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OLG Hamburg zur Frage, ob ein Planer sich auf verschiedene Bauvergabestrategien einstellen muss

OLG Hamburg zur Frage, ob ein Planer sich auf verschiedene Bauvergabestrategien einstellen muss

vorgestellt von Thomas Ax

Die Vorgabe des Auftraggebers, dass sowohl für den Fall der Einzelgewerks- als auch für den Fall der GU-Vergabe zu bieten ist und er sich vorbehält, die konkrete Vergabestrategie erst der nach Auftragsvergabe an die Planer (hier: nach Abschluss der Leistungsphase 4) festzulegen, führt in einem Verhandlungsverfahren nicht zu einem Verstoß gegen das Gebot der hinreichenden Bestimmtheit und Transparenz der Leistungsbeschreibung. Es existiert kein Verbot, dem Auftragnehmer vertraglich (selbst erhebliche) Wagnisse aufzuerlegen. Es ist daher – bis zur Grenze der Unzumutbarkeit – zulässig, dem Auftragnehmer auch solche Risiken aufzubürden, die nach dem gesetzlichen Leitbild grundsätzlich den Auftraggeber treffen. Der Auftraggeber hat bei der Ausgestaltung des Verhandlungsverfahrens einen weiten Ermessensspielraum. Er kann festlegen, wie viele Verhandlungs- und Angebotsrunden es gibt, wobei er diese Entscheidung auch in Abhängigkeit vom Ablauf des bisherigen Verfahrens treffen kann, solange er die Grundsätze von Transparenz und Gleichbehandlung beachtet.

OLG Hamburg, Beschluss vom 20.03.2023 – 1 Verg 3/22

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen den Beschluss der Vergabekammer bei der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen vom 27. Juli 2022, mit dem auf einen Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 8. April 2022 das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückversetzt und der Antragsgegnerin für den Fall fortbestehender Beschaffungsabsicht aufgegeben worden ist, die Aufforderung zur Abgabe eines Erstangebots unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu fassen.

Das verfahrensgegenständliche Vergabeverfahren betrifft den seitens der Antragsgegnerin mit Gesamtbaukosten in Höhe von Euro 425.000.000 geplanten Neubau der … Klinik A. und hat insoweit den

„Hochbaulichen Realisierungswettbewerb mit freiraumplanerischem Anteil, mit Teilnahmewettbewerb und nachgeschaltetem Verhandlungsverfahren gem. VgV“

zum Gegenstand.

Das Vergabeverfahren war seitens der Antragsgegnerin bereits mit Bekanntmachung vom 28. Juni 2019 ausgeschrieben worden, die Antragstellerin hatte sich hieran neben sieben weiteren Teilnehmern in der Weise beteiligt, dass sie binnen der bis zum 13. November 2019 gesetzten Frist einen Wettbewerbsbeitrag abgegeben hatte, der in der nachfolgenden Wertung des vorgesehenen Preisgerichts am 19. Dezember 2019 sodann einstimmig den ersten Preis gewann. Zwei weitere Wettbewerbsbeiträge konkurrierender Teilnehmer wurden jeweils mit dem dritten Preis ausgezeichnet, die verbleibenden fünf weiteren Wettbewerbsbeiträge wurden nicht ausgezeichnet.

In der Wettbewerbsbekanntmachung (Ordner 1 der Vergabeakte, Dok.Nr. 2019-OJS1…) wurde die geplante Beschaffung dahingehend beschreiben, dass die Planung auszugehen hatte von einem Flächenbedarf von ca. 150.000 m² (in der Folge nach Funktionsbereichen näher aufgegliederter) Bruttogeschossfläche.

Von der ausgelobten Wettbewerbssumme sollten Euro 160.000 (Euro 80.000 1. Preis, Euro 50.000 2. Preis, Euro 30.000 3. Preis) als Preisgeld, Euro 240.000 als Aufwandsentschädigung (zu verteilen zu gleichen Teilen an die maximal acht teilnehmenden Planungsteams) zur Verfügung stehen.

Der Zuschlag sollte auf das wirtschaftlichste Angebot erfolgen, wobei in die Wertung das „Wettbewerbsergebnis“ zu 45%, der „fachliche Wert“ zu 15%, die „Qualität“ zu 15%, die „Kommunikation/Verfügbarkeit“ zu 5% und das „Honorarangebot“ zu 20% einfließen sollten.

Im Abschnitt VI der Wettbewerbsbekanntmachung erklärte die Antragsgegnerin, dass sie

„einen der Preisträger mit der weiteren Bearbeitung der Planungsleistungen gem. § 33 HOAI und § 38 HOAI – mindestens der Leistungsphasen 2 bis 4 und Teile der Leistungsphase 5 (mindestens 15%) … beauftragen (werde)“, wie „die Beauftragung … stufenweise erfolgen sollte)“.

In der beigefügten Zuschlagmatrix (Dokument 1…) wurden zu den Kriterien 2 – 4 (Fachlicher Wert, Qualität, Kommunikation und Verfügbarkeit) jeweils nähere Bewertungsmerkmale angeführt. In den ebenfalls veröffentlichten Verfahrenshinweisen finden sich nähere Angaben zur Punktvergabe betreffend die einzelnen Kriterien. Hinsichtlich des Kriteriums Honorar wird darauf verwiesen, dass das günstigste Angebot mit 10 Punkten und ein Angebot ab dem doppelten Betrag dieses Angebotes mit 0 Punkten bewertet werden würde, während die Punkte dazwischenliegender Angebote durch lineare Interpolation ermittelt werden würden.

Die Antragsgegnerin hat das Vergabeverfahren danach erst mit einem Bieterleitfaden vom 24. August 2021 (im Ordner 11 der Vergabeakte) weitergeführt, mit dessen Übersendung an die Antragstellerin diese zugleich aufgefordert wurde, bis zum 27. September 2021 ein erstes indikatives Angebot abzugeben, auf dessen Grundlage sich dann ankündigungsgemäß Verhandlungen der verbliebenen Wettbewerber mit der Antragsgegnerin anschließen sollten.

Mit der Aufforderung zur Abgabe des indikativen Angebotes wurden auch ein „Leistungsbild Einzelgewerksvergabe“ und ein „Leistungsbild Generalunternehmervergabe“ übermittelt (Ordner 11 Vergabeakte). In beiden waren jeweils die zu erbringenden Grundleistungen und besonderen Leistungen aufgeführt. Beigefügt waren Preisblätter sowohl für den Fall der Einzelgewerks- als auch für den Fall der GU-Vergabe.

Im mit übermittelten Entwurf des Architektenvertrags war in Ziffer 1.2., 3. Absatz, das Gesamtbudget „auf Preisbasis 2. Quartal 2020“ für die Kostengruppen 200 – 700 gem. DIN 276 auf Euro 425.000.000 beziffert, wobei „Budgetvorgaben der AG zwingend einzuhalten …“ waren. Unter Ziffer 1.4. war bestimmt, dass die Auftraggeberin sich die Entscheidung, ob das Vorhaben im Wege der Einzelgewerks- oder GU-Vergabe durchgeführt werden solle, Vorbehalte, was von der Auftragnehmerin zu unterstützen sei, die für beide Arten der Leistungserbringung zur Verfügung stehe. Unter Ziffer 3.1.2.1. war nochmals niedergelegt, dass der Auftragnehmer die Gesamtbaukosten von Euro 425.000.000 einzuhalten habe, die allerdings auf Basis 2015 = 100 an den Index für Wohngebäude des Statistischen Bundesamtes gekoppelt sein sollten. Für nicht von ihm zu vertretende Überschreitungen der Kostenobergrenze sollte der Auftragnehmer nicht haftbar sein (Ziffer 3.1.2.3). Gem. Ziffer 4.1. sollte der Auftraggeber die Vergabestrategie nach Abschluss LP 3 treffen, behielt sich jedoch eine Änderung der Strategie vor, wobei der Auftraggeber die einzelnen Leistungsstufen bzw. Leistungsphasen „einzeln/optional“ beauftragen sollte, ohne dass insoweit ein Rechtsanspruch bestehen sollte.

Im Bieterleitfaden (Ziffer 2.1.) wurde näher ausgeführt, dass die Vergabestelle für beide möglichen Leistungsbilder (Einzelgewerks- oder GU-Vergabe) ein Honorarangebot erhalten wolle, weshalb beide Preisblätter unter Berücksichtigung der Angebotsvorstellungen des Bieters auszufüllen seien. Weiter war darauf hingewiesen, dass sämtliche Leistungen, inclusive der „besonderen Leistungen“ zu bepreisen seien. Sodann fand sich eine „Grobschätzung“ der anrechenbaren Kosten.

Die Antragstellerin reichte fristgerecht ein indikatives Angebot mit einer Honorarsumme in Höhe von brutto Euro 41.016.603,19 ein (im Ordner 14 der Vergabeakte); zum Vertragsentwurf merkte sie dabei an (Ordner 14 der Vergabeakte, Dokument 1926-21…), dass die Kostenobergrenze von Euro 425.000.000 die Baukostensteigerung seit dem 2. Quartal 2019 nicht berücksichtige; für den Fall der GU-Vergabe bilde die Kostenobergrenze zudem die deutlich höheren Kosten der GU-Vergabe nicht ab. Zudem beanstandete sie, dass die „besonderen Leistungen“ nicht näher beschrieben seien; zu den optionalen besonderen Leistungen „Analyse zu Alternativen/Varianten inkl. Kosten“, „Aufstellen und Fortschreiben vertiefte Kostenberechnung“ und „Fortschreiben von Raumbüchern“ bemängelte die Antragstellerin Unklarheiten. Auch hinsichtlich der „besonderen BIM-Leistungen“ wies die Antragstellerin auf Unklarheiten hin (a.a.O., Punkte 34 – 55). In den von ihr eingereichten Preisblättern setzte die Antragstellerin für die „besonderen Leistungen“ durchweg einen Erinnerungswert von Euro 1 ein.

Es schlossen sich am 2. November 2021 jeweils etwa zweistündige Verhandlungstermine der Antragsgegnerin sowohl mit der Antragstellerin als auch mit den beiden weiteren verbliebenen Mitwettbewerbern an (Protokoll im Ordner 16 der Vergabeakte). Hierbei war der Antragstellerin mitgeteilt worden, dass es voraussichtlich noch einen Termin geben werde, an dem weitere Honorar- und Vertragsfragen geklärt werden sollten, danach solle ein überarbeitetes Angebot und ggf. im Anschluss daran noch ein finales Angebot abgefragt werden. Befragt zur ihrer Meinung zur Vergabestrategie erklärten die Mitarbeiter der Antragstellerin, dass der Markt aktuell schwierig und eine GU-Vergabe für den Auftraggeber häufig teurer sei als eine Einzelvergabe, weshalb sie die letztere präferieren würden (Seite 5 Mitte des Protokolls des Gesprächs vom 2. November 2021); zu den „besonderen Leistungen“, zu denen sie im Preisblatt jeweils nur Euro 1 eingesetzt hatte, bat die Antragstellerin um Präzisierung des Leistungsbildes. Für die Antragstellerin nahm an diesem Gespräch zur Klärung von Fragen zum Vertrag auch Herr Rechtsanwalt Dr. S. teil, wobei – wegen der fortgeschrittenen Zeit und des Umfangs der Anmerkungen der Antragstellerin zum Vertrag – „sofern erforderlich“ ein gesonderter Termin stattfinden sollte.

Insoweit fand am 7. Dezember 2021 noch eine einstündige Videokonferenz zwischen der durch (u.a.) Rechtsanwalt Dr. S. vertretenen Antragstellerin und der Antragsgegnerin statt.

In diesem wies die Antragstellerin wiederum darauf hin, dass das Projektbudget nicht mehr mit dem im Zuge des Wettbewerbs erstellten Funktions- und Raumprogramm in Übereinstimmung gebracht werden könne; sachgerecht erscheine es ihr daher, als Planungsziel entweder die Einhaltung des Budgets oder aber des gewünschten Raum- und Funktionsprogramms zu definieren, da ansonsten keine harte Kostenobergrenze vereinbart werden könne (Protokoll der Termins vom 7. Dezember 2021, zu Ziffer 1.2. u.a.; Ordner 18 der Vergabeakte, Dokument 21…). Die Antragstellerin äußerte die Befürchtung, haftungsrechtlich an einer für die Einzelgewerksvergabe aufgestellten Kostenberechnung gemessen zu werden, die mit den Kosten einer späteren GU-Vergabe nicht mehr in Einklang zu bringen sei.

Mit Schreiben vom 14. Dezember 2021 (im Ordner 19 der Vergabeakte) forderte die Antragsgegnerin sodann bis zum 12. Januar 2022 zur Abgabe eines fortgeschriebenen Honorarangebots auf, diesem Aufforderungsschreiben waren neben einem überarbeiteten Vertragsentwurf unter anderem Anlagen zu sieben Leistungsbildern beigefügt (a.a.O.), die honorartechnisch zu bewerten seien, und zwar hinsichtlich mehrerer Leistungsbilder sowohl unter der Annahme der Einzelvergabe der betreffenden Grundleistungen als auch alternativ unter der Annahme der Beauftragung eines Generalunternehmers.

In dem beigefügten, überarbeiteten Vertragsentwurf (Ordner 19 der Vergabeakte, Dokument 2-2…) war weiterhin (§ 1, Ziffer 1.2.) ein Gesamtbudget der Kostengruppen 200 – 700 der DIN 276 mit Euro 425.000.000 vorgegeben die zuvor enthaltene zwingende Verpflichtung des Antragsnehmers, dieses Budget einzuhalten bzw. wenn möglich zu unterschreiten, war hingegen gestrichen und statt dessen aufgenommen, dass den Parteien bewusst sei, dass eine Umsetzung der

„Qualitäten und Quantitäten des Wettbewerbsentwurfs für das vorgenannte Budget nicht ohne weiteres möglich“

sei. Daher sei in LP 2 von den Vertragsparteien partnerschaftlich in Abstimmung mit den Fachplanern eine Vorplanung zu erstellen, die die Budgetvorgaben bestmöglich abbilde. Hinsichtlich der „Quantitäten/Qualitäten“ war in § 3, Ziffer 3.1.1 bestimmt, dass sich der Auftragnehmer verpflichte, die entsprechenden Ziele

„nach Möglichkeit unter Beachtung der Ziffer 1.2 … umzusetzen.“

In § 3 Ziffer 3.1.2.1 wurde schließlich niedergelegt, dass die Einhaltung der Programmkosten das primär zu beachtende Planungsziel sei und der Auftragnehmer sich verpflichte, an der Zielerreichung nach besten Kräften mitzuwirken. Soweit

„im Zuge des Planungsfortschritts der Vorplanung erkennbar (werde), dass das Planziel ausschließlich durch Qualitäts- und Quantitätsreduzierungen erreicht werden (könne), (werde) die bzw. der AN der AG geeignete Einsparmaßnahmen vorschlagen und diese in Abstimmung mit der AG in die Planung integrieren.“

Hiergegen erhob die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 28. Dezember 2021, eingegangen bei der Antragsgegnerin am 3. Januar 2022, eine Rüge (im Ordner 22 der Vergabeakte, Dokument 21…), mit der sie zunächst zu den Optionalen Besonderen Leistungen gem. §§ 33 und 38 HOAI beanstandete, dass es an einer eindeutigen und erschöpfenden Beschreibung der nachgefragten Leistungen im Sinne des § 121 GWB fehle, eine seriöse Preiskalkulation sei deshalb nicht möglich, dies gelte namentlich mit Blick auf die Kalkulation von Pauschalpreisen und den Bezug einzelner Leistungen durch Dritte. Im Übrigen gebe es für ein Wahlrecht der Antragsgegnerin als Auftraggeberin hinsichtlich der Einzelgewerkvergabe oder alternativ der Generalunternehmervergabe keine rechtliche Grundlage, die Ausschreibung verstoße insoweit gegen die Gebote der Transparenz und der Diskriminierungsfreiheit.

Bereits mit Schreiben vom 7. Januar 2022 (a.a.O.) half die Antragsgegnerin der Rüge der Antragstellerin in der Weise ab, dass nunmehr auch das bis zum 12. Januar 2022 einzureichende Angebot weiterhin als indikatives Angebot eingereicht werden dürfe, es werde nach dem 12. Januar 2022 sodann kurzfristig gesondert zur Abgabe eines finalen Angebots aufgefordert werden.

Mit Schreiben vom 11. Januar 2022 (Ordner 20 der Vergabeakte, Dokument 1926-2…) meldete die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin sodann weiteren Verhandlungsbedarf insbesondere zu dem seitens der Antragsgegnerin erstellten Vertragsentwurf an. Konkret beanstandete sie, dass weiter die Gefahr nicht passender Kosten/Pauschalhonorare bestehe, in den LP 1 – 4 die Leistungen für GU- und Einzelgewerksvergabe immer noch gleich seien und auch ab LP 5 ff. die Leistungsbilder in der GU-Variante nicht hinreichend spezifiziert seien: die Kosten der „besonderen Leistungen“ seien nicht hinreichend schätzungsfähig, ohnehin sei der Katalog der „besonderen Leistungen“ zu umfangreich, üblich und empfehlenswert seien nur insgesamt sechs (näher benannte) „besondere Leistungen“.

Darüber hinaus erhob die Antragstellerin mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 12. Januar 2022 (a.a.O., Dokument 2…) eine weitere Rüge, die darauf zielte, dass die Besonderen Leistungen, für die jeweils ein Pauschalpreis angeboten werden solle, in weiten Teilen inhaltlich ungenau beschrieben seien, die Vergabeunterlagen seien insofern nach wie vor mangelhaft. Hinsichtlich der gegenüber dem Vertragsentwurf der Antragsgegnerin erhobenen Rüge wies die Antragstellerin darüber hinaus darauf hin, dass die kalkulierten Gesamtbaukosten in Höhe von Euro 425.000.000 mit Blick auf zwischenzeitliche Kostensteigerungen bereits überholt seien, überdies bilde der Vertragsentwurf die Szenarien der Einzelgewerkvergabe bzw. der Generalunternehmervergabe alternativ ab, obwohl die Generalunternehmervergabe deshalb zu deutlich höheren Kosten führe, weil der Generalunternehmer dem Bauherrn erhebliche eigene Leistungen und Risiken abnehme. Der sich daraus ergebende Widerspruch zwischen Kostenobergrenze und inhaltlichen Anforderungen auf der anderen Seite führe damit zu einer Unschlüssigkeit der Vergabeunterlagen. Da der Vertrag in der nunmehr aktuellen Fassung vorgebe, dass Quantitäten und Qualitäten „nach Möglichkeit unter Beachtung der Ziff. 1.2“ umzusetzen seien, sei völlig unklar, was geplant werden solle.

Parallel zu diesen Rügeschreiben übermittelte die Antragstellerin der Antragsgegnerin am 12. Januar 2022 ein indikatives Zweitangebot (Ordner 20 der Vergabeakte), das nunmehr mit einem Honorarvolumen von brutto Euro 42.003.800,83 abschloss.

Am 8. Februar 2022 führte die Antragsgegnerin die Bewertung der drei eingereichten Angebote durch; in das hierzu unter dem 14. Februar 2022 erstellte Protokoll hat die Antragstellerin – mit Ausnahme der Teile, die Informationen zu den Angeboten ihrer Wettbewerber enthalten – im Rahmen der Vergabe vor der Vergabekammer Akteneinsicht erhalten. In der tabellarisch erfassten Bewertung zu den Kriterien 2 – 4 der Zuschlagmatrix finden sich unter Ziffer 2b, 2c und 3d Bezugnahmen auf Aussagen im Rahmen des mündlichen Verhandlungstermins vom 2. November 2021.

Die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin teilten der Antragstellerin anschließend mit Schreiben vom 24. März 2022 (im Ordner 22 der Vergabeakte, Dokument 22…) mit, dass der Rüge nicht abgeholfen werde. Die aktualisierten Preisblätter seien auf der Grundlage des durchgeführten VgV-Verfahrens erstellt worden, die Mitbewerber der Antragstellerin seien offenbar in der Lage, den Leistungsbeschreibungen durch einen ggf. erforderlichen Kalkulationszuschlag Rechnung zu tragen. Hinsichtlich des Vertragsentwurfs gelte, dass eine Einhaltung der zu Grunde gelegten Budgetobergrenze nicht ohne weiteres als möglich erscheine, es solle deshalb in der Leistungsphase 2 gemäß HOAI eine Vorplanung entwickelt werden, die die Budgetplanung bestmöglich abbilde, ggf. könne das Raumprogramm aus dem Architektenwettbewerb nicht mehr maßgeblich sein, wenn es für das zur Verfügung stehende Budget nicht mehr realisierbar sei. Es sei vornehmliches Ziel, die Budgetobergrenze einzuhalten, unter dieser Voraussetzung könne es auch zu einer Reduzierung von Quantitäten und Qualitäten kommen, dementsprechend werde die Kostenobergrenze erst mit den Leistungsphasen 2 oder 3 verbindlich vereinbart.

Mit Blick darauf, dass die Antragsgegnerin die Antragstellerin, ungeachtet der von dieser am 12. Januar 2022 erhobenen zweiten Rüge, bereits mit Schreiben vom 22. März 2022 bis zum 6. April 2022 zur Abgabe eines finalen Angebots aufgefordert hatte, erhob die Antragstellerin mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 4. April 2022 (im Ordner 22 der Vergabeakte, Dokument 22…) eine weitere Rüge, mit der sie sich nunmehr zusätzlich darauf bezog, dass es nach der Übersendung des indikativen Zweitangebots entgegen § 17 Abs. 10 VgV keinerlei weitere Verhandlungen mit ihr mehr gegeben habe.

Am 6. April 2022 gab die Antragstellerin das von der Antragsgegnerin bis zu diesem Tag angeforderte finale Angebot ab (im Ordner 26 der Vergabeakte). Im Begleitschreiben (a.a.O., Dokument 1926-22…) hielt sie aber unverändert daran fest, dass die bislang vorliegenden Vergabeunterlagen weiterhin kaum kalkulierbare Risiken beinhalteten und es insofern aus ihrer Sicht angezeigt sei, sowohl einzelne Leistungsbeschreibungen als auch das vorliegende Vertragswerk noch weitergehend abzustimmen. Sie sei nicht bereit, diese Risiken zu übernehmen, insbesondere die sich aus dem Fehlen einer Preissicherungsklausel ergebenden, ggf. „existenzbedrohenden“ Gefahren. Sie regte daher Gespräche zu der Frage an, wie die Vertragsrisiken so eingegrenzt werden können, „dass keine Partei an die Wand gedrückt wird“.

Das Honorarangebot der Antragstellerin lautete nunmehr auf Euro 136.181.747,06, wobei die Antragstellerin mit einem Risikozuschlag auf das Grundhonorar von mehr als 90% rechnete.

Am 8. April 2022 hat die Antragstellerin sodann bei der Vergabekammer der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen einen Nachprüfungsantrag angebracht, mit dem sie in erster Linie die Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen resp. der Aufforderung zum endgültigen Angebot anstrebt.

Sie hat mit ihrem Nachprüfungsantrag geltend gemacht, dass die seitens der Antragsgegnerin nachgefragten Leistungen unzureichend beschrieben worden seien, dies gelte insbesondere für die wesentlichen Positionen der ausgeschriebenen Besonderen Leistungen. Hierfür sollten durchgehend Pauschalen angeboten werden, es ergebe sich aus der Beschreibung der Besonderen Leistungen jedoch nicht, in welchem Umfang diese Leistungen überhaupt nachgefragt würden und wie diese Leistungen im spezifischen Kontext durchgeführt werden sollten. Die Leistungsbeschreibungen der Besonderen Leistungen müssten aber so klar sein, dass die werkvertragliche Abnahmefähigkeit erkennbar sei und kein Raum für ggf. unberechtigte Nachforderungen bestünde. Es komme alternativ zwar in Betracht, eine zeitabhängige Vergütung oder eine Vergütung nach den mit den Leistungen im Zusammenhang stehenden Baukosten zu kalkulieren, dies sei seitens der Antragsgegnerin vorliegend aber gerade ausgeschlossen worden.

Die unzureichende Leistungsbeschreibung wirke sich insbesondere auch mit Blick auf die Notwendigkeit des Leistungsbezugs durch Dritte aus, mit den unzulänglichen inhaltlichen Angaben der Antragsgegnerin könnten Angebote von Dienstleistern aber nicht abgefragt werden. Auch sei es nicht möglich, entsprechende Angebote innerhalb der vorgesehenen Angebotsfristen einzuholen.

Konkret hat die Antragstellerin angeführt, dass die Mangelhaftigkeit der Leistungsbeschreibung „anhand der folgenden besonders gravierenden Verstöße … deutlich“ werde und sodann für die LP 1 zwei, die LP 2 drei, die LP 3, 5 und 8 je eine, die LP 7 zwei, die LP 9 drei Besondere Leistungen als nicht hinreichend genau beschrieben bezeichnet; auf Rnrn. 27 – 53 des Nachprüfungsantrags vom 8. April 2022 wird Bezug genommen. Weiter hat sie vorgebracht, dass auch für BIM-Leistungen der Inhalt der gewünschten/geforderten Leistungen völlig offen/unklar sei (a.a.O., Rn. 66/67) und schließlich hinsichtlich der notwendigen Einbeziehung Dritter gerügt, dass auch diese wegen der zu unklaren Leistungsbeschreibung nicht so klar definiert seien, dass Angebote solcher Dritter eingeholt werden könnten (a.a.O., Rn. 64/65).

Darüber hinaus hat die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag beanstandet, dass die Leistungen bis einschließlich der Leistungsphase 4 seitens der Antragsgegnerin sowohl für eine Einzelgewerkvergabe, dann nach anrechenbaren Kosten, als auch für eine Generalunternehmervergabe, in diesem Fall unter Zugrundelegung eines Pauschalpreises, nachgefragt worden seien. Die Antragsgegnerin wolle sich also ein Wahlrecht vorbehalten, auf welcher Grundlage die Beauftragung schließlich erfolgen werde, hierfür gebe es aber keine sachliche Rechtfertigung, es werde hiermit zugleich gegen das Gebot der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung verstoßen. Es stelle keine transparente Ausschreibung dar, wenn für inhaltlich identische Leistungen zweimal ein Preis abgefragt werde.

In ähnlicher Weise hat die Antragstellerin vier Besondere Leistungen der Freianlagenplanung gem. § 38 HOAI als zu ungenau beschrieben beanstandet (a.a.O., Rnrn. 54 – 62).

Auch die geforderte Pauschale für das Bereitstellen einer digitalen Plattform (BIM) sei nicht kalkulierbar.

Einen sachlichen Grund, der das Wahlrecht des Auftraggebers zwischen Einzelgewerks- und GU-Vergabe rechtfertigen könne, gebe es nicht, vielmehr sei es ein Verstoß gegen den Grundsatz der transparenten und diskriminierungsfreien Ausschreibung, wenn für inhaltlich dieselbe Leistung zweimal ein Preis abgefragt werde – denn tatsächlich unterschieden sich die Leistungen bei Einzelgewerks- und GU-Vergabe bis incl. LP 4 nicht.

Zudem sei auch der von der Antragsgegnerin ausgearbeitete Vertragsentwurf, der bis zur Abgabe des indikativen Zweitangebots unter anderem auch Gegenstand des Verhandlungstermins am 7. Dezember 2021 gewesen sei und sodann dem finalen Angebot zu Grunde gelegen habe, in Teilen unklar. Insoweit gelte, dass es mit Blick auf die veraltete Budgetvorgabe von Euro 425.000.000 nicht möglich sei zu bestimmen, wie die Leistungsphase 2 abgeschlossen werden solle. In Anbetracht von Baukostensteigerungen von mindestens ca. drei Prozent pro Jahr stelle dies effektiv eine Kürzung der Budgetsumme dar, ohne dass das Raumprogramm entsprechend reduziert worden sei. Überdies sehe der Vertragsentwurf bei unverändertem Budget jetzt auch die Erschließung und die Tiefgarage mit vor, während dies bei der Wettbewerbsentscheidung noch nicht der Fall gewesen sei. Soweit die Antragsgegnerin in der geänderten Vertragsfassung nunmehr formuliert habe, die Budgetvorgabe solle bestmöglich abgebildet werden, sei dies mit Blick darauf, dass nach Maßgabe des Vertrags der Auftragnehmer alles zu tun habe, um die Budgetvorgabe zu erreichen, zudem widersprüchlich. Die vorgesehene vertragliche Verpflichtung, etwaige Einsparmaßnahmen wiederum mit dem Auftraggeber abzustimmen, führe zugleich dazu, dass es keine abschließende Beschreibung der Vorplanungsleistungen mehr gebe, die auftragnehmerseits erfüllt und zu denen vom Auftraggeber sodann Abnahme verlangt werden könne. Es liege allein in der Hand des Auftraggebers zu entscheiden, wann er die Einsparvorschläge für ausreichend halte. Zudem bilde der Vertrag die deutlich höheren Kosten für den Fall der Generalunternehmervergabe nicht ab, die deshalb mit deutlich höheren Kosten einherginge, weil der Generalunternehmer dem Bauherren erhebliche Risiken und Leistungen abnehme, die anderenfalls vom Bauherrn übernommen werden müssten. Da eine Einzelgewerkvergabe sich als kostengünstiger darstelle, führe dies wiederum zu einem Widerspruch zwischen der Kostenobergrenze und den inhaltlichen Anforderungen, die in Ansehung der einzuhaltenden Kostenobergrenze nicht für beide Vergabevarianten identisch sein könnten. Die Leistungsbeschreibung sei damit nicht im Sinne des § 121 Abs. 1 GWB eindeutig und widerspruchsfrei.

Schließlich hat die Antragstellerin mit ihrem Nachprüfungsantrag weiterhin an ihrer vorangegangenen Rüge festgehalten, dass es seitens der Antragsgegnerin entgegen § 17 Abs. 10 VgV kein weiteres Verhandlungsangebot mehr gegeben habe, nachdem zum 12. Januar 2022 das indikative Zweitangebot abgefordert worden sei.

Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2022 hat während des laufenden Nachprüfungsverfahrens und nach seitens der Vergabekammer gewährter Akteneinsicht die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag inhaltlich erweitert und nunmehr auch die fehlerhafte Bewertung der Zuschlagskriterien durch die Antragsgegnerin beanstandet. So sei insbesondere die Bewertungsweise in den einzelnen Kriterien und Unterkriterien nicht nachvollziehbar, ebenso wenig wie die Übertragung der Bepunktung aus den Unterkriterien in die Hauptkriterien. Gleiches gelte für die Gewichtung der jeweils einzelnen Aspekte. Zudem lasse sich dem Protokoll zum Bewertungsgespräch (im Ordner 17 der Vergabeakte) entnehmen, dass die Antragsgegnerin entgegen der Aufforderung zur finalen Angebotsabgabe auch bloß mündliche Angaben aus den Bietergesprächen in die Bewertung habe einfließen lassen.

Die Antragstellerin hat vor der Vergabekammer beantragt,

1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Vergabeverfahren zurückzuversetzen in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen / der Aufforderung zum endgültigen Angebot und das Verfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzusetzen,

2. hilfsweise, andere geeignete Maßnahmen zu treffen, um die Rechtsverletzung der Antragstellerin zu beseitigen;

3. der Antragstellerin gemäß § 165 Abs. 1 GWB die Einsichtnahme in die Vergabeakten zu gestatten,

4. der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragstellerin aufzuerlegen,

5. festzustellen, dass die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin notwendig war.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

1. den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen;

2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens, einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin aufzuerlegen;

3. festzustellen, dass die Zuziehung eines anwaltlichen Bevollmächtigten für die Antragsgegnerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen ist.

Die Antragsgegnerin hat den Nachprüfungsantrag bereits für unzulässig gehalten, weil die Antragstellerin ihrer Rügeobliegenheit nicht nachgekommen sei. Da die Antragstellerin die mit dem im August 2021 übersandten Bieterleitfaden zur Verfügung gestellten Vergabeunterlagen bereits von vornherein für intransparent bzw. vergaberechtswidrig gehalten habe, hätte sie dies spätestens mit der Übermittlung des Erstangebots im September 2021 auch ihr, der Antragsgegnerin, gegenüber rügen müssen, tatsächlich sei eine erste Rüge aber erst im Dezember 2021 erfolgt.

Darüber hinaus ermangele die Antragstellerin auch der Antragsbefugnis gemäß § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB, weil sie ohnehin keine Chance auf Erteilung des Zuschlags habe. Nach der für die Vergabe entwickelten Zuschlagsmatrix und in Anbetracht des gegenüber den verbliebenen Mitbewerbern schon hinsichtlich der Grundleistungen höheren Honoraransatzes der Antragstellerin habe diese tatsächlich keine Chance auf die Erteilung des Zuschlags, so dass die Antragsbefugnis der Antragstellerin bereits aus diesem Grunde zu verneinen sei.

Im Übrigen läge aber auch ein materieller Verstoß gegen das Vergaberecht nicht vor, die Leistungsbeschreibung sei hinreichend eindeutig und so erschöpfend wie möglich. Soweit die Antragstellerin eine fehlende Kalkulationsgrundlage für die Besonderen Leistungen und die Leistungen in der Planung nach der BIM-Methode bemängele, habe sie, die Antragsgegnerin, zunächst die in der HOAI definierten Leistungen als Pauschalen abgefragt, als Bauherrin ermangele es ihr auch weitergehender eigener Fachkenntnisse und Erfahrungen für eine quantitative Abschätzung. Gleichwohl habe sie für 14 der insgesamt 54 abgefragten Besonderen Leistungen gemeinsam mit der technischen Beratung mathematische Kalkulationsgrundlagen in Gestalt so genannter Vordersätze gebildet, im Übrigen habe sie die Bieter auf deren jeweils eigene Erfahrungen im Krankenhausbau als Kalkulationsgrundlage verweisen dürfen. Es liege im Anwendungsbereich des § 121 GWB ferner auf der Hand, dass die Vorgaben für Planungsleistungen, die eine geistig-schöpferische Dienstleistung darstellten, in der Regel nicht so eindeutig sein könnten wie bei anderen Beschaffungsvorhaben, eine abschließende Beschreibung sei deshalb schon grundsätzlich nicht möglich. Maßgeblich sei vielmehr, dass es einem durchschnittlichen und fachkundigen Bieterkreis möglich sei, den gewollten Erklärungswert der Angaben herauszufiltern. In diesem Zusammenhang gelte, dass die nach dem Architektenwettbewerb verbliebenen Bieter über auskömmliche Projektkenntnisse verfügten und deshalb auch zu der Einschätzung der erforderlichen Architektenleistungen in der Lage sein sollten. Eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation hätte durch Risikoaufschläge oder eine Mischkalkulation in den Angebotspreis einkalkuliert werden können.

Darüber hinaus habe auch der fortgeschriebene Vertragsentwurf keinen Verstoß gegen Vergaberecht beinhaltet. Insoweit gelte ungeachtet des vorgesehenen Verhandlungsverfahrens, dass es Sache des Auftraggebers sei, den Inhalt der Verhandlungen festzulegen. Es sei im Übrigen klargestellt worden, dass aufgrund der Baupreisentwicklung eine vollständige Umsetzung des Wettbewerbsentwurfs mit Blick auf die Budgetobergrenze von Euro 425.000.000 nicht ohne weiteres als möglich erscheine. Im Zuge der Vorplanung solle mit weiteren Fachplanern das Planungssoll gemeinsam ermittelt werden, woraus folge, dass das Raumprogramm aus dem Architektenwettbewerb nicht mehr maßgeblich sein könne, wenn es mit dem zur Verfügung stehenden Budget schlichtweg nicht realisierbar sei, es sei deshalb auch vorgesehen, die Kostenobergrenze erst mit Abschluss der Leistungsphasen 2 oder 3 verbindlich zu vereinbaren, erst dann solle auch das endgültige Honorar auf die anrechenbaren Kosten des Projekts festgelegt werden.

