Ax Rechtsanwälte

  • Uferstraße 16, 69151 Neckargemünd
  • +49 (0) 6223 868 86 13
  • mail@ax-rechtsanwaelte.de

Von der Redaktion

Von der Redaktion

Die VergabePrax unterstützt öffentliche wie private Auftraggeber bei der rechtssicheren und marktgerechten Strukturierung, Konzeption und Abwicklung von Vergabeverfahren. Entwickeln Sie mit unserer Unterstützung für jedes Projekt die optimale Vergabestrategie. Stellen Sie mit uns gemeinsam sicher, dass die Vorgaben des europäischen und des nationalen Rechts einschließlich der Landesvergabegesetze eingehalten und Gestaltungsspielräume ausgeschöpft werden. Behalten Sie im Fall einer öffentlichen Förderung alle damit verbundenen Auflagen sehr genau im Auge. Profitieren Sie als Unternehmen von der VergabePrax bei der rechtssicheren und wirtschaftlich optimierten Erstellung von Teilnahmeanträgen und Angeboten. Erkennen Sie in Vergabeunterlagen relevante Rechtsverstöße und gehen Sie optimal um mit erkannten Verstößen. Nachprüfungsverfahren sind kein Problem mit den von uns vermittelten Informationen! Viele Auftraggeber, Verbände und Unternehmen als Marktteilnehmer des Gesundheitssektors gehören zu unserem Leserkreis. Das Spektrum reicht von dem Einkauf von Medizinprodukten (Investitions- und Verbrauchsgüter) sowie Arznei- und Hilfsmitteln und verschiedensten Dienstleistungen bis hin zum Neubau von Krankenhäusern und Universitätsklinika. Sektorenauftraggeber wie Stadtwerke, Energieerzeuger, Häfen, Flughäfen und Verkehrsdienstleister profitieren von unserer VergabePrax in allen vergaberechtlichen Belangen ebenso wie klassische öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Architekten- oder Fachplanungsleistungen. Gehören Sie zu uns! Machen Sie mit! Profitieren Sie von dem entscheidenden Knowhow-Vorsprung mit unserer VergabePrax!

Ihre Redaktion

Nachprüfungsantrag trotz Erteilung des Auftrags zulässig, wenn Auftrag fehlerhaft nur national ausgeschrieben und die Antragstellerin sich an dieser Ausschreibung mit einem Angebot beteiligt hat, die fehlende europaweite Ausschreibung aber nicht gerügt hat?

Nachprüfungsantrag trotz Erteilung des Auftrags zulässig, wenn Auftrag fehlerhaft nur national ausgeschrieben und die Antragstellerin sich an dieser Ausschreibung mit einem Angebot beteiligt hat, die fehlende europaweite Ausschreibung aber nicht gerügt hat?

von Thomas Ax

Ja! Weder wird der Nachprüfungsantrag aus diesem Grund unstatthaft noch ist die Antragstellerin damit präkludiert, die fehlende europaweite Ausschreibung geltend zu machen. Nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist ein öffentlicher Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist, und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist. Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB gelten die Rügeobliegenheiten nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB nicht bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB.

§ 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB stellt nach seinem Wortlaut nur darauf ab, dass keine Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union stattgefunden hat. Auf die Frage, ob national ausgeschrieben wurde, kommt es nach dem Wortlaut nicht an. Zudem ergibt sich aus § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB, dass eine Unwirksamkeit des Vertrags auch dann möglich ist, wenn es „betroffene Bieter und Bewerber“ gegeben hat. Schließlich war nach § 101 Abs. 1 Nr. 2 GWB in der bis April 2016 geltenden Fassung ein Vertrag unwirksam, wenn der Auftraggeber „einen öffentlichen Auftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligten und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist“. Diese deutlich engere Formulierung hat der Gesetzgeber gerade nicht in die Neufassung übernommen, sondern die zum alten Recht vertretene europarechtlich gebotene erweiternde Auslegung nachvollzogen (siehe BT-Drs. 18/6281 S. 122). Somit kommt eine Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags und ein darauf gerichteter Nachprüfungsantrag auch dann in Betracht, wenn der Auftrag – unzulässig – nur national ausgeschrieben wurde und der Antragsteller sich mit einem Angebot beteiligt hat (so auch OLG Koblenz, Beschl. v. 1. September 2021, Verg 1/21; zum Fall eines Interessensbekundungsverfahrens unter Beteiligung der Antragstellerin OLG Jena, Beschl. v. 9. April 2021, Verg 2/20 – Kindergartenbetrieb; zum Fall einer freiwilligen Ex-Ante-Transparenzbekanntmachung und eines Angebots der Antragstellerin OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12. Juli 2017, Verg 13/17 – Dialysegerät, NZBau 2017, 679).

Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB bestehen in diesem Fall auch keine Rügeobliegenheiten (so auch OLG Koblenz, a. a. O; OLG Jena, a. a. O; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 4. Dezember 2020, 15 Verg 8/20; OLG Düsseldorf, a. a. O.; Jaeger in Münchener Kommentar zum GWB, 4. Aufl. 2022, § 160 Rn. 95 f.; a. A. Gabriel/Mertens in BeckOK Vergaberecht, 26. Ed. 31. Oktober 2022, GWB § 160 Rn. 209; Nowak in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 160 Rn. 84; Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage 2021, GWB § 160 Rn. 117). Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB, der keine Einschränkungen vorsieht. Vielmehr verweist er umfassend auf § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, ohne danach zu differenzieren, ob es eine nationale Ausschreibung gab. Zudem erschiene es widersprüchlich, wenn einerseits der Auftraggeber gerade keine förmliche Ausschreibung nach den Vorschriften des GWB durchführt, andererseits dem Bieter aber die strengen Rügepflichten auferlegt würden. Ferner sieht § 135 Abs. 2 GWB in seiner neuen Fassung ohnehin gewisse Fristen vor, innerhalb derer die Unwirksamkeit des Vertrags geltend zu machen ist, so dass dem Bedürfnis nach einer baldigen Klärung auch im Interesse des Auftraggebers Rechnung getragen wurde. Letztlich liefe es auf eine Korrektur des § 160 Abs. 3 Satz 2, § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB entgegen des klaren Wortlauts hinaus, für die es weder Anhaltspunkte in der Entstehungsgeschichte der Neufassung noch ein sonst ersichtliches Bedürfnis gibt.
§ 160 Abs. 3 Satz 2 GWB differenziert gerade nicht danach, ob es um die Rüge der fehlenden europaweiten Ausschreibung oder um sonstige Rügen geht. Vielmehr gilt Satz 1 bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB generell nicht (so auch OLG Karlsruhe, Beschl. v. 4. Dezember 2020, 15 Verg 8/20, und Rn. 47). Auch insoweit kann dem Bieter die vorsorgliche Einhaltung der strengen Rügeobliegenheiten nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB nicht zugemutet werden, wenn sich der Auftraggeber gerade nicht für eine Ausschreibung unter Einhaltung der strengeren Vorgaben des GWB entschieden hat. Die VOB/A und die UVgO enthalten keine dem § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB vergleichbaren Rügeobliegenheiten.

Der Nachprüfungsantrag ist auch nicht wegen Verletzung von Rügepflichten aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis unzulässig. Ob sich aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis eine Rügeobliegenheit ergeben könnte, ist umstritten (bejahend OLG Naumburg, Beschl v. 2. März 2006, Verg 1/06; ablehnend OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. Mai 2008, Verg 14/08, und Jaeger in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, GWB § 160 Rn. 96; offenlassend OLG München, Beschl. v. 19. Juli 2012, Verg 8/12; vgl. auch Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, GWB § 160 Rn. 117). Indessen ist dies jedenfalls für § 160 Abs. 3 Satz 1, § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB n. F. abzulehnen. Die Konstruktion einer Rügepflicht aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis läuft letztlich auf eine Korrektur der Neufassung hinaus, ohne dass es dafür eine Rechtfertigung gäbe.

Ausschluss wegen Schlechtleistung? Voraussetzungen und Grenzen

Ausschluss wegen Schlechtleistung? Voraussetzungen und Grenzen

von Thomas Ax

Nach § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A dieser Vorschrift können öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme eines Vergabeverfahrens ausschließen, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Zunächst stellt sich diesbezüglich die Frage, welche Anforderungen an den Nachweis der Voraussetzungen des § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A zu stellen sind.

In der Rechtsprechung werden unterschiedliche Auffassungen dazu vertreten, welche Anforderungen an den Nachweis der Voraussetzungen des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB (bzw. dem wortgleichen § 6e EU Abs. 6 Nr. 7 VOB/A) zu stellen sind. Nicht erforderlich ist es, dass die Tatsachen, auf die die Ausschlussentscheidung nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB gestützt wird, unstreitig oder rechtskräftig festgestellt sein müssen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2018 – Verg 7/18 m. w. N.). Dies würde dem gemäß § 167 GWB bestehenden Beschleunigungsgrundsatz widersprechen, da es im Nachprüfungsverfahren nicht möglich ist, eine ähnlich umfangreiche Beweisaufnahme wie in einem zivilrechtlichen Bauprozess vorzunehmen und dessen Ergebnis vorwegzunehmen.

Ebenfalls nicht erforderlich ist es nach Auffassung der Vergabekammer, dass der öffentliche Auftraggeber bezüglich der von der Vorschrift des § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB verlangten Schlechterfüllung Gewissheit erlangt haben muss, also eine Überzeugung gewonnen haben muss, welche vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet (a. A. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11. Juli 2018 – Verg 7/18). Einen solchen Maßstab erachtet die Vergabekammer als zu streng.
Es ist ausreichend, wenn der öffentliche Auftraggeber Indiztatsachen vorbringt, die von einigem Gewicht sind, auf gesicherten Erkenntnissen aus seriösen Quellen basieren und die die Entscheidung des Auftraggebers zum Ausschluss des Bieters nachvollziehbar erscheinen lassen (OLG Celle, Beschluss vom 9. Januar 2017 – 13 Verg 9/16 -, m. w. N., VK Sachsen, Beschluss vom 27. Dezember 2019 – 1/SVK/037-19).

