch begrenzen. Unser Betreuungsangebot ist entsprechend heterogen. Unsere Flexibilität bietet den Familien eine große Sicherheit, denn bei den Elbkindern einmal aufgenommen und eingewöhnt, verbleibt jedes Kind dauerhaft und sicher in seiner Kita, auch wenn sich eine veränderte Lebenssituation der Eltern auf ihren Kita-Gutschein auswirkt. Wir möchten, dass Eltern bei uns ein Angebot vorfinden, das ihrer Lebenssituation entspricht. Darüber hinaus möchten wir bei entsprechender Nachfrage gern ein passendes und bedarfsgerechtes Angebot für Kinder bereitstellen, die in Wohnunterkünften leben.“

Diese Ausführungen wurden mit zehn von zehn Punkten bewertet. Diese Bewertung lässt die Anwendung gleicher Bewertungsmaßstäbe nicht erkennen, da die Beigel. zu der Nachfrage aus den Wohnunterkünften lediglich auf ein „passendes und bedarfsgerechtes Angebot“ und das auch nur „bei entsprechender Nachfrage“ verweist, ohne dies im Ansatz zu konkretisieren und ohne zu berücksichtigen, dass die Nachfrage wegen der vorhandenen Wohnunterkünfte bereits feststeht. Dies ist sachlich nicht nachvollziehbar mit den Anforderungen in Einklang zu bringen, die die Ag. an das Angebot der Ast. gestellt hat, nämlich eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Besonderheiten aufgrund der nahegelegenen Wohnunterkunft vorzunehmen. Es bleibt danach zwar möglich, dass das Angebot der Beigel. in diesem Punkt fehlerhaft zu viele Punkte erhalten hat, ebenso möglich und somit für die Annahme einer möglichen Besserbeurteilung bei erneuter fehlerfreier Durchführung des Verfahrens ausreichend ist es aber, dass an das Angebot der Ast. in diesem Punkt strengere Anforderungen auch als an dasjenige der besser platzierten Bewerber gestellt wurden.

Unbeachtlich sind hingegen die Einwendungen der Ast., soweit sie das Finanzierungskonzept der Beigel. betreffen, da eine Auswahlentscheidung, die auf die Beigel. fällt, nach den vorstehenden Ausführungen bei einer Wiederholung des Auswahlverfahrens nicht mehr möglich ist. Gleiches gilt soweit die Ast. die Beurteilung der Bewerbung hinsichtlich der Beschreibung des Sozialraumes rügt, da ihre eigene Bewerbung in diesem Punkt die maximale Punktzahl von zehn Punkten erreicht hat.

BGH: Erweist sich eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI ausnahmsweise als treuwidrig, weil das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist, liegen nicht zugleich die Voraussetzungen vor, unter denen der Architekt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf das Fehlen einer schriftlichen und damit formwirksamen Vereinbarung bei Auftragserteilung (§ 7 Abs. 1 HOAI 2009/2013) zu berufen

BGH: Erweist sich eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI ausnahmsweise als treuwidrig, weil das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist, liegen nicht zugleich die Voraussetzungen vor, unter denen der Architekt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf das Fehlen einer schriftlichen und damit formwirksamen Vereinbarung bei Auftragserteilung (§ 7 Abs. 1 HOAI 2009/2013) zu berufen

vorgestellt von Thomas Ax

Erweist sich eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI ausnahmsweise als treuwidrig, weil das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14.06.2020 – VII ZR 174/19, Rz. 15 m.w.N., IBRRS 2020, 1607), liegen nicht zugleich die Voraussetzungen vor, unter denen der Architekt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf das Fehlen einer schriftlichen und damit formwirksamen Vereinbarung bei Auftragserteilung (§ 7 Abs. 1 HOAI 2009/2013) zu berufen. Hierzu bedarf es Feststellungen dazu, dass dies zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde und es daher gem. § 242 BGB rechtsmissbräuchlich ist, sich auf die Formunwirksamkeit zu berufen (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26.02.2020 – XII ZR 51/19, Rz. 27, IBRRS 2020, 0844).

BGH, Urteil vom 03.08.2023 – VII ZR 102/22

vorhergehend:

OLG Celle, Urteil vom 27.04.2022 – 14 U 156/21

LG Hannover, 15.09.2021 – 14 O 211/20

Tatbestand:

Die Klägerin fordert von der Beklagten die Zahlung restlichen Architektenhonorars.

Die Beklagte wurde von der Landesstraßenbaubehörde S. am 28. Mai 2013 mit Planungsleistungen für eine Flutbrücke und deren Errichtung beauftragt. Sie beauftragte ihrerseits die Klägerin mit den Planungsleistungen. Vor Beginn ihrer Arbeiten unterbreitete die Klägerin der Beklagten mit Schreiben vom 4. Juni 2013 ein Angebot über die Planungsleistungen für ein Honorar in Höhe von 310.623 Euro netto, welches die Beklagte nicht annahm. Die Klägerin begann dennoch mit den Planungen. In der Folge unterbreitete sie der Beklagten ein weiteres Angebot über ein Pauschalhonorar in Höhe von 400.000 Euro, in dem die letztlich beauftragten Leistungen mit einem Betrag in Höhe von 170.000 Euro bewertet wurden. Die Beklagte unterzeichnete diesen Vertrag nicht, sondern übersandte ihrerseits unter dem 18. Juli 2014 der Klägerin einen Vertragsentwurf, in dem das Honorar mit 161.713,27 Euro angegeben wurde. Dieser Entwurf wurde von der Klägerin nicht unterzeichnet.

Die Klägerin stellte während der Leistungserbringung mehrere Abschlagsrechnungen, die von der Beklagten bezahlt wurden. Darin wurde jeweils auf „bestehende Vereinbarungen“ Bezug genommen. Mit Schreiben vom 18. Juni 2015 übersandte die Klägerin der Beklagten eine 6. Abschlagsrechnung, mit der sie ihre Leistungen bis auf eine Bestandsunterlage als vollständig erbracht mit 170.000 Euro netto abzüglich eines Betrags in Höhe von 1.000 Euro für die fehlende Unterlage in Rechnung stellte. Die Beklagte kürzte den Betrag auf 161.713,27 Euro. Dieser Kürzung widersprach die Klägerin unter Hinweis auf die getroffenen Vereinbarungen.

Nachdem die Beklagte eine Zahlung in Höhe von 161.713,27 Euro geleistet und die Bezahlung eines weiteren Honorars auf der Grundlage eines Netto- honorars in Höhe von 170.000 Euro verweigert hatte, rechnete die Klägerin ihre Leistungen auf der Basis der Mindestsätze der HOAI (2013) ab. Mit der Klage hat sie ein über die erfolgte Zahlung der Beklagten hinausgehendes weiteres Honorar in Höhe von 114.285,75 Euro geltend gemacht.

Die Klage ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision will die Klägerin weiterhin die Verurteilung der Beklagten auf ihren Klageantrag hin erreichen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in IBR 2022, 352 = BauR 2022, 1792 veröffentlicht ist, hat zur Begründung – soweit für die Revision von Interesse – ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Werklohns in Höhe von 114.285,75 Euro. Zwischen den Parteien sei konkludent ein Pauschalpreis in Höhe von 161.713,27 Euro vereinbart worden, auf dessen Gültigkeit sich die Beklagte gemäß § 242 BGB berufen könne. Diesen Betrag habe die Beklagte bereits gezahlt.

Die weitere Werklohnforderung stehe der Klägerin gemäß § 242 BGB nicht zu; ihre Geltendmachung erweise sich als rechtsmissbräuchlich. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verhalte sich der Auftragnehmer widersprüchlich, wenn er eine Pauschalvereinbarung unterhalb der Mindestsätze der HOAI abschließe und später nach den Mindestsätzen abrechnen wolle. Eine Geltendmachung der Mindestsätze könne nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn der Auftraggeber auf die Wirksamkeit der Vereinbarung vertraut habe und auch habe vertrauen dürfen und er sich darauf in einer Weise eingerichtet habe, dass ihm die Zahlung des Differenzbetrags zwischen dem Honorar und den Mindestsätzen nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden könne. Erforderlich sei eine Gesamtabwägung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls.

Diese Voraussetzungen, die es der Klägerin verwehrten, ihr Honorar nachträglich und entgegen der Pauschalpreisabrede nach Mindestsätzen abzurechnen, seien hier erfüllt, so dass auch dahinstehen könne, ob der vereinbarte Pauschalpreis tatsächlich mindestsatzunterschreitend gewesen sei. Die Klägerin verhalte sich widersprüchlich, wenn sie nunmehr nach Mindestsätzen abrechne. Die Beklagte habe auf die Wirksamkeit der geschlossenen Pauschalpreisvereinbarung vertrauen dürfen. Die Klägerin habe einen Vertrauenstatbestand begründet, indem sie sich bewusst dazu entschieden habe, der Beklagten eine mindestsatzunterschreitende Pauschalhonorarvereinbarung anzubieten, obwohl sie Kenntnis von der Gültigkeit der Mindestsätze gehabt habe. Das zwischen den Parteien vereinbarte Leistungsverzeichnis und der Umstand, dass die Klägerin bis zur 6. Abschlagsrechnung im Jahr 2015 immer auf „bestehende Vereinbarungen“ Bezug genommen und nach diesen abgerechnet habe, habe den Vertrauenstatbestand noch vertieft. Noch in der Mahnung vom 27. November 2015 habe die Klägerin die Zahlung des Restbetrags zu der von ihr behaupteten Pauschale in Höhe von 170.000 Euro verlangt. Die Klägerin habe seit Beginn der Vertragsbeziehung in keinem Schreiben darauf hingewiesen, dass das verlangte Honorar mindestsatzunterschreitend gewesen sei, sondern habe die HOAI erst im Rahmen von Meinungsverschiedenheiten als „Drohinstrument“ benutzt, um die Zahlung des von ihr geforderten Betrags durchzusetzen. Die HOAI stelle aber kein Preisrecht dar, um Druck auf den Auftraggeber auszuüben, sollte es zwischen den Parteien im Verlauf der Vertragsbeziehung zu Unstimmigkeiten kommen. Zu Lasten der Klägerin wiege schwer, dass sie – nach eigenen Angaben – der Beklagten einen Pauschalpreis angeboten habe in der Absicht, sich nicht an die geschlossene Vereinbarung halten zu wollen.