Zu den seitens der Antragstellerin vermissten weiteren Verhandlungen im Anschluss an das indikative Zweitangebot gelte zunächst, dass sie, die Antragsgegnerin, schlechterdings nicht gehalten sei, die Vergabeunterlagen in diesem Zusammenhang zu ändern, der Auftraggeber bleibe vielmehr hinsichtlich des von ihm zu bestimmenden Leistungsinhalts frei. Im Übrigen habe jedenfalls auch kein Anspruch der Antragstellerin dahingehend bestanden, dass sich an das indikative Zweitangebot eine weitere Angebotsverhandlung hätte anschließen müssen. Auch insoweit gelte, dass allein der Auftraggeber die Entscheidungshoheit über die konkrete Ausgestaltung des Verhandlungsverfahrens innehabe.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 27. Juli 2022 hat die Vergabekammer dem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin dahingehend stattgegeben, dass das Vergabeverfahren in den Stand vor Versendung der Vergabeunterlagen zurückversetzt wird. Der Antragsgegnerin wurde ferner aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht die Aufforderung zur Abgabe eines Erstangebotes unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu fassen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Antragstellerin wurden der Antragsgegnerin auferlegt, die Hinzuziehung der Bevollmächtigten der Antragstellerin wurde für notwendig erklärt. Wegen der Begründung der Entscheidung im Einzelnen wird auf Gründe zu B. des angefochtenen Beschlusses verwiesen.

Gegen diesen ihr am 28. Juli 2022 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 11. August 2022 sofortige Beschwerde erhoben.

Die Antragsgegnerin bringt zur Begründung ihrer sofortigen Beschwerde vor, die Vergabekammer sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass es sich bei der Ausschreibung alternativ der Einzelgewerkvergabe bzw. der Generalunternehmervergabe um Wahl- oder Alternativpositionen handele. Vielmehr handele es sich bei der insoweit alternativen Honorarabfrage stattdessen um eine rechtlich im Optionsbereich angelegte Thematik. Es gehe hierbei nämlich um ein einseitiges Gestaltungsrecht des Auftraggebers, um vorliegend im Anschluss an die drei- bis vierjährige Planungsphase flexibel auf die Volatilität des Bausektors reagieren zu können. Es sei ihr, der Antragsgegnerin, gegenwärtig noch nicht möglich, die zukünftige Vergabestrategie verbindlich festzulegen, deshalb habe sie zwei eigenständige Leistungsbilder erstellt, die von den Bietern anzubieten gewesen seien. Sie, die Antragsgegnerin, müsse dazu in der Lage sein, auf die Marktgegebenheiten nach Abschluss des Vorplanungsprozesses noch flexibel reagieren zu können. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin seien beide Honorarszenarien auch durchaus kalkulierbar, wobei der Aufwand im Fall der Einzelgewerkvergabe naturgemäß größer sei. Die Situation sei insoweit etwa mit der vergaberechtlich ohne weiteres zulässigen Vorgabe von Rahmenbedingungen vergleichbar, die ebenfalls dadurch gekennzeichnet seien, dass der Leistungsabruf zum Zeitpunkt der Vergabe noch nicht abschließend feststünde. Eine Manipulationsmöglichkeit zu Gunsten oder zu Lasten einzelner Bieter werde hierdurch nicht eröffnet. Die Vergabekammer sei auch zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Vergabeunterlagen aufgrund der alternativ anzubietenden Vergabearten intransparent geworden seien und sich insoweit das Risiko der mangelnden Vergleichbarkeit der Angebote und taktischer Überlegungen der Bieter vergrößert habe. Dem stünde bereits entgegen, dass sie, die Antragsgegnerin, im Bieterleitfaden über alle wesentlichen Aspekte des Vergabeverfahrens informiert und insoweit auch Vorgaben zur Sicherstellung der Vergleichbarkeit der von den Bietern abzugebenden Angebote gemacht habe. Da die Angebote der Bieter ausdrücklich beide Leistungsbilder der Einzelgewerk- und der Generalunternehmervergabe abbilden müssten, sei nicht nachzuvollziehen, warum die Vergabekammer zu der Einschätzung gelangt sei, dass es an einer ausreichenden Kalkulationsgrundlage für die Bieter fehle. Bei zwei ausdrücklich separat zur Verfügung gestellten Leistungsbildern sei tatsächlich jeder durchschnittliche Bieter in der Lage gewesen, ein Angebot zu erstellen. Im Übrigen habe die Antragstellerin die Angebotsabfrage sowohl unter der Bedingung der Einzelgewerkvergabe als auch alternativ unter Zugrundelegung der Beauftragung eines Generalunternehmers auch nicht zum Gegenstand ihrer verschiedenen Rügen gemacht, weshalb sie insofern präkludiert sei und dementsprechend auch die Vergabekammer daran gehindert gewesen sei, ihre dem Nachprüfungsantrag der Antragstellerin stattgebende Entscheidung hierauf zu stützen.

Entgegen der Auffassung der Vergabekammer sei ferner auch hinsichtlich der Besonderen Leistungen von einer eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung auszugehen. Der maßgebliche durchschnittliche Bieterkreis hätte hinreichend genau erkennen können, was gewollt gewesen sei. Es sei im Grundsatz davon auszugehen, dass die Ausschreibungsempfänger die für die Honorarermittlung erforderlichen Grundlagen in eigener Verantwortung prüften, einer derartigen Prüfungspflicht unterläge der Ausschreibende demgegenüber generell nicht. Das jeweilige Planungsbüro habe es selbst in der Hand und sei aufgrund der Erfahrung bei Vergleichsprojekten auch in jedem Fall dazu in der Lage, entsprechende Leistungen auch für Besondere Leistungen zu kalkulieren. Den Wettbewerbern der Antragstellerin sei dies vorliegend auch ohne weiteres möglich gewesen, eine Vorgabe der einzelnen Leistungspositionen bis ins letzte Detail sei daher nicht möglich gewesen und hätte auch nicht erwartet werden können.

Bei den seitens der Vergabekammer als nicht hinreichend konkretisiert beanstandeten einzelnen Besonderen Leistungen handele es sich im Übrigen lediglich um die Konkretisierung der in der Anlage 10 zu §§ 34 Abs. 4, 35 Abs. 7 HOAI bereits enthaltenen Beschreibung der dort aufgeführten Besonderen Leistungen. Das für die Leistungsphase 1 abgebildete Fortschreiben und Anpassen des Betriebsorganisationskonzepts referiere auf die in der Anlage 10 genannte Betriebsplanung, ein Betriebsorganisationskonzept sei zwingender Bestandteil einer Krankenhausplanung, aus dem sich für den Architekten die Lagebeziehungen der verschiedenen Funktionsbereiche ergäben, die die Grundlage für die Grundrissplanung darstellten. Das Betriebsorganisationskonzept sei den Bietern mit den Auslobungsunterlagen zur Verfügung gestellt worden, möglicherweise sei das Ziel der Antragstellerin in einer Stundensatzabrechnung anstelle der Bepreisung nach anerkannten HOAI-Parametern zu sehen.

Auch die die Leistungsphase 2 betreffende ergänzende Vorplanungsuntersuchung entspreche annähernd wortgleich der Anlage 10 zur HOAI. Es ginge hierbei darum, dass im Zuge der Vorplanung Kompromisse in den gewünschten Lagebeziehungen erforderlich würden, die seitens des Bauherrn nicht ohne direkte Zuarbeit des Architekten erarbeitet werden könnten.

Soweit die Vergabekammer auch die Besondere Leistung „Möblierungsplan mit Aufnahme des Bestandsmobiliars“ für unklar gehalten habe, sei kaum vorstellbar, dass die Antragstellerin von dieser Leistung keine Vorstellung habe und insofern keine Kalkulationsgrundlage sehe. Naturgemäß sei ein großer Teil der Möblierungsplanung bereits in der Architekturplanung enthalten, es komme als Besondere Leistung lediglich die Bestandsbewertung hinzu.

Das bezogen auf die Leistungsphase 9 angeführte Erstellen eines Instandhaltungskonzepts entspreche wiederum wörtlich der Anlage 10 nach HOAI, es sei insoweit im Rahmen der Ausführungsplanung erforderlich, ein auf die konkrete Bauausführung bezogenes Instandhaltungskonzept zu erstellen, durch das dem Bauherrn eine Anleitung zur dauerhaften Instandhaltung des Objekts an die Hand gegeben werde. Auch die Problematik der mangelnden Abnahmefähigkeit einzelner Besonderer Leistungen stelle sich tatsächlich nicht, ggf. sei es auf der Grundlage entsprechender Vereinbarungen auch möglich, Teilabnahmen vorzunehmen.

Zuletzt gehe auch die Beanstandung der Vergabekammer ins Leere, dass der Wertungsvorgang vergaberechtswidrig sei. Es seien tatsächlich keine Inhalte aus der mündlichen Vorstellung der Angebote in unzulässiger Weise in die Bewertung mit einbezogen worden. Die Bewertung sei vielmehr ausschließlich unter Zugrundelegung der von vornherein bekanntgemachten Zuschlagskriterien erfolgt. Die gelegentliche Formulierung in der Auswertungsdokumentation „im Termin“ habe sich lediglich auf einzelne ergänzende Anmerkungen zu dem schriftlichen Angebot bezogen, soweit sich hieraus noch nicht vollständig habe herauslesen lassen, was in dem schriftlichen Angebot ausformuliert worden sei. Es habe in diesen Fällen klärende Anmerkungen im Termin gegeben, ohne dass dies zu einer Änderung der Zuschlagsmatrix geführt habe. Dies sei auch im Vorfeld der Bietergespräche am 2. November 2021 nochmals ausdrücklich erläutert worden, bei Notizen zu den Bietergesprächen habe es sich daher auch nicht um Vorbereitungen zu einer etwa intransparenten Angebotswertung gehandelt.

Soweit die Vergabekammer gemeint haben sollte, der Bewertungsvorgang sei unter Verwendung von „+“- und „-„-Zeichen das Ergebnis eines schlichten Rechenvorgangs, sei diese Annahme unzutreffend. Den in der Auswertungsdokumentation enthaltenen „+“- und „-„-Zeichen komme nämlich gar keine wertmäßige, sondern stattdessen eine semantische Bedeutung zu, hierdurch sei der positive oder negative Eindruck in Bezug auf die Angebotsinhalte gekennzeichnet worden, ohne dass dies zugleich auch im Rahmen der Punktvergabe relevant gewesen sei. Die gewerteten Punktwerte je Hauptkriterium hätten gar nicht das Ergebnis eines simplen Rechenvorgangs sein können. Der zu Grunde liegende Bewertungsvorgang sei gegenüber den Bietern im Bieterleitfaden auch klar kommuniziert worden, ein nach den Mutmaßungen der Vergabekammer zu Grunde gelegter Umrechnungsschlüssel existiere tatsächlich nicht. Es sei von ihr, der Antragsgegnerin, in den Vergabeunterlagen durch die jeweilige Angabe der Bewertungsmerkmale zu den einzelnen Hauptkriterien transparent dargelegt worden, welche Aspekte bei der Bewertung der Angebotsbestandteile wichtig für die Punktevergabe sein werden.

Die Antragsgegnerin ist hinsichtlich der Festsetzung der Kosten erster Instanz der Auffassung, dass die Vergabekammer offenbar fehlerhaft einen Wert angenommen habe, der sich aus den kumulierten Werten für Einzelgewerks- und Generalunterehmervergabe und hier den Ansätzen der Antragstellerin ergeben habe. Sachgerecht sei auf eine der beiden Umsetzungsvarianten abzustellen; angemessen sei tatsächlich ein Wert von ca. Euro 26.000.000 brutto, auf den sodann § 50 abs. 2 GKG anzuwenden sei, womit sich nach der Tabelle der Vergabekammern des Bundes eine Gebühr zwischen Euro 3.125 und Euro 3.800 ergebe.

Die Antragsgegnerin beantragt,

1. Der Beschluss der Vergabekammer der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen der Freien und Hansestadt Hamburg, Az.: BR60.29-319/2022 … vom 27. Juli 2022 wird bei gleichzeitiger Zurückweisung des Nachprüfungsantrags der Bietergemeinschaft A… vom 8. April 2022 aufgehoben, soweit die Vergabekammer darin rechtsfehlerhaft feststellt,

– es sei ein Verstoß gegen den Transparenz- und Gleichheitsgrundsatz, wenn Honorare sowohl für die Generalunternehmer- als auch Einzelgewerkvergabe abgefragt werden,

– die Leistungsbeschreibung sei hinsichtlich der Besonderen Leistungen nicht eindeutig und erschöpfend und

– der Wertungsvorgang der Angebote stünde nicht mit vergaberechtlichen Vorgaben in Einklang, und zudem soweit, als die Vergabekammer im Rahmen ihrer Kostenentscheidung einen Streitwert zugrunde gelegt hat, der zu einer Verfahrensgebühr in Höhe von 5.500,00 EUR geführt hat.

2. Die Beschwerdegegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten der Beschwerdeführerin gem. § 175 Abs. 2 GWB i.V.m. § 71 GWB.


Die Antragstellerin beantragt,

1. die Sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin vom 11.8.2022 gegen den Beschluss der Vergabekammer der Freien und Hansestadt Hamburg/Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (im Folgenden nur noch „Vergabekammer“) vom 27.7.2022 – BR.60.29-319/2022 … – wird zurückgewiesen;

2. die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der in diesem Verfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin werden der Antragsgegnerin auferlegt;

3. festzustellen, dass die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin notwendig war.


Die Antragstellerin verteidigt den angefochtenen Beschluss der Vergabekammer und hält zunächst die rechtliche Beurteilung der Antragsgegnerin, die gleichzeitige Aufforderung sowohl zur Einzelgewerk- als auch zur Generalunternehmervergabe sei nicht an den Maßstäben für die Beurteilung der Zulässigkeit von Wahlpositionen zu messen, für unzutreffend. Im Übrigen spiele diese Einordnung für die vergaberechtliche Zulässigkeit aber auch keine maßgebliche Rolle. Da in jedem Fall die Bestimmtheit der Leistungsbeschreibung und damit die Transparenz des Vergabeverfahrens berührt seien, bedürfe es zwangsläufig einer sachlichen Rechtfertigung dafür, dass sich die Antragsgegnerin die zu beauftragende Leistung offenhalten wolle. Es sei aber schlicht nicht nachvollziehbar, warum die Antragsgegnerin erst nach Abschluss der Leistungsphasen 1 bis 3 entscheiden wolle, wie die Bauleistungen dann zu vergeben sein sollten, es sei namentlich nicht ersichtlich, welche Marktinformation die Antragsgegnerin denn bis dahin abwarten wolle, obwohl bereits jetzt klar sei, dass im Rahmen der Generalunternehmervergabe ein GU-Zuschlag kalkuliert werden müsse. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sei die Aufforderung zur Angebotsabgabe unter alternativen Vergabeszenarien auch nicht unter dem Gesichtspunkt sog. Bedarfsleistungen zulässig, hierbei handele es sich üblicherweise nämlich nur um Zusatzleistungen, die einen Gesamtanteil am Auftrag von nicht mehr als zehn bis 15 Prozent haben dürften. Der von der Antragsgegnerin bemühte Vergleich mit zulässigen Rahmenvereinbarungen verbiete sich ebenfalls, insoweit gelte unter anderem, dass in diesem Rahmen zumindest die realistische Aussicht darauf bestehen müsse, dass die angebotenen Leistungen auch in vollem Umfang abgerufen würden, während vorliegend klar sei, dass das insgesamt abgeforderte Leistungsvolumen der beiden alternativen Vergabeszenarien nicht mehr als zur Hälfte abgerufen werde.

Darüber hinaus habe die Vergabekammer auch zu Recht entschieden, dass die Leistungsbeschreibung der Antragsgegnerin hinsichtlich der Besonderen Leistungen nicht eindeutig und erschöpfend und deshalb mit Blick auf §§ 121 GWB, 31 VgV vergaberechtswidrig sei. Es sei diesbezüglich mit der Vergabekammer davon auszugehen, dass eine Leistungsbeschreibung dann unzureichend sei, wenn unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kämen und die Bieter im Unklaren gelassen würden, welche Leistung unter welchen Bedingungen angeboten werden solle. Es sei vorliegend aber bei keiner der in Rede stehenden Leistungspositionen klar definierbar, wann der Bieter die abschließende Abnahme seiner Leistungen verlangen könne, insbesondere sei es nicht möglich, etwaigen künftigen Nachforderungen der Antragsgegnerin irgendeine Grenze aus der Leistungsbeschreibung entgegenzuhalten. Der Verweis der Antragsgegnerin auf die Anlage 10 der HOAI gehe in diesem Zusammenhang schon deshalb fehl, weil dort lediglich verschiedene Leistungsarten Besonderer Leistungen beschrieben würden, nicht aber, wie diese inhaltlich auszufüllen seien. Insoweit seien die Bieter auf konkretisierende Vorgaben der Antragsgegnerin als Bauherrin angewiesen.

Insbesondere auch die abgeforderte Bepreisung der Besonderen Leistungen lediglich mit einem Pauschalpreis anstelle etwa einer aufwandsbezogenen Vergütung nach Stundensätzen setze voraus, dass die Leistungen näher definiert würden, anderenfalls sei der hiermit verbundene Aufwand für den Bieter vollends unkalkulierbar.

Schließlich habe die Vergabekammer auch zu Recht festgestellt, dass der von der Antragsgegnerin vorgenommene Wertungsvorgang in Teilen fehlerhaft und damit insgesamt intransparent sei. Es sei insoweit offensichtlich, dass die mündliche Angebotspräsentation der beteiligten Bieter zum Gegenstand der Bewertung gemacht worden sei, es sei in Anbetracht der vorliegenden Bewertungsprotokolle vielmehr zweifelhaft, ob die schriftlichen Angebote überhaupt in die Bewertung eingeflossen seien. Im Übrigen gehe es in diesem Zusammenhang entgegen dem Beschwerdevorbringen der Antragsgegnerin auch nicht etwa um Fragen eines rechnerischen Bewertungsmaßstabs, sondern vielmehr darum, dass die Vergabekammer zu Recht festgestellt habe, es sei auf der Grundlage der Vergabedokumentation der Antragsgegnerin schlicht und ergreifend unklar geblieben, woraus sich die konkrete Punktbewertung zu den verschiedenen Kriterien ergebe. Es fehle insoweit schlicht an nachvollziehbaren Darlegungen in der Vergabedokumentation, namentlich lasse sich dieser nicht entnehmen, inwieweit die Vorgaben aus dem Bieterleitfaden in der Bewertung umgesetzt worden seien.

Die Antragstellerin hat zur Frage des Festsetzung des Streitwertes und der Gebühr der Vergabekammer inhaltlich nicht Stellung genommen, da die wesentlichen Passagen des Vorbringens der Antragsgegnerin hierzu geschwärzt waren.


II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin hat auch in der Sache ganz überwiegend Erfolg; der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist teilweise schon unzulässig, ansonsten überwiegend unbegründet.

1.) Soweit die Antragstellerin sich gegen die aus ihrer Sicht zu unbestimmte Beschreibung der nach den Preisblättern zu Pauschalpreisen anzubietenden „Besonderen Leistungen“ wendet, ist ihr Nachprüfungsantrag bereits unzulässig.

a) Soweit die Antragstellerin in ihrem Nachprüfungsantrag vom 8. April 2022 ganz allgemein die Beschreibungen der anzubietenden „Besonderen Leistungen“ in den Vergabeunterlagen rügt, da sie sämtlich so unbestimmt seien, dass nicht erkennbar sei, auf welcher Grundlage die in die Preisblätter einzusetzenden Pauschalen denn kalkuliert werden könnten, ist ihr Vortrag mangels einer hinreichend substantiierten Rüge gem. § 160 Abs. 3 Nr. 3 GWB präkludiert.

Insoweit kann dahinstehen, wann genau eine Rügeobliegenheit der Antragstellerin im Verlauf des Verfahrens bezogen auf die von ihr behauptete Unbestimmtheit der Beschreibung der „Besonderen Leistungen“ entstanden ist, denn jedenfalls mangelt es hinsichtlich derjenigen „Besonderen Leistungen“, zu denen die Antragstellerin keine substantiierten, im einzelnen umschriebenen Bedenken vorgebracht hat, auch noch nach Ablauf der Frist für die Einreichung des finalen Angebots an einer hinreichenden Rüge.

Wesentlicher Sinn der Rügeobliegenheit ist es, dem öffentlichen Auftraggeber eine Abhilfe zu ermöglichen und hierdurch unnötige Vergabenachprüfungsverfahren zu vermeiden (Beck’scher Vergaberechtskommentar-Horn/Hofmann, 3. Aufl. 2017, § 160 GWB, Rn. 41). Damit aber muss die Rüge jedenfalls so bestimmt gefasst sein, dass der Vergabestelle klar wird, welches konkrete Tun oder Unterlassen ihrerseits von dem jeweiligen Bieter denn für rechtswidrig gehalten wird (Horn/Hofmann a.a.O., Rn. 70).

Diesen Anforderungen wird insbesondere die im Nachprüfungsantrag (dort Rnrn. 25/26) enthaltene allgemeine Rüge nicht gerecht – allein der Hinweis, dass die Besonderen Leistungen durchweg nicht hinreichend klar beschreiben worden seien, genügt nicht, um dem Auftraggeber zu verdeutlichen, was die Antragstellerin von ihm erwartet hätte. Dass tatsächlich eine konkrete und aussagekräftige Formulierung der fraglichen Rüge möglich gewesen wäre, zeigt das Vorbringen der Antragstellerin zu Rnrn. 28 – 62 des Nachprüfungsantrags, in denen für einzelne Besondere Leistungen immerhin ansatzweise dargetan wird, welche inhaltlichen Eingrenzungen denn nach Auffassung der Antragstellerin möglich und sachdienlich gewesen wären (vgl. zu einem ganz ähnlich gelagerten Sachverhalt: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. Juli 2014 – 15 Verg 4/14).

Gleiches gilt für die völlig unsubstantiierte Rüge (Rn. 66/67 des Nachprüfungsantrags vom 8. April 2022) zur nicht hinreichenden Beschreibung der BIM-Leistungen und ebenso für die beiden „beispielhaft“ beanstandeten „optionalen besonderen Leistungen“, die keine Abfrage Angebote Dritter zuließen, denn auch insoweit wird erneut nur ganz allgemein darauf Bezug genommen, dass die „nachgefragten Leistungen nicht im Ansatz ausreichend beschrieben“ seien (a.a.O., Rn. 64/65).

Auch die von der Antragstellerin mit dem ersten indikativen Angebot eingereichten „Anmerkungen zum Vertrag“ (Ordner 14 der Vergabeakte, Dokument 1926-31…, dort Punkt 22) sind insoweit nicht spezifischer formuliert, auch dort wird nur ganz allgemein angemerkt, dass die optionalen besonderen Leistungen nicht näher beschrieben seien – auch dies genügt, wenn man denn hierin bereits eine Rüge im Sinne des Vergaberechts sehen wollte, den Anforderungen nicht.

b) Hinsichtlich der von der Antragstellerin im Nachprüfungsantrag in wohl hinreichend substantiierter Form gerügten fehlenden Konkretisierung einzelner optionaler Besonderer Leistungen (Nachprüfungsantrag Rnrn. 28 – 62) besteht keine Antragsbefugnis der Antragstellerin.

Zur Antragsbefugnis ist seitens des Antragstellers schlüssig darzulegen, dass gerade der gerügte Verstoß gegen das Vergaberecht seine Aussichten auf Erteilung des Zuschlags beeinträchtigt haben kann (Beck’scher Vergaberechtskommentar-Horn/Hofmann, a.a.O., § 160, Rn. 33).

Daran fehlt es vorliegend. Die in möglicherweise hinreichend substantiierter Form als zu unbestimmt beschrieben gerügten „Optionalen Besonderen Leistungen“ hat die Antragstellerin in ihrem finalen Angebot wie folgt bepreist:

„Optionale Besondere Leistungen in der Objektplanung gem. § 33 HOAI“

LP 1

„technische Substanzerkennnung“ – Euro 160.000

„Fortschreiben und Anpassen des Betriebsorganisationskonzepts“ – Euro 80.000

LP 2

„Untersuchen alternativer Lösungsansätze nach verschiedenen Anforderungen einschließlich Kostenbewertung (Pauschale für 3 Untersuchungen)“ – Euro 1.000.000

„Ergänzen der Vorplanungsunterlagen auf Grund besonderer Anforderungen“ – Euro 80.000

„Anfertigen von Präsentationshilfen“ – Euro 40.000

LP 3

„Analyse der Alternativen/Varianten und Wertung mit Kostenuntersuchung (Optimierung)“ – Euro 500.000

LP 5

„Möblierungsplan mit Aufnahme des Bestandsmobiliars“ – Euro 500.000

LP 7

„Mitwirken an der Prüfung von bauwirtschaftlich begründeten Nachtragsangeboten (Pauschale für 5 Nachträge)“ – Euro 410.000

„Aufstellen, Prüfen und Werten von Preisspiegeln nach besonderen Anforderungen“ – Euro 80.000

LP 8

„Aufstellen, Überwachen und Fortschreiben von differenzierten Zeit-, Kosten- oder Kapazitätsplänen“ – Euro 160.000

LP 9

„Erstellen einer Gebäudebestandsdokumentation“ – Euro 2.000.000

„Aufstellen von Ausrüstungs- und Inventarverzeichnis“ – Euro 320.000

„Erstellen eines Instandhaltungskonzepts“ – Euro 80.000

„Optionale Besondere Leistungen in der Freianlagenplanung gem. § 38 HOAI“

LP 2

„Erarbeiten von Unterlagen für besondere technische Prüfverfahren (Pauschale für 3 Prüfverfahren)“ – Euro 23.313,14 LP 3

„Erarbeiten besonderer Darstellungen zum Beispiel Modelle, Perspektiven, Animationen“ – Euro 23.313,14

LP 4

„Erstellen von Rodungs- und Baumfällanträgen“ – Euro 34.969,71

LP 8

„Erstellen einer Freianlagenbestandsdokumentation“ – Euro 46.626,28


In der Summe hat die Antragstellerin diese Leistungen folglich mit insgesamt Euro 5.514.911,13 bepreist, in der Endsumme des finalen Angebots (da jeweils für GU-Vergabe und Einzelgewerksvergabe angesetzt) also mit Euro 11.029.822,26.

Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass diese Ansätze sachgerecht, die weit niedrigeren Ansätze der beiden Mitbewerber insoweit fehlerhaft und daher um den Betrag von Euro 11.029.822,26 höher hätten liegen müssen, so würde sich gleichwohl nichts daran ändern, dass im Rahmen der Bewertung der Angebote die Antragstellerin in der Kategorie „Honorarangebot“ keine Punkte erhalten hätte, da ihr Angebot immer noch (weit) mehr als doppelt so hoch ausgefallen wäre, wie Gebote der Mitbewerber.

Dieser – behauptete – Mangel der Vergabeunterlagen hat sich damit auf die konkreten Zuschlagschancen der Antragstellerin nicht ausgewirkt, der Antragsstellerin fehlt insoweit die Antragsbefugnis gem. § 160 Abs. 2 GWB.

Schon hier zeigt sich, dass im Kern des Streits der Parteien nicht die behauptete Unbestimmtheit der Ausschreibungsunterlagen steht, sondern vielmehr der – für die Bepunktung im Bereich „Honorar“ ausschlaggebende – von der Antragstellerin angesetzte, mit unstreitig mehr als 90% sehr hohe Risikozuschlag, der sich jedoch gerade nicht aus irgendwelchen Unbestimmtheiten, sondern vielmehr aus der Einschätzung der Antragstellerin zum zu geringen Ansatz des Budgets des Gesamtvorhabens mit Euro 425.000.000 und den sich ihrer Auffassung nach hieraus folgenden Haftungsrisiken ergibt (dazu im einzelnen s.u.).

2.) Soweit die Antragstellerin rügt, die „alternative“ Ausschreibung der Planungsleistungen sowohl für den Fall der Einzelgewerksvergabe als auch für den Fall der Vergabe des Bauauftrags an einen Generalunternehmer sei unzulässig, da damit die Leistungsbeschreibung nicht „eindeutig“ im Sinne des § 121 GWB sei, dringt sie mit dieser Rüge nicht durch.

a) Diese Rüge der Antragstellerin ist entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht schon gem. § 160 Abs. 3 GWB präkludiert.

Allerdings liegt eine Präklusion nach § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB nicht ganz fern – die Anforderung der Antragsgegnerin, Preisblätter sowohl für den Fall der Einzelgewerks- als auch der Generalunternehmer-(GU)-Vergabe einzureichen, findet sich bereits in der ursprünglichen Veröffentlichung, insbesondere in Ziffer 1.4. des Vertragsentwurfs; das Problem der „alternativen“ Vergabe wurde in der Folge auch mehrfach angesprochen, namentlich von der Antragstellerin in der Skype-Konferenz vom 7. Dezember 2021 thematisiert, bei der die Antragstellerin zudem anwaltlich vertreten war. Dies legt schon sehr nahe, dass die Antragstellerin – zumal sie in der gerügten „alternativen Vergabe“ einen ganz gravierenden Verstoß gegen § 121 GWB sieht – diesen Mangel schon weit vor Anbringung ihrer Rüge vom 28. Dezember 2022, jedenfalls aber am 7. Dezember 2022 erkannt haben dürfte. Letztlich genügt dies aber noch nicht, um eine positive Kenntnis des gerügten Verstoßes anzunehmen: Denn diskutiert wurde zwischen den Parteien nicht die Frage der „alternativen Vergabe“ an sich, sondern dass der Vertrag und die Kostenobergrenze von Euro 425.000.000 den deutlich höheren Kosten bei GU-Vergabe nicht genügen würden (so insbesondere Ziffer 3 des Protokolls der online-Konferenz vom 7. Dezember 2021); das Problem wurde also zwar erkannt, aber es wurde trotz anwaltlicher Beratung nicht im Hinblick auf die grundsätzliche Zulässigkeit, sondern vielmehr als Problem der Auskömmlichkeit der Kostenschätzung angesprochen.

Eine Präklusion mit Rücksicht auf die – gerade für eine anwaltlich vertretene Bieterin – sicherlich gegebene Erkennbarkeit des Verstoßes nach Maßgabe der § 160 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 GWB kommt vorliegend nicht in Betracht, da die Rüge vom 28. Dezember 2022 noch vor der Aufforderung der Antragsgegnerin zur Abgabe des finalen Angebotes erhoben wurde; an die Aufforderung zur Abgabe des ersten indikativen Angebotes bzw. das Verstreichen der hierfür gesetzten Frist kann nach Auffassung des Senats in der konkreten Situation des hier laufenden Verhandlungsverfahrens nicht angeknüpft werden – bei noch laufenden Verhandlungen, bei denen die alternative Vergabe immerhin (wenn auch unter einem anderen Ansatzpunkt) eine Rolle spielte, konnte die Antragstellerin vertretbar annehmen, dass es ihr noch gelingen mochte, diesen aus ihrer Sicht problematischen Punkt „wegzuverhandeln“.

b) Diese Rüge ist jedoch inhaltlich unbegründet, die Vorgabe der Antragsgegnerin, dass sowohl für den Fall der Einzelgewerks- als auch für den Fall der GU-Vergabe zu bieten war und sie sich vorbehielt, die konkrete Vergabestrategie erst weit nach Auftragsvergabe an die Planer, nämlich nach Abschluss der Leistungsphase 4 festzulegen, führte nach den konkreten Gegebenheiten des vorliegenden Verhandlungsverfahrens nicht zu einem Verstoß gegen das Gebot der hinreichenden Bestimmtheit und Transparenz der Leistungsbeschreibung im Sinne des § 121 GWB.

Die vorliegend von der Antragsgegnerin gewählte Form der „alternativen“ Ausschreibung weist Ähnlichkeiten zur in der Rechtsprechung vielfach diskutierten Ausschreibung sog. „Wahlpositionen“ auf.

Als Wahlpositionen werden in der Rechtsprechung der Vergabesenate – gesetzlich geregelt ist hier nichts – solche Leistungspositionen bezeichnet, hinsichtlich derer der Auftraggeber sich noch nicht festgelegt hat, sondern mehrere Alternativen der Leistungserbringung ausschreibt, von denen er erst nach Kenntnisnahme der Angebotsinhalte eine Alternative für die Zuschlagserteilung auswählt (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Mai 2019 – Verg 61/18; OLG München, Beschluss vom 22. Oktober 2015 – Verg 5/15). Vorliegend möchte sich die Antragsgegnerin die für die Auftragnehmer verbindliche Entscheidung über die Einzelgewerks / GU-Vergabe sogar bis zum Abschluss der Leistungsphasen 1 bis 3 gemäß HOAI oder noch darüber hinaus, also offenbar erst geraume Zeit nach Zuschlagserteilung, offenhalten.

Dies steht der Beurteilung als Wahlposition für sich genommen aber noch nicht entgegen (OLG Düsseldorf, a.a.O.), alternativ wird für noch bis nach Zuschlagserteilung offen bleibende Auftragsinhalte stattdessen auch von Bedarfs- oder Eventualpositionen gesprochen (Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal, VgV, 2. Aufl. 2019, § 31 Rn. 19).

Die rechtliche Problematik von Wahlpositionen wird von der Rechtsprechung insbesondere an § 121 Abs. 1 Satz 1 GWB, nämlich das Erfordernis der eindeutigen und erschöpfenden Leistungsbeschreibung, angeknüpft (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. April 2011 – Verg 58/10). Darüber hinaus soll durch sie zugleich das Transparenzgebot des § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB berührt werden (a.a.O.), da die Zuschlagserteilung erst nach Kenntnisnahme der konkurrierenden Angebote zumindest dann, wenn die Bewerber bezogen auf die fraglichen Wahlpositionen hinsichtlich der Wirtschaftlichkeitsbetrachtung oder der sonst maßgeblichen Zuschlagskriterien nicht ohnehin in einem identischen Rangverhältnis stehen, Raum dafür lässt, über die (erst) jetzt als verbindlich festgelegten Wahlpositionen die Zuschlagserteilung zu steuern.

Tatsächlich war die hier erfolgte alternative Ausschreibung jedoch nicht geeignet, eine vergaberechtlich unzulässige Unsicherheit in das Vergabeverfahren hineinzutragen und hat dies tatsächlich vorliegend auch nicht getan.

Allerdings war für die Bieter nicht vorhersehbar, welche der beiden anzubietenden Varianten letztlich von ihnen erbracht werden müsse.

Allein dieser Umstand hat sie jedoch, jedenfalls was das jeweilige Leistungsprogramm und die Kalkulierbarkeit ihrer Angebote angeht, keinerlei Unsicherheit ausgesetzt: Auch die Antragstellerin bringt nicht vor, dass sie nicht in der Lage gewesen wäre, zu erkennen, worin in beiden Varianten ihre Grundleistungen (zu den Rügen bezüglich der optionalen Besonderen Leistungen s.o.) bestehen würden, und diese zu kalkulieren – tatsächlich hat sie in allen ihren Angeboten die jeweiligen Grundleistungen in den einzelnen Leistungsphasen bepreisen können. Dies wird sehr deutlich in den Anmerkungen der Antragstellerin zu ihrem ersten indikativen Angebot (Dokument 1926-21…): Dort ist mehrfach davon die Rede, dass die GU-Vergabe teurer sei, was nicht berücksichtigt werde, obwohl das Budget von Euro 425.000.000 aus dem 2. Quartal 2019 doch bereits überholt sei (a.a.O., Punkte 1 – 3) – Bedenken, dass die alternative Ausschreibung irgendwelche inhaltlichen Fragen aufwerfe, werden gerade nicht vorgebracht.

Welche Leistungen in den beiden Varianten gefordert würden, war ihr offenkundig klar, ihr Bedenken lag vielmehr darin begründet, dass sie das angesetzte Budget für nicht auskömmlich hielt und sie der Auffassung war, dass sich das hieraus folgende Risiko für die Leistungserbringung im Falle der GU-Vergabe – wegen des zu erwartenden GU-Zuschlags – noch weiter verschärfen würde.

Tatsächlich resultierte aber auch dieses Bedenken der Antragstellerin hinsichtlich der nicht gegebenen Auskömmlichkeit des Budgets gerade nicht – jedenfalls nicht in erster Linie – aus dem Umstand, dass sie (auch) mit einer GU-Vergabe rechnen musste.

Wie schon ausgeführt, kalkulierte die Antragstellerin in ihrem finalen Angebot mit einem Risikozuschlag von mehr als 90%. Selbst wenn man der – streitigen – Angabe der Antragstellerin folgen würde, wonach ein Generalunternehmerzuschlag sich auf bis zu 30% belaufen könne, kann dies ganz offenkundig den tatsächlich angesetzten Risikozuschlag nicht rechtfertigen.

Damit hat die Antragstellerin schon nicht dargelegt, dass vorliegend gerade die Ausschreibung alternativer Vergabestrategien tatsächlich eine inhaltliche Intransparenz der Ausschreibung bedingt habe.

Zudem ist hinsichtlich dieser Rüge der Antragstellerin zu berücksichtigen, dass das Transparenzgebot aus § 97 Abs. 1 S. 1 GWB, hier in seiner Ausprägung gem. § 121 GWB, kein Selbstzweck, sondern immer unter Berücksichtigung des primären Zwecks des Vergaberechts anzuwenden ist, der darin besteht, eine Gleichbehandlung der Bieter sicherzustellen und eine Vergabe von Aufträgen unter Anwendung sachfremder Erwägungen zu verhindern.

Die Ausschreibung von „Wahlpositionen“ kann insoweit problematisch sein, wenn sie geeignet ist, dem Auftraggeber insoweit Manipulationsmöglichkeiten zu eröffnen, indem er durch die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Wahlposition steuern kann – insbesondere dann, wenn Gebote im Übrigen nahe bei einander liegen -, welcher Bieter zum Zuge kommt (vgl. ausdrücklich: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Mai 2019 – Verg 61/18, Rn. 48:

„Die Aufnahme von Wahlpositionen in das Leistungsverzeichnis ist nicht grundsätzlich vergaberechtlich unstatthaft. Zwar tangiert sie die Bestimmtheit und Eindeutigkeit der Leistungsbeschreibung und überdies die Transparenz des Vergabeverfahrens, denn sie ermöglicht dem öffentlichen Auftraggeber, durch seine Entscheidung für oder gegen eine Wahlposition das Wertungsergebnis aus vergaberechtsfremden Erwägungen zu beeinflussen“;

ebenso: Beck’scher Vergaberechtskommentar-Opitz, a.a.O., § 127 GWB, Rn. 55, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Diese Gefahr aber ist vorliegend gerade ganz offenkundig nicht gegeben: Zum einen erfolgt die Bewertung zu den Honoraransätzen der Bieter auf Basis der addierten für die Einzelgewerks- bzw. GU-Vergabe veranschlagten Preise (s. die eingereichten Preisblätter Ordner 14 der Vergabeakte, sowie Auswertung derselben, Ordner 28, Dokument 22…). Zum anderen kommt vorliegend eine derartige Manipulation von vornherein nicht in Betracht, da nach den Ausschreibungsunterlagen die Wahl der Vergabestrategie durch den Auftraggeber erst weit nach Auftragserteilung (nämlich nach Abschluss der Leistungsphase 3 oder noch später) erfolgen sollte.

Auf die Frage, ob die Ausschreibung der in Rede stehenden Wahlpositionen hier – wie die Antragsgegnerin meint – dadurch zu rechtfertigen ist, dass erst im Anschluss an die mehrjährige Planungsphase bis zur Leistungsphase 3 beurteilt werden könne, welche Ausführungsvariante dann insbesondere wirtschaftlich vorteilhaft sei und ihr daher die Möglichkeit verbleiben müsse, auf die Entwicklungen auf dem hochvolatilen Markt für Bauleistungen zu reagieren – was gerade bei einem Großprojekt wie dem vorliegenden mit mehrjährigem planerischen Vorlauf nicht fernliegend erscheint – kommt es damit nicht mehr entscheidend an.

3.) Auch soweit die Antragstellerin sich mit dem Nachprüfungsantrag gegen den Vertragsentwurf wendet, da die in diesem enthaltene Kostenvorgabe von Euro 425.000.000 für die Erstellung des Bauprojektes mit den zugleich formulierten inhaltlichen Planungszielen unvereinbar sei (Rnrn. 72 – 75 des Nachprüfungsantrags), dringt ihr Rechtsbehelf nicht durch.

Ausgangspunkt der vergaberechtlichen Beurteilung muss insoweit der Grundsatz sein, dass die Budgethoheit beim Auftraggeber liegt, letztlich (und auch haushaltsrechtlich zwingend) kann nur er die Frage beantworten, welche Mittel für die Deckung eines bestimmten Bedarfs eingesetzt werden können – ein (was die Antragstellerin hier annimmt) gemessen an dem formulierten Bedarf objektiv zu geringer Ansatz wird vergaberechtlich nur dann zum Problem, wenn das Budget so niedrig gegriffen wird, dass ein Großteil der potentiellen Leistungserbringer als Bieter ausscheidet (Beck’scher Vergaberechtskommentar-Dörr, 3. Aufl. 2017, § 97 Abs. 1, Rn. 15; OLG Koblenz, Beschluss vom 4. Februar 2014 – 1 Verg 7/13:

„Die Festlegung einer Kostenobergrenze – auch wie hier als Ausschlusskriterium – ist grundsätzlich zulässig (siehe Wiedemann in: Kulartz/Marx/Portz/ Prieß, VOL/A, § 16 Rn. 279), auch weil der Auftraggeber damit offenlegt, wo die Grenze der Machbarkeit der Beschaffung erreicht ist. Etwas anderes mag gelten, wenn auf einem Markt mit nur wenigen potentiellen Nachfragern ein Auftraggeber seine Stellung missbraucht, um eine Ware oder Leistung unter Marktpreis einzukaufen, oder wenn die Kostenobergrenze bei Beschaffungen, auf die der Auftraggeber nicht verzichten kann, so niedrig angesetzt ist, dass ein Großteil der potentiellen Leistungserbringer als Bieter ausscheidet (siehe auch OLG Düsseldorf v. 19.10.2011 – Verg 54/11 -.“).

So verhält es sich vorliegend jedoch offenkundig nicht – allerdings wirkt sich das begrenzte Bau-Budget auf das Gebot der Antragstellerin aus, da es als Grundlage der Honorarberechnung dient und die Antragstellerin sich wegen der nach ihrer Auffassung unabsehbaren Risiken genötigt sah, mit einem Aufschlag von mehr als 90% zu rechnen. Die beiden anderen Bieter haben ihren Angeboten jedoch dieses begrenzte Budget zugrunde gelegt, ohne es zu beanstanden.

Zudem existiert ein Verbot, dem Auftragnehmer im Vertrag Wagnisse, auch erhebliche Wagnisse, aufzuerlegen, im Vergaberecht gerade nicht, insbesondere ist es nicht unzulässig, dem Auftragnehmer auch solche Risiken aufzubürden, die nach dem gesetzlichen Leitbild grundsätzlich den Auftraggeber treffen (Ziekow/Völlink-Trutzel, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 31 VgV, Rn. 30, mit zahlreichen weiteren Nachweisen), vielmehr kann dies jedenfalls bis zur Grenze der Unzumutbarkeit geschehen (Trutzel a.a.O., Rn. 31).

Ob vor diesem Hintergrund – wie die Antragstellerin meint – die Regelung der Ziffern 1.2. des Vertrags, wonach die Budgetvorgabe „bestmöglich abgebildet werden“ solle und der Ziffer 3.1.2.1 des Vertrags, wonach es Pflicht des Auftragnehmers ist, „alles zu tun … um (die Einhaltung der Programmkosten) zu erreichen“, überhaupt zu einer relevanten und vergaberechtlich zu beanstandenden Widersprüchlichkeit und damit Intransparenz des Vertrags führen kann (so Nachprüfungsantrag Rn. 71), kann dahinstehen. Denn tatsächlich ist im abgeänderten Vertragsentwurf (Ordner 19 der Vergabeakte, Dokument 2-2…) dem zwischen den Parteien unstreitigen Umstand, dass das Budget von Euro 425.000.000 möglicherweise (oder sogar wahrscheinlich) nicht genügen wird, hinreichend Rechnung getragen. Denn die strikte – und vielleicht im o.g. Sinne „unzumutbare“ – starre Kostengrenze, wie sie in § 1, Ziffer 1.2 des urspünglichen Vertragsentwurfs vorgesehen war, ist nach den neugefassten Regelungen durch ein durchaus flexibles System ersetzt worden, innerhalb dessen der jeweilige Auftragnehmer auf die etwaige Unauskömmlichkeit des Budgets reagieren kann und die Auftraggeberin verpflichtet wird, hierauf angemessen zu reagieren. Soweit die Antragstellerin diese Formulierungen beanstandet, da sie es letztlich ins Belieben des Auftraggebers stellten, welche Lösungen akzeptabel seien, ist dem nicht zu folgen: Zum einen ist erneut darauf zu verweisen, dass die Überbürdung von Risiken durchaus zulässig ist, zum anderen und vor allem aber ist durch die in den endgültigen Vertragsentwurf eingefügten Regelungen klargestellt, dass die Auftraggeberin sich vernünftigen und sachgerechten Vorschlägen des Planers zur Reduzierung von Quantitäten und/oder Qualitäten gerade nicht verweigern kann: Ob Vorschläge „geeignet“ und wie sie in „Abstimmung der Parteien in die Planung zu integrieren“ sind (§ 3, Ziffer 3.1.2.1 des Vertrags) steht hiernach gerade nicht im freien Belieben der Auftraggeberin, vielmehr ist diese gerade unter Berücksichtigung der Regelung in § 1, Ziffer 1.2., 3. Absatz des Vertrags verpflichtet, „partnerschaftlich“, also letztlich nach Maßgabe von Treu und Glauben, an der Erarbeitung einer Lösung mitzuwirken. Dass die Parteien insoweit ggf. verschiedener Auffassung sein können und es daher nötig werden könnte, die Angemessenheit einer Lösung streitig zu klären, stellt kein unzumutbares Risiko dar, sondern ist jedem Austauschvertrag immanent.

4.) Soweit die Antragstellerin sich mit ihrem Nachprüfungsantrag gegen den Wertungsprozess der Antragsgegnerin wendet, dringen ihre insoweit unproblematisch zulässigen, insbesondere nicht präkludierten Rügen in einem Punkt durch.

a) Nicht zu folgen ist insoweit allerdings dem Ansatz der Vergabekammer, die sich in diesem Zusammenhang vor allem daran stört, dass die Ableitung der jeweiligen Punktwerte aus den „+“-, „-„- und „0“-Zeichen in den Blättern 2 bis 6 der Anlage zum Bewertungsprotokoll nicht nachvollziehbar sei.

Das von der Vergabekammer insoweit angenommene arithmetische System der Punktvergabe (bei dem dann „+“-/“-„-/“0“-Wertungen in irgendeiner Weise zu verrechnen gewesen wären) existierte tatsächlich nicht. Den entsprechenden Ausführungen des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 2. Dezember 2022 (Sitzungsprotokoll Seite 8 oben) ist auch die Antragstellerin mit ihrer Stellungnahme vom 10. Januar 2023 nicht mehr entgegengetreten.

Die fraglichen, jeweils neben den zu dem jeweiligen Bieter je Merkmal verfassten Text gesetzten Zeichen (0/+/-) bringen vielmehr anschaulich zum Ausdruck, welche Wertung das Gremium zu dem jeweiligen Bewertungspunkt in der Tendenz getroffen hat und beziehen sich – wie im Bieterleitfaden, dort Seite 5, auch vorgesehen – auf das mit jeweils zehn Punkten bewertete beste Angebot.

Die in der Anlage zum Bewertungsprotokoll entsprechend den Vorgaben der veröffentlichten Bewertungsmatrix zu jedem einzelnen Bewertungsmerkmal aufgenommenen Texte lassen die Bepunktung entgegen der Argumentation der Antragstellerin auch durchaus nachvollziehbar erscheinen: Beispielhaft sei auf das Merkmal 2a verwiesen, für das das Angebot der Antragstellerin mit einem „-“ versehen wurde: Dem Langtext in Spalte 2 der Matrix lässt sich durchaus entnehmen, weshalb eine kritische Wertung vorgenommen wurde – so findet sich die Aussage, dass eine Aufteilung unter die drei Architekturbüros, die sich zur Antragstellerin verbunden haben, nach Funktionsbereichen und Schwerpunkten erfolgen soll, dass hierdurch die Aufbauorganisation und Aufgabenverteilung wenig nachvollziehbar wäre, im Organigramm ein weiterer Nachunternehmer ohne Spezifizierung genannt werde, das Thema BIM fehle und im Organigramm keine eindeutige Zuordnung und Planungsverantwortung wiedergespiegelt werde. Dass dieser „Langtext“ das Setzen eines „-“ rechtfertigte, leuchtet jedem Leser der Matrix ohne weiteres ein.

Gleiches gilt bei genauer Betrachtung auch zur von der Antragstellerin in ihrem Schriftsatz im Verfahren vor der Vergabekammer vom 15. Juni 2022 (dort ab Rn. 41) gerügten Bewertung zu Ziffer 2c der Matrix: Gerade bei der gebotenen Zusammenschau mit Kriterium 2a, zu dem offenbar unklare Kompetenzzuweisungen zum Punktabzug geführt haben, ist ohne Weiteres nachvollziehbar, dass auch die Benennung zweier stellvertretender Projektleiter (ohne Kompetenzabgrenzung) zu einem Punktabzug führen kann – und zwar auch bei absoluter Betrachtung und ohne dass es hierzu nötig wäre, auf den (möglicherweise klareren) Inhalt der Gebote der beiden anderen Bieter zu diesem Punkt abstellen zu müssen. Insoweit kann – anders die Antragstellerin (Rn. 46/47 ihres Schriftsatzes vom 15. Juni 2022) meint – auch nicht die Rede davon sein, dass die Antragsgegnerin insoweit offenbar willkürlich, nämlich nur basierend auf einem „bloßen Gefühl“ gewertet habe.

Sicher ist der Antragstellerin zuzugeben, dass die Bewertung für sie noch transparenter und nachvollziehbarer wäre, wenn auch die Texte und Bewertungen der anderen Bieter eingesehen werden könnten. Dies aber ist offenkundig ohne Offenlegung wesentlicher Teile der Gebote der beiden anderen Bieter nicht möglich und nach Auffassung des Senats auch nicht geboten, da die Wertungen zur Antragstellerin im Rahmen der Matrix, also das Setzen von „0“, „+“ oder „-„, auch ohne dies hinreichend jeweils nachvollziehbar sind. Dies gilt jedenfalls bei der gebotenen Zusammenschau dieser Einzelbewertungen mit der „Zusammenfassenden Beurteilung“ ab Seite 7 der Anlage zum Bewertungsprotokoll, die handgreiflich verdeutlicht, weshalb jeweils „-„-Zeichen gesetzt wurden und wie sich die einzelnen Defizite konkret auf die Wertung ausgewirkt haben.

Dass die Antragsgegnerin bzw. das von ihr eingesetzte Auswahlgremium die ihr insoweit im Rahmen des § 58 Abs. 3 VgV zuzumessenden subjektiven Beurteilungsspielräume (OLG Celle, Beschluss vom 12. Januar 2012 – 13 Verg 8/11; OLG München, Beschluss vom 7. April 2011 – Verg 5/11) überschritten hätte, lässt sich danach nicht feststellen.

b) Begründet ist allerdings die Rüge der Antragstellerin, dass die Antragsgegnerin entgegen ihrer Aufforderung zur finalen Angebotsabgabe vom 14. Dezember 2021 (Ordner 19 der Vergabeakte, Dokument 1-21…) im Rahmen der Wertung nicht nur die Inhalte der schriftlichen Gebote der Bieter berücksichtigt, sondern vielmehr in unzulässiger Weise auch Inhalte aus den mündlichen Präsentationen bzw. Verhandlungen im Rahmen der Wertung berücksichtigt habe.

Tatsächlich finden sich bei der Bewertung des Angebots der Antragstellerin zu den Kriterien 2a, 2b, 2c und 3d Hinweise auf im Termin gewonnene (oder auch nicht gewonnene) Informationen, noch vereinzelter findet sich Ähnliches auch hinsichtlich der beiden anderen Bieter.

Dass es sich insoweit – so die Antragsgegnerin – nur um zulässige Erläuterungen der schriftlichen Unterlagen anhand von Erkenntnissen aus dem Termin handele und nicht um echte Bestandteile der Wertung, vermag der Senat nicht zu erkennen: Z.B. die Aussage zu Punkt 2a „Im Termin wurde dies zwar benannt, aber nicht hinreichend erläutert“, bezieht sich zwar in der Tat auf die unmittelbar zuvor stehende Wertung, wonach „Aufbauorganisation und Aufgabenverteilung im Projekt wenig nachvollziehbar“ seien. Schon rein sprachlich kann hier jedoch von einer bloßen Erläuterung nicht die Rede sein, vielmehr legt die Formulierung nahe, dass die Bieterin nicht in der Lage gewesen sei, die auftraggeberseits insoweit im Termin formulierten Bedenken auszuräumen – ein ganz eindeutig negativer Punkt, indem dem Bieter (jedenfalls ist dies ein naheliegendes Verständnis der Passage) gewissermaßen vorgehalten wird, dass er nicht einmal bei Konfrontation mit dem Problem angemessen reagiert habe.

Da nach dem Inhalt des Schreibens vom 14. Dezember 2021 die Bewertung auch von Erkenntnissen aus den mündlichen Terminen nicht zulässig war und der Senat nicht ausschließen kann, dass solche Erkenntnisse zum Nachteil der Antragstellerin bewertet wurden, liegt insoweit ein erheblicher Verfahrensfehler vor, dem durch Rückversetzung des Verfahrens in das Stadium vor Vollzug der Wertung hinreichend abgeholfen werden kann.

5.) Der von Seiten der Antragstellerin gerügte Verstoß gegen § 17 Abs. 10 VgV liegt nicht vor.

Die Bieter hatten vorliegend keinen Anspruch auf eine zweite Verhandlungsrunde.

Der Auftraggeber hat bei der Ausgestaltung des Verhandlungsverfahrens einen weiten Ermessensspielraum; insbesondere liegt in seinem Ermessen, wie viele Verhandlungs- und Angebotsrunden es gibt, wobei er diese Entscheidung auch in Abhängigkeit vom Ablauf des bisherigen Verfahrens treffen kann, solange er die Grundsätze von Transparenz und Gleichbehandlung beachtet (Dieckmann/Scharf/Wagner-Cardenal-Dieckmann, VgV/UVgO, 3. Aufl. 2022, § 17 VgV, Rn. 17; Beck’scher Vergaberechtskommentar-Dörn, 3. Aufl. 2019, § 17 VgV, Rn. 25/26).

Mit der Aufforderung zum finalen Angebot hat die Antragsgegnerin hier deutlich und für alle drei Bieter hinreichend transparent zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht mehr verhandeln will.

6.) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 175 Abs. 2 i.V.m. 71 GWB, die angeordnete Quote entspricht der Billigkeit, da die Beschwerde der Antragsgegnerin weit überwiegend Erfolg hat.

Der Gegenstandswert war gem. § 50 Abs. 2 GKG anhand der realistischen Schätzung des Bruttoauftragswerts durch die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdeschrift auf Euro 1.338.035,30 festzusetzen; die Zuziehung von Prozessbevollmächtigten war für beide Parteien notwendig.

Über die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer wird diese unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden haben.

TFMoptimize2024 – bringen Sie Ihr Technisches Facility Management auf den neuesten Stand

TFMoptimize2024 - bringen Sie Ihr Technisches Facility Management auf den neuesten Stand

von Thomas Ax

Vorhaben TFMoptimize2024

Mit TFMoptimize2024 werden umfassende Leistungen des technischen Facility Managements, d. h. der Instandsetzung und Instandhaltung, des Energieverbrauchsmengenmanagements sowie der Objektbetreuung und -dokumentation auf einen privaten Auftragnehmer übertragen. Ggf. werden weitere Leistungen des infrastrukturellen Gebäudemanagements in die Ausschreibung integriert. Gegenstand der Leistungserbringung sollen dabei eines oder mehrere Ihrer Objekte (Bündelung mehrere Objekte in einer Ausschreibung). Mit einer Markterkundung geben wir in Ihrem Auftrag potentiellen Marktanbietern einen Einblick in das geplante TFMoptimize2024 nebst Informationen zur Risikoverteilung und zum Ablauf eines möglichen Vergabeverfahrens. Die Teilnehmer werden von uns in Ihrem Auftrag anhand konkreter Fragen zur Abgabe einer Markteinschätzung aufgefordert.

Der Leistungsumfang definiert sich zum einen aus seiner allg. Betreiberverantwortung und zum anderen aus der Übertragung der Leistungen des technischen Facility Managements. Wir nehmen in Ihrem Auftrag mit den Vergabeunterlagen eine Einordnung des Gebäudes in sog. Zustandsklassen vor und machen eine entsprechende zeitliche Vorgabe im Sinne einer Frist zur Erreichung einer Verbesserung der Zustandsklassen. Darüber definieren wir einzelne Maßnahmen (Instandsetzung und ggf. auch Modernisierung), die ebenfalls binnen einer bestimmten Zeitspanne durch den Auftragnehmer umzusetzen sind. Der Auftragnehmer kann die Maßnahmen innerhalb der formulierten Vorgaben nach seinen Vorstellungen bündeln und so Effizienzvorteile in der Koordination, Vergabe und Umsetzung erreichen. Der Auftragnehmer soll mit einem Mitarbeiter im Objekt vertreten sein. Es kann in Erwägung gezogen werden, weitere Leistungen des infrastrukturellen Gebäudemanagements in die Ausschreibung zu integrieren.

Nachfolgend werden die wesentlichen Eckpunkte des Konzeptes TFMoptimize2024 hinsichtlich Leistungsumfang, Risikoverteilung, Vergütung, Kündigungsregelung, Bestandsdokumentation und Vergabeverfahren skizziert.

Leistungsumfang

Der Leistungsumfang des Auftragnehmers definiert sich zum einen aus seiner allg. Betreiberverantwortung und zum anderen aus der Übertragung der Leistungen des technischen Facility Managements. Der Auftraggeber nimmt mit den Vergabeunterlagen eine Einordnung des Gebäudes in sog. Zustandsklassen vor und macht eine entsprechende zeitliche Vorgabe im Sinne einer Frist zur Erreichung einer Verbesserung der Zustandsklassen. Darüber hinaus wird er einzelne Maßnahmen (Instandsetzung und ggf. auch Modernisierung) definieren, die ebenfalls binnen einer bestimmten Zeitspanne durch den Auftragnehmer umzusetzen sind. Der Auftragnehmer kann die Maßnahmen innerhalb der formulierten Vorgaben nach seinen Vorstellungen bündeln und so Effizienzvorteile in der Koordination, Vergabe und Umsetzung erreichen.

Der Auftragnehmer soll mit einem Mitarbeiter im Objekt vertreten sein. Es kann in Erwägung gezogen werden, weitere Leistungen des infrastrukturellen Gebäudemanagements in die Ausschreibung zu integrieren.

Risikoverteilung, Vergütung und Kündigungsregelungen

Dem Auftragnehmer soll mit dem TFMoptimize2024 Vertrag die umfassende Betreiberverantwortung für eine Laufzeit von 5 bis 15 Jahren übertragen werden.

Dem Auftragnehmer sollen, soweit alle Bestandsrisiken übertragen werden, die für den sach- und fachkundigen Baufachmann aus den vorliegenden Bestandsunterlagen und Gutachten erkennbar waren. Den Bietern werden im Rahmen des Verfahrens mehrfach Möglichkeiten zur Objektbegehung sowie die Möglichkeit zur Einforderung weiterer Gutachten eingeräumt.

Es wird erwartet, dass der Auftragnehmer ein pauschaliertes Entgelt zur Umsetzung der vorgegebenen Instandsetzungsarbeiten wie auch zur Erreichung der vorgegeben Zustandsklassen anbietet. Die Reaktion auf Not- und Störfälle soll ebenfalls pauschaliert erfolgen. Die Regelung von Reaktions- und Behebungszeiten erfolgt über sog. Service Level Agreements auf Bauteilebene.

Der Auftragnehmer soll Verbrauchsmengengarantien für Medienverbräuche (ausgenommen Nutzerstrom) abgeben. Eine Witterungsbereinigung wird entsprechend berücksichtigt, das Risiko der Preisentwicklung trägt der Auftraggeber.

Wir stellen in Ihrem Auftrag eine umfangreiche Bestandsdokumentation mit den Vergabeunterlagen zur Verfügung.

Für die Vergütung der Leistungen kommen verschiedene Modelle in Frage. Laufende Leistungen (z. B. Bedienung und Wartung) sollen im Wege eines konstanten Entgeltes vergütet werden. Für Instandsetzungsarbeiten wird eine Linearisierung (z. B. über 5 Jahre oder über die gesamte Vertragslaufzeit) in Verbindung mit einem Instandhaltungsreservekonto oder eine Vergütung nach tatsächlichem Kostenverlauf bzw. eine Kombination der Strukturen (lineares Entgelt für wiederkehrende Leistungen und Entgelt nach tatsächlichem Kostenverlauf für Instandsetzungsleistungen) erwogen.

Schlecht- oder Nichtleistungen werden über ein an die Zustandsklassen (Service Level Agreements) gekoppeltes Malus-System in Form einer Entgeltkürzung sanktioniert. Es wird erwogen, einen Mechanismus festzulegen, der in Abhängigkeit von der Häufigkeit der Sanktionierung zu einer Verschärfung der Fristen führt.

Es wird erwogen, zu definierten Zeitpunkten (z. B. 5 Jahre) Teilkündigungsmöglichkeiten im Vertrag vorzusehen.

Fragen zur Markteinschätzung

Wir konfrontieren im Rahmen einer Markterkundung Marktteilnehmer mit unserem Projekt und bitten um eine kurze Einschätzung und Stellungnahme zu den nachstehend formulierten Fragen:

1) Bitte geben Sie uns eine Einschätzung zur geplanten Vertragslaufzeit (5 bis 15 Jahre)? Welche wirtschaftlichen Vorteile gehen mit einer längeren Laufzeit einher?

2) Wie bewerten Sie die Einräumung von Teilkündigungsmöglichkeiten zu vorab definierten Zeitpunkten?

3) Wie bewerten Sie eine Integration weiterer Leistungen des infrastrukturellen Gebäudemanagements (z. B. Reinigung, Kontrolle der Reinigung, Empfangsleistungen, Hausmeister, Grün- und Grauflächenpflege, Winterdienst) sowie der Qualitätssicherungen (z. B. Kontrolle der Reinigung) in den Leistungsumfang?

4) Der Auftraggeber plant die Übertragung von Verbrauchsmengenrisiken für Medien (ausgenommen Nutzerstrom), ggf. auch in verschiedenen Stufen über die Laufzeit (Zielvorgaben). Wie bewerten Sie die Übertragung von Verbrauchsmengenrisiken und welche Modelle bieten aus Ihrer Sicht die optimalen Anreize für eine wirtschaftliche Umsetzung (z. B. Festlegung einer maximalen Verbrauchsmenge mit dem Angebot oder Festlegung der maximalen Verbrauchsmenge in Abhängigkeit von Referenzjahren)?

5) Welche Mindestgröße (m2BGF) ist aus Ihrer Sicht erforderlich, um eine wirtschaftliche Projektrealisierung mit den genannten Anforderungen sicherzustellen. Gibt es aus Ihrer Sicht eine maximale Projektgröße?

6) Welche Bestandsunterlagen (insb. Gutachten) sind aus Ihrer Sicht wesentlich für eine wirksame und faire Übertragung der Bestandsrisiken?

7) Wie bewerten Sie die Vergütung nach tatsächlichem Kostenverlauf im Vergleich zu einer (teil-)linearisierten Vergütung?

8) Sind die geplanten Fristen für ein Verfahren mit der vorgesehen BGF aus Ihrer Sicht auskömmlich?

9) Wie wäre aus Ihrer Sicht eine angemessene Entschädigung für die Aufwendungen im Vergabeverfahren zu gestalten?

10) Wie bewerten Sie eine Honorierung von Optimierungsvorschlägen im Vergabeverfahren über die Angebotsbewertung?

usw.

Wir laden alle interessierten Anbieter zur Abgabe einer Markteinschätzung ein.

Wir behalten uns vor, bei Bedarf mit ausgewählten Anbietern, maximal 15, telefonische Interviews zu führen.

Zur Abgabe einer Markteinschätzung bitten wir Einreichung der Antworten zu den formulierten Fragen über den Kommunikationsweg des jeweils benutzten Vergabeportals. Die Antworten und die informationen werden ausgewertet und für das sich anschließende Vergabeverfahren nutzbar gemacht.  

Vergabeverfahren

Wir gehen davon aus, dass die Leistungen im Wege eines europaweiten Vergabeverfahrens mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb auszuschreiben sind. Als Verfahrensart kommen dabei grds. das Verhandlungsverfahren oder ggf. auch der wettbewerbliche Dialog in Frage, in dessen Rahmen technische Lösungen mit den Dialogteilnehmern erörtert werden könnten.

Es ist geplant, nach dem Teilnahmeantrag 3 bis 5 Teilnehmer zur Abgabe eines Angebotes aufzufordern und den Teilnehmerkreis ggf. über mehrere Verhandlungs- oder Dialogrunden zu verkleinern, um abschließend 3 Anbieter zur Abgabe eines finalen Angebotes aufzufordern. Derzeit wird von einer Verfahrensdauer von rd. 10 bis 14 Monaten ab Veröffentlichung der EU-Bekanntmachung ausgegangen. Der Zeitraum für die erste Angebotserarbeitung wird dabei mit rd. 4 bis 6 Monaten und für die zweite Angebotsrunde mit 2 bis 4 Monaten angesetzt.

Zur Bewertung der Angebote werden neben dem Preis auch qualitative Bewertungskriterien (Zeitplan der Umsetzung, Qualität der Leistungserbringung) herangezogen. Es wird geprüft, inwiefern auch eine Honorierung von Optimierungsvorschlägen der Bieter über die Bewertungsmatrix erfolgen kann.

Interesse?

24/7

Temporäre KITA gefällig?

Temporäre KITA gefällig?

von Thomas Ax

Aufgabe: Benötigt wird ein temporäres Gebäude zur Auslagerung einer Kindertagesstätte.

Lösung
: Schlüsselfertige Errichtung eines zur späteren Demontage geeigneten Gebäudes in Holzbauweise.

Zur Ausführung kommt dabei ein modulares und zur Demontierbarkeit geeignetes, schlüsselfertiges Gebäude in Holzbauweise mit einer geplanten Standzeit von 5 Jahren. Eine demontierbare und wiederaufbaubare Konstruktion ist dabei Voraussetzung und zur Angebotsabgabe nachzuweisen. Der Rückbau der Anlage, ebenso wie die Erschließungs- und Gründungsarbeiten sind dabei nicht Teil der Ausschreibung und werden bauseits geleistet. Das Gebäude soll die Unterbringung einer auszulagernden Kindertagesstätte ermöglichen und gemäß dem nachfolgenden Raumprogramm, den Planunterlagen, Entwurfsberichten der Bauphysik in der Anlage sowie den Bauteil- und Technikbeschreibungen dieser Ausschreibung als Generalunternehmerleistung errichtet werden.

Zum Leistungsumfang des Auftragnehmers gehört die schlüsselfertige Errichtung eines zur späteren Demontage geeigneten Gebäudes in Holzbauweise auf der bauseits erstellten Bodenplatte, einschließlich der gebrauchsfertigen technischen Gebäudeausrüstung im nachfolgend beschriebenen Umfang. Die zur Ausführung erforderliche Baustelleneinrichtung, einschließlich aller Schutzmaßnahmen am Gebäude selbst sind ebenfalls Teil der Gesamtleistung. Vor Errichtung des Gebäudes hat der Auftragnehmer eine prüffähige Werkplanung mit allen relevanten Gebäudedetails und Ausstattungen vorzulegen, die durch den Auftraggeber freizugeben ist. Ferner sind im Hinblick auf die jeweiligen Bestellzeiten rechtzeitig alle geforderten Muster und Materialproben beim Auftraggeber vorzulegen. Der Auftragnehmer hat zusätzlich zur Werkplanung dem Auftraggeber ein Konzept zur strukturierten und zerstörungsarmen Demontage des Gebäudes zur Verfügung zu stellen, auf dessen Grundlage das Gebäude nach Ablauf der geplanten Standzeit abgebaut und an anderer Stelle erneut errichtet werden kann.

Vor und während der Baumaßnahme sind alle relevanten Bautechnischen Nachweise für die baubegleitende Genehmigungsplanung rechtzeitig zu erstellen und vorzulegen. Der Auftragnehmer hat alle geforderten Bescheinigungen einzuholen und Abnahmen durchzuführen, um eine termingerechte Übergabe und Inbetriebnahme des Gebäudes zu ermöglichen. Innerhalb der Gewährleistungszeit von 4 Jahren nach der Endabnahme übernimmt der Auftragnehmer die Wartung der Sicherheitstechnischen und Gebäudetechnischen Ausstattungen, die einer Wartung bedürfen. Die Wartungskosten sind Teil des Angebotes und werden im Leistungsverzeichnis separat abgefragt.

In der funktionalen Leistungsbeschreibung in so bezeichneten Teilen C, D und E sind die in der Entwurfsplanung angesetzten Konstruktionen, Bauteile und Materialien gewerkeweise beschrieben. Deren Aufbau und Ausführungen können unter Beibehaltung der geforderten Außen- und Raummaße, der statischen und bauphysikalischen Anforderungen und des gewünschten Erscheinungsbildes verändert ausgebildet werden, um der modularen Bauweise des Auftragnehmers zu entsprechen. Durch eine abweichende Konstruktion oder Ausführung der Bauteile dürfen sich keine Beeinträchtigungen hinsichtlich des Brandschutzes oder Änderungen in Bezug auf das zu Grunde gelegte Brandschutzkonzept oder die Baugenehmigung ergeben.

Nimmt der Auftragnehmer Änderungen gegenüber der hier dargestellten Entwurfsplanung vor, so sind sämtliche daraus entstehenden Mehrkosten in den angebotenen Pauschalpreis einzukalkulieren und damit abgegolten. Dies gilt auch für Mehrkosten, die erst nachträglich erkennbar werden, wenn sie auf Änderungen zurückzuführen sind, die der Auftragnehmer zu verantworten hat. Die Bauteil- und Anlagenbeschreibungen stellen das Gebäudekonzept der Entwurfsplanung dar. Alle Arbeiten, Lieferungen und Leistungen, die zu einer umfassenden, gebrauchsfertigen Bauausführung gehören oder nach den anerkannten Regeln der Technik üblich oder gefordert sind, werden vom angebotenen Pauschalpreis abgedeckt, auch wenn sie in der Beschreibung nicht vollständig oder nicht ausdrücklich erwähnt werden.

Qualitativ müssen die Leistungen dem ausgeschriebenen Standard entsprechen. Sämtliche Massen, die der Auftragnehmer zur Erstellung der Kalkulation benötigt, hat er selbstständig zu ermitteln. Der AN trägt das Massenrisiko. Die in den Anlagen enthaltenen Angaben (Flächen, Längen etc.) haben informativen Charakter und sind keineswegs verbindlich. Das beschriebene Gebäude ist komplett funktionsfähig nach Stand der Technik zu planen und zu realisieren. Die Leistungsbeschreibungen erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Alle Konstruktionen und Ausführungsdetails müssen nach DIN, Technischen Regeln und Herstellerrichtlinien ausgeführt werden, auch wenn erforderliche Nebenleistungen nicht vollständig beschrieben oder in den Detailzeichnungen aufgeführt sind.

Grundsätzlich einzuhalten sind die Anforderungen der
– Hessischen Bauordnung und Hessischen Verwaltungsvorschrift Technische Baubestimmung in aktueller Fassung
– Gebäudeenergiegesetz 2020
– DIN 18024-2 bzw. DIN 18040-1 „Barrierefreies Bauen in
– öffentlich zugänglichen Gebäuden und Arbeitsstätten“
– in der für Hessen gültigen Fassung
– DGUV Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, Regel 102-002 „Kindertageseinrichtungen“

Der detailliert beschriebene Leistungsumfang ist in einem Teil F zu finden. Grundlage und Vertragsbestandteil für die Ausführung und Abrechnung sind darüber hinaus und soweit in der Leistungsbeschreibung keine Abweichungen enthalten sind, die geltenden Normen in der jeweils neuesten Fassung, die allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie alle sonstigen in Frage kommenden Normen, Vorschriften, Richtlinien, insbesondere die einschlägigen Arbeitsschutzbestimmungen, die Unfallverhütungsvorschriften sowie die Verarbeitungsvorschriften der Hersteller der verwendeten Stoffe und Bauteile.

Bayern: Baurecht und Technik: Asylbewerberunterkünfte

Bayern: Baurecht und Technik: Asylbewerberunterkünfte

Die immer weiter steigende Zahl von Flüchtlingen und Asylbewerber stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Der Bund hat durch das am 06./07.11.2014 von Bundestag und Bundesrat  beschlossene Gesetz über Maßnahmen im Bauplanungsrecht zur Erleichterung der Unterbringung von Flüchtlingen für eine erste Flexibilisierung gesorgt. Das Gesetz wird im Rundschreiben der Obersten Baubehörde vom 11.11.2014 und im Rundschreiben vom 06.03.2015 mit einer Erläuterung der wesentlichen Neuerungen thematisiert. Allgemeine Hinweise des Bundes finden Sie hier.