Die Beklagte habe nachvollziehbar dargelegt, dass sie nicht von einer Mindestsatzunterschreitung habe ausgehen müssen. Sie habe sich auch auf die Zahlung des Pauschalhonorars eingerichtet und mit diesem kalkuliert. Nach dem gesetzlichen Leitbild der Vertragstreue sei dieses Vertrauen besonders schützenswert. Die Zahlung des Differenzbetrags sei der Beklagten auch nicht zumutbar. Die Erhöhung der klägerischen Forderung liege bei 50 %.

Selbst wenn die Pauschalhonorarvereinbarung gegen das Schriftformerfordernis gemäß § 7 Abs. 3 HOAI (2013) verstieße, bliebe die Klägerin an die getroffene Vereinbarung gebunden. Die Berufung der Klägerin auf die Formunwirksamkeit verstoße gegen Treu und Glauben, da dies unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falls zu einem unerträglichen Ergebnis führen würde (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. November 2010 – 23 U 215/09, BauR 2012, 284).

II.

Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Die Beklagte kann sich nach den im Revisionsverfahren zugrunde zu legenden Feststellungen nicht mit Erfolg darauf berufen, der Klägerin sei es nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, ihren Honoraranspruch auf der Basis der Mindestsätze der HOAI zu berechnen. Insoweit kann für die Beurteilung, ob der Einwand der Treuwidrigkeit durchgreift, dahinstehen, ob sich die Honorarberechnung nach der HOAI (2009) richtet, wie die Beklagte geltend macht, oder ob die HOAI (2013) Anwendung findet, wovon das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Klägerin ausgeht, da die maßgeblichen Vorschriften in § 7 Abs. 1, 3 HOAI in beiden Fassungen wortgleich sind.

1. Das Berufungsgericht ist unter Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze des Bundesgerichtshofs zu den Voraussetzungen, unter denen sich der Architekt ausnahmsweise nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht auf die Berechnung seiner Vergütung nach den Mindestsätzen der HOAI berufen kann (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020 – VII ZR 174/19 Rn. 15, BGHZ 225, 297; Urteil vom 27. Oktober 2011 – VII ZR 163/10 Rn. 24, BauR 2012, 271 = NZBau 2012, 174; Urteil vom 23. Oktober 2008 – VII ZR 105/07 Rn. 17 m.w.N., BauR 2009, 262 = NZBau 2009, 33), rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass bei Vorliegen dieser Voraussetzungen ohne weiteres auch eine Berufung auf die Formunwirksamkeit der Honorarvereinbarung ausscheidet.

a) Entgegen der Auffassung der Revision leidet das angefochtene Urteil allerdings nicht an dem absoluten Revisionsgrund der mangelnden Begründung, § 547 Nr. 6 ZPO, soweit das Berufungsgericht die Auffassung vertreten hat, eine Berufung auf die Formunwirksamkeit des Vertrags komme nach § 242 BGB ebenfalls nicht in Betracht. § 547 Nr. 6 ZPO erfasst in erster Linie den Fall, dass die angefochtene Entscheidung keinerlei Gründe enthält oder einer von mehreren von der Entscheidung erfassten selbständigen Ansprüche in den Entscheidungsgründen nicht behandelt wird (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2021 – I ZR 137/20 Rn. 66, MDR 2022, 114; Versäumnisurteil vom 10. Januar 2008 – I ZR 38/05 Rn. 37, RIW 2008, 392; Urteil vom 15. Oktober 1998 – I ZR 111/96, BGHZ 140, 84 m.w.N.). § 547 Nr. 6 ZPO ist dagegen nicht schon dann anwendbar, wenn Urteilsgründe unrichtig, unzureichend oder unvollständig sind (vgl. BGH, Urteil vom 24. Januar 2019 – I ZR 200/17 Rn. 47, MDR 2019, 882; Urteil vom 26. April 1991 – V ZR 61/90, NJW 1991, 2761; Urteil vom 3. Oktober 1980 – V ZR 125/79, NJW 1981, 1045).

Nach diesen Maßstäben ist § 547 Nr. 6 ZPO nicht verletzt. Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, die Klägerin sei nach Treu und Glauben gehindert, sich auf die fehlende Formwirksamkeit der Honorarvereinbarung zu berufen, damit begründet, dass zugunsten der Beklagten nach den Umständen ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sei und diese sich darauf eingerichtet habe, nur den konkludent vereinbarten Pauschalpreis zahlen zu müssen. Unabhängig davon, ob sich diese Begründung rechtlich als tragfähig erweist oder nicht, fehlt es jedenfalls nicht überhaupt an Gründen im Sinne des § 547 Nr. 6 ZPO.

b) Das Berufungsgericht geht jedoch rechtsfehlerhaft davon aus, dass für den Fall, dass sich unter Berücksichtigung der vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2020 – VII ZR 174/19 Rn. 15, BGHZ 225, 297; Urteil vom 27. Oktober 2011 – VII ZR 163/10 Rn. 24, BauR 2012, 271 = NZBau 2012, 174; Urteil vom 23. Oktober 2008 – VII ZR 105/07 Rn. 17 m.w.N., BauR 2009, 262 = NZBau 2009, 33) eine Abrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI ausnahmsweise als treuwidrig darstellt, weil das Vertrauen des Auftraggebers auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig ist, zugleich die Voraussetzungen vorliegen, unter denen der Architekt nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) gehindert ist, sich auf das Fehlen einer schriftlichen und damit formwirksamen Vereinbarung bei Auftragserteilung (§ 7 Abs. 1 HOAI 2009/2013) zu berufen.

aa) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass die Parteien hinsichtlich der streitgegenständlichen Leistungen, für die die Klägerin noch ein restliches Honorar in Höhe von 114.285,75 Euro begehrt, konkludent eine Pauschalhonorarvereinbarung in Höhe von 161.713,27 Euro netto geschlossen haben. Ob hierdurch die maßgeblichen Mindestsätze unterschritten wurden, hat das Berufungsgericht dahinstehen lassen. Dies ist entsprechend dem Vortrag der Klägerin revisionsrechtlich zu unterstellen.

Ohne Erfolg rügt die Revision, dass das Berufungsgericht aufgrund einer rechtsfehlerhaften Würdigung der festgestellten tatsächlichen Umstände unter Verstoß gegen § 286 Abs. 1 ZPO zu dem Ergebnis gelangt ist, die Parteien hätten sich konkludent auf einen Pauschalpreis in Höhe von 161.713,27 Euro netto für die Leistungen geeinigt, die Gegenstand der streitgegenständlichen Honorarrechnung der Klägerin sind. Die Auslegung von Willenserklärungen ist Angelegenheit des Tatrichters. Eine Überprüfung findet nur dahin statt, ob Verstöße gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, sonstige Erfahrungssätze oder Denkgesetze vorliegen oder die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht (BGH, Urteil vom 27. April 2023 – VII ZR 144/22 Rn. 35, NJW-RR 2023, 901; Urteil vom 17. Mai 2018 – VII ZR 157/17 Rn. 19, BauR 2018, 1403 = NZBau 2018, 524; Urteil vom 31. August 2017 – VII ZR 5/17 Rn. 24 m.w.N., BauR 2018, 99 = NZBau 2017, 718).

20          Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe hält die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Ein Verstoß gegen gesetzliche Auslegungsregeln oder anerkannte Auslegungsgrundsätze liegt nicht darin, dass das Berufungsgericht dem Umstand, dass die Klägerin unmittelbar nach Erhalt des Vertragsentwurfs vom 18. Juli 2014, in dem ein Pauschalpreis von 161.713,27 Euro genannt gewesen als auch auf Verhandlungen am 15. Juli 2014 Bezug genommen worden ist, mit ihrer 4. Abschlagsrechnung vom 13. August 2014 auf „bestehende Vereinbarungen“ verwiesen hat, eine erhebliche Bedeutung für die Annahme beigemessen hat, die Klägerin habe sich konkludent mit dem von der Beklagten vorgeschlagenen Pauschalpreis einverstanden erklärt. Diese Auslegung ist auch unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Klägerin zuvor bereits Leistungen erbracht und hierfür Abschlagsrechnungen erteilt hatte, eine im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO revisionsrechtlich nicht zu beanstandende Würdigung.

bb) Es kann offenbleiben, ob nach den getroffenen Feststellungen die Annahme des Berufungsgerichts gerechtfertigt ist, die Abrechnung der Klägerin nach den Mindestsätzen der HOAI (2013) stelle sich unter den strengen Voraussetzungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausnahmsweise als treuwidrig dar, weil das Vertrauen der Beklagten auf das vereinbarte niedrigere Honorar schutzwürdig sei. Denn es fehlt jedenfalls an Feststellungen dazu, dass die Klägerin nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) im vorliegenden Fall auch gehindert war, sich auf die Formunwirksamkeit der konkludent geschlossenen Pauschalhonorarvereinbarung zu berufen.