Im Rundschreiben vom 01.08.2013 zur Unterbringung von Asylbewerbern sowie im Rundschreiben vom 18.08.2015 zu bauordnungs- und bauplanungsrechtliche Fragen finden Sie weitere Hinweise zu in der Praxis wiederholt aufgeworfenen Problempunkten. Sie verdeutlichen die bestehenden Handlungsspielräume für sachgerechte Lösungen im Einzelfall. Bereits mit Rundschreiben vom 25.07.2011 zum Brandschutz in bestehenden Gebäuden wurden allgemeine Hinweise zu den Themen ‚Bestandsschutz‘, ‚Änderung im Bestand‘ und ‚Brandschutznachweis als Bauvorlage‘ gegeben, die dementsprechend auch für die Sonderkonstellation der Umnutzung von Bestandsbauten zu Asylunterkünften Anwendung finden.

Der am 24. Oktober 2015 in Kraft getretene Artikel 6 des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes (BGBl. I S. 1722) brachte zusätzliche bauplanungsrechtliche Erleichterungen für Flüchtlings- und Asylunterkünfte mit sich. Diese bis Ende 2019 befristeten Neuregelungen in § 246 BauGB gehen erheblich über die zuvor geltenden Bestimmungen des § 246 Abs. 8 bis 10 BauGB hinaus. Sie werden in den „Hinweisen der Fachkommission Städtebau zur bauplanungsrechtlichen Beurteilung von Standorten für Unterkünfte von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in den verschiedenen Gebietskulissen“ (Stand: 15.12.2015) näher dargestellt. Das Rundschreiben vom 22.12.2015 fasst die wesentlichen Inhalte dieser Hinweise hinsichtlich der Neuregelungen zusammen und enthält ergänzende Erläuterungen. Die Hinweise der Fachkommission Städtebau vom 15.12.2015 sind diesem Rundschreiben als Anlage beigefügt.

Niedersachsen: Baurechtliche Sonderregelungen für Flüchtlingsunterkünfte

Niedersachsen: Baurechtliche Sonderregelungen für Flüchtlingsunterkünfte

Bis zum 31.12.2019 können die zuständigen Bauaufsichtsbehörden von Vorschriften Gebrauch machen, die die Schaffung von Unterkünften für Flüchtlinge oder Asylsuchende vereinfachen und beschleunigen sollen.

Damit Übernachtungsmöglichkeiten für einen längeren Zeitraum geschaffen werden können, kann von den Vorgaben der normalerweise geltenden bauplanungsrechtlichen Vorschriften abgewichen werden. So können mobile Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylsuchende ohne Baugenehmigung errichtet werden, aber

  • maximal auf drei Jahre befristet und
  • mit höchstens zwei Geschossen,
  • die Interessen von Nachbarn dürfen nicht beeinträchtigt werden,
  • auch für Flüchtlinge sollen gesunde Wohnverhältnisse geschaffen und
  • unzumutbare Belastungen durch Lärm für alle Beteiligten vermieden werden.


Sollen bereits bestehende und nach allgemeingültigen Vorschriften zulässigerweise errichtete Gebäude als Aufnahmeeinrichtung, Gemeinschaftsunterkunft oder sonstige Unterkunft für Flüchtlinge genutzt werden, ist diese Nutzungsänderung in Gewerbegebieten, aber auch in reinen Wohngebieten zulässig, wenn

  • diese Nutzung weitgehend mit den Belangen der Nachbarn und/oder der Öffentlichkeit vereinbar und
  • auch hier höchstens auf drei Jahre befristet ist,


Diese Erleichterungen können bis zum 31.12.2019 angewendet werden.

In Niedersachsen sind die genannten Möglichkeiten mit dem seit 19.11.2015 geltenden „Gesetz zur Erleichterung der Schaffung von Unterkünften für Flüchtlinge oder Asylbegehrende (NEFUG)“ anwendbar.

Der § 2 NEFUG sieht beispielsweise vor, dass bei der Schaffung von Unterkünften für Flüchtlinge kein Kraftfahrzeugstellplatz gebaut, kein Kinderspielplatz eingerichtet werden muss oder auch auf das barrierefreie Bauen verzichtet werden kann.

Abweichend von den bisher geltenden Zuständigkeitsregelungen ist gemäß §§ 3 und 4 NEFUG das Sozialministerium als zuständige höhere Verwaltungsbehörde bestimmt worden.

  • Werden somit neue Unterkünfte bis zu zwei Geschossen oder
  • die Nutzungsänderung zur befristeten Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylsuchenden geplant,
  • für die keine Baugenehmigung erforderlich sein soll und
  • das staatliche Baumanagement, die Klosterkammer Hannover, die Bauverwaltung einer Kommune oder eines Landkreises die Baumaßnahmen überwacht,
  • muss diese Stelle bei dem Sozialministerium die Zulässigkeit der Abweichung von bisher bestehenden Bauvorschriften beantragen. Das Ministerium entscheidet sodann durch Verwaltungsakt, ob von den Bauvorschriften abgewichen werden darf.


Die Zustimmung des Ministeriums ist darüber hinaus für den Fall einzuholen, dass

  • private Träger entsprechende Vorhaben planen,
  • bestehende Container beispielsweise auf drei Geschosse aufgestockt werden oder
  • neue feste Unterkünfte an Orten errichtet werden sollen, die der Genehmigungspflicht unterliegen


Das Ministerium kann sodann zustimmen und gleichzeitig die entsprechende Baugenehmigung erteilen.

Der Gemeinde sind die entsprechenden Unterlagen zuzuleiten und um Stellungnahme zu bitten. Wird innerhalb von vier Wochen nicht widersprochen oder erfolgt gar keine Antwort, gilt die Zustimmung der Gemeinde als erteilt.

Mit Blick auf die zeitliche Befristung der Ausnahmen ist zu beachten, dass damit grundsätzlich kein Bestandsschutz gewährleistet ist. Nach dem Ende der Nutzung als Flüchtlingsunterkunft ist nach den bestehenden Vorschriften zu prüfen, welche Nutzung vor der Errichtung oder Nutzungsänderung zulässig war. Unter Umständen kann auch ein Rückbau notwendig sein.

Zuständig im Nds. Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung ist die Abteilung Bauen und Wohnen.

Auf der Homepage des MS können unter „Öffentliches Planungs- und Baurecht“ die „Hinweise zur bauplanungsrechtlichen Beurteilung von Standorten für Unterkünfte von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in den verschiedenen Gebietskulissen“ vom 15.12.2015 heruntergeladen werden, die Angaben zu den einzelnen Vorschriften und deren Umsetzung enthalten.

Hinweise zu den bauaufsichtlichen Anforderungen für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen

Hinweise zu den bauaufsichtlichen Anforderungen für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen

(Stand März 2022)

Aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine ist eine zunehmende Anzahl von Menschen auf der Flucht. Zahlreiche Flüchtlinge haben zwischenzeitlich auch Deutschland erreicht. Die Anzahl der in Hessen zu erwartenden Kriegsflüchtlinge kann derzeit kaum abgeschätzt werden, ebenso wenig die Dauer der Flüchtlingskrise. Häufig müssen die neu eintreffenden Menschen sehr kurzfristig in bisher anders genutzten Gebäuden untergebracht werden.
Nach der Hessischen Bauordnung (HBO) ist i. d. R. vor der Nutzungsaufnahme von bisher anderweitig genutzten bzw. genehmigten Gebäuden bzw. vor der Aufstellung von Zelt- oder Containeranlagen ein Baugenehmigungs- oder Zustimmungsverfahren erforderlich. So bedürfen Nutzungsänderungen von baulichen Anlagen und Räumen der Baugenehmigung, wenn für die neue Nutzung andere oder weitergehende öffentlich-rechtliche, insbesondere auch bauplanungsrechtliche Anforderungen als für die bisherige Nutzung in Betracht kommen (vgl. Abschnitt III Nr. 1 der Anlage zu § 63 HBO). Die bauplanungsrechtlichen Rahmenbedingungen für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden ergeben sich insbesondere aus der kommunalen Bauleitplanung, dem Baugesetzbuch (BauGB) und der hierauf gestützten Baunutzungsverordnung (BauNVO). Mögliche planungsrechtliche Einschränkungen bestehen unabhängig von der materiell-rechtlichen Bewertung der vorgesehenen Unterbringung nach HBO. Zu den bauplanungsrechtlichen Rahmenbedingungen siehe „Standorte für die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern in Deutschland“ (unter dem Link: https://wirtschaft.hessen.de/wohnen-bauen/baurecht/bauplanungsrecht). Aktuell kommt die Durchführung förmlicher Verfahren aufgrund des engen zeitlichen Vorlaufs der Unterbringung und der damit drohenden Obdachlosigkeit der Flüchtlinge vor Nutzungsaufnahme meist nicht in Betracht.

I. Duldung

Vorausgesetzt, dass materielle Mindeststandards zur Gefahrenabwehr eingehalten sind, ist in Anbetracht der bestehenden Notsituation eine zeitlich befristete Duldung der Nutzung ohne förmliches Verfahren vertretbar. Die Personensicherheit, insbesondere die Durchführbarkeit einer schnellen Räumung im Gefahrenfall, hat dabei oberste Priorität. Üblicherweise wird davon ausgegangen, dass eine Duldung für einen Zeitraum vertretbar ist, innerhalb dessen ein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt werden kann. Im Regelfall sind dies drei Monate. Diese Frist dürfte in Anbetracht der aktuellen Lage zu kurz bemessen sein, da die zuständigen Stellen allein mit der Schaffung neuer Unterbringungsmöglichkeiten ausgelastet sind und aktuell entsprechende Änderungen des BauGB anstehen. Ist die Beendigung der Nutzung nach sechs Monaten nicht absehbar, so sollte durch den verantwortlichen öffentlichen Träger eine zeitliche Konzeption für die Durchführung eines förmlichen Verfahrens veranlasst werden.

II. Zuständigkeit

· Soweit die Voraussetzungen des Zustimmungsverfahrens nach § 79 Abs. 1 bis Abs. 3 HBO erfüllt sind, bedarf es keiner Duldung durch die untere Bauaufsichtsbehörde. So kann ein Vorhaben zur Unterbringung von Kriegsflüchtlingen (Neuerrichtung oder Nutzungsänderung) im Zuständigkeitsbereich der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge(HEAE) ohne Baugenehmigungsverfahren erfolgen, soweit die  Leitung der Entwurfsarbeiten einer Baudienststelle des Landes oder des Bundes übertragen wird, die den Anforderungen des § 60 Abs. 2 HBO entsprechend besetzt ist. Gebäude, die durch das HEAE zum Zweck der Erstunterbringung erstellt oder umgenutzt werden, sind i. d. R. Vorhaben in öffentlicher Trägerschaft. Die Regierungspräsidien sowie die unteren Bauaufsichtsbehörden und die örtlichen Brandschutzdienststellen werden ggf. im Wege der Amtshilfe bei der Einrichtung von Erstunterkünften tätig. Die Amtshilfe ist in den §§ 4 ff. des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (HVwVfG) geregelt. Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 HVwVfG ist die ersuchte Behörde im Rahmen des Amtshilfeersuchens für die Durchführung der Amtshilfe verantwortlich. Eine eigene Zuständigkeit der unteren Bauaufsichtsbehörde für die Überwachung von Bauvorhaben in öffentlicher Trägerschaft besteht nicht.
· In Einzelfällen ist die Einrichtung von Erstunterkünften auf direkte ministerielle Weisung durch das Hessische Ministerium des Innern und für Sport (HMdIS) bzw. das Hessische  Ministerium für Soziales und Integration (HMSI) durch den Katastrophenschutz möglich. In diesen Fällen kommt die Freistellungsregelung nach Abschnitt I Nr. 11.14 der Anlage zu § 63 HBO in Betracht.
· Ein großer Teil der eintreffenden Kriegsflüchtlinge muss kurzfristig durch die Kommunen untergebracht werden. Eine Unterbringung in Wohnungen ist aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes i. d. R. nicht möglich. Eine Unterbringung, z. B. in Bürogebäuden, muss deshalb im Rahmen von (ggf. vorrübergehenden) Umnutzungen erfolgen. Soweit es sich nicht um Vorhaben in öffentlicher Trägerschaft handelt, sind für die Beurteilung der formellen und materiellen Zulässigkeit der Umnutzung die unteren Bauaufsichtsbehörden zuständig.

Ist aufgrund der Notwendigkeit einer zeitnahen Unterbringung die Durchführung eines erforderlichen Baugenehmigungsverfahrens vor Nutzungsaufnahme nicht möglich oder ist in Gebäuden nur eine vorübergehende Unterbringung vorgesehen, so kann die zuständige untere Bauaufsichtsbehörde die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in dafür nicht genehmigten Gebäuden vorübergehend dulden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Schutzziele des § 3 HBO, gegebenenfalls auch durch entsprechende Auflagen, gewährleistet sind. Für bauliche Anlagen in öffentlicher Trägerschaft (vgl. § 79 Abs. 6 HBO) obliegt es dem öffentlichen Bauherrn, in eigener Zuständigkeit die notwendigen Maßnahmen für eine sichere Unterbringung zu gewährleisten bzw. ggf. ein formales Baugenehmigungs- oder Zustimmungsverfahren zu veranlassen.

III Umgang mit Bestandsgebäuden

· Wohnungen
Die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in bestehenden Wohnungen führt i. d. R. nicht zu weitergehenden bauordnungsrechtlichen Anforderungen, sofern der Wohncharakter mit der damit verbundenen Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises gewahrt bleibt. In Abgrenzung zum Wohnheim mit zentralen Einrichtungen (z. B. Toiletten, Duschen) bzw. Versorgung wird in der Wohnung regelmäßig das Vorhandensein eines Bades mit Badewanne/Dusche und Toilette sowie einer Küche oder Kochnische vorausgesetzt. Weitere Voraussetzung neben der weitgehend eigenständigen Lebensführung ist eine wohnungsadäquate Nutzung und Belegung der Wohnung. So muss für alle Bewohner die Zugänglichkeit der Rettungswege sichergestellt sein. Zudem dürfen die Wohnungen nicht überbelegt sein. Als Orientierung für die zulässige Belegungsdichte kann das Hessische Wohnungsaufsichtsgesetz (HwoAufG) herangezogen werden. Demnach dürfen Wohnungen nur überlassen und benutzt werden, wenn für jede Person eine Wohnfläche von mindestens 9 qm vorhanden ist. Einzelne Wohnräume dürfen nur überlassen und benutzt werden, wenn für jede Person eine Wohnfläche von mindestens 6 qm vorhanden ist und Nebenräume zur Mitbenutzung zur Verfügung stehen. Stehen Nebenräume nicht oder offensichtlich nicht ausreichend zur Verfügung, müssen pro Person Wohnräume von mindestens 9 qm zur Verfügung stehen (vgl. § 7 Abs. 1 und 2 HwoAufG).

· Pensionen/Hotels (Beherbergungsstätten)
Die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in bestehenden Beherbergungsstätten führt i. d. R. nicht zu über die bestehende Baugenehmigung hinausgehenden bauordnungsrechtlichen Anforderungen. Dies gilt sowohl für Beherbergungsbetriebe, die Regelbauten sind, als auch für solche mit mehr als 30 Gastbetten, die den Sonderbautatbestand des § 2 Abs. 9 Nr. 11 b) HBO erfüllen. Voraussetzung in beiden Fällen ist, dass diese das typische Gepräge eines Beherbergungsbetriebes nicht verlieren und der genehmigte Nutzungsrahmen eingehalten wird. Dabei stellt die Nutzung von Bewirtungs- oder Konferenzräumen als Gemeinschaftsräume meist keine bauordnungsrechtlich relevante Nutzungsänderung dar. Insbesondere aufgrund der Erhöhung der Bettenanzahl kann jedoch der Nutzungsrahmen überschritten sein. Maßgeblich ist die der Baugenehmigung zugrundeliegende Anzahl der Betten.

· Wohnheime
Die Nutzung eines bestehenden und genehmigten Wohnheims, z. B. eines Alten- oder Studentenwohnheims, zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden führt nicht zu höheren bauordnungsrechtlichen Anforderungen, sofern der in der Baugenehmigung festgelegte Nutzungsrahmen nicht verlassen wird.

· Sammelunterkünfte
Die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in anderen Gebäuden, die bestimmungsgemäß nicht der Übernachtung von Menschen dienen (z. B. Büroeinheiten, Turnhallen, Veranstaltungsräume), stellt immer eine baugenehmigungspflichtige Nutzungsänderung dar. Ungeachtet möglicher gebäudebezogener Sonderbautatbestände kommt bei der Unterbringung von Flüchtlingen eine Sonderbaueigenschaft nach § 2 Abs. 9 Nr. 9 HBO in Betracht. Danach sind sonstige Einrichtungen zur Unterbringung von Personen Sonderbauten. Die Unterbringung ist dabei abzugrenzen vom Wohnen. Während das Wohnen durch eine auf Dauer angelegte selbstständige Haushaltsführung sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet ist, sind Merkmale der Unterbringung im Regelfall der nur vorübergehende Unterbringungsbedarf sowie die gleichzeitige Betreuung, Aufsicht, Pflege oder Anleitung der untergebrachten Personen. Einrichtungen der Unterbringung weisen i. d. R. eine bestimmte Organisationsstruktur auf, die unabhängig von dem Wechsel und der Anzahl der untergebrachten Personen und deren Aufenthaltsdauer ist. Von einem Sonderbau ist insbesondere dann auszugehen, wenn in Nutzungseinheiten mehr als 30 Personen untergebracht werden sollen. Die Anforderungen für solche Sammelunterkünfte sind in einem Brandschutzkonzept einzelfallbezogen festzulegen (vgl. § 53 HBO). Für kleinere Nutzungseinheiten gelten die Regelanforderungen der HBO. Nach Ablauf einer befristeten Baugenehmigung zur Umnutzung einer Liegenschaft für die Unterbringung von Flüchtlingen ist die Rückkehr zur ursprünglich genehmigten Nutzung möglich, wenn sich keine grundlegenden, insbesondere bauplanungsrechtlichen Änderungen ergeben haben; auf die Regelungen des § 246 Abs. 13 Satz 5 und Abs. 14 Satz 6 BauGB wird hingewiesen. Auch soweit solche Umnutzungen ohne förmliches Verfahren vorübergehend geduldet werden, muss die Sicherheit für die im Gebäude befindlichen Menschen in allen Fällen gewährleistet sein. Die in der Checkliste (siehe Anlage) zusammengestellten Punkte sollen als Anhaltspunkt für die Bewertung und Festlegung von Mindestsicherheitsmaßnahmen zur Abwehr von Gefahren für Leib und Leben im Einzelfall, insbesondere bei ein- und zweigeschossigen Bestandsgebäuden, dienen. Vorhandene und aufgrund der Zeitvorgaben hinzunehmende bauliche Mängel sind dabei insbesondere durch betriebliche Maßnahmen zu kompensieren.

IV Betreiberverantwortung

Die Betreiber von Flüchtlingsunterkünften sind für die Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Anforderung im Betrieb verantwortlich. Sie haben die besondere sprachliche, kulturelle und psychische Disposition der Flüchtlinge bei der Wahrnehmung ihrer Obliegenheitspflichten zu berücksichtigen. In den Baugenehmigungen festgeschriebene betrieblichorganisatorische Maßnahmen (z. B. Brandschutzordnung) sind im Rahmen einer Duldung entsprechend anzupassen. Die Benutzer sind in geeigneter Form über die Rettungswege und das Verhalten im Brandfall zu informieren. Die Sicherstellung der Betriebsbereitschaft der nach § 14 Abs. 2 HBO erforderlichen Rauchwarnmelder in Schlafräumen, in denen Flüchtlinge untergebracht werden, ist durch die Betreiber zu gewährleisten. Es wird empfohlen, alle Schlafräume mit Rauchwarnmeldern auszustatten, auch soweit dies nicht zwingend bauaufsichtlich vorgeschrieben ist; dies gilt nicht für Räume im Überwachungsumfang einer wirksamen und betriebssicheren Brandmeldeanlage, durch die anwesende Personen im Brandfall automatisch gewarnt werden.

Flüchtlingsunterbringung und Bauplanungsrecht

Flüchtlingsunterbringung und Bauplanungsrecht

Zu den mit der Vielzahl von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden verbundenen enormen Herausforderungen für Länder und Kommunen gehört auch die Bereitstellung von Unterbringungsmöglichkeiten.

Bereits im Jahr 2014, als sich die starke Zunahme von Flüchtlingszahlen mehr und mehr abzeichnete, hat der Bundesgesetzgeber mit dem am 26. November 2014 in Kraft getretenen Flüchtlingsunterbringungsmaßnahmengesetz das Baugesetzbuch (BauGB) geändert.

Bereits hiermit wurden wirksame bauplanungsrechtliche Erleichterungen für die Flüchtlingsunterbringung geschaffen. Mit der massiven Zunahme der Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 wurde das Baugesetzbuch mit Wirkung vom 24. Oktober 2015 im Rahmen des Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes erneut und noch weitreichender geändert. Im Ergebnis existierten – befristet bis zum 31. Dezember 2019 – für sämtliche Gebietsarten (Bebauungsplangebiete, nicht beplanter Innenbereich, Außenbereich) erhebliche Erleichterungen bei der Zulassung von Flüchtlingsunterkünften. Dem lag ein zweistufiges System zugrunde:

1. Innerhalb der bauplanungsrechtlichen Systematik wurden für unterschiedliche Bedarfe gezielte Erleichterungen geschaffen.

2. Reichten die gezielten Erleichterungen nicht aus, waren weitgehende Abweichungen vom Bauplanungsrecht im erforderlichen Umfang möglich.

Die befristet geltenden Regelungen hatten den nachfolgend dargestellten Inhalt, wobei vorab darauf hingewiesen wird, dass die Ausführung des Bauplanungsrechts grundsätzlich Angelegenheit der Länder und Kommunen ist.

  • Bei Umnutzung zulässigerweise errichteter baulicher Anlagen in Anlagen der Flüchtlingsunterbringung konnte unter bestimmten Voraussetzungen vom Erfordernis des Einfügens abgesehen werden (§ 246 Absatz 8 BauGB).
  • Die Unterbringung von Flüchtlingen konnte auch auf Flächen im Außenbereich gestattet werden, die unmittelbar an einen bebauten Ortsteil anschließen (§ 246 Absatz 9 BauGB).
  • An geeigneten Stellen in Gewerbegebieten wurden Erstaufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für die Unterbringung von Asylbegehrenden oder Flüchtlingen im Wege der Befreiung ermöglicht. Voraussetzung dafür war, dass an den entsprechenden Standorten Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können oder allgemein zulässig sind und dass das Vorhaben auch unter Berücksichtigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar ist (§ 246 Absatz 10 BauGB).
  • Soweit Anlagen für soziale Zwecke in den einzelnen Baugebieten als Ausnahme zugelassen werden können (z. B. § 3 Absatz 3 Nummer 2 der Baunutzungsverordnung – BauNVO), sollten Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende in der Regel zugelassen werden (§ 246 Absatz 11 BauGB).
  • Für die auf längstens drei Jahre zu befristende Errichtung mobiler Unterkünfte konnten in allen Baugebieten und für die ebenfalls auf längstens drei Jahre zu befristende Umnutzung zulässigerweise errichteter baulicher Anlagen in Gewerbe-, Industrie- und Sondergebieten (§§ 8 bis 11 BauNVO) Befreiungen auch dann erteilt werden, wenn die Grundzüge der Planung berührt wurden (§ 246 Absatz 12 BauGB).
  • Im Außenbereich wurden die auf drei Jahre zu befristende Errichtung mobiler Unterkünfte und die Umnutzung bestehender Gebäude begünstigt (§ 246 Absatz 13 BauGB).
  • Im Wege einer subsidiären Generalklausel wurde in Anlehnung an § 37 BauGB die Möglichkeit eingeräumt, von bauplanungsrechtlichen Vorgaben im erforderlichen Umfang abzuweichen; Voraussetzung dafür war, dass sich auch unter Anwendung von § 246 Absatz 8 bis 13 BauGB dringend benötigte Unterkünfte anderweitig nicht oder nicht rechtzeitig bereitstellen ließen (§ 246 Absatz 14 BauGB).
  • Verfahrenserleichterungen im Hinblick auf das gemeindliche Einvernehmen und das Benehmen der Naturschutzbehörde wurden in § 246 Absatz 15 und 16 BauGB geregelt.
  • Zur Bedeutung der Befristung bis zum 31.12.2019 enthielt § 246 Absatz 17 BauGB eine klarstellende Regelung.


Ergänzend ist – ohne Befristung – Folgendes geregelt worden:

  • Die Belange von Flüchtlingen und ihrer Unterbringung sind nun ausdrücklich bei der Aufstellung von Bauleitplänen zu berücksichtigen (§ 1 Absatz 6 Nummer 13 BauGB).
  • Es ist ausdrücklich vorgesehen, dass die Flüchtlingsunterbringung zu den Belangen des Allgemeinwohls gehört, die eine Befreiung von Festsetzungen eines Bebauungsplans ermöglichen (§ 31 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 BauGB).

Nachdem die Länder Bedarf nach einer Verlängerung der dargestellten befristeten Sonderregelungen geäußert hatten, hat die Bundesregierung in dem am 4. November 2020 vom Kabinett beschlossenen Entwurf des Baulandmobilisierungsgesetzes vorgeschlagen, diese Regelungen mit Ausnahme von § 246 Absatz 14 BauGB befristet bis zum Ende des Jahres 2024 in eingeschränkter Form wieder einzuführen. Ergänzend soll ermöglicht werden, die in den Absätzen 12 und 13 enthaltenen Dreijahresfristen längstens bis zum 31. Dezember 2027 zu verlängern oder – im Fall bereits abgelaufener Fristen – die Zulässigkeit längstens bis zum 31. Dezember 2027 erneut zu begründen. Die Anwendung der genannten Regelungen soll insoweit begrenzt sein, als von den Vorschriften nur Gebrauch gemacht werden darf, soweit dringend benötigte Unterkünfte im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können.

BaWü: Brandschutzanforderungen und sonstige bauordnungsrechtliche Anforderungen an bauliche Anlagen zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden

BaWü: Brandschutzanforderungen und sonstige bauordnungsrechtliche Anforderungen an bauliche Anlagen zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden

Verfahren:

· Die unteren Baurechtsbehörden berichten bei im Einzelfall auftretenden Problemen mit Brandschutzanforderungen oder sonstigen bauordnungsrechtlichen Vorgaben (Barrierefreiheit, Stellplätze usw.), sofern diese vor Ort nicht gelöst werden können, unverzüglich den Regierungspräsidien als den höheren Baurechtsbehörden mit dem Ziel einer lösungsorientierten Beratung durch die Regierungspräsidien.

· Soweit die Regierungspräsidien keine vertretbare Lösung herbeiführen können, beteiligen diese das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur.
Das Ministerium steht auch im Übrigen weiterhin zur Beratung in besonders schwierigen Einzelfällen zur Verfügung.

Materiell-rechtliche Vorgaben:
Insbesondere bei der Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden dürfen die notwendigen Sicherheitsstandards nicht vernachlässigt werden, jedoch erlaubt das bauordnungsrechtliche Instrumentarium vertretbare, pragmatische Lösungen:

· Die Landesbauordnung (LBO) und auch ihre Ausführungsverordnung (LBOAVO) enthalten keine besonderen Brandschutzanforderungen für Unterkünfte von Flüchtlingen und Asylbegehrenden.

· § 56 Abs. 4 LBO sieht vor, dass bei Gemeinschaftsunterkünften, die der vorübergehenden Unterbringung oder dem vorübergehenden Wohnen dienen, Ausnahmen von Vorschriften in den §§ 4 bis 37 LBO – also auch von den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften zum Brandschutz – zugelassen werden können. Hiervon sollte soweit wie vertretbar Gebrauch gemacht werden.

· Sofern es sich um Sonderbauten handelt, entscheidet die Baurechtsbehörde nach § 38 LBO, ob sie zusätzliche Brandschutzanforderungen stellen muss oder aber von den allgemeinen gesetzlichen Vorgaben Erleichterungen zulassen kann. Sollen zusätzliche Anforderungen gestellt werden, ist deren Erforderlichkeit in jedem Einzelfall zunächst eingehend zu prüfen, um festzustellen, ob ggf. weniger einschneidende Maßnahmen geeignet und ausreichend sind.

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (7)

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (7):

VG HH: Unzulässigkeit der Errichtung und des Betriebs einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZEA)

Verwaltungsgericht Hamburg Beschluss, 12. Feb. 2016 – 7 E 6816/15

Gründe


A.

Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit der Errichtung und des Betriebs einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZEA) auf dem knapp 32.000 m2 großen Gelände östlich der Straße Hinsenfeld und nordöstlich der Straße Fiersbarg (Flurstück 420 der Gemarkung Lemsahl-Mellingstedt). Auf dem Vorhabengrundstück befand sich bis vor einigen Jahren ein sog. „Pavillon-Dorf“ zur öffentlichen Unterbringung von Aussiedlern mit einer Höchstbelegungszahl von ca. 220 bis 240 Personen. Nach der Beseitigung der dazu gehörenden Gebäude war das Grundstück unbebaut, bis die Antragsgegnerin mit der Errichtung der zwischen den Beteiligten umstrittenen Einrichtung begann. Diese soll aus 17 Gebäuden zur Unterbringung von Personen bestehen, welche in Container-Modulbauweise errichtet werden. Verwendet werden sollen hierzu 20‘-Wohncontainer mit Abmessungen von 6,055*2,435*2,89 m, die zu zweigeschossigen Blöcken gruppiert werden. Die Wohnblöcke werden dabei aus jeweils 14 Wohncontainern und 4 Sanitärcontainern bestehen (je Ebene 9 Container) und Außenabmessungen von 21,92*6,055*5,78 m aufweisen. Bei einer Belegung eines Wohncontainers mit bis zu 4 Personen errechnet sich eine Gesamtkapazität von bis zu 952 Personen. Neben den Wohnblöcken ist die Errichtung (ebenfalls in Modul-Containerbauweise) eines Verwaltungsgebäudes, zweier Kantinengebäude, eines Gebäudes zur Unterbringung einer Kindertagesstätte sowie eines als „Schulcontainer“ bezeichneten Gebäudes geplant bzw. erfolgt.

Die Zufahrt zum Vorhabengrundstück soll – wie schon zuvor die Zufahrt zum früheren „Pavillon-Dorf“ – über den südöstlichen Grundstücksbereich erfolgen. Dort sollen sich auch ein Pförtnergebäude sowie das Verwaltungsgebäude befinden. Die weiteren nicht zur Unterbringung genutzten Gebäude („Schulcontainer“, Kantinen, Kindertagesstätte) sollen weitgehend in der Mitte des Vorhabengrundstücks gruppiert, die Wohngebäude ringartig um diese herum angeordnet werden. Die Einrichtung soll vollständig gebäudenah umzäunt werden. Der Zugang zum Gelände der Einrichtung soll durch einen täglich 24 Stunden vor Ort befindlichen Wachdienst kontrolliert werden.

Der erste Bauabschnitt, bestehend aus neun der 17 geplanten Wohngebäude, sowie den Verwaltungseinheiten, den Kantineneinheiten und dem „Schulcontainer“ ist fertig gestellt. Die Grundvorbereitungen für den zweiten Bauabschnitt sind überwiegend abgeschlossen. Die Einrichtung soll nach dem Willen der Antragsgegnerin möglichst unmittelbar ihren Betrieb aufnehmen und belegt werden. Betreiber der Unterkunft soll die Johanniter-Unfall-Hilfe e.V. sein. Diese hat nach dem Vortrag der Antragsgegnerin für die Einrichtung eine sogenannte „Hausordnung“ entworfen, welche allen darin untergebrachten Personen zur Kenntnis gegeben werden soll. In der Einrichtung sollen u.a. Betreuer für die untergebrachten Personen sowie technisches Personal und Küchenpersonal tätig sein.

Die Antragsteller zu 1) bis 4) sind Eigentümer bzw. Miteigentümer von zu Wohnzwecken genutzten Grundstücken, die jeweils östlich des Vorhabengrundstücks belegen sind und durch die XX-Straße erschlossen werden. Zwischen den Grundstücken dieser Antragsteller und der Vorhabenfläche befindet sich ein mit Bäumen bewachsener, ca. 20 bis 50 m breiter Grünstreifen. Die Grundstücke der Antragsteller zu 1) bis 4) liegen wie das Vorhabengrundstück im räumlichen Geltungsbereich der Verordnung über den Bebauungsplan Lemsahl-Mellingstedt 19 vom 5.1.2015 (HmbGVBl. 2015, S. 11). Dieser weist die Grundstücke der Antragsteller zu 1) bis 4) als reines Wohngebiet (WR) aus. Das Vorhabengrundstück wird ebenfalls größtenteils als reines Wohngebiet ausgewiesen, durchzogen von (bislang nicht verwirklichten) Planstraßen sowie privaten Grünflächen und einer Fläche für ein Regenrückhaltebecken, wobei ein Großteil der von der Antragsgegnerin geplanten und bereits errichteten Gebäude auf als reines Wohngebiet ausgewiesenen Flächen errichtet werden soll bzw. errichtet ist. Der Grünstreifen zwischen dem Vorhabengrundstück und der als reines Wohngebiet ausgewiesenen Fläche, in welcher die Grundstücke der Antragsteller zu 1) bis 4) belegen sind, ist als „Fläche zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft – Artenreicher, gestufter Gehölzbestand“ festgesetzt.

Die Antragsteller zu 5) bis 7) sind Eigentümer von zu Wohnzwecken genutzten Grundstücken, die jeweils südlich bzw. süd-westlich der Vorhabenfläche belegen sind und durch die Straße XY erschlossen werden. Diese Grundstücke liegen im räumlichen Geltungsbereich des Baustufenplans Lemsahl-Mellingstedt vom 16.9.1952, erneut festgestellt am 14.1.1955, welcher sie mit W 1o ausweist. In der Legende heißt es weiter:

„Das reine Wohngebiet ist gemäss § 10 Abs. 4 der BPVO für die Hansestadt Hamburg vom 8.6.1938 besonders geschützt. a) Gewerbliche und handwerkliche Betriebe, Läden und Werbeanlagen sind nicht zulässig. Für die Flächen am rot signierten Straßenrande der Wohngebiete gelten diese Einschränkungen nicht. …“

Im Sommer 2015 begannen die Planungen der Antragsgegnerin zur Errichtung der zwischen den Beteiligten umstrittenen Einrichtung. Mit Handzetteln vom 25.8.2015 wurden die Anwohner erstmalig über die geplante Unterkunft unterrichtet. Am 15.9.2015 stellte die Antragsgegnerin ihre Pläne für eine Erstaufnahmeeinrichtung mit 952 Plätzen im Rahmen einer Anwohner-Informationsveranstaltung der Öffentlichkeit vor. Anschließend begann die Antragsgegnerin mit der Errichtung der Einrichtung; hierzu gab sie an, sich auf § 3 des Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) zu stützen. Hiergegen ersuchten die Antragsteller um verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz nach § 123 VwGO. Mit Beschluss vom 15.12.2015 gab das erkennende Gericht der Antragsgegnerin auf, die Bauarbeiten für die Errichtung der streitbefangenen Einrichtung einstweilen einzustellen, die Innutzungnahme einstweilen zu unterlassen und ausführende Stellen entsprechend anzuhalten (7 E 6128/15). Ihre hiergegen mit Schriftsatz vom 29.12.2015 eingelegte Beschwerde nahm die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 18.1.2016 zurück. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht stellte das Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom selben Tage ein (2 Bs 271/15).

Bereits unter dem 10.11.2015 hatte die Antragsgegnerin (vertreten durch die Behörde für Inneres und Sport) für die streitbefangene Einrichtung außerdem einen Antrag im Baugenehmigungsverfahren mit Konzentrationswirkung nach § 62 HBauO beim Bezirksamt Hamburg-Wandsbek eingereicht, verbunden mit einem Antrag auf Befreiung von u.a. den Festsetzungen des Bebauungsplans bezüglich der Ausweisung des Flurstücks 420 als reines Wohngebiet und private Grünfläche. Der Bauantrag wurde im weiteren Verlauf näher bestimmt. So legte die Bauherrin unter dem 18.12.2015 eine Baubeschreibung vor, wonach die Anlage auf die Unterbringung von insgesamt 901 Personen ausgelegt sei und in jedem der 17 Wohnblöcke 53 Plätze vorgesehen seien; in einem Container würden 3 bis 4 Personen untergebracht. In den beiden Verwaltungsblöcken würden die Funktionen „Sozialberatung, Unterkunftsmanagement, Technischer Dienst, Wachschutz, Arztdienst mit Warteraum, Lager für Kleider und Koffer“ sowie Waschmaschinen- und Trocknerraum untergebracht. Das Betreuungs- und Verwaltungspersonal sei in unterschiedlicher Besetzung von 4 bis 13 Personen täglich von 7:00 Uhr bis 16:00 Uhr vor Ort; das Wachpersonal sei mit einer Besetzung von 4 Personen täglich 24 Stunden vor Ort. Die Essensausgabe werde von einem Catering-Unternehmen betrieben; Speisen würden fertig zubereitet angefahren und in einem Dampfgarer aufgewärmt. Das Küchenpersonal bestehe in der Regel aus ca. 8 bis 10 Personen.

Mit Schreiben vom 21.12.2015 „konkretisierte“ die Behörde für Inneres und Sport der Antragsgegnerin ihren Bauantrag gegenüber dem Bezirksamt Hamburg-Wandsbek dahingehend, dass nunmehr die Errichtung und Innutzungnahme der Einrichtung entsprechend der Bauantragsunterlagen befristet auf längstens drei Jahre beantragt wurde sowie die Zulassung für die Nutzung der Einrichtung zur Unterbringung von höchstens 252 Personen „bis zum Nachweis des Brandschutzes für die darüber hinausgehende Nutzung“.

Am 22.12.2015 erteilte das Bezirksamt Hamburg-Wandsbek hierauf eine „Befristete Genehmigung“ nach § 62 HBauO für „Temporäre Containerunterkünfte zur Erstaufnahme von max. 252 Flüchtlingen und Asylbewerbern“, befristet bis zum 22.12.2018 und verbunden mit der Bestimmung, nach Ablauf der Befristung sei die Nutzung der baulichen Anlage innerhalb eines Monats ohne Entschädigungsansprüche einzustellen. Ausdrücklich gestützt auf § 31 Abs. 2 i.V.m. § 246 Abs. 12 BauGB enthält die Baugenehmigung außerdem Befreiungen (Nr. 2 der Baugenehmigung) für das Errichten von Containerzeilen auf privater Grünfläche, für das Abweichen von der zulässigen Art der baulichen Nutzung (Anlage für soziale Zwecke) im reinen Wohngebiet, für das Überschreiten der Zahl der Vollgeschosse der nördlichen Containerzeilen, für die Errichtung von Containerzeilen teilweise auf ausgewiesenen Straßenverkehrsflächen und „für das Errichten aller Container teilweise ganz außerhalb der Baugrenzen“. Weiterhin enthält die Baugenehmigung einen Passus (Nr. 4 der Baugenehmigung), wonach jede Erhöhung der Belegungsanzahl die vorherige Durchführung eines gesonderten Genehmigungsverfahrens erfordere. Zu den Anlagen, die der Bescheid ausdrücklich umfasst, gehören „immissionsschutzrechtliche Auflagen und Hinweise“; in dem Abschnitt „Auflagen“ werden hier Bestimmungen getroffen zu den Bereichen „Lärmschutz“, „Geruchsimmissionen“, „Lichtimmissionen“ und „Abfall“. Für die im reinen Wohngebiet verursachten Geräuschimmissionen werden „unter Berücksichtigung der Vorbelastung“ die Grenzwerte (am Beurteilungsort) tagsüber, in der Zeit von 6.00 Uhr bis 22:00 Uhr, von 50 dB(A) und nachts, in der Zeit von 22.00 Uhr bis 6.00 Uhr, von 35 dB(A) festgelegt. Die Einhaltung der Lärmgrenzwerte sei mittels Schalltechnischer Untersuchung nachzuweisen, wenn die Anliefer- oder Betriebszeit der Kantine in die Nachtzeit fallen sollte. Die sich gegebenenfalls aus der Untersuchung ergebenden Schallschutzmaßnahmen seien vor Inbetriebnahme umzusetzen.

Gegen diese Baugenehmigung legte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller am 22.12.2015 Widerspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Mit Schriftsatz vom 23.12.2015 haben die Antragsteller um verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz ersucht und dieses Ersuchen umfangreich begründet.

Die Antragsteller beantragen,

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller vom 22.12.2015 gegen die der Beizuladenden erteilte Baugenehmigung vom 22.12.2015 (Az: W/WBZ/14401/2015) anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen,

und trägt zur Begründung ebenfalls umfassend vor.

Nachdem sich in den Morgenstunden des 23.12.2015 Anzeichen für eine unmittelbar bevorstehende Belegung der streitbefangenen Einrichtung ergeben hatten, hat das erkennende Gericht auf Antrag der Antragsteller am selben Tag eine Zwischenverfügung erlassen, mit der der Antragsgegnerin aufgegeben worden ist, bis zum Ende der Anhängigkeit des vorliegenden Eilantrags in erster Instanz die streitbefangene Unterkunft nicht in Nutzung zu nehmen, insbesondere nicht zu belegen, bereits begonnene Nutzungen einzustellen bzw. zu unterbinden und ausführende Stellen entsprechend anzuhalten. Die hiergegen von der Antragsgegnerin erhobene Beschwerde hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 23.12.2015 zurückgewiesen (2 Bs 263/15).

Mit Schreiben vom 28.12.2015 hat das Gericht aufgrund von Presseberichten über allgemeines Vergleichsinteresse der Antragsgegnerin bei den Beteiligten angefragt, ob eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits möglich sei und Bedarf für weitere gerichtliche Initiativen gesehen werde. Auf die entsprechenden Interessebekundungen hat die Kammer am 8.1.2016 mit den Beteiligten Möglichkeiten einer umfassenden Einigung erörtert; die Antragsteller haben dazu Eckpunkte eines aus ihrer Sicht möglichen, hinsichtlich der Belegungszahl über den unmittelbaren Streitgegenstand hinausgehenden Vergleichs benannt. Mit Schriftsatz vom 15.1.2016 hat die Antragsgegnerin erklärt, dass sie sich nicht in der Lage sehe, einen Vergleich mit den Antragstellern zu schließen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte, insbesondere auf die eingereichten Schriftsätze der Beteiligten, jeweils zuletzt vom 9.2.2016, sowie auf die Sachakte der Antragsgegnerin und die Planaufstellungsunterlagen zum Bebauungsplan Lemsahl-Mellingstedt 19 verwiesen, die dem Gericht bei seiner Entscheidungsfindung vorgelegen haben.

B.

Das Gericht kann über den Antrag wirksam entscheiden, obwohl die Inhaberin der Baugenehmigung als solche nicht beigeladen worden ist. Zwar handelt es sich bei einer Anfechtungsklage, die auf die Aufhebung einer durch die Bauaufsichtsbehörde einem Bauherrn erteilten Baugenehmigung gerichtet ist, um einen typischen Fall der notwendigen Beiladung iSv. § 65 Abs. 2 VwGO, da das entsprechende Gestaltungsurteil nur einheitlich, nämlich sowohl gegenüber dem Hoheitsträger wie auch gegenüber dem Bauherrn, ergehen kann. Entsprechendes gilt für das zugehörige Eilverfahren. Ist aber, wie hier, der genehmigende Hoheitsträger (die Freie und Hansestadt Hamburg) zugleich Bauherr, so wird diese Rechtsperson bereits durch ihre Verfahrensrolle als Antragsgegnerin hinreichend am Verfahren beteiligt.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 i.V.m. § 80a VwGO hat in Bezug auf die Antragsteller zu 1) bis 4) Erfolg; im Übrigen bleibt er erfolglos. Er ist zulässig, aber nur bezogen auf die Antragsteller zu 1) bis 4) begründet.

Der Antrag ist gemäß §§ 80a Absätze 1 und 3, 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthaft. Bei dem angegriffenen Baugenehmigungsbescheid handelt es sich trotz des Umstands, dass Begünstigte der Genehmigung die Antragsgegnerin selbst ist, um einen Verwaltungsakt. Das allein fragliche Merkmal der Außenwirkung ist hier im Verhältnis zu den Antragstellern schon dadurch erfüllt, dass die Baugenehmigung auch ihnen als am Genehmigungsverfahren beteiligte Nachbarn gegenüber zur verbindlichen Regelung der Zulässigkeit des Bauvorhabens bestimmt und entsprechend bekannt gegeben worden ist (vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 15.12.1981, Bs II 32/81 – BRS 38 Nr. 174).

Der Zulässigkeit des Antrags steht bezogen auf die Antragsteller zu 3) und 4) nicht entgegen, dass diese nicht Grundeigentümer, sondern Mitglieder einer Wohnungseigentumsgemeinschaft sind. Auch Mitglieder einer Wohnungseigentumsgemeinschaft, die gemäß § 10 Abs. 6 des Gesetzes über das Wohnungseigentum und das Dauerwohnrecht (Wohnungseigentumsgesetz, WEG) vom 15.3.1951 m. spät. Änd. (BGBl. I S. 175, ber. S. 209) selbst rechts- und parteifähig ist, sind gemäß § 42 Abs. 2 VwGO analog antragsbefugt (vgl. nur VG Hamburg, Beschluss vom 15.12.2015, 7 E 6128/15).

In Bezug auf die Antragsteller zu 1) bis 4) ist der Antrag außerdem auch begründet (hierzu unter I.); in Bezug auf die Antragsteller zu 5) bis 7) ist er hingegen unbegründet (hierzu unter II.).

25

Im Rahmen des Eilverfahrens sind die betroffenen öffentlichen und privaten Interessen der Beteiligten gegeneinander abzuwägen. Der Gegensatz zwischen dem Interesse der Antragsgegnerin einerseits, von der erteilten Baugenehmigung Gebrauch zu machen, und dem Interesse der Antragsteller als Drittbetroffene andererseits zu verhindern, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, kann in der Regel – und so auch hier – angemessen nur in der Weise gelöst werden, dass jeweils den Interessen desjenigen Beteiligten der Vorrang eingeräumt wird, der aller Voraussicht nach im Hauptsacheverfahren obsiegen wird.

Im vorliegenden Fall überwiegen bei dieser Abwägung die Interessen der Antragsteller zu 1) bis 4) diejenigen der Antragsgegnerin, nicht jedoch überwiegen die Interessen der Antragsteller zu 5) bis 7) die Interessen der Antragsgegnerin. Die angefochtene Baugenehmigung vom 22.12.2015 wird nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung in einem Hauptsacheverfahren voraussichtlich nur wegen der Verletzung subjektiver Rechte der Antragsteller zu 1) bis 4) aufzuheben sein. Ein Grundstückseigentümer kann sich gegen ein Bauvorhaben auf einem Nachbargrundstück nur mit Erfolg zur Wehr setzen, wenn die Genehmigung dieses Vorhabens ihn in seinen eigenen Rechten verletzt, also gegen solche baurechtlichen Bestimmungen verstößt, die ein subjektiv-öffentliches (eigenes) Abwehrrecht des betroffenen Nachbarn begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.9.1986, 4 C 8/84, NVwZ 1987, 409; OVG Hamburg, Beschluss vom 7.5.1990, Bs II 65/90, HmbJVBl 1991, 7). Demgegenüber kann durch den Drittbetroffenen weder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes noch im Hauptsacheverfahren eine umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Baugenehmigung erreicht werden.

I.

Die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb der Einrichtung verletzt die Antragsteller zu 1) bis 4) in ihrem Gebietserhaltungsanspruch. Inwieweit eine Verletzung sonstiger von diesen Antragstellern geltend gemachter Rechtspositionen vorliegt, ist vor diesem Hintergrund nicht zu entscheiden.

Der Gebietserhaltungsanspruch steht nur den Grundstückseigentümern und sonstig dinglich Berechtigten innerhalb eines durch Bebauungsplan festgesetzten oder faktischen Baugebiets zu, da nur in diesem Falle die Nachbarn denselben rechtlichen Bindungen unterliegen (näher dazu sogl.). Zu den sonstig dinglich Berechtigten, denen der Gebietserhaltungsanspruch zustehen kann, zählen dabei auch einzelne Wohnungseigentümer wie die Antragsteller zu 3) und 4). Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ist keine sachliche Rechtfertigung dafür erkennbar, den Gebietserhaltungsanspruch nur der Wohnungseigentümergemeinschaft als Ganzer zuzubilligen und den einzelnen Sondereigentümer von diesem Anspruch auszunehmen. Das Bundesverwaltungsgericht hat ausdrücklich hervorgehoben, dass für Sondereigentum nach dem Wohnungseigentumsgesetz Nachbarschutz „in gleicher Weise“ wie für Eigentum an Wohngrundstücken besteht (BVerwG, Beschluss vom 20.8.1992, 4 B 92/92, juris, Rn. 10; vgl. auch OVG Bremen, Urteil vom 13.2.2015, 1 B 355/14, juris, Rn. 23 f.).

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts hat die Festsetzung von Baugebieten im Sinne der Art der baulichen Nutzung durch einen Bebauungsplan nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet (BVerwG, Urteil vom 16.9.1993, 4 C 28/91, BVerwGE 94, 151; OVG Hamburg, u.a. Beschluss vom 22.9.2014, 2 Bs 168/14). Ein Nachbar im Baugebiet soll sich auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden können, wenn er durch sie nach den gröberen Maßstäben des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebotes nicht unzumutbar beeinträchtigt würde. Der Gebietserhaltungsanspruch beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich-rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen (BVerwG, Urteil vom 11.5.1989, 4 C 1/88, BVerwGE 82, 61). Durch die Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer (nach der Terminologie des Bundesverwaltungsgerichts) „rechtlichen Schicksalsgemeinschaft“ verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer in der gleich ausgewiesenen Nachbarschaft diesen Beschränkungen unterworfen sind (BVerwG, Urteil vom 16.9.1993, 4 C 28/91, BVerwGE 94, 151). Im Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll daher jeder Planbetroffene im Baugebiet das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern können (BVerwG, Beschluss vom 18.12.2007, 4 B 55/07, juris, Rn. 5).

Das gilt auch im vorliegenden Fall. Die Grundstücke der Antragsteller zu 1) bis 4) liegen in demselben Baugebiet wie das Vorhaben (hierzu unter 1.). Mit der Errichtung und dem Betrieb der geplanten Einrichtung wäre ein Eindringen einer gebietsfremden Nutzung in dieses Baugebiet verbunden. Die Beeinträchtigung des Gebietserhaltungsanspruchs der Antragsteller zu 1) bis 4) wird auch nicht durch die nach § 246 Abs. 12 BauGB erteilte Befreiung von der Festsetzung zur Art der baulichen Nutzung unbeachtlich (hierzu unter 2.).

1. Die betreffenden Grundstücke liegen – wie die Kammer bereits in ihrem rechtskräftigen Beschluss zu dem polizeirechtlichen Vorhaben der Antragsgegnerin auf demselben Grundstück ausgeführt hat (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 15.12.2015, 7 E 6128/15, S. 8 ff.) – in „demselben Baugebiet“. Diese Feststellung gilt auch unter Berücksichtigung des ergänzenden Vortrags der Antragsgegnerin hierzu fort.

Für die Annahme eines Gebietserhaltungsanspruchs bedarf es der Klärung, dass die an dem Nachbarrechtsstreit beteiligten Grundstücke in „demselben Baugebiet“ liegen. Wären die Berechtigten der Grundstücke nicht gemeinsam hinsichtlich der Nutzungsart denselben rechtlichen Bindungen unterworfen – so, wenn der Bebauungsplan unterschiedliche Nutzungsarten ausweist bzw. aus sonstigen Gründen als getrennt zu verstehende Baugebiete –, würde die Grundlage für den Gebietserhaltungsanspruch fehlen. Denn es reicht hierfür nicht aus, dass sich das Grundstück im Geltungsbereich desselben Bebauungsplans befindet. Notwendig ist eine Belegenheit sowohl des Vorhabengrundstücks wie auch des Grundstücks, von dem aus der Gebietserhaltungsanspruch geltend gemacht wird, innerhalb „desselben Baugebiets“ (vgl. auch OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14; OVG Münster, Beschluss vom 28.11.2002, 10 B 1618/02, juris, Rn. 5 ff.; VGH München, Beschluss vom 2.10.2003, 1 CS 03.1785, NVwZ-RR 2004, S. 248 f.; OVG Bremen, Urteil vom 13.2.2015, 1 B 355/14, juris, Rn. 29; VG Minden, Urteil vom 29.9.2915, 1 K 2703/14, juris, Rn. 20 ff.; VG Ansbach, Urteil vom 3.12.2014, AN 9 K 12.01753, juris, Rn. 76; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 5.5.2011, 10 L 358/11, juris, Rn. 26; Schröer, NZBau 2008, 169 f.). Die Frage, ob in diesem Sinne von einem einheitlichen Baugebiet oder unterschiedlichen Baugebieten auszugehen ist, ist dabei anhand des Bebauungsplans zu beantworten und nicht allein anhand schlichter geographischer oder sonstiger tatsächlicher Gegebenheiten (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14). Entscheidend ist, ob bei normativer Betrachtung davon auszugehen ist, dass der Plangeber die betroffenen Grundstückseigentümer zu einer Schicksalsgemeinschaft in Bezug auf die Art der baulichen Nutzung ihrer Grundstücke verbinden oder aber eine Trennung zwischen unterschiedlichen Baugebieten vorsehen wollte (OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14). Zur Klärung dieser Frage ist insbesondere auf die textlichen und zeichnerischen Festsetzungen des jeweiligen Bebauungsplans sowie auf dessen Begründung zurückzugreifen (vgl. auch Schröer, NZBau 2008, S. 169 f.).

Die Grundstücke der Antragsteller zu 1) bis 4) sind hiernach nicht nur innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs desselben Bebauungsplans wie das Vorhabengrundstück belegen, sondern auch innerhalb eines insgesamt einheitlichen reinen Wohngebiets. Für die verbindende Bedeutung der Festsetzung spricht zunächst schlicht der Umstand, dass die identische Ausweisung der Nutzungsart („WR“) hier nicht nur benachbarte (sogar unmittelbar aneinandergrenzende) Flurstücke betrifft, sondern alle in dem – überdies mit ca. 5 ha vergleichsweise kleinen – Plangebiet überhaupt zur baulichen Nutzung vorgesehenen Flächen erfasst. Trifft m.a.W. der Plangeber im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung für das Plangebiet eine einheitliche Festsetzung, ist im Zweifel auch von einer Einheitlichkeit des entsprechenden Baugebiets nach der Art der baulichen Nutzung auszugehen.

Für diese maßgebliche Identität der Ausweisung ist nach der Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts, der sich die Kammer anschließt, unerheblich, dass der Bebauungsplan hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, der überbaubaren Grundflächen sowie der Bauweise innerhalb des reinen Wohngebietes durchaus unterschiedliche Festsetzungen trifft. Auf diese sonstigen Festsetzungen kommt es für den Gebietserhaltungsanspruch nicht an, eben weil sich das für die Annahme eines Gebietserhaltungsanspruchs maßgebliche Austauschverhältnis zwischen den betroffenen Grundstücken allein aus der Art der baulichen Nutzung ergibt, welche als solche durch (unterschiedliche) Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung nicht verändert wird (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14). Ebenso wenig gebietet – entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin – die Tatsache, dass die in der Fläche westlich des Grünstreifens festgesetzten Teilflächen des dortigen reinen Wohngebiets in der Planzeichnung nummeriert sind, die Annahme, dass der Plangeber bei Aufstellung des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung unterschiedliche Baugebiete schaffen wollte, obwohl er die betroffenen Grundeigentümer in dieser Hinsicht denselben rechtlichen Regelungen unterwarf. Bei der Nummerierung der einzelnen Flächen handelt es sich schon ausweislich der Legende zur Planzeichnung um bloße Ordnungsnummern ohne eigenen normativen Gehalt. Die Nummerierung dient wiederum nicht der Zuordnung unterschiedlicher Arten der baulichen Nutzung – sämtliche Grundstücke sind als reines Wohngebiet festgesetzt –, sondern der Feingliederung des Baugebiets im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung und die Bauweise. Unterschiedliche Festsetzungen in dieser Hinsicht lassen indes keinen Schluss auf die Festsetzung unterschiedlicher Baugebiete im Sinne des Gebietserhaltungsanspruchs zu (vgl.o.). Vor diesem Hintergrund, dass allein die Festsetzungen des Bebauungsplans nach der Art der baulichen Nutzung über die Frage des Bestehens eines einheitlichen Baugebiets i.S.d. Gebietserhaltungsanspruchs entscheidend sind, sind darüber hinaus auch die von der Antragsgegnerin in Bezug genommenen Faktoren wie die verkehrliche Erschließung der Grundstücke der Antragssteller zu 1) bis 4) und des Vorhabengrundstücks, aus denen sie das Fehlen einer Wechselbezüglichkeit i.S.d. Gebietserhaltungsanspruchs ableitet, unbeachtlich.

Der Annahme der Festsetzung eines einheitlichen reinen Wohngebiets, in welchem sowohl das Vorhabengrundstück als auch die Grundstücke der Antragsteller zu 1) bis 4) belegen sind, steht auch nicht entgegen, dass sowohl in der Planverordnung als auch in der Planbegründung teilweise die Pluralform „Wohngebiete“, nicht aber die Formulierung „Wohngebiet“ verwendet wird (vgl. § 2 Nr. 3, 7 und 15 der Planverordnung, S. 24 ff. der Planbegründung). Diesem Umstand fehlt es schon deshalb an Aussagekraft für eine Systematik, weil Singular und Plural in Bezug auf den Begriff „Wohngebiet“ in der Planbegründung uneinheitlich verwendet werden. Im Inhaltsverzeichnis der Planbegründung findet sich unter Punkt 5.1 auch die singularische Formulierung „Reines Wohngebiet“ und im Text der Planverordnung wird der Plural für solche Teile auf dem westlichen Flurstück verwendet, die lediglich nach dem Maß der baulichen Nutzung unterschiedlich ausgewiesen werden. Überdies ergibt die bloße Verwendung eines solchen Plurals im Rahmen der zur Beurteilung dieser Frage gebotenen normativen Betrachtung schon als solche keine verlässliche Auskunft über die Intention des Plangebers, ob er hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung unterschiedliche Baugebiete i.S.d. Gebietserhaltungsanspruchs oder ein einheitliches Baugebiet festsetzen wollte. Auch wenn in einem Bebauungsplan Flächen als „Baugebiete“ bezeichnet werden, können sie dennoch im Rechtssinne des Gebietserhaltungsanspruchs in demselben Baugebiet belegen sein (so OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14).

Der Umstand, dass nach der Planzeichnung zwischen den farblich (der WR-Ausweisung entsprechend) gleich unterlegten Flächen im Osten und auf dem Vorhabengrundstück (und insoweit allein auf dem Vorhabengrundstück gelegen) in Weiß ein polygonal geschnittener, länglicher Streifen als „Fläche zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft“ von jedenfalls etwa 20m Breite ausgewiesen ist, führt zu keiner anderen Bewertung. Diese anderweitige Funktionszuweisung einer Teilfläche (die im Übrigen ihre Entsprechung am westlichen Rand des Plangebiets findet) bedeutet – zumal Unterschiede in der Ausweisung zum Maß der baulichen Nutzung insoweit unerheblich sind (vgl.o.) – nicht, dass der Plangeber bei der Überplanung des kompakten, lediglich ein Karree bildenden Gesamtgebiets im Januar 2015 die Intention verfolgt hätte, zwar sowohl östlich als auch westlich des von baulicher Nutzung freizuhaltenden Naturstreifens jeweils dieselbe Art der baulichen Nutzung festzusetzen, das kleine Plangebiet aber dennoch auch in Bezug auf die Art der baulichen Nutzung in unterschiedliche Baugebiete aufzuteilen, obwohl die Grundeigentümer in beiden Flächen denselben rechtlichen Regelungen unterworfen werden. Dies wird insbesondere daran deutlich, dass der Plangeber sich gerade nicht darauf beschränkt hat, die im östlichen Bereich vorgefundene Bestandsbebauung lediglich zu erfassen, sondern (auch) den auf der Fläche östlich des Grünstreifens belegenen Grundstücken bewusst bauliche Entwicklungsmöglichkeiten in Richtung auf die Fläche westlich des Grünstreifens zugebilligt hat: Durch die Festsetzung der Baugrenze in unmittelbarer Nähe zum Grünstreifen bzw. zur Fläche zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft hat der Plangeber die Möglichkeit zu einer Nachverdichtung der Bebauung dieser Grundstücke im rückwärtigen Bereich eröffnet. Hierdurch sollte eine „maßvolle städtebauliche Entwicklung, nicht zuletzt im Hinblick auf die übergeordneten Ziele der Stadt Hamburg, Flächen für den Wohnungsbau zu schaffen, erreicht werden.“ (S. 25 f. der Planbegründung). Die für die Fläche westlich des Grünstreifens durch den Bebauungsplan vorgesehene Wohnbebauung und die (weitere) Bebauung auf den (schon teilweise bebauten) Grundstücken östlich des Grünstreifens sollten sich mithin gleichsam aufeinander zu bewegen. Die Bestandsbebauung westlich der Lemsahler Landstraße sollte mit entsprechenden Entwicklungsmöglichkeiten „städtebaulich eingebunden werden“ (S. 25 der Planbegründung). Dies widerspricht unmittelbar einer auf Trennung zielenden Planung des Inhalts, mit dem Grünstreifen zum Ausdruck zu bringen, dass sich beide reinen Wohngebiete unabhängig voneinander entwickeln sollten, nämlich im Osten ausschließlich im Sinne einer Sicherung der Bestandsbebauung und im Westen als davon abzusondernde Neubeplanung der Freifläche. Beabsichtigt war vielmehr die „behutsame Weiterentwicklung“ des vorhandenen Wohnquartiers durch die neue Wohnbebauung (S. 24 der Planbegründung), was einer vereinheitlichenden, nicht einer getrennten Entwicklung der beiden Flächen westlich und östlich des Grünstreifens entspricht. Die von der Antragsgegnerin in Bezug genommene Vorgeschichte der Planung legt kein anderes Ergebnis nahe. Dass ursprünglich ein größeres Plangebiet mit dem in Rede stehenden Bebauungsplan erfasst werden sollte, ändert nichts an der Tatsache, dass sich der Plangeber in der Folge auf das festgesetzte Plangebiet und die getroffenen Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung im Bebauungsplan Lemsahl-Mellingstedt 19 beschränkt und keine Unterteilung des reinen Wohngebietes vorgenommen hat. Auch insoweit ist auf den Begründungstext zu verweisen, wonach die bei Planaufstellung vorgefundene Bestandsbebauung westlich der Lemsahler Landstraße mit entsprechenden Entwicklungsmöglichkeiten „städtebaulich eingebunden werden“ sollte (S. 25).

Gegen eine besondere, auf Trennung zweier Wohngebiete zielende Regelungsintention bei Festsetzung des Naturstreifens spricht auch die Entstehungsgeschichte dieser Flächenausweisung. Die Grünzone war als solche mit naturschutzrechtlich beachtlichem Bestand an Flora und Fauna bei Aufstellung des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 bereits vorhanden, stellte also eine räumliche Trennung beider Flächen, aber keine gezielt durch die Planung erst hervorgerufene (normative) Trennung dar. Einer schlichten Trennung zweier Flächen durch tatsächliche Gegebenheiten (Straßen etc.) lässt sich normativ nicht die Wertung entnehmen, dass dadurch die Wechselbezüglichkeit der jeweiligen Nutzungsbeschränkungen aufgehoben werden sollte (so ausdrücklich OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14). Dass dem Fortbestand des bei Planaufstellung bereits vorhandenen Grünstreifens darüber hinaus seitens des Plangebers eine normative Bedeutung zur Aufhebung der Wechselbezüglichkeit der Wohnbauflächen beigemessen worden wäre, lässt sich auch weder den auf diese Teilfläche bezogenen Bestimmungen des Bebauungsplans bzw. der Planverordnung noch den Ausführungen in der Planbegründung entnehmen. Der Zweck des Fortbestands des Naturstreifens an seinem schon bei Planaufstellung vorgefundenem Standort besteht gemäß § 2 Nr. 11 der Planverordnung vielmehr in seiner Bedeutung als naturnahe Gehölzfläche. Gemäß § 2 Nr. 15 der Planverordnung dient der Erhalt des Streifens und seine Festsetzung als Fläche für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft mit dem Entwicklungsziel „Artenreiches, gestuftes Gehölz“ dem naturschutzrechtlichen Ausgleich. Ausgeglichen werden sollen hierdurch Beeinträchtigungen, die durch den Bebauungsplan an anderer Stelle hervorgerufen werden (S. 32 der Planbegründung); wäre der gewachsene Grünbestand auch an dieser Stelle einer Überbaubarkeit preisgegeben worden, hätte der Plan erheblichen weiteren Ausgleichsbedarf begründet. Die Entwicklung des Naturstreifens dient den Zielsetzungen des Artenschutzes zur Schaffung von Ersatzlebensräumen für potenzielle oder reale Vorkommen besonders geschützter Tier- und Pflanzenarten und der übergeordneten Zielsetzung des Landschaftsprogramms zum Schutz des Landschaftsbildes (S. 32 der Planbegründung). Es soll sichergestellt werden, dass die Funktion u.a. dieses Streifens zwischen der Straße Fiersbarg und der nördlichen Plangebietsgrenze als Fledermaus-Flugroute (Orientierung und Nahrungssuche) auch künftig erhalten wird (S. 33 der Planbegründung). Die in der Planbegründung außerdem enthaltene Aussage, der Naturstreifen bewahre einen „Puffer zwischen dem neuen Bebauungsgebiet und der Bestandsbebauung“ (S. 32 der Planbegründung), hat keine abweichende, gesonderte Bedeutung. Zwar kann, je nach Kontext, eine Planaussage zu einer „Pufferfunktion“ einer Fläche nicht nur auf eine tatsächliche, sondern auch auf eine normative Wirkung zielen (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 28.10.2015, 7 E 5333/15, juris, Rn. 38). Eine normative Bedeutung im Sinne der Trennung zweier Flächen in unterschiedliche Baugebiete nach der Art der baulichen Nutzung ist dem hier zu betrachtenden Naturstreifen indes auch nicht vor dem Hintergrund dieser Formulierung in der Planbegründung beizumessen. Mit der Bezeichnung des Streifens als „Puffer“ zwischen den Flächen östlich und westlich davon stellt der Begründungstext keinen Bezug zu der Art der baulichen Nutzung her, auf die es jedoch allein für eine Einordnung der beiden Flächen als ein einheitliches Baugebiet im Sinne des Gebietserhaltungsanspruchs ankäme (vgl. wiederum OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14). Die für den Bebauungsplan Lemsahl-Mellingstedt 19 dem Naturstreifen zugewiesene „Pufferfunktion“ bezieht sich allein auf naturschutzfachliche bzw. naturschutzrechtliche Aspekte. Dies lässt der Kontext der hierauf bezogenen Ausführungen in der Planbegründung ohne Weiteres erkennen (S. 32 der Planbegründung):

„Mit der Festsetzung wird zur Stabilisierung des bestehenden Biotoptyps als Lebensraum für Tiere und Pflanzen beigetragen. Gleichzeitig wird der Puffer zwischen dem neuen Bebauungsgebiet und der Bestandsbebauung bewahrt und die Funktion der Gehölzstruktur insgesamt sowohl als Fledermaus-Flugroute als auch für Brutvögel und besonders geschützte Artengruppen gestärkt.“

Nicht bezogen auf die Art der baulichen Nutzung soll danach ein „Puffer“ durch den Naturstreifen errichtet werden, sondern im Interesse der von der Planung betroffenen Fledermaus- und Vogelarten, denen ihre Flugrouten bzw. Brutplätze zwischen den hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung denselben rechtlichen Regelungen unterworfenen Flächen erhalten werden sollen, wird der Naturstreifen als „Puffer“ erhalten und entsprechend festgesetzt (so auch S. 33 der Planbegründung).

Eine rein faktisch abgrenzende Wirkung des Streifens – auf welche sich die Antragsgegnerin beruft – ist vor dem Hintergrund unbeachtlich, dass die Beantwortung der bauplanungsrechtlichen Frage, inwieweit die von der Geltendmachung eines Gebietsschutzanspruchs betroffenen Grundstücke in demselben Baugebiet belegen sind, allein anhand normativer Kriterien zu beantworten ist (OVG Hamburg, Beschluss vom 16.11.2015, 2 Bs 165/15, S. 14).

2. Das Vorhaben der Antragsgegnerin zielt auf eine gebietsfremde Nutzung. Zulässig nach Art der baulichen Nutzung sind in reinen Wohngebieten gemäß § 3 Abs. 2 BauNVO regelhaft Wohngebäude sowie Anlagen zur Kinderbetreuung, die den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienen. Ausnahmsweise können neben den hier nicht relevanten gewerblichen Anlagen i.S.v. § 3 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO sonstige Anlagen für soziale Zwecke (sowie den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienende Anlagen für kulturelle, gesundheitliche oder sportliche Zwecke) zugelassen werden. Die vorliegend in Rede stehende Einrichtung stellt keine Wohnnutzung dar (hierzu unter a). Sie ist auch nicht als soziale Einrichtung in einem reinen Wohngebiet zulässig (hierzu unter b). Ihre bauplanungsrechtliche Zulässigkeit folgt schließlich nicht aus der nach § 246 Abs. 12 BauGB erteilten Befreiung von den Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung (hierzu unter c).

a) In der Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts, der sonstigen Oberverwaltungsgerichte sowie des Verwaltungsgerichts Hamburg ist geklärt, dass Anlagen zur öffentlichen Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern in der Form der Erstaufnahmeeinrichtung keine Wohnnutzung darstellen, da es jedenfalls an der Eigengestaltung und Freiwilligkeit des Aufenthalts fehlt. Diese Einrichtungen sind vielmehr – insbesondere in Ansehung der Residenzpflicht nach § 47 AsylG sowie der von der Einrichtung zu gewährleistenden zentralen Vollverpflegung und Versorgung mit sonstigen Sachleistungen – als Anlagen für soziale Zwecke einzuordnen (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 28.5.2015, 2 Bs 23/15, juris, Rn. 30; Urteil vom 10.4.1997, Bf II 72/96, NordÖR 1999, 354; Beschluss vom 17.6.2013, 2 Bs 151/13, juris; VG Hamburg, Beschluss vom 22.1.2015, 9 E 4775/14; Beschluss vom 28.10.2015, 7 E 5333/15, juris, Rn. 59; Beschluss vom 6.11.2015, 7 E 5650/15, S. 17; VGH Kassel, Beschluss vom 18.9.2015, 3 B 1518/15, NVwZ 2016, 88; vgl. auch VGH Mannheim, Beschluss vom 6.10.2015, 3 S 1695/15, juris, Rn. 12; VG Köln, Urteil vom 11.1.2012, 23 K 1277/11, juris; so auch BT-Drs. 18/6185, S. 87).

b) Das Vorhaben der Antragsgegnerin ist, wovon bereits die streitgegenständliche Baugenehmigung selbst zutreffend ausgeht, als nicht lediglich kleine Anlage für soziale Zwecke in dem reinen Wohngebiet nicht zulässig.