(1) Ob der Vertragspartner darauf vertrauen darf, der andere Vertragsteil werde sich nicht auf die Formunwirksamkeit berufen, richtet sich nach anderen Kriterien als denen, unter denen ausnahmsweise eine Unterschreitung der Mindestsätze nach Treu und Glauben gerechtfertigt sein kann. Nach der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung darf sich grundsätzlich jede Partei darauf berufen, die für einen Vertrag vorgeschriebene Schriftform sei nicht eingehalten. Nur ausnahmsweise, wenn dies zu einem schlechthin untragbaren Ergebnis führen würde, kann es gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlich sein, sich auf die Formunwirksamkeit zu berufen. Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der eine Vertragspartner den anderen schuldhaft von der Einhaltung der Schriftform abgehalten oder sich sonst einer besonders schweren Treuepflichtverletzung schuldig gemacht hat oder wenn als Folge der Formwidrigkeit die Existenz der anderen Vertragspartei bedroht wäre (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 2020 – XII ZR 51/19 Rn. 27, BGHZ 224, 370; Urteil vom 27. September 2017 – XII ZR 114/16 Rn. 24, BGHZ 216, 68; Urteil vom 3. November 2016 – III ZR 286/15 Rn. 12, MDR 2017, 18; jeweils m.w.N.). Diese Rechtsprechung findet auch Anwendung, soweit es um die gemäß § 7 Abs. 1 HOAI (2009/2013) für eine wirksame Honorarvereinbarung erforderliche Schriftform bei Auftragserteilung geht (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 5. Dezember 2022 – 11 U 231/21, MDR 2023, 560; OLG Oldenburg, Urteil vom 28. Mai 2013 – 2 U 111/12; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23. November 2010 – 23 U 215/09, BauR 2012, 284).

(2) Dass diese Voraussetzungen vorliegen, hat das Berufungsgericht nicht hinreichend festgestellt. Die in Bezug genommene Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (Urteil vom 23. November 2010 – 23 U 215/09, BauR 2012, 284) betrifft einen anderen Sachverhalt. Gegenstand des dortigen Verfahrens war eine schriftlich niedergelegte Honorarvereinbarung über einen Pauschalpreis, der die Mindestsätze der HOAI unterschritt. Der Architekt hatte dem Auftraggeber ein von ihm nicht unterzeichnetes Vertragsangebot mit vorbereitetem Unterschriftsfeld für den Auftraggeber übersandt und damit den Eindruck erweckt, es bedürfe nur noch der Unterschrift des Auftraggebers. Vergleichbare Umstände hat das Berufungsgericht im Streitfall nicht festgestellt.

Für die Annahme der Treuwidrigkeit der Berufung auf die Formunwirksamkeit genügt es nicht, dass die Klägerin der Beklagten überhaupt im Rahmen der Vertragsverhandlungen einen Pauschalpreis angeboten hat, den die Beklagte letztlich jedoch nicht akzeptiert hat. Ein widersprüchliches Verhalten der Klägerin in Bezug auf den Abschluss einer formwirksamen Honorarvereinbarung liegt nicht vor. Die Klägerin hat der Beklagten vielmehr mehrfach ein schriftliches Angebot über die von ihr für angemessen gehaltene Summe von 170.000 Euro unterbreitet, welches die Beklagte nicht angenommen hat. Dass der Klägerin, wie vom Berufungsgericht festgestellt, bewusst gewesen ist, dass die von ihr angebotene Pauschalvergütung die Mindestsätze der HOAI unterschreiten würde, hat nicht zur Folge, dass die Berufung auf die Formunwirksamkeit treuwidrig wäre. Die auch für die Beklagte als Fachunternehmerin offenkundige Formunwirksamkeit der Vereinbarung hat die Klägerin hierdurch nicht treuwidrig herbeigeführt oder auch nur zu vertreten. Eine Berufung auf die Formunwirksamkeit der Honorarvereinbarung ist daher nicht deswegen ausgeschlossen, weil die Klägerin ein unterhalb der Mindestsätze liegendes Angebot überhaupt abgegeben hatte. Gleiches gilt für die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe der Beklagten von vornherein einen Pauschalpreis in der Absicht angeboten, sich später nicht an eine entsprechende Vereinbarung halten zu wollen.

Diese Annahme hat in der im angefochtenen Urteil hierfür als Beleg angeführten Passage des schriftsätzlichen Vortrags der Klägerin bereits keine tragfähige Stütze. Dass die Klägerin sich nach ihrem Vortrag durch die Mindestsatz-Regelungen der HOAI gegen „Bemühungen“ ihrer Vertragspartnerin geschützt sah, „ein der Aufgabenstellung nicht angemessenes Honorar durchzusetzen“, lässt schon nicht erkennen, inwiefern sie hierdurch die „Absicht“ erklärt haben soll, sich an eine etwa tatsächlich zustande gekommene Honorarvereinbarung später nicht halten zu wollen. Das Berufungsgericht übersieht außerdem, dass der referierte Vortrag der Klägerin im Zusammenhang mit ihren Ausführungen steht, wonach die Auftragsbearbeitung bei Übersendung des Vertragsentwurfs der Beklagten vom 18. Juli 2014 bereits weit fortgeschritten gewesen sei. Der Hinweis der Klägerin auf die Schutzfunktion der HOAI-Mindestsätze kann daher auch deshalb nicht in dem vom Berufungsgericht angenommenen Sinn verstanden werden.

Auch der Umstand, dass die Klägerin erst zu einem Zeitpunkt, als sich unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten mit der Beklagten über die Honorarhöhe ergeben hatten, eine Honorarabrechnung nach den Mindestsätzen der HOAI vorgelegt hat, ist nicht geeignet, den Vorwurf zu rechtfertigen, sie habe die formunwirksame Vereinbarung mit der Beklagten unter Verletzung der Gebote von Treu und Glauben bewusst herbeigeführt. Dass es nicht zu einer schriftlichen Honorarabrede zwischen den Parteien gekommen ist, ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass das jeweilige schriftliche Angebot der einen Vertragspartei von der Gegenseite nicht schriftlich angenommen wurde. Für die Beklagte war als Fachunternehmerin auch erkennbar, dass eine schriftliche Honorarvereinbarung wegen der unterschiedlichen Honorarvorstellungen der Parteien im Zuge der Vertragsverhandlungen nicht geschlossen worden ist.

2. Die angefochtene Entscheidung kann danach keinen Bestand haben und ist aufzuheben. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, wobei der Senat von der Möglichkeit gemäß § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch macht. Der Senat kann in der Sache nicht selbst gemäß § 563 Abs. 3 ZPO entscheiden, weil die Sache nach den getroffenen Feststellungen nicht zur Endentscheidung reif ist.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin:

Die Klägerin kann ihr Honorar nicht auf der Grundlage der erst zum 17. Juli 2013 in Kraft getretenen HOAI (2013) berechnen, soweit Grundleistungen vor ihrem Inkrafttreten vertraglich vereinbart wurden; insoweit bleiben die bisherigen Vorschriften anwendbar, § 57 HOAI (2013). Das Berufungsgericht hat zu dem Zeitpunkt, zu dem die Grundleistungen vertraglich vereinbart worden sind, keine Feststellungen getroffen. Lag dieser vor dem 17. Juli 2013, richtet sich die Honorarberechnung der Klägerin nach den Bestimmungen der HOAI (2009). Insoweit ist den Parteien noch Gelegenheit zu ergänzendem Vorbringen und der Klägerin gegebenenfalls zur Neuberechnung des Honorars nach den Bestimmungen der HOAI (2009) zu geben.

OLG München: Der Auftraggeber entscheidet darüber, welche Materialien er in welcher Ausführung in sein Bauwerk einbringen lassen möchte

OLG München: Der Auftraggeber entscheidet darüber, welche Materialien er in welcher Ausführung in sein Bauwerk einbringen lassen möchte

vorgestellt von Thomas Ax

1. Der Auftraggeber entscheidet darüber, welche Materialien er in welcher Ausführung in sein Bauwerk einbringen lassen möchte. Für ihn kann die Vorstellung eines besseren Wohngefühls, eines besseren Schutzes der Gesundheit und einer besseren Erhaltung der Bausubstanz maßgeblich für die Entscheidung für oder gegen bestimmte Materialien oder Zusammensetzungen sein.
2. Ein Putz aus reinem Kalk oder mit einem hohen Kalkanteil wird zumindest bei Personen, denen eine besonders ökologische Bauweise wichtig ist, als höherwertig angesehen.
3. Das Interesse des Auftraggebers, einen Putz zu erhalten, der jedenfalls nach seinen Vorstellungen für den Zustand des neugebauten Wohnhauses und für die Gesundheit der darin lebenden Bewohner dauerhaft von positiver Wirkung ist, ist – unabhängig von der Frage, ob der Auftragnehmer diese Einschätzung teilt – ein berechtigtes Interesse, das auch hohe Kosten der Nachbesserung rechtfertigt.
OLG München, Beschluss vom 14.04.2021 – 20 U 6129/20 Bau
vorhergehend:
OLG München, Beschluss vom 12.02.2021 – 20 U 6129/20 Bau
LG Landshut, 22.09.2020 – 73 O 4326/19
nachfolgend:
BGH, Beschluss vom 21.06.2023 – VII ZR 439/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Gründe:

I.

Der Kläger macht Gewährleistungsansprüche und Schadenersatzansprüche aus Werkvertrag gegen die Beklagte geltend, die im Herbst/Winter 2016 mit Verputzarbeiten am Haus des Klägers beauftragt war.

Der Kläger behauptet, die Beklagte habe einen Innenputz aufgebracht, der nicht die vertraglich vereinbarten Eigenschaften habe, und Schäden an Fensterrahmen und Fensterbänken verursache. Zur Beseitigung der Mängel verlangt er einen Kostenvorschuss.

Er hat erstinstanzlich beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 39.744,96 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte zum Ersatz auch der weiteren Nachbesserungskosten verpflichtet ist.

3. Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von der Verpflichtung zur Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagte hat

Klageabweisung beantragt.

Dem Streitverfahren ist ein selbständiges Beweisverfahren vorausgegangen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die Feststellungen des Landgerichts Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Beklagte im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt, lediglich geltend gemachte Kosten für ein privates Sachverständigengutachten und für Schleifarbeiten/Nachfilzen hat es als nicht erstattungsfähig angesehen. Das Werk der Beklagten sei mangelhaft iSv. § 633 Abs. 2 S. 1 BGB, da sie die falsche Putzart eingebracht habe und der Putz nicht die vereinbarte Körnung habe. Nach ursprünglicher Vereinbarung eines reinen Kalkputzes hätten sich die Parteien später aufgrund der Beratung der Beklagten auf die Ausführung eines Kalk-Gips-Putzes geeinigt, der weiterhin die Körnung 0,6 mm aufweisen sollte. Aufgrund des Sachverständigengutachtens stehe fest, dass die Körnung etwa 1,0 mm betrage, dass in den Feuchträumen in Kellergeschoss, Erdgeschoss und Obergeschoss ein Zementputz aufgebracht worden sei und dass auch die restlichen Räume nicht mit einem Kalk-Gips-Putz versehen worden seien. Die weiteren Voraussetzungen eines Kostenvorschusses nach § 637 Abs. 3 BGB lägen vor. Der geltend gemachte Vorschuss sei der Höhe nach angemessen, da er auf den vom Sachverständigen geschätzten Kosten beruhe, der Kläger könne die Umsatzsteuer hinzuaddieren, da er nicht vorsteuerabzugsberechtigt sei. Da der Sachverständige die Kosten für die Neuverputzung der Feucht- räume nicht ermittelt habe, könne der Kläger diese schätzen. Der geltend gemachte Betrag von 38.080 Euro sei daher angemessen. Ein Ausschlussgrund nach § 635 BGB sei nicht gegeben. Insbesondere sei das Bestellerinteresse nach der Rechtsprechung des BGH auch nicht deshalb als gering anzusehen, weil das hinter dem vereinbarten höheren Standard zurückbleibende Werk wenigstens den anerkannten Regeln der Technik entspreche. Ein berechtigtes Interesse des Klägers ergebe sich daraus, dass es nicht nur z.B. um Schönheitsreparaturen gehe, sondern aufgrund des Sachverständigengutachtens davon auszugehen sei, dass tatsächlich fühlbare Einschränkungen in der Bauklimatik die Folge der falschen Putzart seien. Auch das subjektive Empfinden des Klägers sei zu berücksichtigen. Hinsichtlich der geltend gemachten Beschädigungen an den Fenstern habe die Beklagte Entstehung und Höhe des Schadens zu unsubstantiiert bzw. unzulässig mit Nichtwissen bestritten. Im Übrigen ergebe sich aus Anl. K25/26, dass die Beklagte die Positionen außergerichtlich bereits anerkannt habe. Soweit die Beklagte mit einem Rechnungsbetrag (Anl. B14) die Aufrechnung erklärt habe, gehe diese ins Leere, da es sich bei dieser Rechnung um Kosten der Mangelbeseitigung handele. Die Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung müsse die Beklagte übernehmen, auch wenn der Klägervertreter der Bruder des Klägers sei. Der Feststellungsantrag sei zulässig und begründet, da der Kläger die endgültigen Kosten der Mangelbeseitigung noch nicht beziffern könne.

Gegen das ihr am 22.9.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 21.10.2020 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 23.12.2020 am 22.12.2020 begründet. Sie rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs und die Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellung durch das Landgericht. Das Landgericht habe sich von der Aussage der Zeugin H. leiten lassen und nicht beachtet, dass diese Zeugin an den Gesprächen zwischen den Parteien nicht teilgenommen habe. Die Beklagte habe vor Aufnahme der Putzarbeiten mitgeteilt, dass wenn überhaupt verputzt werden könne, dann nur mit einem Gips-Kalk-Putz. Zur Vermeidung von putzgebundenen Rissen sei dies sinnvoll gewesen, wozu die Beklagte Beweis angeboten habe. Nachdem sie dem Kläger dies mitgeteilt habe, habe sich dieser am 18.11.2016 ausweislich der Anlage B4 einverstanden erklärt. Die Beklagte habe vorgetragen und unter Beweis gestellt, dass die Parteien sich auf einen bestimmten Putz, nämlich den vom Hersteller Knauf vorgeschlagenen Putz MP 75 Edelfilz, geeinigt hätten. Hinsichtlich des Kalkzements in den Feuchträumen habe der Kläger sich nach einer ersten Beanstandung einverstanden erklärt, dass die nicht gefliesten Wandflächen mit einem feinen Oberputz überzogen würden. Der Kläger habe das Ergebnis dann auch gelobt (Anl. B10). Die Annahme des Landgerichts, der in den übrigen Räumen verwendete Putz sei kein Kalk-Gips-Putz und entspreche deshalb nicht der vereinbarten Beschaffenheit, sei falsch, weil es keinen Unterschied zwischen einem Kalk-Gips-Putz und einem Gips-Kalk-Putz gebe. Zu Unrecht sei das Landgericht dem Gutachter darin gefolgt, dass trotz der Aufgabe eines solchen Unterschieds in den DIN-Normen für Werktrockenmörtel Bauschaffende unter einem Kalk-Gips-Putz weiterhin einen Putz verstünden, der mehr Kalkbindemittel als Gips enthielte. Die Meinung von Bauschaffenden habe mit den anerkannten Regeln der Technik nichts zu tun. Das Landgericht habe nicht hinreichend gewürdigt, dass die Beklagte vorgetragen habe, dass es keinen Kalk-Gips-Putz als Werktrockenmörtel auf dem Markt gebe, der der Definition des Sachverständigen entspreche, und dass im abgebundenen Zustand ohnehin kein Unterschied zwischen einem gipsgebundenen Putz mit hohem Kalksteinanteil und einem kalkgipsgebundenen Putz festgestellt werden könne. Das Landgericht sei auf Rügen am Gutachten des Sachverständigen nicht eingegangen und habe insbesondere den benannten sachverständigen Zeugen Dr. E. nicht vernommen. Der Beklagten könne nicht vorgeworfen werden, dass andere Hersteller ihre Produkte als Kalk-Gips-Mörtel bezeichnen, auch wenn diese auch nicht die Definition des Sachverständigen erfüllen. Das Landgericht sei zu Unrecht dem Beweisangebot der Beklagten nicht nachgegangen, wonach der im Anwesen des Klägers verwendete Gips-Kalk-Putz einen weit höheren Bindemittelanteil von Kalk als 50 % enthielte und daher die Definition des Sachverständigen erfülle. Zu Unrecht habe das Landgericht festgestellt, dass die Körnung nicht der vereinbarten Größe von 0,6 mm entspreche. Der verwandte Putz MP 75 Edelfilz weise diese Körnung auf. Der Sachverständige habe keine Messung vorgenommen, sondern nur dargestellt, dass die Körnung ca. 1 mm ausmache. Der Putz MP 75 Edelfilz weise eigentlich eine Körnung von 1,2 mm auf, es sei aber eine Sondermischung für den Kläger hergestellt worden, dies sei unter Beweis gestellt worden. Zu Unrecht habe das Landgericht darauf abgestellt, dass Gips-Kalk-Putze bei der Abbindephase eher zu Schimmelbildung neigen würden. Zu Unrecht habe das Landgericht nicht über die Höhe des Schadens an den Fenstern Beweis erhoben, da ein Bestreiten mit Nichtwissen hier zulässig gewesen sei. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten habe das Landgericht übersehen, dass nicht der Kläger, sondern dessen Prozessbevollmächtigter den Verzug erst herbeigeführt habe. Auf den Einwand der Unverhältnismäßigkeit der Mangelbeseitigung sei das Landgericht nicht hinreichend eingegangen. Ein wahrnehmbarer Unterschied zwischen einem Kalk-Gips-Putz und einem Gips-Kalk-Putz, welche sich nur in dem Anteil an Gips als Bindemittel unterscheiden, bestehe nicht, zumal nicht nach dem Abbinden. Durch die Sanierungsmaßnahme erhalte der Kläger nichts anderes, als er ohnehin schon habe.

Sie hat beantragt:

Das Urteil des Landgerichts Landshut vom 22.9.2020, Az. 73 O 4326/19 wird aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat

Zurückweisung der Berufung beantragt.

Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 20.1.2021 auf die Berufung erwidert.

Der Senat hat mit Beschluss vom 12.2.2021 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg habe.