Für die Anwendbarkeit der Ausnahmemöglichkeit gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO müsste es sich bei einer Anlage für soziale Zwecke in einem reinen Wohngebiet um eine sogenannte kleine, gebietstypische Anlage handeln, die sich in die Zweckbestimmung des Baugebiets fügt (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 28.5.2015, 2 Bs 23/15, juris, Rn. 39; Beschluss vom 28.11.2012, 2 Bs 210/12, NVwZ-RR 2013, 352, 354; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL, Stand: 8/2015, § 3 BauNVO, Rn. 79). Dem liegt zugrunde, dass bei zahlreichen Nutzungsarten, insbesondere der reinen Wohnnutzung, schon der Umfang der Nutzung selbst ein typenbildendes Merkmal ist, weil von der Nutzungsart mit zunehmendem Umfang gebietsunverträgliche Störungen ausgehen. Diese Maßstäblichkeit gilt insbesondere auch für ausnahmsweise zulassungsfähige Nutzungen. Regelhaft erwartet werden in einem reinen Wohngebiet nur die beim privaten Wohnen üblichen bzw. zweckmäßigen, d.h. auch entsprechend dimensionierten Infrastruktureinrichtungen (vgl. VGH Mannheim zu einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber mit 26 Plätzen als Umnutzung eines Bestandsgebäudes, Beschluss vom 6.10.2015, 3 S 1695/15, NVwZ 2015, 1781 ff., bzw. VGH Kassel, Beschluss vom 18.9.2015, 3 B 1518/15, NVwZ 2016, 88, 89, zu einer Einrichtung für 25 Personen). Für die Gebietsverträglichkeit geht es um die Frage, ob ein Vorhaben dieser Art aufgrund der typischerweise mit ihm verbundenen Auswirkungen auf die nähere Umgebung generell geeignet ist, das Wohnen in einem reinen Wohngebiet zu stören (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 18.9.2015, 3 B 1518/15, NVwZ 2016, 88), insbesondere nach seinem räumlichen Umfang, der Art und Weise der Nutzung und dem vorhabenbedingten An- und Abfahrtsverkehr (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 28.5.2015, 2 Bs 23/15, juris, Rn. 41). Individuelle Besonderheiten der zu betrachtenden Einrichtung, des Verhaltens der darin untergebrachten Personen oder auch besondere individuelle Fähigkeiten des Betreibers zur Herabsetzung der Störungsintensität einer konkreten Einrichtung sind demgegenüber wegen des eine typisierende Betrachtung erfordernden Maßstabs des Gebietserhaltungsanspruchs nicht in die gerichtliche Prüfung einzubeziehen (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 18.9.2015, 3 B 1518/15, NVwZ 2016, 88). Die Bewertung der Dimensionierung ergibt sich aus dem Vergleich mit der plangemäßen Bebauung, insoweit unter Berücksichtigung der Vorgaben zum Maß der baulichen Nutzung (vgl. Stock in König/Roeser/Stock, Baunutzungsverordnung, 3. Aufl. 2014, § 3 Rn. 43); in durch geringe Verdichtung geprägten Gebieten können dementsprechend nur solche Anlagen ausnahmsweise zugelassen werden, die der Eigenart des konkreten Gebiets entsprechen (so, unter Bezugnahme auf § 15 Abs. 1 BauNVO als ergänzender rechtlicher Maßstab, Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL, Stand: 8/2015, § 3 BauNVO, Rn. 79).

Nach diesem Maßstab kann das Vorhaben nicht als eine in dem reinen Wohngebiet gebietsverträgliche, zulässige „kleine“, die Zweckbestimmung des Baugebiets nicht gefährdende (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 28.5.2015, 2 Bs 23/15, juris, Rn. 39; Beschluss vom 28.11.2012, 2 Bs 210/12, NVwZ-RR 2013, 352, 354; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL, Stand: 8/2015, § 3 BauNVO, Rn. 79) Anlage für soziale Zwecke gewertet werden.

Mit seiner Erstreckung auf insgesamt 24 zumeist große Baukörper (mit insgesamt 238 Einheiten, die für jeweils 4 Personen nutzbar wären) bzw. Teilanlagen (vgl. Lageplan, Vorlage Nr. 7/21), der Ausrichtung auf (derzeit) 252 Nutzer zuzüglich Personal und der Ausdehnung über den gesamten westlichen Planbereich geht das Vorhaben weit über die in dem Bebauungsplan angelegte kleinteilige Wohngebietsausweisung hinaus: Durch den Bebauungsplan Lemsahl-Mellingstedt 19 sollten insbesondere für das städtische Grundstück (Flurstück 420) am Fiersbarg die planungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bau von insgesamt nur 40 bis 45 Wohneinheiten in Form von Einzel, Doppel- und Reihenhäusern sowie in (drei) Stadtvillen (diese mit bis zu 5 Wohneinheiten) geschaffen werden (vgl. Bebauungskonzept, Planbegründung S. 5). Hierfür wurden insgesamt für die bauliche Nutzung nur 17 Baufenster bestimmt und hierbei „die Baugrenzen … baukörperscharf festgesetzt, um die Umsetzung des Bebauungskonzeptes zu gewährleisten“ (S. 24 der Planbegründung). Die Reihenhauszeilen sollten aus je drei Einheiten bestehen (S. 25 der Planbegründung) und die höchstzulässige Zahl der Wohneinheiten in Wohngebäuden wurde „gemäß der im Bebauungskonzept vorgesehenen Gebäudetypen mit einer Wohnung in den Einzel- und Doppelhaustypen sowie in den Hausgruppen und mit 5 Wohnungen für die Stadtvillen festgesetzt“ (S. 25 der Planbegründung).

Im Übrigen ist die Einrichtung bei der gebotenen typisierenden Betrachtung auch ihrer Zweckbestimmung nach in einem reinen Wohngebiet nicht gebietsverträglich (vgl. im Einzelnen Beschluss der Kammer vom 15.12.2015, 7 E 6128/15). Auch in der Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts ist – für eine Folgeunterkunft, d.h. für eine Nutzung mit geringerer Belegungsdichte sowie durch Personen mit günstigerer Bleibeperspektive – geklärt, dass eine größere Einrichtung zur öffentlichen Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern bei typisierender Betrachtung als in einem reinen Wohngebiet gebietsunverträglich anzusehen ist (OVG Hamburg, Beschluss vom 28.5.2015, 2 Bs 23/15, juris, Rn. 43 ff.). Dies muss erst recht für Einrichtungen wie die vorliegend zu betrachtende gelten, denn hierbei soll es sich um eine sogenannte zentrale Erstaufnahmeeinrichtung (ZEA) handeln, welche i.S.v. § 47 AsylG dazu dient, Ausländer unmittelbar nach Stellung ihres Asylauftrags, also unmittelbar nach ihrer Ankunft in Hamburg, für mindestens sechs Wochen, längstens sechs Monate (gemäß Absatz 1a der Vorschrift Ausländer aus einem sicheren Herkunftsstaat allerdings auch länger), unterzubringen. Gerade solche Einrichtungen sind nach den spezifischen Belegungs- und Nutzungsbedingungen geeignet, typischerweise erhebliche Auswirkungen auf die Wohnruhe eines reinen Wohngebiets zu entfalten.

c) Bauplanungsrechtlich zulässig wird das Vorhaben auch nicht durch die Befreiung nach § 246 Abs. 12 BauGB; die Befreiung ist rechtswidrig und nicht geeignet, die Verbindlichkeit der Ausweisung „reines Wohngebiet“ wie auch des daraus folgenden Gebietserhaltungsanspruchs der Antragsteller zu 1) bis 4) aufzuheben.

Die Voraussetzungen zur Erteilung einer Befreiung nach § 246 Abs. 12 Satz 1 BauGB sind nicht erfüllt.

Nach dieser Vorschrift kann bis zum 31. Dezember 2019 für die auf längstens drei Jahre zu befristende Errichtung mobiler Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

Insoweit kann vorliegend dahingestellt bleiben, wie der Begriff der mobilen Anlage widerspruchsfrei abzugrenzen ist, d.h. ob es sich bei der Gesamtanlage wegen der Verwendung von Containern als wesentliche Bauelemente und trotz der erforderlichen Erschließungs- und Fundamentierungsarbeiten um eine im Rechtssinne mobile Unterkunft i.S.v. § 246 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 BauGB handelt, bzw. wie der Umstand zu erklären ist, dass eine andere Behörde der Antragsgegnerin zu einer für einen anderen Standort vorgesehenen, ebenfalls wesentlich aus Containern gleicher Bauart zusammengesetzten, um Dachbauteile ergänzten Anlage eine „Fachbehördliche Entscheidung“ nach § 246 Abs. 14 BauGB vorgelegt hat, welche zur Begründung der Anwendung von § 246 Abs. 14 BauGB betont:

„Die Erteilung einer befristeten Zulassung nach Abs. 12 scheidet aus, da die zu errichtenden Anlagen keine ‚mobilen Unterkünfte‘ im Sinne des Satzes 1 Nr. 1 sind. Vielmehr werden von umfangreichen Erschließungsmaßnahmen begleitete, fest gegründete Bauten errichtet.“

Vorliegend ist entscheidend, dass die allgemeine Tatbestandsvoraussetzung nach § 246 Abs. 12 Satz 1 a.E. BauGB, wonach die Befreiung mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein muss, nicht erfüllt ist.

Die Frage nach der Vereinbarkeit der Befreiung mit den öffentlichen Belangen ist im vorliegenden Nachbarstreitverfahren trotz seiner prozessrechtlichen Beschränkung auf die subjektiven Rechte der Antragsteller (vgl. o.) Gegenstand der gerichtlichen Prüfung. Betrifft die Erteilung einer Befreiung eine nachbarschützende Festsetzung – hier zur Art der baulichen Nutzung (s.o.) –, führt bereits das Fehlen der objektiven Befreiungsvoraussetzungen zu einer Verletzung von Nachbarrechten (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.9.1986, 4 C 8.84, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 71, und Beschluss vom 8.7.1998, 4 B 64/98, NVwZ-RR 1999, 8).

Der Vereinbarkeit mit öffentlichen Belangen steht hier entgegen, dass die Befreiung von der Art der baulichen Nutzung sich als Verletzung eines Grundzugs der Planung des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 erweist. Zu den öffentlichen Belangen, mit denen ein Vorhaben gemäß § 246 Abs. 12 BauGB zu vereinbaren sein muss, gehört insbesondere die Beachtung der Grundzüge der Planung – jedenfalls dergestalt, dass sie durch die Befreiung nicht verletzt werden dürfen (hierzu unter aa)). Steht ein erheblicher öffentlicher Belang der Befreiung entgegen, ist sie ausgeschlossen; andere, für die Befreiung sprechende Belange sind dann unerheblich und insbesondere nicht im Wege einer Gesamtabwägung zur Geltung zu bringen (hierzu unter bb)).

aa) Die erteilte Befreiung von der Art der baulichen Nutzung ist schon deshalb nicht mit den öffentlichen Belangen im Sinne von § 246 Abs. 12 BauGB vereinbar, weil sie einen Grundzug der Planung verletzt.

aaa) Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin ermächtigt die Vorschrift nicht zu einer unbeschränkten Abweichung von den Festsetzungen des jeweiligen Bebauungsplans. Mit dem Gebot, dass die Befreiung mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein muss, ist jedenfalls verbunden, dass die Grundzüge der Planung nicht verletzt werden dürfen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff der öffentlichen Belange im Zusammenhang mit der bauplanungsrechtlichen Befreiung lässt sich dieser nicht allgemein randscharf abgrenzen, umfasst indes immer die Wahrung des wesentlichen Gehalts des Bebauungsplans (BVerwG, Urteil vom 19.9.2002, 4 C 13/01, BVerwGE 117, 50):

„Welche Umstände als öffentliche Belange im Sinne von § 31 Abs. 2 BauGB eine Befreiung ausschließen, lässt sich nicht generell beantworten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt der Schluss, eine Befreiung sei mit den öffentlichen (bodenrechtlichen) Belangen nicht vereinbar, um so näher, je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht einer Planung eingreift. Eine Befreiung ist ausgeschlossen, wenn das Vorhaben in seine Umgebung nur durch Planung zu bewältigende Spannungen hineinträgt oder erhöht, so dass es bei unterstellter Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 BauGB nicht zugelassen werden dürfte (BVerwG, Urteil vom 9. Juni 1978 – BVerwG 4 C 54.75 – BVerwGE 56, 71 <78 f.>).“

In der angeführten Grundsatzentscheidung vom 9. Juni 1978 hatte das Bundesverwaltungsgericht die zentrale Bedeutung des Schutzes der Grundzüge der Planung für das System der bauplanungsrechtlichen Ordnung erläutert:

„Durch die Entgegensetzung von Regelfällen und Sonderfällen wird auch die Grenze zwischen der Befreiung und der etwa erforderlichen Planänderung markiert: Ist die Befreiung auf atypische Sonderfälle beschränkt, so folgt daraus, daß in allen übrigen (Regelfällen) Fällen zulässige Abweichungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nur mit Hilfe eines Planänderungsverfahrens bewirkt werden können. Diese Folgerung entspricht in dreifacher Hinsicht dem System des Bundesbaugesetzes: Zum einen dürfen die Festsetzungen eines Bebauungsplans – gemäß § 10 BBauG handelt es sich um Rechtssätze – nicht generell, insbesondere nicht in den vom Plan erfaßten Regelfällen, durch Verwaltungsakte „außer Kraft gesetzt“ werden. Ferner obliegt die Änderung eines Bebauungsplans nach § 2 Abs 1 und Abs 7 BBauG 1976 der die Planungshoheit ausübenden Gemeinde und nicht der Baugenehmigungsbehörde. Außerdem ist für die Planung in § 2 Abs 5 und Abs 7, § 2a Abs 1 bis 6 BBauG 1976 ein bestimmtes Verfahren unter Beteiligung der Träger öffentlicher Belange und der Bürger vorgeschrieben. Würde die Baugenehmigungsbehörde gleichwohl in „Regelfällen“ befreien, so würde sie damit die vom Bundesbaugesetz bestimmte Zuständigkeit und das gesetzlich vorgeschriebene Verfahren umgehen.“

Spätere Änderungen der allgemeinen bauplanungsrechtlichen Befreiungsvorschrift, des § 31 Abs. 2 BauGB, mit denen das Verbot, mit einer Befreiung die Grundzüge der Planung zu berühren, in den Normtext eingefügt und tatbestandlich zugeordnet worden ist, sind angesichts der Systemnotwendigkeit einer die Grundentscheidungen des Plangebers schützenden Grenze für die Abweichungsentscheidung der Baugenehmigungsbehörde lediglich als (den Maßstab verfeinernde) Bestätigung dessen zu verstehen, was mit dem Begriff der „öffentlichen Belange“ bereits vorgegeben ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5.3.1999, 4 B 5/99, ZfBR 1999, 283). In der Abfolge des Normwortlauts des § 31 Abs. 2 BauGB gegenüber der Bedingung, dass die Befreiung mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein muss, vorgehende einzelne Tatbestandselemente bzw. einzelne Befreiungstatbestände können sich zwar bereits auf die Vereinbarkeit mit der Plankonzeption beziehen; dies ändert indes nichts daran, dass die Wahrung der Grundzüge des Bebauungsplans wesentlicher Gegenstand des Begriffs der öffentlichen Belange ist (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL., Stand: 8/2015, § 31, Rn. 55 ff.).

Die Bedingung, dass die Befreiung mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein muss, hat in der speziellen Befreiungsnorm des § 246 Abs. 12 BauGB keine andere Bedeutung als im Rahmen der allgemeinen Befreiungsvorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB. Insoweit sind nicht nur der Wortlaut und die systematische Stellung innerhalb der Norm identisch. Dasselbe Ergebnis folgt auch aus der gesamtsystematischen Betrachtung, insbesondere dem Abgleich mit höherrangigem Recht, sowie Sinn und Zweck der Vorschrift; das vorliegende Material über den Gesetzgebungsvorgang steht dem ebenfalls nicht entgegen.

Der verfassungsrechtliche Rahmen für die Möglichkeiten der Baugenehmigungsbehörde, von der – rechtssatzförmigen – Entscheidung des Plangebers über die bauliche Entwicklung des Plangebietes abzuweichen, ist für alle Vorschriften zur bauplanungsrechtlichen Befreiung gleich: Zulässiger Zweck der im Baugesetzbuch – auch vor Inkrafttreten des § 246 Abs. 12 BauGB im Zuge des sog. „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetzes“ am 24.10.2015 – bereits enthaltenen Bestimmungen, die es unter bestimmten Voraussetzungen ermöglichen, von den Festsetzungen eines Bebauungsplans abzuweichen, ist es, durch eine gewisse Flexibilisierung planerischer Festsetzungen vor dem Hintergrund des Übermaßverbots Einzelfallgerechtigkeit zu ermöglichen (Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 31, Rn. 1). Abweichungsvorschriften, zu denen auch § 246 Abs. 12 BauGB zu zählen ist, stehen damit in einem Spannungsverhältnis zu anderen elementaren rechtsstaatlichen Grundsätzen bzw. grundgesetzlichen Garantien. Die Rechtssicherheit als ein i.S.d. Art. 20 GG wesentliches Element der Rechtsstaatsgarantie erfordert eine Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit der Rechtslage und der Rechtsanwendung (BVerfG, Beschluss vom 8.1.1981, 2 BvL 3/77, 9/77, BVerfGE 56, 1, 12; Beschluss vom 9.4.2003, 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01, BVerfGE 108, 52, 75; Beschluss vom 3.3.2004, 1 BvF 3/92, BVerfGE 110, 33, 53 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl. 2012, Art. 20, Rn. 58), die nur dann gewahrt bleibt, wenn die Möglichkeit zur Abweichung von planungsrechtlichen Festsetzungen durch gesetzlich normierte Voraussetzungen auf ein vertretbares Maß beschränkt wird (Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 31, Rn. 2).

Zu beachten ist zudem die Zuordnung der Befugnisse. Vor dem Hintergrund des Art. 28 Abs. 2 GG darf durch die Schaffung von Abweichungsvorschriften oder ihre Anwendung die Umgehung einer eigentlich erforderlichen Planänderung nicht ermöglicht werden (Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 31, Rn. 28). In die sachliche Reichweite der hierdurch geschützten und garantierten gemeindlichen Selbstverwaltung fällt als eine der sog. Gemeindehoheiten auch die Planungshoheit als Befugnis der Gemeinde zur Ordnung und Gestaltung des Gemeindegebiets im Sinne einer längerfristigen Entwicklung, namentlich in Ansehung der baulichen Nutzung (BVerfG, Beschluss vom 7.10.1980, 2 BvR 584/76 et. al., BVerfGE 56, 298, 310, 317 f.; BVerwG, Urteil vom 16.12.1988, 4 C 40/83, BVerwGE 81, 95, 106; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl. 2012, Art. 28, Rn. 13; Hellermann, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Ed. 26, Stand: 9/2015, Art. 28, Rn. 40.5). Auch und gerade hieraus ergibt sich der Vorbehalt, nach dem der Bebauungsplan als Rechtsnorm grundsätzlich nur durch Änderung, Ergänzung oder Aufhebung in seinem Inhalt geändert werden kann, so dass Abweichungsvorschriften nicht dazu verwendet werden dürfen, den Bebauungsplan – wie es hier die Antragsgegnerin beabsichtigt – an geänderte tatsächliche Verhältnisse oder neue städtebauliche Vorstellungen anzupassen (BVerwG, Urteil vom 9.6.1978, 4 C 54.75; Beschluss vom 13.2.1996, 4 B 199.95; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL., Stand: 8/2015, § 31, Rn. 15), und es allein der Gemeinde vorbehalten ist, eine solche Anpassung durch Änderung des Bebauungsplans selbst herbeizuführen, nicht der Bauordnungsbehörde im Wege einer Abweichungsentscheidung (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL., Stand: 8/2015, § 31, Rn. 15). Zudem ist wegen der grundrechtsgestaltenden Wirkung der Planung von erheblicher Bedeutung, dass die nach den §§ 3 und 4 BauGB notwendige Beteiligung der Bürger und Träger öffentlicher Belange nicht im Wege behördlicher Abweichungsentscheidungen unterlaufen oder geradezu „aus den Angeln gehoben“ wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5.3.1999, 4 B 5/99, NVwZ 1999, 1110; Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 31, Rn. 29). Dies gilt auch in der Einheitsgemeinde Hamburg, in der den Bezirksämtern sowohl die Bauaufsicht als auch die Aufstellung der Bebauungspläne übertragen ist (OVG Hamburg, Beschluss vom 17.6.2013, 2 Bs 151/13, S. 6); wird durch die Erteilung einer Befreiung eine an sich erforderliche Planänderung funktionell ersetzt, handelt es sich um einen Übergriff der Bauaufsicht in die Kompetenz der Bauleitplanung.

Ein von dem allgemeinen abweichendes Verständnis des Begriffs „öffentliche Belange“ dergestalt, dass im Rahmen von § 246 Abs. 12 BauGB das Verhältnis zwischen dem durch Befreiung zu ermöglichenden Vorhaben und dem Konzept des Bebauungsplans unerheblich sein sollte, ist auch weder nach der Systematik der Vorschrift selbst anzunehmen, noch nach den sonstigen Zusammenhängen mit den übrigen Vorschriften des Baugesetzbuches. Zu beachten ist insoweit zunächst, dass der maßgebliche Normkontext darin besteht, dass die Vereinbarkeit mit den öffentlichen Belangen zu den Bedingungen für eine auch nur in das Ermessen der Baugenehmigungsbehörde gestellte Befreiung gehört. Schon dem Begriff der „Befreiung“ ist der Ausnahmecharakter immanent, d.h. das Sonderverhältnis zu der Regel, die schlicht in der Beachtung des Bebauungsplans liegt (vgl. bereits oben, BVerwG, Urteil vom 9.6.1978, aaO.). Zielt das Gesetz demgegenüber selbst darauf, dem Bebauungsplan bzw. seinen Grundzügen die Maßgeblichkeit zu nehmen bzw. seine Regelungsaussage zu ändern, so bringt es dies – auch zur Wahrung des rechtsstaatlichen Gebotes der Normenklarheit – unmittelbar zum Ausdruck und setzt die gewünschte Rechtsfolge selbst verbindlich (vgl. u.a. §§ 245a Abs. 1, 246 Abs. 11 BauGB). Vor diesem Hintergrund ist auch, entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin, die Auslegung des § 246 Abs. 10 BauGB (durch den VGH Mannheim, Beschluss vom 11.3.2015, 8 S 492/15, juris), wonach dessen Zielrichtung, Unterkünfte auch in Gewerbegebieten zu ermöglichen, es verbiete, bei der Prüfung der entgegenstehenden öffentlichen Belange auf die Planfestsetzung zur Art der baulichen Nutzung abzustellen, nicht auf § 246 Abs. 12 BauGB zu übertragen. Das ergibt sich bereits daraus, dass es insoweit um Vorschriften maßgeblich unterschiedlicher Struktur geht: § 246 Abs. 10 BauGB setzt (als Bundesgesetz) allgemein bei dem planungsrechtlichen Bedeutungsgehalt der Gewerbegebietsausweisung an, während § 246 Abs. 12 BauGB die planerische Grundaussage selbst nicht regelt, sondern ihre Beachtung der Baugenehmigungsbehörde überantwortet.

Die intendierte Rücksichtnahme auf die besondere Stellung des Plangebers drückt sich in § 246 Abs. 12 BauGB weiter darin aus, dass Satz 2 der Vorschrift § 36 des Gesetzes für entsprechend anwendbar erklärt. Hiernach ist die für die Bebauungsplanung zuständige Gemeinde an dem Genehmigungsverfahren zu beteiligen, sie kann, wie § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB im Sinne eines Numerus Clausus, zugleich indes die Erheblichkeit der Grundzüge der Planung bestätigend anführt, das Einvernehmen wirksam u.a. aus den sich aus § 31 BauGB ergebenden Gründen versagen. Dementsprechend stellt sich der Umstand, dass § 246 Abs. 12 BauGB die besondere Befreiungsmöglichkeit nur mit einer Befristung auf (zunächst, vgl. Abs. 17 der Vorschrift) drei Jahre und nur für die Errichtung mobiler Unterkünfte (oder die Umnutzung von Baulichkeiten in besonderen Gebieten) eröffnet, lediglich als Einschränkung des Anwendungsbereichs dar. Begründet wird durch diese Einschränkungen nicht das Erfordernis einer eigenständigen Definition des Begriffs der öffentlichen Belange, sondern die Möglichkeit, dass sich im Einzelfall ein Vorhaben im Hinblick auch auf die konkrete zeitliche Befristung der Befreiung als für die Grundkonzeption des Bebauungsplans unerheblich erweist.

Auch der Abgleich der Regelungssystematik mit § 31 Abs. 2 BauGB führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar enthält § 246 Abs. 12 BauGB gerade nicht die dort gesondert von den öffentlichen Belangen angeführte Bedingung, dass die „Grundzüge der Planung nicht berührt werden“. Hierbei handelt es sich nach der Begründung zu dem Entwurf der Bundesregierung, wonach eine Befreiung auch dann möglich sein soll, „wenn die Grundzüge der Planung berührt werden“ (vgl. BT-Drs. 18/6185, S. 54), auch um eine bewusste Abweichung von der allgemeinen Befreiungsvorschrift. Ergebnis dieser Regelungstechnik ist indes nur, dass die besondere Grenze für Beeinträchtigungen der Grundzüge der Planung, die § 31 Abs. 2 BauGB mit „berührt“ definiert, als solche nicht auf die Befreiungen nach § 246 Abs. 12 BauGB anzuwenden ist, während die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl.o.) in dem Begriff der öffentlichen Belange enthaltene, allgemeine, grundsätzliche Grenzziehung zugunsten der Verbindlichkeit des Bebauungsplans zu beachten bleibt. Auch der Satz in der Entwurfsbegründung (aaO., S. 54 u.) „Soweit sich im zeitlich befristeten Nutzungszeitraum der Flüchtlingseinrichtung ergibt, dass eine langfristige Nutzung erforderlich wird, wäre eine nachhaltige Bauleitplanung erforderlich“, erfordert im Übrigen keine abweichende Auslegung des dort zugrunde liegenden Systemverständnisses. Denn auch in dem Fall, dass das durch Befreiung nach § 246 Abs. 12 BauGB ermöglichte Vorhaben die Grundzüge der Planung iSv. § 31 Abs. 2 BauGB berührt, jedoch nicht in einer Weise verletzt, dass es mit den öffentlichen Belangen iSv. § 246 Abs. 12 Satz 1 BauGB unvereinbar wäre, ist nach Verfassungsrecht wie auch Systematik des Baugesetzbuches (vgl.o.) eine Auflösung des Widerspruchs zu dem Bebauungsplan durch eine Planänderung angemessen.

Nach allem hat die von § 31 Abs. 2 BauGB teilweise abweichende Formulierung der Befreiungsvorschrift in § 246 Abs. 12 BauG nur zur Folge, dass hier jener, mit „nicht berührt“ besonders strenge Maßstab zur Wahrung der Grundzüge der Planung nicht anzuwenden ist. Die allgemeinen Anforderungen an das Verhältnis zwischen Einzelfallentscheidung der Baugenehmigungsbehörde und Planentscheidung des Plangebers verlangen demgegenüber weiterhin Beachtung. Mit dem Bundesverwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 19.9.2002, 4 C 13/01, BVerwGE 117, 50) ist danach als unvereinbar mit öffentlichen Belangen eine Befreiung ausgeschlossen, „wenn das Vorhaben in seine Umgebung nur durch Planung zu bewältigende Spannungen hineinträgt oder erhöht, so dass es bei unterstellter Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 BauGB nicht zugelassen werden dürfte“. Dieses Kriterium dürfte sachgerecht in der Formulierung zusammenzufassen sein, dass eine Befreiung mit den öffentlichen Belangen iSv. § 246 Abs. 12 BauGB insbesondere dann nicht vereinbar ist, wenn das Vorhaben die Grundzüge der Planung in diesem Sinne schwerwiegend beeinträchtigt, d.h. verletzt.

Die Bezugnahme nicht allein auf § 246 Abs. 12 BauGB, sondern zugleich auf § 31 Abs. 2 BauGB in dem Baugenehmigungsbescheid ergibt im Übrigen keinen anderen Maßstab für die Zulässigkeit der erteilten Befreiung. Insoweit handelt es sich lediglich, wie das die Nichtanwendbarkeit der Schranken in § 31 Abs. 2 BauGB betonende Vorbringen der Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren bestätigt, um eine an die übliche Terminologie bei bauplanungsrechtlichen Befreiungsentscheidungen anknüpfende Formulierung. Rechtlich werden mit einer Berufung auch auf § 31 Abs. 2 BauGB indes keine über § 246 Abs. 12 BauGB hinausgehenden bzw. davon zugunsten des Vorhabens abweichenden Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet (vgl.o.).

bbb) Die von der Antragsgegnerin gemäß § 246 Abs. 12 BauGB erteilte Befreiung von der Art der baulichen Nutzung ist im Sinne des aufgezeigten Maßstabs nicht mit öffentlichen Belangen vereinbar. Sie steht in deutlichem Gegensatz zu dem Plankonzept des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 und verletzt damit die Grundzüge der Planung.

Das den Grundzügen der Planung zugrunde liegende Plankonzept beurteilt sich nach dem im Bebauungsplan zum Ausdruck kommenden Willen des Plangebers. Zu dessen Ermittlung ist neben zeichnerischen und textlichen Festsetzungen des Plans auch seine Begründung auszuwerten (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL., Stand: 8/2015, § 31, Rn. 36; Siegmund, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, Stand: 4/2015, § 31, Rn. 61).

Die Bestimmung insbesondere der Art der baulichen Nutzung gerade für die Fläche des Flurstücks 420 war wesentlicher Anlass für die Aufstellung sowie wesentlicher Gegenstand des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19; dies macht im Übrigen die Antragsgegnerin selbst, wenn auch in anderem Zusammenhang (nämlich als vermeintlicher Beleg für die normative Trennung der Flächen westlich und östlich des Naturstreifens), geltend.

Schon den zeichnerischen Festsetzungen ist die zentrale Bedeutung der „WR“-Ausweisung insbesondere des Flurstücks 420 zu entnehmen. Hiernach ist die reine Wohnnutzung die einzige eröffnete bauliche Nutzung, sind die Baufenster mit den unterschiedlichen Maßen der baulichen Nutzbarkeit aufeinander bezogen angeordnet und gruppieren sich die sonstigen Flächenausweisungen darum, die Wohnruhe und den Grünschutz begünstigend, herum.

Die Planbegründung bestätigt die entsprechende planerische Absicht. Hiernach war es ein besonderes Anliegen der Planaufstellung, im Plangebiet die Realisierung von Familienheimen und sonstiger kleinteiliger Wohnnutzung zu ermöglichen. Ausdrücklich für das nunmehr in Rede stehende Vorhabengrundstück sollten die planungsrechtlichen Voraussetzungen für den Bau von 40 bis 45 Wohneinheiten in Form von Einzel-, Doppel- und Reihenhäusern sowie in Stadtvillen, davon 30 % öffentlich gefördert, geschaffen werden (S. 3 der Planbegründung), wodurch ein Beitrag zum dringend benötigten Wohnungsbau in Hamburg geleistet werden sollte (S. 3 der Planbegründung). Die neuen und bestehenden Bauflächen sollten für die Wohnnutzung bei entsprechender Wohnruhe gesichert werden, was durch die Festsetzung eines reinen Wohngebiets, insbesondere für das jetzige Vorhabengrundstück, geschehen sollte (S. 24 der Planbegründung). Ausdrücklich erkennt die Planbegründung dabei an, dass derartige Wohnlagen in Hamburg besonders nachgefragt und „unverzichtbares Segment des gesamtstädtischen Wohnungsmarktes“ seien (S. 24 der Planbegründung). Durch die eine solche Wohnbebauung ermöglichende Festsetzung sollte auch der Abwanderung in das Umland entgegengewirkt werden (S. 24 der Planbegründung).

Eine überdies gerade auch auf den Ausschluss anderer Nutzungsarten zielende Intention der Planentscheidung für die reine Wohnnutzung ergibt sich zudem daraus, dass die planerische Grundentscheidung zur Ausweisung des Vorhabengrundstücks als Teil eines reinen Wohngebiets von dem Plangeber gerade auch in bewusster Abkehr von einer vorherigen Nutzung der Fläche mit einer großen sozialen Einrichtung (sog. „Pavillon-Dorf“) erfolgte, obwohl seinerzeit (im Januar 2015) ein Bedarf an Schaffung von Unterkunftsplätzen bereits bestand und von der Antragsgegnerin für andere Standorte auch als dringlich geltend gemacht wurde.

Die erteilte Befreiung von der Art der baulichen Nutzung für das streitgegenständliche Vorhaben stellt sich hiernach als erhebliche Verletzung dieser Grundzüge der Planung dar, die einer Umplanung gleichkommt: Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die hierbei in Anspruch genommene Fläche – das Grundstück von rund 32.000 m2 wird der plangemäßen Bebaubarkeit für Wohngebäude vollständig entzogen -, und ihren hohen Anteil (von etwa drei Fünfteln) an der Gesamtfläche des Geltungsbereichs des Bebauungsplans.

Diese Verletzung der Grundzüge der Planung wird schließlich nicht dadurch unbeachtlich, dass die streitgegenständliche Baugenehmigung nur eine dreijährige Nutzungszeit für die geplante Einrichtung legalisiert. Allein aus der (gegenwärtigen) Befristung einer Genehmigung kann nicht gefolgert werden, dass Grundzüge der Planung durch diese nicht berührt werden (OVG Hamburg, Beschluss vom 17.6.2013, 2 Bs 151/13, juris, Rn. 11 ff.). Für die vorliegend festgestellte Verletzung der Grundzüge der Planung gilt nichts anderes. Ein Ausschluss der Planumsetzung für drei Jahre hat bereits erhebliches Gewicht. Überdies kann diese Befristung nicht damit gleichgesetzt werden, dass nach ihrem Ablauf die Fläche tatsächlich der plangemäßen Nutzung zur Verfügung stünde.

bb) Ist die Befreiung nach § 246 Abs. 12 BauGB mit dem öffentlichen Belang, dass die Grundzüge der Planung nicht verletzt werden dürfen, nicht vereinbar, ist sie ausgeschlossen. Andere, gegebenenfalls für die Befreiung sprechende Belange sind insoweit nicht geeignet, die Verletzung der Grundzüge der Planung im Wege einer Gesamtabwägung zu kompensieren (vgl. Roeser, in: Berliner Kommentar BauGB, 3. Aufl. 2002, 7. EL., Stand: 9/2006, § 31, Rn. 18; Dürr, in: Brügelmann, BauGB, 75. EL., Stand: 7/2010, § 31, Rn. 54). Auch dies ist Ausdruck der zu unterscheidenden Befugnisse der Baugenehmigungsbehörde einerseits (zur Einzelfallregelung in Umsetzung des Bebauungsplans) und des Plangebers andererseits (zur umfassenden Gestaltung der städtebaulichen Entwicklung). Die auf die seinerzeitige Normfassung bezogenen Erläuterungen des Bundesverwaltungsgerichts hierzu (Urteil vom 9.6.1978, IV C 54.75, BVerwGE 56, 71) gelten in der Sache unverändert:

„Eine Befreiung, mit der einem bestimmten öffentlichen Interesse Rechnung getragen werden soll, verbietet sich, wenn dadurch die geordnete städtebauliche Entwicklung beeinträchtigt würde. In Fällen dieser Art bedarf es eines Ausgleichs zwischen einander widerstreitenden – häufig zum Teil bodenrechtlich, zum anderen Teil nicht-bodenrechtlichen – Gemeininteressen. Ein solcher Ausgleich bedarf gleichsam der Einbettung in die gesamte Interessenlage. Die Befreiung ist nicht das geeignete und deshalb auch nicht das zugelassene Mittel, dies zu erreichen. Steht der Befreiung ein bodenrechtlicher Belang in beachtlicher Weise entgegen, so vermag sich gegen ihn weder der atypische – obschon vielleicht gewichtige – Gemeinwohlgrund durchzusetzen, noch ist eine „Kompensation“ (Saldierung) aller betroffenen, für und gegen das Vorhaben sprechenden Belange möglich. Für eine Kompensation oder Saldierung der öffentlichen Belange im Sinne einer Bevorzugung des einen Belanges unter Zurücksetzung anderer Belange läßt das Gesetz bei der Anwendung des § 31 Abs 2 BBauG so wenig Raum wie bei der Anwendung des § 35 BBauG (vgl Urteil vom 16. Februar 1973 – BVerwG IV C 61.70 – BVerwGE 42, 8 (15/16)) und des § 34 BBauG (Urteil vom 26. Mai 1978 – BVerwG 4 C 9.76 -). Eine solche Saldierung widerstreitender Belange würde eine Abwägung im Sinne des § 1 Abs 7 BBauG 1976 voraussetzen. Eine derartige Abwägung ist gekennzeichnet durch die Gewichtung der einzelnen Belange und durch ihren – zur Gewichtigkeit der einzelnen Belange nicht außer Verhältnis stehenden – Ausgleich (Urteil vom 5. Juli 1974 – BVerwG IV C 50.72 – aaO (S 314ff) unter Hinweis auf das Urteil vom 12. Dezember 1969 – BVerwG IV C 105.66 – BVerwGE 34, 301). Sie erfordert notwendig den Einsatz einer spezifisch planerischen Gestaltungsfreiheit (vgl insbesondere Urteil vom 12. Dezember 1969 aaO S 309f). Eine derartige „planerische“ Abwägung kann nach dem System des Bundesbaugesetzes nicht im Zuge einer von der Baugenehmigungsbehörde auszusprechenden Befreiung vorgenommen werden.“

II.