Hierzu hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.3.2021 Stellung genommen und ihre bisherigen Ausführungen im Wesentlichen wiederholt und vertieft. Der Sachverständige habe die Korngröße nicht gemessen, sondern lediglich geschätzt, die Behauptung der Beklagten, es handele sich um eine Spezialmischung mit der Korngröße 0,6 mm, habe das Landgericht weder im Beweisverfahren noch im streitigen Verfahren erster Instanz beachtet. Eine Aufklärungspflicht dahingehend, dass bei dem von der Beklagten ausgewählten Putz das Hauptbindemittel Gips sei, habe nicht bestanden, da es wie vorgetragen keinen Hersteller auf dem Markt gebe, der bei einem Mischputz einen Kalkanteil von über 50 % verwende. Der Kläger habe sich auch nur einen Putz mit einem möglichst hohen Kalkanteil gewünscht. Es sei der Kläger selbst gewesen, der gebeten habe, den Putz endlich einzubringen, da er nicht länger warten könne, deswegen sei die vom Senat in Erwägung gezogene Handlungsalternative des Klägers, auf eine Trocknung der Wände zu warten, nicht gegeben gewesen. Das Landgericht habe zu Unrecht den Einwand der Beklagten nicht beachtet, dass die Bestimmung des Bindemittelanteils nach einem anderen als dem vom Sachverständigen verwendeten Verfahren hätte erfolgen müssen. Auf das subjektive Empfinden des Klägers, einen Putz mit einem bestimmten (Mindest-)Kalkanteil zu haben, könne nicht abgestellt werden. Die verlangte Vorschussleistung ziele auf einen Austausch des vereinbarten Putzes mit einem nicht vereinbarten reinen Kalkputz. Auch der Senat stelle zu Unrecht auf die Aussage der Zeugin Heck ab, obwohl diese an Gesprächen zwischen den Parteien nicht teilgenommen habe. Das Bestreiten der Schadenersatzforderungen mit Nichtwissen sei zulässig.

Der Kläger hat mit Schriftsätzen vom 12.3.2021 und 29.3.2021 Stellung genommen.

Zur Ergänzung wird auf das erstinstanzliche Urteil, den genannten Hinweisbeschluss des Senats und die genannten Schriftsätze zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

1. Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst auf die Ausführungen im Beschluss vom 12.2.2021 Bezug genommen. Die hiergegen gerichteten Einwände der Beklagten mit Schriftsatz vom 26.3.2021 veranlassen keine geänderte Beurteilung.

a) Die Korngröße von ca. 1 mm hat der Sachverständige im selbständigen Beweisverfahren festgestellt und als Ergebnis so berichtet. Ob der Sachverständige zu diesem Ergebnis durch „Messung“ oder durch „Schätzung“ gekommen ist, spielt keine Rolle, zumal die Beklagte einfach unterstellt, dass keine Messung stattgefunden habe. Die Bezeichnung der Größe mit „ca.“ 1 mm muss kein Hinweis auf eine Schätzung sein, sondern kann auch daher rühren, dass größere und kleinere Körner feststellbar waren. Der Senat hat jedenfalls keine Zweifel, dass ein Sachverständiger in der Lage ist, die mit bloßem Auge erkennbare Körnung zutreffend einzuordnen. Die Behauptung der Beklagten, sie habe einen Putz verwendet, der eine Körnung von 0,6 mm aufweise, ist damit widerlegt, ohne dass es darauf ankäme, ob die verwendete Mischung eine Fertigmischung oder eine Sondermischung für den Kläger war. Schon aus diesem Grund ist das Landgericht zu Recht von einer mangelhaften Leistung ausgegangen.

b) Der E-Mail des Klägers vom 18.11.2016 (Anl. B4) ist zu entnehmen, dass die Beklagte ihm den Übergang zu einem Kalk-Gips-Putz vorgeschlagen hatte und er hiermit einverstanden war. Damit war eine Einigung darüber erzielt, dass nicht nur ein reiner Kalkputzes, sondern auch ein „Kalk-Gips-Putz“ aufgebracht werden könne. Der Senat hält an seiner Auffassung fest, wonach die Beklagte die Einwilligung des Klägers in einen „Kalk-Gips-Putz“ so verstehen musste, dass dieser einen Putz mit einem Kalkanteil von über 50 % meinte, zumal der Kläger noch ausdrücklich betonte, es möge ein Kalk-Gips-Putz mit einem möglichst hohen Kalkanteil sein. Die Verwendung eines Gips-Kalk-Putzes mit einem Kalkanteil von unter 50 % stellt damit ebenfalls einen Mangel dar.

c) Ob es auf dem Markt Werktrockenmörtel gibt, die einen höheren Kalkanteil als 50 % oder einen höheren Kalkanteil als den der von der Beklagten verwendeten Putzmischung haben, ist wie hingewiesen ohne Belang. Denn zum einen ersetzt dieser behauptete Umstand – seine Richtigkeit unterstellt – nicht die notwendige Zustimmung des Klägers in eine entsprechende Abänderung der ursprünglichen Beschaffenheitsvereinbarung. Dass der Kläger keine Handlungsalternative, insbesondere nicht die Rückkehr zum an sich favorisierten reinen Kalkputz, gehabt hätte, ist unabhängig von der Frage, für wen der Baufortschritt wichtiger gewesen ist, nicht ersichtlich. Zum anderen enthielt das Angebot der Beklagten schon keine Beschränkung auf Werktrockenmörtel.

d) Hinsichtlich des Einwands der Beklagten, der Sachverständige habe ein falsches Verfahren zur Bestimmung der Bindemittelanteile gewählt, kann auf die Ausführungen im Beschluss vom 12.2.2021, dort S. 5 unter e), Bezug genommen werden. Dass angeblich ein Mitarbeiter der Fa. K. ein anderes Verfahren für besser gehalten hätte, begründet keine Zweifel an der Kompetenz des Sachverständigen, der auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts seine Wahl des Verfahrens begründet hat. Da es als wahr unterstellt werden kann, dass der Zeuge diese Aussage getätigt hat, war seine Vernehmung nicht erforderlich.

e) Der Einwand, die Zeugin H. habe an Gesprächen zwischen den Parteien nicht teilgenommen, geht ins Leere, da weder das Landgericht noch der Senat die Zeugin als Beweismittel für getroffene Vereinbarungen zwischen den Beteiligten angesehen haben. Als Ehefrau des Klägers konnte die Zeugin aber durchaus etwas zu den Motiven des Klägers oder zu den Beschädigungen an den Fenstern aussagen.

f) Hinsichtlich des Anspruchs auf Schadenersatz wegen Beschädigung der Fenster kann auf die Ausführungen im Beschluss vom 12.2.2021, dort S. 3 unter 2., Bezug genommen werden. Wie dort hingewiesen, kommt es auf die Zulässigkeit eines Bestreitens mit Nichtwissen gerade nicht mehr an.

g) Der Senat bleibt bei seiner Auffassung, wonach ein Kalk-Gips-Putz mit einem Kalkanteil von mehr als 50 % etwas anderes ist als ein Gips-Kalk-Putz mit einem Kalkanteil von unter 50 %, so dass der Kläger grundsätzlich ein Recht auf Austausch des Putzes hat. Es ist dem Kläger als Bauherrn überlassen zu entscheiden, welche Materialien er in welcher Ausführung in sein Bauwerk einbringen lassen möchte. Für ihn kann die Vorstellung eines besseren Wohngefühls, eines besseren Schutzes der Gesundheit und einer besseren Erhaltung der Bausubstanz maßgeblich für die Entscheidung für oder gegen bestimmte Materialien oder Zusammensetzungen sein. Nachdem für die Beklagte erkennbar war, dass dem Kläger ein möglichst hoher Kalkanteil wichtig war, kann sie im Nachhinein nicht damit argumentieren, dass ein Putz mit einem deutlich niedrigeren Kalkanteil „genauso gut“ sei. Ob die Beklagte die Überzeugungen des Klägers hinsichtlich der Vorteile eines Kalkanteils von über 50 % für falsch hält, ist ohne Relevanz, da sie als Auftragnehmerin nicht ihre eigene Wertung an die Stelle des Auftraggebers setzen kann.

h) Da die Beklagte in den Feuchträumen unstreitig Armierungsputz als Nachbesserung aufgebracht hat, ohne das Einverständnis des Klägers mit dieser nicht vereinbarten Putzart einzuholen, ist ihr Werk auch in diesen Bereichen mangelhaft. Dass der Kläger per E-Mail die Optik gelobt hat, bedeutet nicht, dass er Armierungsputz als ordnungsgemäße Nacherfüllung angesehen hätte.