Die erteilte Baugenehmigung regelt die Errichtung und den Betrieb der Einrichtung mit einer Belegung mit 252 Personen in einer Weise, dass eigene Rechte der Antragsteller zu 5) bis 7) nicht verletzt werden. Weder können die Antragsteller zu 5) bis 7) einen Gebietserhaltungsanspruch bzw. Gebietsprägungserhaltungsanspruch geltend machen (hierzu unter 1.), noch verstößt die Baugenehmigung in Bezug auf die Antragsteller zu 5) bis 7) gegen das Rücksichtnahmegebot (hierzu unter 2.).

1. Die Verletzung eines Gebietserhaltungsanspruchs der Antragsteller zu 5) bis 7) scheitert bereits daran, dass die im Eigentum dieser Antragsteller stehenden Grundstücke nicht in demselben Baugebiet wie das Vorhabengrundstück belegen sind, sondern in dem Geltungsbereich eines anderen Plans, nämlich des Baustufenplans Lemsahl-Mellingstedt (vgl.o.).

Auch für das Bestehen eines sogenannten gebietsübergreifenden Gebietserhaltungsanspruchs der Antragsteller zu 5) bis 7) ist nichts erkennbar. Einem außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs eines Bebauungsplans, in welchem das umstrittene Vorhaben verwirklicht werden soll, ansässigen Nachbarn kommt im Grundsatz kraft Bundesrechts kein Gebietserhaltungsanspruch zu, da das „planungsrechtliche Austauschverhältnis“ begriffsnotwendig nur für die im Planungsverband zusammengeschlossenen Grundeigentümer in Frage kommt (BVerwG, Beschluss vom 18.12.2007, 4 B 55/07, juris, Leitsatz 1). Das gilt auch für unmittelbar angrenzende, in einem anderen Bebauungsplangebiet liegende Grundstücke; wenn – wie vorliegend – zwischen den am Nachbarstreit beteiligten Grundstücken die Grenze der Bebauungspläne verläuft, steht dem außerhalb des Bebauungsplanes Ansässigen bundesrechtlich allenfalls der Schutz aus dem Rücksichtnahmegebot zu (so ausdr. Siegmund, in: Spannowsky/Uechtritz, BeckOK BauGB, 31. Ed., Stand: 10/2015, § 31, Rn. 78). Ein gebietsübergreifender Schutz eines Nachbarn vor gebietsfremden Nutzungen wäre m.a.W. nicht bundesrechtlich vorgegeben, sondern müsste durch den Bebauungsplan, der für das Vorhabengrundstück gilt, begründet werden. Dies setzt den erkennbaren Willen des Plangebers voraus, dass Gebietsausweisungen in einem Bebauungsplan auch dem Schutz der jenseits der Gebietsgrenze liegenden benachbarten Bebauung dienen sollen (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 13.9.2013, 9 E 3452/13, juris, Leitsatz 1 und Rn. 16; BVerwG, Urteil vom 14.12.1973, IV C 71.71, juris, Rn. 28; OVG Koblenz, Beschluss vom 2.7.2013, 1 B 10480/13, juris, Rn. 9). Dies ist vorliegend hinsichtlich der Festsetzungen des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 zur Art der baulichen Nutzung in Bezug auf die Grundstücke der Antragsteller zu 5) bis 7) nicht anzunehmen. Anlass der Festsetzung der Art der baulichen Nutzung des Plangebiets – insbesondere des jetzigen Vorhabengrundstücks – als reines Wohngebiet war – wie ausgeführt – die von dem Plangeber beabsichtigte Schaffung zusätzlichen Wohnraums insbesondere für Familien mit sichergestellter entsprechender Wohnruhe (vgl. S. 24 der Planbegründung). Der Umstand, dass auch südlich des XY, dem Baustufenplan entsprechend, reine Wohnnutzung den Bestand prägt, hat den Plangeber des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 zwar in seiner auf den Schutz von Wohnruhe und aufgelockerter Bebauung zielenden Konzeption bestätigt (bzw. diese mit begründet), ihn jedoch nicht erkennbar dazu bewegt, die Schutzwirkung der „WR“-Ausweisung auch auf die Flächen jenseits der Plangebietsgrenzen auszuweiten. Die Planbegründung spricht insofern zwar auch von einem Planungsziel, eine für die angrenzende Wohnnutzung verträgliche Nutzung zu gewährleisten (S. 24 der Planbegründung). Hieraus folgt aber nicht, dass – über allgemein städtebauliche Erwägungen hinaus (vgl. auch § 50 BImSchG) – die Eigentümer dort belegener Grundstücke auch einen Anspruch auf Einhaltung des Gebietscharakters der Planflächen als reines Wohngebiet erhalten sollten. Schon objektiv-rechtlich wäre im Übrigen insoweit u.a. ein Nebeneinander von reinem und allgemeinem Wohngebiet zulässig, d.h. würde die genannten Anforderungen erfüllen.

Ebenso wenig steht den Antragstellern zu 5) bis 7) der sog. Gebietsprägungserhaltungsanspruch i.S.d. § 15 Abs.1 Satz 1 BauNVO zu. Auch dieser Anspruch kann lediglich von Nachbarn geltend gemacht werden, deren Grundstücke in demselben Plangebiet belegen sind wie das Vorhabengrundstück (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 118. EL., Stand: 8/2015, § 15 BauNVO, Rn. 37 unter Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 18.12.2007, 4 B 55/07, juris, Leitsatz 1).

2. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist in Bezug auf das genehmigte, eine Belegung mit 252 Personen betreffende Vorhaben nicht von einer Verletzung des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots zulasten der Antragsteller zu 5) bis 7) auszugehen.

Allgemeine, einheitliche Maßstäbe für die gebotene Rücksichtnahme bestehen nicht; welche konkreten Anforderungen sich aus dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme ergeben, hängt wesentlich von den Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Nachbarn ist, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen; je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht der Bauherr Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist m.a.W. darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.11.2004, 4 C 1/04, juris; Urteil vom 25.1.2007, 4 C 1/06, BVerwGE 128, 118 ff.). Die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist, sind gegeneinander abzuwägen. Feste Regeln lassen sich dabei nicht aufstellen; erforderlich ist vielmehr eine Gesamtschau, insbesondere der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen. Für die Bewertung der widerstreitenden Belange im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung ist auch zu berücksichtigen, dass im Falle eines planwidrigen und daher einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 bzw. § 246 Abs. 12 BauGB bedürftigen Vorhabens den Belangen des Vorhabenträgers tendenziell ein geringeres Gewicht beizumessen ist als bei der Beurteilung eines plankonformen Vorhabens (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 28.7.2009, 2 Bs 67/09, juris m.w.N.). Insoweit kommt es auf eine Drittschutzwirkung der fraglichen Planfestsetzung nicht an und ist vorliegend im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, dass die geplante Unterkunft insbesondere der Festsetzung des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 hinsichtlich der auf der Vorhabenfläche zulässigen Nutzungsart widerspricht.

Auch vor diesem Hintergrund ist indes im Falle einer Umsetzung der streitgegenständlichen Baugenehmigung nicht von einer unzumutbaren Belastung der Antragsteller zu 5) bis 7) auszugehen und zwar – im maßgeblichen Betrachtungsrahmen (dazu a) – weder im Hinblick auf die von ihnen geltend gemachte Lärmbelästigung (hierzu unter b) noch im Hinblick auf die geltend gemachten Verkehrsauswirkungen bzw. sonstige Unruhe (hierzu unter c) oder aufgrund einer Gesamtabwägung sämtlicher zu berücksichtigender Aspekte (hierzu unter d).

a) Dem Vortrag der Antragsteller, die Rücksichtslosigkeit ergebe sich auch aus einer Minderung des Marktwertes ihrer Grundstücke aufgrund des Vorhabens, ist dabei nicht näher nachzugehen. Nach ständiger Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. etwa Urteil vom 6.5.2015, 2 Bf 2/12) und des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 11.1.1999, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 159) bezieht sich der bauplanungsrechtliche Abwehranspruch aufgrund von Rücksichtslosigkeit im Rechtssinne maßgeblich auf Nutzungsstörungen. Wertminderungen als Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten Baugenehmigung bilden demgegenüber für sich genommen keinen Maßstab dafür, ob Beeinträchtigungen im Sinn des Rücksichtnahmegebots zumutbar sind oder nicht.

Soweit die Antragsteller ihren Vortrag auf die Erwartung beziehen, dass sie durch eine Mitnutzung der südlich der Straße XY und nordwestlich der Straße XYZ belegenen großen Freifläche (Flurstück 2385) durch Personen aus der geplanten Anlage gestört werden, ist nicht dargelegt, weshalb dies derzeit in die Betrachtung der Rücksichtslosigkeit der Baugenehmigung einzustellen wäre. Eine Nutzung dieser Fläche wird durch die streitgegenständliche Baugenehmigung weder vorgesehen noch legalisiert. Sie ist auch nicht in anderer Weise der geplanten Einrichtung erkennbar zugeordnet. Solange es sich um eine bloße Grünfläche handelt, die zudem nicht frei zugänglich ist, ist auch eine faktische Zuordnung nicht anzunehmen. Sollte die Antragsgegnerin hier eine Sportanlage einrichten, so wären deren Betriebsbedingungen gesondert zu regeln.

Nicht zu folgen ist schließlich dem Ansatz der Antragsteller, im Wesentlichen auf Auswirkungen einer kapazitätsausschöpfenden Nutzung der Anlage abzustellen. Im vorliegenden Rechtsstreit ist nicht bereits über die von ihnen geltend gemachte Rücksichtslosigkeit einer Anlagennutzung durch 952 Personen zu befinden. Insoweit hat die Antragsgegnerin zutreffend darauf hingewiesen, dass schon der Baugenehmigungsbescheid (unter 4., Seite 4 oben) die Beschränkung seiner Regelungswirkung mit dem Hinweis unmissverständlich klarstellt, dass es für eine Nutzung der Einrichtung mit mehr als 252 Personen eines gesonderten Genehmigungsverfahrens bedürfte.

b) Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass mit der genehmigten Anlage in ihrer konkreten Form eine unzumutbare Lärmbelastung der Antragsteller verbunden wäre, sind nicht erkennbar. Die Schwelle der Rücksichtslosigkeit im bauplanungsrechtlichen Sinne überschreiten Lärmimmissionen (erst) dann, wenn sie das Maß schädlicher Umwelteinwirkungen im Sinne von §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 BImSchG erreicht haben. Es ist nicht davon auszugehen, dass der Betrieb der Einrichtung mit 252 Personen dies zur Folge haben wird. Vielmehr trifft die Baugenehmigung insoweit eine sachgerechte Regelung zur Konfliktbewältigung (aa), die auch in Bezug auf die Antragsteller zu 5) bis 7) zu beachten ist (bb) und deren Umsetzbarkeit im Betrieb der Einrichtung möglich erscheint (cc).

aa) Die Baugenehmigung sieht eine Immissionsbegrenzung vor, mit der eine rücksichtslose Lärmbelastung der Nachbargrundstücke vermieden wird. Ausweislich der Auflagen unter Nr. 8 der streitgegenständlichen Baugenehmigung soll insbesondere die Beurteilung der von der umstrittenen Anlage einschließlich aller Nebenanlagen erzeugten Geräusche nach der TA Lärm erfolgen und werden für die im reinen Wohngebiet verursachten Geräuschimmissionen die Immissionsrichtwerte nach Nr. 6 Abs. 1 Buchst. e TA Lärm für reine Wohngebiete als Grenzwerte festgelegt. Zusätzlich hierzu müssen Verdichter von Klima- und Kühlaggregaten so im Gebäude untergebracht sein, dass der Schall nicht ungedämmt nach außen dringt. Gefordert wird schließlich, dass die Geräuschentwicklung der Kantine einschließlich ihres Zu- und Abfahrtsverkehrs nicht zu einer unzulässigen Lärmbelästigung führen darf.

Die Baugenehmigung leistet damit die gebotene Konfliktbewältigung; sie schließt die Regelungslücke hinsichtlich der Bestimmung des Maßes schädlicher Umwelteinwirkungen, die immissionsschutzrechtlich zunächst dadurch besteht, dass die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) nach ihrer Nr. 1 Abs. 2 Buchst. h auf Anlagen für soziale Zwecke nicht (unmittelbar) anwendbar ist. Insbesondere dadurch, dass die Baugenehmigung das Vorhaben in Bezug auf die Nachbarschaft auf die Einhaltung derjenigen Grenzwerte verpflichtet, die bei unmittelbarer Anwendung der TA Lärm gemäß deren Nr. 6 Abs. 1 Buchst. e) in reinen Wohngebieten als Richtwert das Maß für den Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen vorgeben, wird das Rücksichtnahmegebot gegenüber den Nachbarn gewahrt.

bb) Mit den Bestimmungen zum Lärmschutz wird auch auf die Antragsteller zu 5) bis 7) Rücksicht genommen. Auch sie werden von der Bestimmung erfasst, dass für die im reinen Wohngebiet verursachten Geräuschimmissionen die genannten Grenzwerte einzuhalten sind. Zwar sind ihre Grundstücke nicht durch einen Bebauungsplan mit „WR“ ausgewiesen, sondern durch den Baustufenplan mit „W 1o“, allerdings ergänzt durch weitere Einschränkungen zu Lasten möglicherweise störender Nutzungen als „besonders geschützt“. Die Auflage ist vor diesem Hintergrund dahin zu verstehen, dass es auf die materielle bauplanungsrechtliche Situation ankommt und nicht auf die formale Ausweisung, welche ansonsten mit „WR“ zu bezeichnen gewesen wäre. In der bauplanungsrechtlich materiellen Bewertung sind die Grundstücke der Antragsteller zu 5) bis 7) wegen der Bestimmungen zu ihrem besonderen Schutz in dem Baustufenplan als im Sinne der Immissionsschutzauflage in einem „reinen Wohngebiet“ belegen zu verstehen. Dies ergibt sich aus der gebotenen und in der Praxis der Antragsgegnerin auch üblichen Parallelwertung zwischen der Systematik der Baupolizeiverordnung und derjenigen der Baunutzungsverordnung (vgl. u.a. OVG Hamburg, Beschluss vom 28.11.2012, 2 Bs 210/12, NVwZ-RR 2013, 352).

cc) Die Bestimmungen zum Immissionsschutz erscheinen auch zur Konfliktbewältigung geeignet; ihre Einhaltung dürfte möglich sein.

Nach dem Grundriss der Gesamtanlage, der vermittels des einbezogenen Lageplans (Vorlage Nr. 7/21) Gegenstand der Baugenehmigung ist, sind die einzelnen Baulichkeiten sowie die für den Aufenthalt erheblichen Außenflächen so angeordnet, dass Lärmquellen sich im Wesentlichen in erheblichem Abstand zu den Grundstücken der Antragsteller zu 5) bis 7) befinden: So sind die Gebäude, die zur Unterbringung von Personen genutzt werden, um die Gebäude herum angeordnet, in welchen Nutzungen wie Kantine, Schule oder Kindertagesstätte stattfinden sollen. Die Unterbringungsgebäude stehen dabei in einem Winkel von ca. 45° zur Straße XY. Hierdurch ergibt sich innerhalb des Ringes aus Unterbringungsgebäuden im mittleren Teil des Vorhabengrundstücks eine insbesondere zur Straße XY hin durch die Unterbringungsgebäude abgeschirmte Fläche. Zumal auf dieser Fläche auch die für das soziale Leben der Bewohner wichtigen Gebäude aufgestellt werden (Kantine, Schule, Kindertagesstätte), ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass auch die im Freien stattfindenden Aktivitäten der Bewohner in der wärmeren Jahreszeit sich vor allem auf diese Fläche innerhalb der Einrichtung konzentrieren werden. Dass nennenswert laute Aktivitäten auch auf den Flächen zwischen den Unterbringungsgebäuden und der Zaunanlage zu der Straße XY stattfinden werden, erscheint demgegenüber wenig wahrscheinlich, da diese Flächen vergleichsweise klein sind. Lautstarke Aktivitäten, die auf der – von den Grundstücken der Antragsteller jeweils gut 100 m entfernten – Fläche im Inneren der Einrichtung stattfinden, werden dabei außerdem nicht nur durch die Unterbringungsgebäude zur Straße XY und damit zu den Grundstücken der Antragsteller zu 5) bis 7) hin abgeschirmt, sondern auch durch den zwischen den Gebäuden und der Straße XY befindlichen Grünstreifen, welcher ca. 20 m breit und dicht mit Bäumen bestanden ist und lediglich durch die vergleichsweise schmale Zufahrt zum Einrichtungsgelände unterbrochen wird.

Unter Beachtung der Weitläufigkeit des Geländes sowie der geringen Belegungsdichte bei Nutzung mit 252 Personen ist vorliegend der Frage nicht weiter nachzugehen, ob durch die Baugenehmigung die zur Wahrung der Lärmgrenzwerte erforderlichen Modalitäten der Nutzung auch durch die Untergebrachten selbst hinreichend gesichert sind. Zwar ergibt sich aus der in dem Verfahren 7 E 6128/15 von der Antragsgegnerin informatorisch vorgelegten Hausordnung, die der künftige Betreiber verwenden wolle, dass die Einhaltung der Nachtruhe eingefordert werden soll. Diese Hausordnung ist jedoch weder in die Baugenehmigung einbezogen worden noch scheint – bei Betriebszeiten des allgemeinen Personals von 7:00 bis 16:00 Uhr und einer Besetzung des Wachtdienstes mit lediglich vier Personen (vgl. Nutzungsbeschreibung, Vorlage Nr. 7/20) – ihre Einhaltung strukturell abgesichert.

Insbesondere für das nahe der Einfahrt zu der Anlage gelegene Grundstück der Antragstellerin zu 7) bleibt allerdings der Lärm durch Ziel- und Quellverkehr mit Kraftfahrzeugen von Bedeutung. Im Tagesbetrieb der Einrichtung für 252 Personen dürfte es insoweit möglich sein, den Immissionsgrenzwert einzuhalten, zumal zu erwarten ist, dass einer im Vergleich zu einer plangemäßen Bebauung des Flurstücks möglicherweise erhöhten Belastung durch Lieferfahrzeuge eine geringere Belastung durch Individualverkehr gegenübersteht. Für Randzeiten trifft die Baugenehmigung die gebotene Vorsorge im Hinblick darauf, dass die Betriebsabläufe bzw. -zeiten nur teilweise über die Nutzungsbeschreibung (Vorlage Nr. 7/20) definiert sind: So ist gemäß Auflage Nr. 8 die Einhaltung der Lärmgrenzwerte mittels schalltechnischer Untersuchung nachzuweisen, wenn die Anliefer- oder Betriebszeit der Kantine in die Nachtzeit (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr, vgl. Nr. 6.4 Abs. 1 TA Lärm) fallen soll.

c) Die – neben der Lärmproblematik – geltend gemachten weiteren Verkehrsauswirkungen bzw. die angeführte sonstige „Unruhe“ begründen ebenfalls nicht die Annahme, die Antragsteller zu 5) bis 7) würden durch das genehmigte Vorhaben in ihren Belangen übermäßig betroffen.

Im Hinblick auf eine mögliche Verschlechterung der Stellplatzsituation ist nicht von einer Unzumutbarkeit der Einrichtung im Sinne eines Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot zulasten der Antragsteller zu 5) bis 7) auszugehen. Zwar kann im Einzelfall die Genehmigung eines Vorhabens ohne die erforderlichen Stellplätze gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen; dies kommt allerdings nur dann näher in Betracht, wenn der Mangel an Stellplätzen zu Beeinträchtigungen führt, die den Nachbarn – auch unter Berücksichtigung einer Vorbelastung ihrer Grundstücke – bei Abwägung aller Umstände unzumutbar sind (OVG Schleswig, Beschluss vom 8.12.2014, 8 B 37/14, juris, Leitsatz 4, Rn. 23; vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 12.5.2003, 9 TG 2037/02, juris; OVG Bremen, Beschluss vom 18.10.2002, 1 B 315/02, BauR 2003, 509; OVG Münster, Urteil vom 10.07.1998, 11 A 7238/95, NVwZ-RR 1999, 365). Hiervon ist für die Grundstücke der Antragsteller zu 5) bis 7) vorliegend nicht auszugehen. Eine Verschlechterung der Situation dahingehend, dass sie selbst keine Möglichkeit mehr hätten, in ihrem Eigentum stehende Fahrzeuge in zumutbarer Weise abzustellen, ist nicht zu befürchten. Bei den Grundstücken der Antragsteller zu 5) bis 7) handelt es sich nach Auswertung des zugänglichen Luftbildmaterials um Einfamilienhausgrundstücke mit auf den Grundstücken befindlichen eigenen Stellplätzen, die bei Inbetriebnahme der Einrichtung weiter genutzt werden könnten. Auch eine sonstige, den Antragstellern zu 5) bis 7) unzumutbare Inanspruchnahme des öffentlichen Straßenraums aufgrund einer Überzahl dort abgestellter, dem Betrieb der geplanten Einrichtung zurechenbarer Fahrzeuge ist nicht zu befürchten. Da die Anlage ausweislich der streitgegenständlichen Baugenehmigung über 14 ausgewiesene Stellplätze verfügen soll (Vorlage Nr. 7/21) und zudem weitläufig genug ist, um Fläche für weitere Abstellbedarfe zu bieten, zeichnet sich eine in dem Betrieb der Einrichtung angelegte Überlastung des Straßenraums im XY nicht ab. Das gilt sowohl für die Parkbedarfe des regelhaft auf dem Gelände tätigen Personals (des Betreuers, des Caterers sowie des Wachdienstes) wie auch den unmittelbar mit den Nutzern zusammenhängenden Kraftfahrzeugverkehr (im Wesentlichen Busse bzw. Kleinbusse) bzw. sonstiger Besucher (insbesondere Handwerker, Lieferanten). Dabei ist zu erwarten, dass Anlieferungs- oder Abholungsvorgänge nicht auf der Straße XY stattfinden, sondern auf dem Gelände der Einrichtung selbst. Die Fahrer von Lieferanten- oder Entsorgungsfahrzeugen werden schon aufgrund der Verkürzung von Tragewegen ein erhebliches Interesse daran haben, mit ihren Fahrzeugen auf das Gelände der Einrichtung zu fahren und nicht auf der Straße davor halten zu müssen. Die Nutzer der Erstaufnahmeeinrichtung selbst werden, möglicherweise im Unterschied zu Nutzern von Folgeunterkünften, in aller Regel nicht über Kraftfahrzeuge verfügen. Schließlich werden auch Busse, die eine größere Anzahl Bewohner zur Einrichtung transportieren oder diese dort abholen, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht längerfristig vor der Einrichtung parken, sondern nach Möglichkeit auf das Gelände der Einrichtung fahren.

Dieser Einschätzung steht auch die von den Antragstellern in diesem Zusammenhang in Bezug genommene Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts sowie des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht entgegen. Weder hat das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (in dem Beschluss vom 28.5.2015, 2 Bs 23/15, juris, Rn. 43) einen für Erstaufnahmeeinrichtungen in Hamburg maßgeblichen Stellplatzschlüssel dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vom 13.9.2012, 2 B 12.109, juris) entnommen, noch wird mit jenem Urteil zu einer Erstaufnahmeeinrichtung eine Aussage zugunsten eines strikten Stellplatzschlüssels für Anlagen zur Unterbringung von Asylbewerbern von einem Stellplatz pro zehn Betten getroffen. Erkennbar ist dort nur, dass bei einem solchen Schlüssel nicht von einer Überbelegung der Einrichtung auszugehen sein soll (VGH München, aaO., Rn. 42).

Aus der Fachanweisung „Notwendige Stellplätze und notwendige Fahrradplätze“ vom 21.1.2013 sowie der Anlage 1 hierzu folgt nichts anderes. Gemäß Nr. 1.6 der Anlage 1 ist zwar für Heime und sonstige Einrichtungen zur Unterbringung oder Pflege von Personen (z.B. sozialtherapeutische Einrichtungen) je zehn Betten ein Stellplatz vorzuhalten. Schon allgemein ergibt sich hieraus aber nicht, dass eine Unterschreitung dieses Schlüssels stets und ohne weitere Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles zu einer unzumutbaren Situation für benachbarte Grundstücke im Sinne einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots führen müsste. Die tatsächlichen Gegebenheiten des hier zu betrachtenden Falles lassen – wie ausgeführt – nicht auf eine unzumutbare Belastung der Antragsteller zu 5) bis 7) durch eine Verschlechterung der Stellplatzsituation schließen. Ohnehin ist nicht erkennbar, dass eine Anwendung von Nr. 1.6 der Anlage 1 zur Fachanweisung vom 21.1.2013 für Einrichtungen wie die hier in Rede stehende der sonstigen Praxis der Antragsgegnerin entsprechen würde bzw. überhaupt sachgerecht wäre, da hinsichtlich der Verkehrsverhältnisse wesentliche Unterschiede bestehen dürften. Unter dem Begriff „Heim“ werden schon dem allgemeinen Sprachgebrauch nach vorrangig personalintensive Einrichtungen zur Pflege unterstützungsbedürftiger Personen verstanden, worauf auch die beispielhafte Nennung sozialtherapeutischer Einrichtungen in Nr. 1.6 der Anlage 1 schließen lässt. So definiert auch § 1 HeimG den Begriff „Heim“ als Einrichtung, die dem Zweck dient, ältere Menschen oder pflegebedürftige oder behinderte Volljährige u.a. aufzunehmen. Beschrieben werden damit Einrichtungen, mit denen regelhaft erhebliche Stellplatzbedarfe sowohl für das Personal wie auch für Besucher verbunden sind. Für Erstaufnahmeeinrichtungen kommt demgegenüber kaum Besucherverkehr in Betracht; der Personalschlüssel dürfte zudem deutlich geringer als bei einem Heim sein.

Die anzunehmenden tatsächlichen Gegebenheiten lassen nicht auf eine Unzumutbarkeit der Verkehrsbelastungen schließen. Insbesondere ist nicht davon auszugehen, dass gewerblicher Verkehr zeitlich außerhalb des allgemein üblichen Rahmens stattfindet. Das gilt für Versorgungstransporte wie für die Fahrten von Dienstleistern. Auch der Transport von Bewohnern zur bzw. von der Einrichtung wird sich aller Voraussicht nach auf wenige Fahrten am Tag beschränken. Neue Bewohner werden in der Regel nicht einzeln zu den Einrichtungen transportiert, denen sie zugewiesen sind, sondern durch Sammeltransporte mit Bussen, welche – schon mit Rücksicht auf die Lärmschutzverpflichtungen, aber auch im Hinblick auf die Dienstzeiten des Personals in den beteiligten Einrichtungen – in aller Regel tagsüber stattfinden dürften. Der Verkehr zur Abholung von Abfällen wird aufgrund der üblichen Arbeitszeiten solcher Betriebe ebenfalls vermutlich weitgehend tagsüber stattfinden und wohl insgesamt, d.h. in Bezug auf die Situation rund um den Eingangsbereich zu dem Einrichtungsgelände auch das Maß nicht wesentlich übersteigen, das bei Umsetzung des Bebauungsplans Lemsahl-Mellingstedt 19 erreicht würde. Auch in diesem Falle wäre in etwa mit einer „Belegung“ des Vorhabengrundstücks mit ca. 250 Personen zu rechnen gewesen (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 15.12.2015, 7 E 6128/15, S. 15 f.), die als Besitzer von Familienheimen ebenfalls Dienstleistungen wie Müllabfuhr, Handwerker etc. in Anspruch genommen hätten.

Soweit der Vortrag der Antragsteller zu 5) bis 7) zu der mit der Einrichtung verbundenen „Unruhe“ dahin zu verstehen ist, dass sie über die Verkehrsbelastungen hinaus weitere Formen sozialer Umfeldauswirkungen der Einrichtung von unzumutbarer Intensität für ihre Grundstücke erwarten, erscheint auch dies nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens nicht gerechtfertigt. So gilt schon grundsätzlich, dass negative soziale Umfeldauswirkungen einer bestimmten Grundstücksnutzung nur dann als unzumutbare, bodenrechtlich erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO in Betracht kommen, wenn sie zum einen mit dem bestimmungsgemäßen Betrieb einer Anlage der fraglichen Art typischerweise verbunden sind und zum anderen eine konkrete räumliche Wirkungsbeziehung zum betreffenden Nachbargrundstück aufweisen (vgl. VG Hamburg, Beschluss vom 6.11.2015, 7 E 5650/15 und Beschluss vom 19.1.2015, 7 E 5893/14 m.w.N.; VG Düsseldorf, Urteil vom 4.4.2011, 25 K 5561/10, juris).

Hinsichtlich der Grundstücke der Antragsteller zu 5) bis 7) ist nicht davon auszugehen, dass die genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Zwar weisen – im Sinne des den Antragstellern zu 5) bis 7) nicht zustehenden Gebietserhaltungsanspruchs – Einrichtungen wie die vorliegend zu betrachtende bei typisierender Betrachtung Eigenschaften auf, die eine im reinen Wohngebiet unzulässige Unruhe erzeugen können. Eine konkrete, im Sinne unzumutbarer Einwirkungen auf die Grundstücke gerade der Antragsteller zu 5) bis 7) bestehende Wirkungsbeziehung ist jedoch nach den gegenwärtig erkennbaren Umständen nicht feststellbar. Insbesondere spricht entgegen der Annahme der Antragsteller zu 5) bis 7) wenig dafür, dass die Vorgärten ihrer Grundstücke von Nutzern der Einrichtung unbefugt in Anspruch genommen werden. Die Gestaltung der Einrichtung, der Umzäunung, der Toranlage sowie die weiteren Gegebenheiten in der Straße XY und Umgebung sind insbesondere nicht darauf angelegt, dass sich vor der Anlage erhebliche, gar die Zugänglichkeit der antragstellerischen Grundstücke einschränkenden Menschenansammlungen bilden würden. Wesentlicher Aufenthaltsraum ist vielmehr das Einrichtungsgelände selbst und der Ziel- und Quellverkehr von Fußgängern dürfte sich auf den kürzesten WEG zu den Bushaltestellen an der Lemsahler Landstraße konzentrieren.

d) Eine Gesamtbetrachtung der verschiedenen von den Antragstellern geltend gemachten, vorangehend jeweils für sich gewürdigten Beeinträchtigungen führt zu keinem anderen Ergebnis; auch in der Gesamtgewichtung sind die absehbaren Auswirkungen des genehmigten Vorhabens nicht als unzumutbar zu bewerten. Dementsprechend bedarf es hier auch keiner näheren Erörterung, ob, den Rücksichtnahmeanspruch der Nachbarn mindernd, in die Belange des Bauherrn abstrakt das öffentliche Interesse an einer weiteren Einrichtung zur Erstaufnahme von Asylbewerbern und Flüchtlingen iSv. § 44 AsylG einzustellen oder die Erforderlichkeit einer Neuerrichtung in dem konkreten tatsächlichen und rechtlichen Rahmen der Antragsgegnerin näher zu prüfen wäre.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 VwGO i.V.m. § 100 ZPO und berücksichtigt, dass nur die Antragsteller zu 1) bis 4) mit ihrem Antrag Erfolg haben.

D.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG und folgt der Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts zu der Bewertung baunachbarrechtlicher Rechtsschutzanliegen.

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (6)

Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (6):

VG Augsburg: Erfolgreiche Nachbarklage – Fehlende Bestimmtheit einer Baugenehmigung zur Nutzungsänderung eines Sozialgebäudes in eine Flüchtlingsunterkunft und einen Jugendtreffpunkt

VG Augsburg:  Urteil vom 26.10.2017 – Au 5 K 16.1303

Tatbestand


Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Nutzungsänderung und Umbau eines Sozialgebäudes zu einer Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Asylbewerber sowie für einen Sozialdienst im Erdgeschoss (EG) und Kellergeschoss (KG).

Die Klägerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft des nordwestlich an das beabsichtigte Baugrundstück angrenzenden Grundstücks Fl.Nr. * der Gemarkung … (…). Die Wohnungseigentümergemeinschaft besteht laut einem Auszug aus dem Liegenschaftskataster vom 18. November 2015 aus 65 Wohnungseigentümern. Auf dem Grundstück Fl.Nr. * der Gemarkung … befinden sich die Wohnanlagen der Klägerin, die aus zwei Gebäuden bestehen, die ohne seitliche Abstände unmittelbar aneinandergebaut sind.

Der Beigeladene ist Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. * der Gemarkung … (…), welches südlich an das Grundstück der Klägerin angrenzt. Auf diesem Grundstück befindet sich ein ca. 25 m bis 30 m langes und 10 m breites Sozialgebäude, das derzeit leer steht, sowie ein deutlich kleineres Nebengebäude (ca. 2 m x 6 m) am nördlichen Rand des Baugrundstücks.

Für die streitgegenständlichen Grundstücke bestehen keine planungsrechtlichen Festsetzungen. Sie liegen innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles der Beklagten. Östlich der Baugrundstücke verläuft die … Auf der den vorbezeichneten Grundstücken gegenüberliegenden Seite befinden sich nahezu ausschließlich Ein- bzw. bis zu achtstöckige Mehrfamilienhäuser.

Südlich des Baugrundstücks befinden sich die Grundstücke des … Beim … handelt es sich um ein ehemaliges Bahnbetriebswerk, welches nicht mehr als solches betrieben wird. Es befinden sich vereinzelte weitere Gebäude, die ehemals als Werkstätten, Verwaltungsgebäude und Unterkünfte für das Eisenbahnpersonal dienten. Der … wird derzeit als … genutzt und befindet sich noch weitgehend im Aufbau.

Die südlich an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücke mit den Fl.Nrn., … und … unterfallen sämtlich dem eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsvorbehalt. Auch das streitgegenständliche Baugrundstück unterfiel ursprünglich dem eisenbahnrechtlichen Planfeststellungsvorbehalt. Mit Freistellungsbescheid des Eisenbahn-Bundesamtes vom 10. Februar 2015 wurde es von Bahnbetriebszwecken freigestellt.

Mit Formblatt vom 18. Dezember 2015 beantragte der Beigeladene bei der Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für die Nutzungsänderung und Umbau eines Sozialgebäudes zu einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber sowie Räumen für einen Sozialdienst im EG und KG auf dem Grundstück Fl.Nr. * der Gemarkung … In einer Nutzungs- und Betriebsbeschreibung vom 10. Februar 2016 ist ausgeführt, dass das konkrete Vorhaben im Erdgeschoss und in beiden Obergeschossen die Eröffnung einer Gemeinschaftsunterkunft für bis zu 68 Asylbewerber, aufgeteilt auf 30 Zimmer, umfassen solle. Zudem sei im Erdgeschoss sowie im Kellergeschoss ein zugehöriger Sozialdienst samt zweier Büros geplant. Weiter wurde angegeben, dass in den Räumen des Sozialdienstes neben Verwaltungstätigkeiten persönliche Beratungsgespräche mit den Bewohnern stattfinden sollten, um diese zu unterstützen.

Mit Stellungnahme vom 17. März 2016 führte das Amt für Kinder, Jugend und Familie der Beklagten ergänzend aus, dass im streitgegenständlichen Gebäude ein Jugendtreffpunkt eingerichtet werden solle. Die Öffnungszeiten seien täglich von 16.00 Uhr bis 21.00 Uhr. Gewünscht sei auch eine Öffnung an Samstagen und Sonntagen. Weiter seien gelegentliche Veranstaltungen geplant, die auch bis 23.00 Uhr dauern könnten. Die Anzahl der Nutzer liege täglich bei ca. 50, bei Veranstaltungen bis 150. Mit Schreiben vom 19. Mai 2016 ergänzte das Amt für Kinder, Jugend und Familie das Vorbringen dahingehend, dass maximal acht Abendveranstaltungen im Jahr geplant seien. Die Art der Veranstaltung könne noch nicht näher bezeichnet werden. Aus Erfahrung mit anderen Jugendhäusern sei aber davon auszugehen, dass es sich um Poetry Slams oder Lesungen handeln werde. Kommerzielle Veranstaltungen seien ausgeschlossen.

Das im Baugenehmigungsverfahren angehörte Umweltamt Immissionsschutz der Beklagten führte mit Stellungnahme vom 3. Februar 2016 aus, dass keine Einwände gegen die Nutzungsänderung bestünden.

Die Klägerin hat die Baupläne des Beigeladenen nicht unterzeichnet.

Mit Bescheid der Beklagten vom 11. August 2016 (Gz.: …) wurde das Bauvorhaben des Beigeladenen nach Maßgabe des Bescheides und der beiliegenden geprüften Bauvorlagen genehmigt.