i) Soweit schließlich die Beklagte nunmehr beanstandet, dass der Kläger mit dem vom Sachverständigen errechneten Vorschuss einen reinen Kalkputz aufbringen lassen wolle, kann auch dies der Berufung nicht zum Erfolg verhelfen. Es liegt im Wesen eines Vorschusses, dass später hierüber abzurechnen ist (Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl., § 637 Rn. 10). Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger tatsächlich nunmehr einen reinen Kalkputz „auf Kosten der Beklagten“ aufbringen möchte, bestehen nicht. Es ist auch weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass der geltend gemachte Vorschuss erheblich zu hoch wäre, weil der Sachverständige ausgehend von einem nicht geschuldeten reinen Kalkputz die Kosten der Selbstvornahme falsch ermittelt hätte; im Übrigen hätte dieser Einwand auch bereits in erster Instanz erhoben werden müssen. Schließlich geht der Einwand der Beklagten, der Kläger „dürfe“ im Rahmen der Selbstvornahme keinen Kalkputz aufbringen, fehl. Vor dem Hintergrund, dass die Parteien ursprünglich die Aufbringung eines reinen Kalkputzes vereinbart hatten und das Einverständnis des Klägers mit einem Kalk-Gips-Putz lediglich aufgrund des Feuchtigkeitsproblems erteilt wurde, ist nicht davon auszugehen, dass die ursprünglich vereinbarte Beschaffenheit „reiner Kalkputz“ durch die Beschaffenheit „Kalk-Gips-Putz“ vollständig verdrängt worden wäre. Vielmehr ist die Aufnahme eines Kalk-Gips-Putzes als Erweiterung der vereinbarten Beschaffenheit („reiner Kalkputz oder Kalk-Gips-Putz„) zu verstehen, um der Beklagten die Durchführung von Verputzarbeiten auch auf feuchterem Mauerwerk nach den anerkannten Regeln der Technik zu ermöglichen und putzgebundene Risse (die wiederum Mängel dargestellt hätten) zu vermeiden. Der Senat hat keinen Zweifel, dass der Kläger nicht ausdrücklich ausschließen wollte, dass die Beklagte auch den vorrangig gewünschten reinen Kalkputz aufbringen könnte, sollte sie im letzten Moment die Wände als doch nicht zu feucht ansehen. In diesem Fall wäre zwischen den Parteien das ursprüngliche Angebot (Anl. K1) ausgeführt worden, während die Beklagte den (angeblichen) Kalk-Gips-Putz mit einem niedrigeren Pauschalbetrag abgerechnet hat (Anl. A8 im Beweissicherungsverfahren). Es steht dem Kläger daher frei, nach seiner Wahl entweder Kalk-Gips-Putz aufzubringen. Die Beklagte kann im Fall der Aufbringung von reinem Kalkputz der Abrechnung des Klägers ihre eigene Nachforderung in Höhe der Differenz zwischen den beiden angebotenen Pauschalpreisen entgegenhalten.

j) Die vom Kläger erklärte Anfechtung der Änderung der Beschaffenheitsvereinbarung wegen arglistiger Täuschung würde zu keinem anderen Ergebnis führen, da auch in diesem Fall der Kläger berechtigt wäre, reinen Kalkputz im Rahmen der Nachbesserung aufbringen zu lassen, dann aber ebenfalls verpflichtet wäre, den ursprünglich hierfür vereinbarten höheren Pauschalpreis an die Beklagte zu entrichten. Es kann daher dahinstehen, ob die ohne tatsächliche Sachaufklärung abgegebene (und vom Senat für plausibel gehaltene) Vermutung des Landgerichts, die Beklagte habe den Kläger falsch informiert, um ihn zu einer ansonsten nicht zu erwartenden Einwilligung in eine andere Putzart zu veranlassen, wirklich zutrifft.

2. Die weiteren Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 ZPO liegen vor, insbesondere handelt es sich um eine reine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung.

OLG München: HOAI-Mindestsätze = übliche Vergütung

OLG München: HOAI-Mindestsätze = übliche Vergütung

vorgestellt von Thomas Ax

1. Macht der Architekt sein Honorar geltend, muss er nicht nur darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass ein Architektenvertrag geschlossen wurde, sondern auch, welche Leistungen sein Auftrag umfasst und welche Vergütung hierfür vereinbart wurde.
2. Haben die Parteien eines Architektenvertrags keine Honorarvereinbarung getroffen, ist die übliche Vergütung als vereinbart anzusehen. Auch nach der Entscheidung des EuGH vom 04.07.2019 (IBR 2019, 476) stellt die Abrechnung nach HOAI-Mindestsätzen die übliche Vergütung dar.
3. Die Abrechnung des Architektenhonorars hat prüfbar nach den Vorgaben der DIN 276 zu erfolgen.
OLG München, Urteil vom 15.06.2021 – 9 U 631/20 Bau
vorhergehend:
LG München I, 17.01.2020 – 24 O 10960/17
nachfolgend:
BGH, Beschluss vom 01.03.2023 – VII ZR 661/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)


Gründe:

I.

Der Kläger begehrt auf Grund mündlich erteilter Aufträge Honorar für seine Ingenieurleistungen bei 2 verschiedenen Abschnitten eines Bauvorhabens der Beklagten in B. A. („Wohnen am S. 4“ [‚SP4‘], Am L. 5, 5a, 5b, ursprünglich E. Straße in B. A.). Hierbei handelt es sich um ein Mehrfamilienhaus mit 4 Wohngeschoßen und 25 Wohneinheiten sowie eine geschlossene Tiefgarage mit 42 Stellplätzen.

Die Beklagte bestreitet im Wesentlichen die Auftragserteilungen an den Kläger. Der Kläger behauptet, die abgerechneten Leistungen erbracht zu haben. Diese seien von der Beklagten auch angenommen worden. Die Parteien haben erstmals 2011 zusammengearbeitet. Den hier gegenständlichen ersten Bauabschnitt, ein Mehrfamilienhaus, führte die Klägerin in den Jahren 2015 und 2016 durch. Der Kläger behauptet, bei Baustellenbesprechungen im Februar 2015 mit Leistungen im Zusammenhang mit dem erforderlichen Verbau beauftragt worden zu sein und begehrt hierfür auf der Grundlage seiner überarbeiteten Rechnung vom 05.04.2016 den Betrag von 10.146,78 Euro brutto. Die Beklagte räumt ein, vom Kläger beraten worden zu sein und habe das daraus folgende Honorar von 4.315,40 Euro bezahlt brutto.

Für den zweiten hier gegenständlichen Bauabschnitt, „Wohnen am S.„, hatte die Beklagte den Architekten S.-N. mit den Leistungsphasen 1 – 8 beauftragt. Der Kläger war damals als Nachunternehmer für den Architekten im Rahmen der Leistungsphase 8 tätig. Der Kläger behauptet, von der Beklagten für die Bauabschnitte SP1 und SP2 im Laufe des Jahres 2012 direkt mit der Fachbauleitung für die technische Ausrüstung, mit der Bauüberwachung für Kundenwünsche, mit zusätzlichen Leistungen außerhalb des Auftragsumfangs des Architekten und für die Außenanlagen beauftragt worden zu sein. Eben dieser Leistungsumfang sei vom Geschäftsführer bzw. einer Mitarbeiterin der Beklagten dann auch für den hier streitgegenständlichen Bauabschnitt SP4 angefordert worden (LGU S. 5). Hierfür begehrt der Kläger auf der Grundlage seiner überarbeiteten Rechnung vom 25.01.2018 den Betrag von 102.360,20 Euro brutto. Die Beklagte behauptet, für dieses Bauvorhaben sei der Kläger lediglich als Mitarbeiter des Architekten S.-N. tätig geworden.

Das Landgericht hat zur Auftragserteilung Zeugen vernommen und zur Honorarhöhe Sachverständigenbeweis erhoben. Die Zeugin A. W. habe die Auftragserteilung für den ersten Bauabschnitt bestätigt. Für den zweiten Bauabschnitt habe der Zeuge S.-N. lediglich eine Auftragserteilung für Leistungsphase 8 im Bereich der technischen Ausrüstung sowie für die Außenanlagen bestätigt. Der Sachverständige K. habe auf dieser Grundlage für die beiden Bauabschnitte restliche Honoraransprüche des Klägers ermittelt, die das Landgericht dann zugesprochen hat.

Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er verfolgt weiterhin die bereits erstinstanzlich beantragten Honorarbeträge von 10.146,78 Euro brutto bzw. 102.360,20 Euro brutto. Die Beklagte tritt dem entgegen.

Der Kläger beantragte zuletzt,

I. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 17.01.2020 zu dem Az.: 24 O 10960/17 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 10.146,78 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus dem Teilbetrag von 9.775,26 Euro seit 11.05.2016 und aus einem weiteren Teilbetrag von 371,52 Euro seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

II. Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 17.01.2020 zu dem Az.: 24 O 10969/20 wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 102.360,20 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach der mündlichen Verhandlung vom 20.10.2020 hat der Senat rechtliche Hinweise erteilt. Insoweit wird Bezug genommen auf den Hinweisbeschluss vom 22.12.2020 (Bl. 250/254 d.A.). Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Das Urteil des Landgerichts München I weist keine Rechtsfehler auf. Sowohl der Auftragsumfang als auch die Höhe des Honorars hat das Landgericht – sachverständig beraten – zutreffend festgestellt.

Ein weiteres Honorar steht dem Kläger nicht zu, da es an einem ausreichenden Sachvortrag zu den von ihm erbrachten Leistungen und einer prüffähigen Schlussrechnung fehlt. Dies hat das Erstgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen zutreffend festgestellt.

Auch im Berufungsverfahren hat der Kläger seine erbrachten Leistungen nicht näher bzw. nachvollziehbarer dargestellt, sondern vielmehr angegeben, hierzu auch nicht mehr vortragen zu können (Schriftsatz vom 29.04.2021 (Bl. 283/285 d.A.). Soweit der Kläger auf Bl. 47 d.A. Bezug nimmt, ist der dortige Sachvortrag zu unkonkret, um daraus einen Honoraranspruch ableiten zu können. Der Kläger begnügt sich bei dieser Darstellung weitgehend damit, die Leistungsbilder der HOAI in unspezifischer Weise allgemein wiederzugeben, ohne seine Tätigkeit im Einzelnen nachvollziehbar und konkret nach Datum, Zeit, Personen etc. aufzuschlüsseln.