In den Gründen des Bescheids ist ausgeführt, dass das Vorhaben gemäß Art. 55 Bayerische Bauordnung (BayBO) genehmigungspflichtig sei. Es handle sich um einen Sonderbau. Unter Nr. IV „Hinweise“ ist unter A.3 ausgeführt, dass entsprechend der Antragsunterlagen in der Jugendbegegnungsstätte maximal acht Abendveranstaltungen (Veranstaltungen bis 23.00 Uhr) im Jahr geplant seien. Es würden keine kommerziellen Veranstaltungen stattfinden. Die Räumlichkeiten würden nicht im Sinne einer Vergnügungsstätte genutzt.

Auf den weiteren Inhalt des Bescheides der Beklagten vom 11. August 2016 wird ergänzend verwiesen.

Der Bescheid wurde öffentlich bekanntgemacht; der Klägerin wurde eine Ausfertigung zugestellt.

Die Klägerin hat gegen den vorbezeichneten Bescheid mit Schriftsatz vom 12. September 2016 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,

Die Baugenehmigung der Beklagten vom 11. August 2016 (Az.: …) für die Nutzungsänderung und Umbau eines Sozialgebäudes zu einer Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Asylbewerber sowie für einen Sozialdienst im EG und KG in der, Fl.Nr., Gemarkung, wird aufgehoben.

Zur Begründung der Klage ist mit Schriftsatz vom 16. November 2016 vorgetragen, dass die erteilte Baugenehmigung zu unbestimmt sei, da auf ihrer Grundlage nicht beurteilt werden könne, ob vom Vorhaben ausgehende Emissionen zu unzumutbaren (Lärm-)Immissionen in der Nachbarschaft, insbesondere auf den Grundstücken der Klägerin führen könnten. Die Baugenehmigungsbehörde sei verpflichtet, betroffene Nachbarn vor unzumutbaren Immissionen ausreichend zu schützen. Dem werde die Baugenehmigung nicht gerecht, da diese nicht die verschiedenen Nutzungs- und Betriebsbeschreibungen in Bezug nehme. Es sei bereits fraglich, ob das Schreiben des Amts für Kinder, Jugend und Familie der Beklagten den Bauantrag des Beigeladenen wirksam konkretisieren könne. Jedenfalls seien die geplanten Nutzungen nicht hinreichend konkretisiert worden. Der im Rahmen des angegriffenen Bescheids erteilte Hinweis unter Ziffer IV.A.3. bewirke keine wirksame Beschränkung der Baugenehmigung. Weiter sei das Bauvorhaben nicht gebietsverträglich. Aufgrund der dominierenden Wohnnutzung in der Umgebung sei von einem faktischen allgemeinen Wohngebiet nach § 34 Abs. 2 Baugesetzbuch (BauGB), § 4 Baunutzungsverordnung (BauNVO) auszugehen. Das Vorhaben des Beigeladenen sei nicht gebietsverträglich, da die geplante Mischnutzung als Gemeinschaftsunterkunft einerseits und als Jugendzentrum andererseits unzumutbar sei. Auch sei das Gebot der Rücksichtnahme dadurch verletzt, dass ein absehbarer Schallschutzkonflikt weder ermittelt noch bewältigt worden sei. Die Stellungnahme des Umweltamtes im Baugenehmigungsverfahren sei noch vor der Nutzungs- und Betriebsbeschreibung des Beigeladenen sowie der ergänzenden Beschreibung des Amts für Kinder, Jugend und Familie, erfolgt. Deshalb sei die Tatsachengrundlage nicht hinreichend ermittelt worden. Darüber hinaus sei die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig, weil die Eingabeplanung auch Grundstücke umfasse, die nicht förmlich von Eisenbahnbetriebszwecken freigestellt worden seien. Die Eingabeplanung umfasse Außenanlagen auf dem Grundstück mit der Fl.Nr. * sowie die wegemäßige Erschließung über die Grundstücke mit den Fl.Nrn. * und … jeweils der Gemarkung … Bahnfremde bauliche Anlagen seien auf diesen Grundstücken ausgeschlossen.

Auf den weiteren Vortrag der Klägerin im Schriftsatz vom 16. November 2016 wird ergänzend verwiesen.

Die Beklagte ist der Klage mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2017 entgegengetreten und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Drittanfechtungsklage habe keine Aussicht auf Erfolg. Der angegriffene Bescheid sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren nachbarschützenden Rechten. Die Baugenehmigung sei inhaltlich hinreichend bestimmt. Der Nachbar könne die unzureichende inhaltliche Bestimmtheit der Baugenehmigung nur dann geltend machen, soweit hierdurch nicht sichergestellt sei, dass das genehmigte Vorhaben allen dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspreche. Nach der im Verfahren vorliegenden Nutzungs- und Betriebsbeschreibung ergebe sich inhaltlich hinreichend bestimmt, in welchem Umfang die Sozialräume im EG und KG genutzt werden könnten. Nicht beantragt sei die Nutzung als Jugendbegegnungsstätte, wenn auch eine Beschreibung mit Datum vom 17. März 2016 hierfür vorliegen möge. Da eine Jugendbegegnungsstätte nicht beantragt und auch nicht genehmigt worden sei, sei unter Ziffer IV.A.3. der Baugenehmigung nur ein Hinweis aufgenommen worden. Auch sei das Bauvorhaben als gebietsverträglich zu beurteilen. Die genehmigten Nutzungen würden in jedem Fall dem vorhandenen Störpotenzial der umgebenden Nutzungen, insbesondere des angrenzenden Wohnens in Form von bis zu 8-geschossigem Geschosswohnungsbau in Form von Zeilen- und Blockrandbebauung sowie des Bahnparks entsprechen. Hierbei nicht mit einzubeziehen sei die beantragte und nicht genehmigte Nutzung als Jugendtreff, der als sozialadäquat zu beurteilen sei. Das Vorhaben füge sich hinsichtlich Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise sowie der überbaubaren Grundstückfläche gemäß § 34 Abs. 1 BauGB in die nähere Umgebung ein. Das Gebot der Rücksichtnahme sei nicht verletzt. Der Beurteilung des Umweltamtes/Abteilung Immissionsschutz liege nur die beantragte Nutzung als Gemeinschaftsunterkunft und hier zugehörigem Sozialdienst zugrunde. Das Grundstück der Beigeladenen mit der Fl.Nr. * sei mit Bescheid vom 10. Februar 2015 zum Zeitpunkt 16. März 2015 von Bahnbetriebszwecken freigestellt worden. Damit sei das Fachplanungsprivileg des § 38 BauGB entfallen und es bestünde somit wieder die Planungshoheit der Beklagten. Ein Drittschutz sei hier nicht zu erkennen. Damit sei die Baugenehmigung auch nicht objektiv rechtswidrig.

Auf den weiteren Vortrag im Klageerwiderungsschriftsatz vom 4. Oktober 2017 wird ergänzend Bezug genommen.

Die Klägerin hat auf den Schriftsatz der Beklagten mit Schreiben vom 19. Oktober 2017 repliziert und ihr Vorbringen ergänzt und vertieft. Auf den Schriftsatz der Klägerin vom 19. Oktober 2017 wird ergänzend Bezug genommen.

Mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 13. September 2016 wurde der Bauherr zum Verfahren notwendig beigeladen. Der Beigeladene hat sich im Verfahren nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.

Am 26. Oktober 2017 fand die mündliche Verhandlung statt. Für den Hergang der Sitzung wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die von der Beklagten vorgelegten Verfahrensakten verwiesen.

Gründe

Das Gericht konnte über die Klage der Klägerin verhandeln und entscheiden, ohne dass der Beigeladene an der mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2017 teilgenommen hat. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten ausweislich der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Der Beigeladene ist zur mündlichen Verhandlung form- und fristgerecht geladen worden.

Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.

1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Klägerin klagebefugt im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO. Sie kann geltend machen, möglicherweise in eigenen Rechten verletzt zu sein. Die Klägerin grenzt mit dem Grundstück Fl.Nr. * der Gemarkung … unmittelbar im Nordwesten an das vom Beigeladenen in Aussicht genommene Baugrundstück an. Eine Nachbareigenschaft der Klägerin ist zweifelsfrei gegeben.

Die Klägerin ist als Wohnungseigentümergemeinschaft auch befugt, Rechte im Klageverfahren geltend zu machen (OVG NW, U.v. 20.11.2013 – 7 A 2341/11 – BauR 2014, 225; U.v. 6.7.2012 – 2 D 27/11ZfBR 2012, 684; OVG Berlin-Bbg, B.v. 7.8.2009 – 10 A 6.07 – juris Rn. 20). Die Klägerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft nach dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG). Als solche ist sie gemäß § 61 Nr. 2 VwGO im Klageverfahren beteiligungsfähig, da § 10 Abs. 6 Satz 1 und 2 WEG einer solchen Gemeinschaft die Rechtsfähigkeit verleiht.

Die Klägerin ist auch klagebefugt. § 10 Abs. 6 Satz 3 WEG weist der Gemeinschaft nicht nur die Befugnis zur Wahrung eigener Rechte am Gemeinschaftseigentum zu, sondern auch die Ausübungsbefugnis für fremde Rechte im eigenen Namen der Gemeinschaft. Bei diesen geht es um bestimmte Rechte der einzelnen Wohnungseigentümer als Sondereigentümer. Das Gesetz geht damit über die Anerkennung der Rechtsfähigkeit hinaus und statuiert eine Ausübungsermächtigung und Prozessstandschaft des Verbands auch für individuelle Eigentümerrechte. Die Wahrnehmungskompetenz der Gemeinschaft erfasst die gemeinschaftsbezogenen Rechte der Wohnungseigentümer (§ 10 Abs. 6 Satz 3 Alt. 1 WEG) sowie die sonstigen Rechte der Wohnungseigentümer, soweit diese gemeinschaftlich geltend gemacht werden können (§ 10 Abs. 6 Satz 3 Alt. 2 WEG). Im letzteren Fall genügt es, wenn eine Ausübung durch die jeweilige Gemeinschaft für die Anspruchsdurchsetzung förderlich ist. Der Gegenstand des Anspruchs muss noch innerhalb der gemeinschaftlichen Verwaltung liegen und einen Bezug zum Verbandszweck aufweisen. Es handelt sich insoweit um Individualansprüche mit „Gemeinschaftsbezug“ (Beck OGK/Falkner, WEG, Kommentar, § 10 Rn. 466, zitiert nach beck-online).

Die Geltendmachung von Abwehransprüchen, die – wie hier – gegen ein durch eine Baugenehmigung ermöglichtes Vorhaben ausgelöst werden, können zur Ausübungsbefugnis der WEG-Gemeinschaft nach § 10 Abs. 6 Satz 3 Alt. 2 WEG gehören (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2014 – 15 CS 14.949 – juris Rn. 19). Dies ist dann der Fall, wenn die befürchteten Beeinträchtigungen der Gemeinschaft nicht nur ein einzelnes Sondereigentum betreffen und daher die Ausübung des Rechts durch die Gemeinschaft der Anspruchsdurchsetzung förderlich, wenn vielleicht auch nicht zwingend ist. Dies ist vorliegend hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten, nicht abschätzbaren Lärmbetroffenheit der genehmigten Asylbewerberunterkunft mit angeschlossenem Sozialraum der Fall. Diesbezüglich kann sich die Klägerin möglicherweise auf einen Verstoß gegen das Gebot des Einfügens nach Art der Nutzung (§ 34 Abs. 2 BauGB) bzw. auf eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme berufen (§ 34 Abs. 1 BauGB bzw. § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 BauNVO). Diesbezüglich bestehen keine Zweifel am Vorliegen einer Klagebefugnis für die Klägerin für das von ihr angestrengte Klageverfahren.

2. Die Klage ist auch begründet.

Die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 11. August 2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klägerin besitzt daher einen Anspruch auf Aufhebung der dem Beigeladenen erteilten Baugenehmigung.

Gemäß Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Die Beklagte ist bei der Erteilung der Baugenehmigung vom Vorliegen eines Sonderbaus nach Art. 2 Abs. 4 Nr. 11 BayBO ausgegangen (vgl. hierzu für Asylbewerberunterkünfte Dirnberger in Simon/Busse/Dirnberger, BayBO, Stand Mai 2017, Art. 2 Rn. 455). Bei einem Sonderbau ergibt sich der Prüfungsumfang der Bauaufsichtsbehörde aus Art. 60 BayBO.

Die Klägerin kann die Baugenehmigung mit dem Ziel ihrer Aufhebung nur dann erfolgreich angreifen, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch dem nachbarlichen Schutz dienen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Ein Rechtsanspruch auf Aufhebung einer erteilten Baugenehmigung bzw. eines Vorbescheides steht einem Nachbar nicht schon dann zu, wenn der Bauvorbescheid bzw. die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr müssen durch den Rechtsverstoß zugleich nachbarliche Rechte verletzt werden. Das ist dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt ist, ihr mithin drittschützende Wirkung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris).

Für einen Erfolg der Klage genügt es daher nicht, wenn die Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke dienen. Eine Nachbarklage kann allerdings auch dann Erfolg haben, wenn ein Vorhaben es an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22.75BVerwGE 52, 122 ff.). Demnach beschränkt sich der verwaltungsgerichtliche Prüfungsumfang auf die Frage, ob die Klägerin in nachbarschützenden Rechten verletzt ist (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.1993 – 4 C 5/93NVwZ 1994, 686; OVG RHPf, B.v. 8.2.2012 – 8 B 1001/12. OVG – BauR 2012, 931 f.).

3. Durch die streitgegenständliche Baugenehmigung wird die Klägerin in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt, da diese hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Fragen zu unbestimmt ist und daher eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist, wenn das Bauvorhaben des Beigeladenen wie genehmigt umgesetzt wird.

Hinsichtlich der Verletzung in eigenen Rechten der Klägerin bedarf es vorliegend keiner Entscheidung darüber, ob das vom Beigeladenen beabsichtigte Bauvorhaben sich innerhalb eines faktischen allgemeinen Wohngebietes gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO befindet oder ob die maßgebliche nähere Umgebung einer bloßen Gemengelage mit einem nicht der Typisierung der BauNVO entsprechendem Nebeneinander von Wohnnutzung und westlich an die Grundstücke von Klägerin und Beigeladenem angrenzender Eisenbahnnutzung entspricht.

Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung im unbeplanten Innenbereich einem Baugebiet im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 1 Abs. 2, §§ 2 ff. BauNVO, so hat der mit seinem Grundstück im selben Baugebiet gelegene Nachbar einen Schutzanspruch auf Wahrung der Gebietsart, der über das Rücksichtnahmegebot hinausgeht (vgl. BVerwG, B.v. 11.4.1996 – 4 B 51/96NVwZ-RR 1997, 463). Gemäß § 34 Abs. 2 BauGB beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem jeweiligen Baugebiet allgemein oder ausnahmsweise zulässig wäre. Bei der Bestimmung der „näheren Umgebung“ im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB ist darauf abzustellen, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die Umgebung und andererseits die Umgebung auf das Baugrundstück prägend auswirken kann. Als nähere Umgebung ist der das Baugrundstück umgebende Bereich anzusehen, soweit sich die Ausführung des Vorhabens auf ihn auswirken kann, und soweit er seinerseits den bodenrechtlichen Charakter des zur Bebauung vorgesehenen Grundstücks prägt oder doch zumindest beeinflusst.

Hingegen bleibt bei Annahme einer bloßen Gemengelage bereits begrifflich kein Raum für einen der Klägerin Drittschutz vermittelnden Gebietserhaltungs- bzw. Gebietsprägungserhaltungsanspruch.

Es bedarf aber auch keiner Entscheidung darüber, ob es sich bei der näheren Umgebung vorliegend um ein faktisches allgemeines Wohngebiet, wie von der Klägerin vorgetragen, handelt. In einem solchen wäre die vom Beigeladenen beabsichtigte zentrale Nutzung als Asylbewerberunterkunft allgemein zulässig. Eine Nutzung zur Unterbringung von Asylbewerbern ist, selbst wenn sie nicht als Wohnnutzung eingestuft werden sollte, in einem allgemeinen Wohngebiet als Anlage für soziale Zwecke gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO regelmäßig zulässig (vgl. BVerwG, B.v. 4.6.1997 – 4 C 2/96NVwZ 1998, 173). Eine Asylbewerberunterkunft ist somit auch in einem allgemeinen Wohngebiet grundsätzlich mit der umgebenden Wohnbebauung verträglich.

4. Ungeachtet der Einstufung der näheren Umgebung als Gemengelage bzw. als faktisches allgemeines Wohngebiet im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 BauNVO ist die streitgegenständliche Baugenehmigung in nachbarrechtlicher Hinsicht zu unbestimmt und verstößt daher gegen das drittschützende Gebot der Rücksichtnahme.

a) Nach Art. 37 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) muss ein Verwaltungsakt hinreichend bestimmt sein; eine hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Umstände unbestimmte Baugenehmigung, in deren Folge die Verletzung von Nachbarrechten bei der Ausführung des Vorhabens nicht auszuschließen ist, begründet regelmäßig ein nachbarliches Abwehrrecht (vgl. OVG NRW, U.v. 15.5.2013 – 2 A 3010/11 – juris; OVG RhPf, B.v. 26.9.2013 – 8 A 10587/13.OVG – juris). In nachbarrechtlicher Hinsicht verlangt das Bestimmtheitsgebot, dass der Baugenehmigung und den mit ihr genehmigten Bauvorlagen mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen ist, dass nur solche Nutzungen erlaubt sind, die Nachbarrechte nicht beeinträchtigen können. Hinsichtlich des von dem Vorhaben ausgehenden und von der Klägerin gerügten Lärmgeschehens ist erforderlich, dass mit der Baugenehmigung durch hinreichend konkrete Festlegungen sichergestellt ist, dass durch die genehmigte Nutzung keine unzumutbaren Lärmbelästigungen auf das klägerische Grundstück ausgehen.

Die Baugenehmigungsbehörde ist demnach verpflichtet sicherzustellen, dass betroffene Nachbarn vor unzumutbaren Immissionen ausreichend geschützt werden. Erforderlichenfalls ist dies durch Auflagen sicherzustellen, auf die der Nachbar einen Anspruch besitzt (BayVGH, U.v.16.11.2006 – 26 B 03.2486 – juris). Diesem Anspruch kann eine Baugenehmigung nur gerecht werden, wenn sie Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lässt, damit einerseits der Bauherr die Bandbreite der für ihn legalen Nutzungen zweifelsfrei feststellen kann und andererseits für Drittbetroffene das Maß der für sie aus der Baugenehmigung erwachsenden Betroffenheit deutlich wird.

Eine dem Bestimmtheitsgebot genügende Aussage muss aus der Baugenehmigung selbst – gegebenenfalls durch Auslegung – ersichtlich sein, wobei die mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen Bauvorlagen bei der Ermittlung des objektiven Erklärungsinhalts von Bauvorbescheid und Baugenehmigung herangezogen werden können (OVG NRW, U.v. 25.8.2011 – 2 A 38/10 –, NVwZ – RR 2012, 132). Wenn der Bauvorbescheid bzw. die nachfolgende Baugenehmigung und die genehmigten Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Baumaßnahmen so unbestimmt sind, dass bei der Ausführung des Bauvorhabens eine Verletzung von Nachbarrechten nicht auszuschließen ist, so sind Bauvorbescheid und Baugenehmigung als nachbarrechtswidrig aufzuheben (vgl. OVG RhPf, U.v. 2.5.2013 – 1 A 11021/12.OVG –, NVwZ – RR 2013, 794). Verbleiben Abgrenzungsunschärfen im Hinblick auf die Reichweite und die Art der zugelassenen Nutzung, ist im Zweifel ein nachbarlicher Abwehranspruch gegeben (vgl. BayVGH, B.v. 28.10.2015 – 9 CS 15.1633 –, juris).

b) An dieser Stelle ist zwischen der Nutzung als bloße Asylbewerberunterkunft und der beabsichtigten Nutzung als Sozialraum für die „Jugendsozialarbeit“ zu differenzieren.

Bezüglich der beabsichtigten Nutzung als Asylbewerberunterkunft mit bis zu 68 Asylbewerbern (30 Räume) sind die streitgegenständliche Baugenehmigung und die mit ihr genehmigten Bauvorlagen hinreichend bestimmt und nicht geeignet, eine Verletzung von drittschützenden Rechten der Klägerin zu begründen. Zwar fehlt auch hier eine entsprechend mit Genehmigungsvermerk der Beklagten versehene Betriebsbeschreibung. Einer solchen bedarf es jedoch nach Auffassung der Kammer für die insoweit beabsichtigte Nutzung als bloße Asylbewerberunterkunft nicht, weil die geplante Nutzung nach dem vorliegenden Bauantrag und den eingereichten Bauvorlagen der typischen Nutzung einer Asylbewerberunterkunft entspricht (vgl. BayVGH, B.v. 28.8.2017 – 9 ZB 14.1283 – juris Rn. 6 für ein Feuerwehrgerätehaus). Mit der zum Baugesuch beigefügten Erklärung des Beigeladenen vom 10. Februar 2016 und den mit Genehmigungsvermerk versehenen Planunterlagen ist für die Klägerin insoweit hinreichend abschätzbar, mit welchen Folgen sie aufgrund der beabsichtigten künftigen Nutzung als Asylbewerberunterkunft zu rechnen hat. Da das grundstücksbezogene Baurecht darüber hinaus keinen Raum für einen irgendwie gearteten Milieuschutz gibt, entspricht die Baugenehmigung für die Nutzungsart „Asylbewerberunterkunft“ der inhaltlichen Bestimmtheit. Dies gilt auch im Hinblick auf eine Nutzung der sich im Erdgeschoss und Untergeschoss befindlichen größeren Räume (82 bzw. 55 qm), wenn sich diese im Umfang der ursprünglichen Nutzungs- bzw. Betriebsbeschreibung vom 10. Februar 2016 halten würde. In dieser ist ausgeführt, dass in den Räumen Gespräche mit den Bewohnern (Asylbewerbern) stattfinden sollen, um diese zu unterstützen. In den geplanten Büros würden Verwaltungstätigkeiten sowie persönliche Beratungsgespräche durchgeführt. Bei einer Nutzung in diesem beschränkten Umfang der sich im EG und UG befindlichen großen Räume würde es sich noch um eine typischerweise mit der genehmigten Nutzung als Asylbewerberunterkunft verbundene Nutzung handeln, die hinsichtlich der hiermit verbundenen nachbarlichen Folgen rechtlich unbedenklich wäre. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass insoweit keine Nutzungsöffnung für Externe stattfinden würde und sich der Benutzerkreis auf die Bewohner des Hauses und das angestellte Betreuungspersonal beschränken würde. Auch wäre mit einer solchen beschränkten Nutzung voraussichtlich keine Inanspruchnahme der Räumlichkeiten zur Nachtzeit verbunden.

c) Anders verhält sich dies jedoch mit der beabsichtigten weitergehenden Nutzung der großen Räume im EG und UG für die Nutzungsart „Jugendtreff – Jugendbegegnungshaus“. Hierbei handelt es sich nach Auffassung der Kammer um eine zur geplanten Nutzung als Asylbewerberunterkunft hinzutretende gesonderte spezifische Nutzungsart, da diesbezüglich insbesondere nach den Stellungnahmen des Amtes für Kinder, Jugend und Familie vom 17. März 2016 bzw. 9. Mai 2016 eine Nutzung der Einrichtung auch durch externe Personen in beträchtlichem Umfang angestrebt ist. Die vom Amt für Kinder, Jugend und Familie beabsichtigte zusätzliche Nutzung des Bauvorhabens wird im Genehmigungsbescheid in der Vorbemerkung Ziffer I Nr.2 („Sozialdienst für Jugendsozialarbeit“), den Hinweisen (Ziffer IV.A.3 „Jugendbegegnungsstätte“) und im Eingabeplan („Räume für Jugendsozialarbeit“) jedenfalls teilweise aufgenommen. In welchem konkreten Umfang die Vorstellungen des Amts für Kinder, Jugend und Familie jedoch mit dem Bescheid vom 11. August 2016 genehmigt werden sollten, lässt dieser völlig offen.

Zur beabsichtigten Nutzung ist ausgeführt, dass eine tägliche Öffnung von 16.00 Uhr bis 21.00 Uhr auch an Wochenenden beabsichtigt ist und darüber hinaus Veranstaltungen von mit bis zu 150 Besuchern, die im Einzelfall auch bis 23.00 Uhr dauern können, angedacht seien. Mit Schreiben vom 9. Mai 2016 hat das Amt für Kinder, Jugend und Familie der Beklagten weiter ausgeführt, dass in den Räumlichkeiten im EG und UG maximal acht Abendveranstaltungen im Jahr geplant seien, für die jedoch noch kein Nutzungskonzept vorliege. In dem zum Gegenstand der Baugenehmigung erklärten Eingabeplan sind die südlich an das Gebäude der Klägerin unmittelbar angrenzenden größeren Räume im Umfang von insgesamt 137 qm als Räume für die „Jugendsozialarbeit“ mit flexibler Raumeinteilung erklärt. Auch insoweit bleibt in den genehmigten Plänen die konkrete Nutzung der jeweiligen Räume offen.

d) Im vorliegenden Fall ist eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots zu Lasten der Klägerin hinsichtlich der Lärmbelastung durch die beabsichtigte Nutzung als Räume für die Jugendsozialarbeit nicht auszuschließen, denn durch die streitgegenständliche, mit der Klage angegriffene Baugenehmigung wird nicht hinreichend sichergestellt, dass die Klägerin als betroffene Nachbarin vor unzumutbaren Immissionen ausreichend geschützt wird. Insbesondere finden sich in der Baugenehmigung selbst keine entsprechenden Regelungen zur Vorsorge gegen das Entstehen entsprechender Immissionsbelastungen. Auch finden sich keine vollziehbaren Auflagen mit entsprechendem Inhalt.

Zwar könnte das Bestimmtheitsgebot insofern gewahrt werden, als eine hinreichende Betriebs- und Nutzungsbeschreibung von der zuständigen Bauordnungsbehörde zum Gegenstand der Baugenehmigung selbst oder ihrer Nebenbestimmungen gemacht wird (vgl. BayVGH, B.v. 6.2.2017 – 15 ZB 16.398 – juris Rn. 22; B.v. 17.6.2016 – 15 ZB 15.644 – juris Rn. 6). Zwar findet sich in den Hinweisen (Ziffer IV der Baugenehmigung) unter Allgemeines (A.), dass entsprechend der Antragsunterlagen in der Jugendbegegnungsstätte maximal acht Abendveranstaltungen (Veranstaltungen bis 23.00 Uhr) im Jahr geplant sind, dass keine kommerziellen Veranstaltungen stattfinden sollen und dass die Räumlichkeiten nicht im Sinne einer Vergnügungsstätte genutzt werden (Nr. 3.).

Dieser bloße Hinweis stellt keine vollziehbare Nebenbestimmung zur Baugenehmigung im Sinne von Art. 36 BayVwVfG dar, da er selbst keinen Regelungscharakter aufweist (vgl. Lechner in Simon/Busse, BayBO, Stand: Mai 2017, Art. 68 Rn. 422). Der der streitgegenständlichen Baugenehmigung beigefügte Hinweis wiederholt vom Wortlaut her die Stellungnahme des Amts für Kinder, Jugend und Familie vom 9. Mai 2016. Auch diesbezüglich fehlt es am erforderlichen Regelungscharakter und mangelt es an einem Verweis auf eine Nutzungs- oder Betriebsbeschreibung für die Räume der geplanten Jugendsozialarbeit. Ungeachtet der offensichtlich ins Auge gefassten zusätzlichen Nutzung der beiden größeren Räume im EG bzw. UG für die Jugendsozialarbeit und einer angedachten zumindest temporären Nutzung für eine größere Zahl von Veranstaltungen auch zur Nachtzeit nach der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) bzw. der Richtlinie des LAI zur Beurteilung der von Freizeitanlagen verursachten Geräusche (Freizeitlärm-Richtlinie) hat die Beklagte es versäumt, Regelungen hinsichtlich des Schutzes der Nachbarn vor unzumutbaren Immissionen zu treffen. Gerade die geplante Zahl von Veranstaltungen, deren Dauer bis in die Stunden der Nachtzeit (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) bzw. in den Ruhezeiten nach der Freizeitlärm-Richtlinie (20.00 Uhr bis 22.00), der für Externe geöffnete Nutzerkreis und eine Besucherzahl von zeitweise bis zu 150 Personen hätte es für die Beklagte nahe legen müssen, durch die Aufnahme von Nebenbestimmungen hinreichend Vorsorge bezüglich der im Norden angrenzenden Wohnnutzung der Klägerin zu treffen. Dies gilt umso mehr, als sich die in Aussicht genommenen Räume im EG bzw. UG an der unmittelbar dem Wohngebäude der Klägerin zugewandten Seite befinden.

Der von der Beklagten vorgelegten Bauakte ist zu entnehmen, dass bezüglich der mit Stellungnahmen vom 17. März 2016 bzw. 9. Mai 2016 gegenüber der ursprünglichen Nutzungsplanung erweiterten Nutzung als Jugendtreff bzw. Jugendbegegnungsstätte keine immissionsschutzfachliche Beurteilung (mehr) stattgefunden hat. Es liegt lediglich eine Stellungnahme des zuständigen Umweltamtes/Immissionsschutz vom 3. Februar 2016 vor, wonach gegen das Bauvorhaben keine Einwände bestünden. Diese fachliche Einschätzung bezog sich aber offensichtlich auf die ursprüngliche Betriebskonzeption als Asylbewerberheim mit Sozialdiensträumen, wie sie in der nachfolgenden Betriebsbeschreibung vom 10. Februar 2016 vom Beigeladenen konkretisiert wurde. Eine fachtechnische Würdigung der nachfolgend insbesondere mit Stellungnahmen des Amtes für Kinder, Jugend und Familie vom 17. März 2016 bzw. 9. Mai 2016 beabsichtigten Nutzungserweiterung um einen „Jugendtreff – Jugendbegegnungsstätte“ hat, soweit ersichtlich, vor Erlass der Baugenehmigung nicht mehr stattgefunden.

e) Für die Bewältigung der zutage getretenen Konfliktlage zwischen der Wohnnutzung der Klägerin einerseits und der beabsichtigten teilweisen Nutzung als „Jugendtreff – Jugendbegegnungsstätte“ andererseits ist der in die Baugenehmigung aufgenommene Hinweis ohne verbindlichen Regelungscharakter völlig unzureichend.

Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass sich die beabsichtigte Nutzung der großen Räume im EG bzw. UG als Jugendtreff bzw. Jugendbegegnungsstätte noch innerhalb der beantragten und genehmigten Nutzungsänderung für einen Sozialdienst bewege. Der im Baugenehmigungsbescheid gewählte Vorhabenszweck rekurriert auf die ursprünglich vorgelegenen Pläne, wie sie Gegenstand der Bau- und Betriebsbeschreibung vom 10. Februar 2016 waren. Mit den im Verfahren später erfolgten Erweiterungen der Nutzungskonzeption um einen Jugendtreff/eine Jugendbegegnungsstätte und der damit verbundenen Erweiterung des Benutzerkreises auf externe Personen und die Durchführung von Veranstaltungen auch in der Nachtzeit nach TA Lärm bzw. der Freizeitlärm-Richtlinie handelt es sich um eine von der ursprünglichen Betriebskonzeption (10.2.2016) abweichende neue Nutzungsqualität, die im Hinblick auf die unmittelbar angrenzende Wohnnutzung der Klägerin einer entsprechenden Regelung bedurft hätte, um unzumutbare Lärmimmissionen auszuschließen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die geplante Zahl der Nutzer (bis zu 150) und die im Genehmigungsbescheid letztlich offen gebliebene Zahl der geplanten Veranstaltungen und deren Dauer. Im Hinblick auf die beabsichtigte Nutzungserweiterung auch auf externes Publikum wird auch die Stellplatzfrage in anderer Qualität berührt bzw. neu aufgeworfen. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Zufahrt unmittelbar zwischen den Gebäuden von Klägerin und Beigeladenem vorgesehen ist. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass auch eine Jugendbegegnungsstätte isoliert betrachtet eine Anlage für soziale Zwecke darstellt, die auch in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB allgemein zulässig sein kann. Ungeachtet dessen bedarf es jedoch stets einer Einzelfallbetrachtung anhand der gesetzlichen Bestimmung des § 15 Abs. 1 BauNVO, ob das genehmigte Bauvorhaben nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstößt bzw. zumindest verstoßen kann. Um einen derartigen Verstoß sicher auszuschließen, bedarf es gegebenenfalls der Festsetzung erforderlich werdender vollziehbarer Nebenbestimmungen (Art. 36 BayVwVfG). In diesem Punkt ist der mit der Klage angegriffene Bescheid der Beklagten defizitär.

f) Nicht geeignet, einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme durch fehlende inhaltliche Bestimmtheit des Bescheids auszuschließen, ist auch der von der Beklagten erfolgte Hinweis auf die Bestimmung in Nr. 7.2 der TA Lärm, wonach Lärmwertüberschreitungen wegen voraussehbarer Besonderheiten beim Betrieb einer Anlage an nicht mehr als zehn Tagen oder Nächten eines Kalenderjahres unbeachtlich und hinzunehmen sind (Seltene Ereignisse). Zum einen bestehen bereits erhebliche Bedenken an der Anwendbarkeit der TA Lärm im vorliegenden Fall. Nach Nr. 1.b, h TA Lärm ist diese auf nicht genehmigungsbedürftige Freizeitanlagen bzw. Anlagen für soziale Zwecke bereits nicht anwendbar. Sie erfasst auch nur Geräusche, die durch technische Anlagen hervorgerufen werden (Landmann/Rohmer, Umweltrecht, TA Lärm Nr. 1 Rn. 23). Darüber hinaus bedürfte es insoweit voraussehbarer Besonderheiten beim Betrieb der jeweiligen Anlage. Dies setzt aber zunächst ein irgendwie geartetes, festgeschriebenes Nutzungskonzept für die Einrichtung selbst voraus, auf dessen Grundlage dann beurteilt werden kann, ob es sich um voraussehbare Besonderheiten handelt, die eine Einhaltung der grundsätzlich geltenden Lärmrichtwerte im Einzelfall ausschließt. An dieser grundsätzlichen Betriebskonzeption, die eine Einhaltung geltender Lärmrichtwerte grundsätzlich garantiert, fehlt es vorliegend bereits. Nichts anderes gilt hinsichtlich der Freizeitlärm-Richtlinie bezüglich der dort eröffneten Sonderfallbeurteilung bei seltenen Veranstaltungen mit hoher Standortgebundenheit oder sozialer Adäquanz und Akzeptanz (Nr. 4.4).

4. Zusammenfassend erweist sich die Baugenehmigung wegen fehlender inhaltlicher Bestimmtheit des genehmigten Nutzungsumfanges und der daraus resultierenden fehlenden Möglichkeit einer Überprüfung und Beurteilung möglicher unzumutbarer Auswirkungen auf die Klägerin als rechtswidrig. Wie aufgezeigt, lässt sich dieser Bestimmtheitsmangel auch nicht im Wege der Auslegung der Baugenehmigung beheben.

Auf die Frage, ob das Vorhaben gegen weitere drittschützende Vorschriften verstößt, kommt es für die Entscheidung nicht mehr an. Dies gilt insbesondere für den von der Klägerin erfolgten Hinweis auf einen bestehenden eisenbahnrechtlichen Planvorbehalt. Dies bedarf keiner vertiefenden Betrachtung, da selbst bei Bestehen eines solchen, der Umstand nicht geeignet wäre, der Klägerin Drittschutz zu vermitteln.

5. Nachdem die Baugenehmigung keine ausreichenden Vorkehrungen gegen eine Lärmbetroffenheit der Klägerin im Rahmen der beabsichtigten Nutzung jedenfalls für Zwecke der Jugendsozialarbeit trifft, kann die Verletzung des Rücksichtnahmegebots der Klägerin gegenüber nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Die streitgegenständliche Baugenehmigung vom 11. August 2016 war daher antragsgemäß aufzuheben. Eine bestandserhaltende Teilung der Baugenehmigung hinsichtlich des Gegenstandes der Genehmigung als bloße Asylbewerberunterkunft war dem Gericht verwehrt, da es sich um einen einheitlichen Antragsgegenstand der Nutzungsänderung in eine Asylbewerberunterkunft mit angeschlossener Nutzung zweier Räume im EG und UG für einen Sozialdienst bzw. für Zwecke der Jugendsozialarbeit handelt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als im Verfahren unterlegen hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Nachdem der Beigeladene sich ohne Antragstellung keinem Prozesskostenrisiko aus § 154 Abs. 3 VwGO ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Aufwendungen selbst zu tragen hat.

Die Entscheidung über die vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).