Zudem hat der Kläger seine erbrachten Leistungen nicht in einer HOAI-konformen Weise prüfbar abgerechnet. Eine generelle Abrechnung auf Stundenbasis kommt – auch nach der Entscheidung des EuGH vom 04.09.2019, Baurecht 2019, 1624 – nicht in Betracht. Zudem fehlt es an einer wirksamen Vereinbarung der Parteien zur Abrechnung auf Stundenbasis. Nur bei dem Auftrag, der darin bestand, zur Beweissicherung bei einem Nachbargrundstück den Status quo vor den Verbauarbeiten sicherzustellen, ist eine Stundenabrechnung zulässig.

1. Auftragsumfang:

a) Der Senat geht in Übereinstimmung mit dem Erstgericht davon aus, dass die Auftragserteilung des Klägers durch die Beklagte beim Bauvorhaben Wohnen am S. 4, Am L. 5, 5a, 5b, in … B. A. in dem vom Erstgericht angenommenen Umfang durch die Beweisaufnahme in erster Instanz (Aussagen der Zeugin A. W. und des Zeugen V. S.-N.) sowie durch eine Zusammenschau und Auswertung der vorgelegten Anlagen K8, K11, K12, K14, K21, B1 und B2 nachgewiesen ist und damit dem Grunde nach eine vergütungspflichtige Tätigkeit des Klägers vorliegt. Die Aussagen der Zeugen wurden vom Erstgericht zutreffend gewürdigt.

b) Danach ist hinreichend belegt, dass der Kläger mit der Neukonzeption bzw. der Optimierung der Verbauarbeiten hinsichtlich der Leistungsphasen 1, 2, 6, 7 und 8 gemäß § 43 I HOAI 2013 und der damit zusammenhängenden Beweissicherung (auf Stundenbasis) beauftragt wurde (künftig: „Auftrag 1„), die der Kläger mit Rechnung vom 05.04.2016 (Anlage K23) abgerechnet hat, sowie mit Bauüberwachungsleistungen gemäß Leistungsphase 8 aus den Leistungsbildern „Gebäude und Innenräume„, „Technische Ausrüstung“ sowie „Freianlagen„, welche der Kläger mit Rechnung vom 25.01.2018 (Anlage K24) geltend macht (künftig: „Auftrag 2„), wobei bei den Freianlagen neben der Leistungsphase 8 auch die Leistungsphasen 6 und 7 abgerechnet wurden, für deren Beauftragung der Kläger bislang beweisfällig geblieben ist, welche aber betragsmäßig nur 3.695,80 Euro netto (Differenz aus 14.783,20 Euro und 11.087,40 Euro) ausmachen.

c) Bei der Neukonzeption des Verbaus etc. (Auftrag 1) ist der Kläger von der Beklagten entgegen deren Vortrags nicht nur mit (unentgeltlichen) Beratungsleistungen beauftragt worden, sondern mit typischen Architektenleistungen, die er als solche auch erbracht hat. Dasselbe gilt für den „Auftrag 2“ jedenfalls für die Leistungsphase 8.

d) Hier ist die Beklagte mit ihrer Verteidigungsstrategie gescheitert. Danach soll der Kläger Leistungen nur als Mitarbeiter oder Subunternehmer des Architekturbüros V. S.-N. erbracht haben, welche bereits bezahlt sind. Dies mag zu Beginn der Tätigkeiten des Klägers für die Beklagte in früheren Jahren der Fall gewesen sein, ist aber für den Bauabschnitt SP4 durch die durchgeführte Beweisaufnahme in erster Instanz und durch die vorgelegten Anlagen K8, K11, K14, K21, B1 und B2 klar widerlegt. Denn der Zeuge S.-N. hat unmissverständlich ausgesagt, dass der Kläger beim zugrundeliegenden Bauvorhaben Wohnen am S. 4 in B. A. nicht für ihn als Bauleiter tätig war, soweit er als Bauleiter tätig war, und dass die Sonderwünsche im Übrigen vom Kläger betreut wurden und gesondert abzurechnen waren, d.h. im Vertrag des Zeugen S.-N. lediglich ein Sonderwunsch enthalten war. Dass der Kläger insoweit nicht für das Architekturbüro S.-N. tätig geworden sein kann, ergibt sich schon aus der getroffenen vertraglichen Vereinbarung der Beklagten mit dem Architekturbüro S.-N. (Anlagen B1, B2 und K21), wonach die notwendigen Sonderfachleute (darunter die technische Ausrüstung für Heizung, Lüftung, Sanitär und Elektrik) vom Bauherren beauftragt werden und auch die Koordination der Sonderwünsche der Käufer ausschließlich über den Bauherren abgewickelt wird.

e) Da der Senat in Übereinstimmung mit dem Erstgericht von einem Auftrag des Klägers in beiden Fällen („Auftrag 1“ und „Auftrag 2„) – lediglich mit der genannten Einschränkung beim Auftrag 2 bezüglich Leistungsphasen 6 und 7 bei den Freianlagen – ausgeht, war eine vom Kläger beantragte weitere Beweiserhebung durch erneute Einvernahme der Zeugen A. W. und S. N. sowie eine persönliche Anhörung beider Parteien hierzu nicht erforderlich. Ein spezielles Beweisangebot zur Frage der Beauftragung mit den Leistungsphasen 6 und 7 bei den Freianlagen beim „Auftrag 2“ lag nicht vor.

2. Leistungsumfang:

a) Der Kläger ist im Hinblick auf den Umfang seiner erbrachten Leistungen, soweit diese nicht in den beiden Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. -Ing. J. K. vom 22.08.2019 (Bl. 104/131 d.A.) und vom 18.11.2019 (Bl. 151/164 d.A.) Berücksichtigung fanden, beweisfällig geblieben. Eine Beweiserhebung zum Sachvortrag des Klägers durch Sachverständigenbeweis fand bereits erstinstanzlich statt. Dabei wurde der gesamte Sachvortrag des Klägers berücksichtigt und nachvollziehbar durch den Sachverständigen bewertet.

b) Eine weitere Beweiserhebung durch Sachverständigengutachten kam entgegen anfänglicher Überlegungen des Senats nicht mehr in Betracht, da der Kläger auch in der Berufungsinstanz keinen relevanten neuen bzw. ergänzenden Sachvortrag vorgebracht hat, der zu einer grundlegenden anderen Beurteilung zwingen würde. Das Beweisangebot im Schriftsatz vom 08.04.2021, S. 3, Bl. 275 d.A. ist zu unsubstantiiert und kann fehlenden Sachvortrag nicht ersetzen. Unklar ist auch, welche Hilfsindizien hierdurch unter Beweis gestellt werden sollen.

c) Richtig ist, dass der Umstand, dass das Erstgericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben hat, nahelegt, dass das Erstgericht von einem schlüssigen Sachvortrag des Klägers hierzu ausgegangen ist. Dies führt aber nicht dazu, dass ein für alle Mal von einem schlüssigen Sachvortrag des Klägers auszugehen ist, selbst wenn die Begutachtung ergibt, dass der Sachvortrag des Klägers unzureichend ist, um seine angeblich erbrachten Leistungen honorarmäßig überprüfen zu können. Auch für den Senat erschließt sich nicht, welche Tätigkeiten der Kläger konkret bei den vom Sachverständigen als nicht prüffähig angesehenen Positionen entfaltet hat. Sowohl der Sachvortrag im Zivilprozess als auch die Begründung in den Honorarschlussrechnungen ist zu unbestimmt und unkonkret.

d) Der Umfang der in den beiden Schlussrechnungen (K 23 und K 24) als erbracht abgerechneten Leistungen war keinesfalls zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte hat bereits die Auftragserteilung an den Kläger bestritten und gemeint, dass etwaige Leistungen des Klägers vom Leistungsumfang des Architekturbüros S. N. oder anderer Beteiligter erfasst waren und von diesen erbracht wurden. Dies impliziert die Behauptung, dass die Leistungen jedenfalls nicht vom Kläger erbracht wurden, womit dessen Leistungserbringung vollumfänglich bestritten wurde. Untunlich ist daher der Hinweis des Klägers darauf, dass die Beklagte überhaupt nicht bestritten hat, dass diese Arbeiten ausgeführt worden sind und deshalb bezahlt werden müssen. In rechtlicher Hinsicht dringt die Beklagte zwar mit ihrer Argumentation zur Auftragserteilung nicht durch (vgl. die obigen Ausführungen zur Auftragserteilung unter Ziffer 1.d)), dies bedeutet aber nicht, dass damit schon der Umfang der erbrachten Leistungen zugestanden oder unstreitig gestellt wurde. Über den Umfang der erbrachten Leistung war daher vom Erstgericht zutreffend Beweis zu erheben.

3. Abrechnung bei fehlender Honorarvereinbarung nach der Entscheidung des EuGH vom 04.09.2019:

a) Eine Honorarvereinbarung hat zwischen den Parteien unstreitig nicht stattgefunden. Der Senat ist der Auffassung, dass auch nach der Entscheidung des EuGH vom 04.07.2019, Baurecht 2019, 1624 die Abrechnung nach HOAI-Mindestsätzen die übliche Vergütung darstellt, einschließlich der durch die DIN 276 vorgegebenen Abrechnungsgrundsätze. Hierauf hat der Senat im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.10.2020 (Bl. 238 d.A.) hingewiesen.

b) Sehr streitig in Rechtsprechung und Literatur ist nach wie vor, inwieweit Entscheidungen des EuGH in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland überhaupt Rechtswirkungen für am Gerichtsverfahren Nichtbeteiligte, insbesondere zwischen Privaten, entfalten können (vgl. Werner/Pastor, Der Bauprozess, 17. Aufl. 2020, Kapitel 4, Rz. 594).

c) Jedenfalls besteht kein Grund, die HOAI auch in den Fällen für unanwendbar und insgesamt unwirksam zu erklären, in denen diese lediglich das angemessene Honorar festlegt, wenn die Parteien auf eine entsprechende Vereinbarung verzichtet haben. Denn in diesem Fall stellt die HOAI kein rechtlich zu beanstandendes zwingendes Preisrecht dar, das weder eine Mindestsatzunterschreitung noch eine Höchstsatzüberschreitung zulässt. Vielmehr stellt der Mindestsatz das angemessene Honorar i.S.d. § 632 Abs. 2 BGB dar. Andernfalls würde man ohne Not die Entscheidung des EuGH auf Sachverhalte ausdehnen, die der Entscheidung nicht zugrunde lagen und von dieser nicht erfasst sind. Dem hat auch der Gesetzgeber in der neuen HOAI 2021 Rechnung getragen, indem dort bei unterbliebener Honorarvereinbarung statt eines verbindlichen Preisrahmens die neue Honorarreglung in Form des „Basishonorarsatzes“ in §§ 1 Abs. 2, 2a Abs. 1 HOAI 2021 den Vertragsparteien eine Orientierung und Hilfestellung „bei der Ermittlung des angemessenen Honorars bieten“ soll (BR-Drucks. 539/20, S. 17; Aufsatz von Rechtsanwalt Dr. Matthias Orlowski, ZfBR, 2021, 315, 320).

4. Prüfbarkeit der Abrechnung:

a) Richtig ist, dass die Frage der Prüfbarkeit des Honorars eine vom Gericht und nicht vom Sachverständigen zu beurteilende Rechtsfrage ist. Sowohl das Erstgericht als auch der Senat beurteilen die Frage der Prüfbarkeit der Schlussrechnungen in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen.

b) Die Abrechnung hat prüfbar nach den Vorgaben der DIN 276 zu erfolgen. Dem ist der Kläger nicht in ausreichender Weise nachgekommen. Denn bei der Bauüberwachung für die Kundensonderwünsche hat der Kläger ganz darauf verzichtet, das Honorar nach den anrechenbaren Kosten zu ermitteln, sondern hat lediglich die Handwerkerkosten pauschal ohne Angabe eines Einheitspreises zugrunde gelegt. Dies ist nicht zulässig und ausreichend, um das angemessene Honorar zu ermitteln.

c) Mit dieser Art der Abrechnung ist der Kläger von den vorhergehenden Abrechnungen zu den Bauabschnitten „S. 1 bis 3“ (vgl. Anlagen BK 3 bis 5) abgewichen, ohne dass dies nachvollziehbar oder notwendig war. Der Senat konnte jedenfalls ausschließen, dass zwischen den Parteien eine andere Art der Abrechnung vereinbart oder als üblich angesehen wurde, die eine Berufung der Beklagten auf eine fehlende Prüfbarkeit oder Unzulässigkeit der Abrechnung als Verstoß gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB erscheinen ließe.

d) Für den Fall, dass der Kläger sich in einer Notlage befunden hätte, weil ihm von der Beklagten die zugrunde zu legenden anrechenbaren Kosten nicht mitgeteilt worden wären, hätte er ohne weiteres diese Kosten schätzen können, worauf der Klägervertreter selbst zutreffend hingewiesen hat (Berufungsbegründung vom 23.03.2020, S. 9/19, Bl. 214/215 d.A.). Umso unverständlicher ist, dass der Kläger dies nicht getan hat.

5. Abrechnung im Einzelnen:

a) Beim „Auftrag 1“ (Schlussrechnung vom 05.04.2016, Anlage K 23) hat der Sachverständige in seinen beiden Gutachten nachvollziehbar einen Honoraranspruch des Klägers von 3.957,71 Euro netto errechnet, den das Erstgericht auch zugesprochen hat. Zu Recht hat der Sachverständige die örtliche Bauüberwachung mit Null bewertet, da die Tätigkeiten weder in der Schlussrechnung noch in der nachgereichten Anlage B 01 inhaltlich nachvollziehbar waren und zudem unklar geblieben ist, ob der Kläger neben der ohnehin mit 15 % abgerechneten Leistungsphase 8 (Bauoberleitung gemäß § 43 (1) HOAI 2013) ergänzende Tätigkeiten im Rahmen der Bauüberwachung wahrnahm und falls ja, welche. Für die Beweissicherung im Zusammenhang mit dem Verbau hat der Sachverständige nachvollziehbar ein Stundenhonorar von 8 Stunden á 70,00 Euro, also 560,00 Euro netto, zugrunde gelegt. Auch der Senat hält einen Stundensatz von 70,00 Euro für angemessen und nicht den nachträglich vom Kläger geltend gemachten Stundensatz von 115,00 Euro.

b) Beim „Auftrag 2“ (Schlussrechnung vom 25.01.2018, Anlage K 24) hat der Kläger die Bauüberwachung für Gebäude und Innenräume (Kundensonderwünsche) sowie für die technische Ausrüstung aus den vom Sachverständigen genannten Gründen nicht prüfbar abgerechnet. Lediglich für die Außenanlagen bzw. Freianlagen konnte ein Honorar für die Leistungsphase 8 zugesprochen werden.


II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.

Die Zulassung der Revision kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Anwendung der HOAI hinsichtlich der Mindestsätze bei fehlender Honorarvereinbarung wird durch die Entscheidung des EuGH vom 04.09.2019, Baurecht 2019, 1624 nicht in Frage gestellt.

Interessante Förderung bei der Umsetzung von Projekten zur Verbesserung der Energieeffizienz von öffentlichen Gebäuden mit den Nutzungen Kultur, Sport, Tourismus sowie karitativen Zwecken und hohen Energie-Einsparpotentialen

Interessante Förderung bei der Umsetzung von Projekten zur Verbesserung der Energieeffizienz von öffentlichen Gebäuden mit den Nutzungen Kultur, Sport, Tourismus sowie karitativen Zwecken und hohen Energie-Einsparpotentialen

Die EFRE-Förderung (Europäischer Fonds für regionale Entwicklung) bietet Kommunen und Vereinen Unterstützung bei der Umsetzung von Projekten zur Verbesserung der Energieeffizienz von Bestandsgebäuden mit Fördersummen von bis zu 6,4 Mio. €. Förderungen von 80% sind bei Gesamtausgaben von maximal 8 Mio. € möglich!

Der Fokus dieses Förderprogramms liegt auf öffentlichen Gebäuden mit den Nutzungen Kultur, Sport, Tourismus sowie karitativen Zwecken und hohen Energie-Einsparpotentialen.

Gefördert wird

Investive-Maßnahmen

  • Gebäudehülle und Bautechnik (Wärmedämmung, Fenstererneuerung, etc.)
  • Gebäudetechnik (Heizungs- und Lüftungsanlagen, etc.)
  • Gebäudesystemtechnik (MSR-Technik, etc.)
  • Maßnahmen zum Erlangen einer anerkannten Gebäudezertifizierung
  • Umfeldmaßnahmen (Wiederherstellung Putz, Malerarbeiten, Gerüst, etc.)


Nicht-Investive Maßnahmen

  • Energiekonzept
  • Bauliche und technische Datenaufnahme und Datenauswertung
  • Untersuchung des Bestandsgebäudes und der vorhandenen Anlagentechnik
  • Digitale Planungen
  • Energiemanagement- und Monitoringkonzepte
  • Öffentliche Kommunikation und Sichtbarmachung der Maßnahme


Das Gebäude muss vor dem 01.11.1977 erbaut worden sein, weiterhin muss das sanierte Gebäude die gesetzlichen Vorgaben des GEG übertreffen, der Primärenergieverbrauch muss um 50% gesenkt werden sowie ein Energiekonzept muss vorhanden sein. Des Weiteren gilt es zu beachten, dass das Gebäude ganzheitlich ertüchtigt werden muss, bedeutet Gebäudehülle und Anlagentechnik werden auf den notwendigen Stand gebracht.

Der Fördertopf, welcher aus EU-Geldern gespeist wird, hat einen Inhalt von 200 Mio €. Dieses Geld wird nach dem Windhundverfahren verteilt, sodass es sich lohnt sich zeitnah mit dem Thema zu beschäftigen und zu prüfen, ob es sanierungsbedürftige Immobilien im Portfolio gibt.

Anträge können ab dem 18.09.2023 bei der jeweiligen Bezirksregierung in einem Online-Antragsverfahren eingereicht werden. Dabei ist die Einbindung eines Energie-Effizienz-Experten unbedingt erforderlich.

Die Nutzung dieser Fördermittel setzt eine genaue Planung und eine detaillierte Kenntnis der Anforderungen und Verfahren des EFRE voraus. Es ist daher ratsam, bereits in der frühen Planungsphase einen erfahrenen Energieberater mit der Unterstützung zu beauftragen.

Genauere Aussagen zu Rahmenbedingungen und Förderhöhen können aktuell noch nicht getroffen werden, da die offizielle Richtlinie noch nicht veröffentlicht ist.

Einen versierten Energieberater mit dem wir seit Jahren hervorragend zusammenarbeiten können wir kurzfristig bereitstellen, um Sie insoweit handlungsfähig zu machen:

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