Nachvollziehbar ist der Ausschluss aber nur dann, wenn eine hohe, jedenfalls aber überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass es tatsächlich zu einer entsprechenden Pflichtverletzung gekommen ist und der Auftraggeber ein Recht zur vorzeitigen Vertragsbeendigung oder einen Anspruch auf Schadensersatz oder vergleichbare Sanktionen aufgrund der Pflichtverletzung (Kausalität) hat (Opitz in Burgi/Dreher, GWB, § 124, Rn. 94). Mithin, ob die Rechtmäßigkeit einer vorzeitigen Vertragsbeendigung, das Bestehen eines Schadensersatzanspruches oder einer vergleichbaren Rechtsfolge von den Zivilgerichten bestätigt werden wird oder würde (Opitz in Burgi/Dreher, GWB, § 124 Rn. 96). Es genügt also nicht, dass öffentliche Auftraggeber Pflichtverletzungen und die Geltendmachung von Vertragsrechten lediglich behaupten. Vielmehr müssen diese mit der beschriebenen Wahrscheinlichkeit vorliegen und der Auftraggeber mit hoher, jedenfalls überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Recht zur Geltendmachung der genannten Vertragsrechte haben.

Gemäß § 124 Abs. 1 GWB bzw. § 6e EU Abs. 6 VOB/A kommt ein Ausschluss eines Bieters nur unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Betracht. Dabei ist u. a. zu berücksichtigen, ob dem Bieter zuvor die Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt wurde (VK Sachsen, Beschluss vom 17. März 2021 – 1/SVK/031-20 ). Der Auftraggeber ist verpflichtet dem Unternehmen vor seinem Ausschluss rechtliches Gehör zu verschaffen, damit dieses unter anderem die Möglichkeit erhält, die Vorwürfe zu widerlegen oder mögliche Selbstreinigungsmaßnahmen nach § 125 GWB darzulegen (OLG München, Beschluss vom 29. Januar 2021 – Verg 11/20 m. w. N.).

OLG Koblenz zur Angabe eines Höchstwerts zu erbringender Dienstleistungen in Rahmenvereinbarung

OLG Koblenz zur Angabe eines Höchstwerts zu erbringender Dienstleistungen in Rahmenvereinbarung

vorgestellt von Thomas Ax

1. Dass der öffentliche Auftraggeber die Schätzmenge und/oder den Schätzwert sowie eine Höchstmenge und/oder einen Höchstwert der gemäß einer Rahmenvereinbarung zu erbringenden Dienstleistungen angibt, ist für den Bieter von erheblicher Bedeutung, da er auf der Grundlage dieser Schätzung seine Leistungsfähigkeit zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der Rahmenvereinbarung beurteilen kann. Ansonsten könnten Zuschlagsempfänger wegen Nichterfüllung der Rahmenvereinbarung vertraglich haftbar gemacht werden, wenn sie die von den öffentlichen Auftraggebern geforderten Mengen nicht leisten könnten (Anschluss EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – C-274/21). (Rn.48)

2. Es führt jedoch nicht immer die Angabe einer Höchstmenge und/oder eines Höchstwerts der gemäß der ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung zu erbringenden Dienstleistungen dazu, dass sich der öffentliche Auftraggeber nur bis zu dieser Höchstmenge und/oder des Höchstwerts verpflichten kann und die Rahmenvereinbarung damit ohne Weiteres ihre Wirkung verliert, wenn die Menge oder der Wert erreicht ist. Anders ist es beispielsweise, wenn ein Kündigungsrecht des Auftraggebers für den Fall vorgesehen ist, dass das diesem genehmigte Budget aufgrund bereits erteilter Aufträge ausgeschöpft ist. Entspricht dieses genehmigte Budget seiner Höhe nach gerade dem in den Vergabeunterlagen als solches bezeichneten und ebenfalls maximalen Auftragsvolumen der ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung, führt eine Überschreitung des Höchstwerts der zu erbringenden Dienstleistungen ohne Weiteres zu einem Erlöschen der Leistungspflicht des Auftragnehmers; sonst hätte die Regelung des Kündigungsrechts keinen Sinn. (Rn.50)

OLG Koblenz Vergabesenat, 12.12.2022, Verg 3/22


Gründe

I.

Randnummer1

Die Antragsgegnerin veröffentlichte im Supplement zum EU-Amtsblatt vom […] 2022 eine Auftragsbekanntmachung zur Vergabe einer Rahmenvereinbarung bezüglich Dienstleistungen „[…]“ im offenen Verfahren. Der Gesamtwert des Auftrags war antragsgegnerseits zuvor auf […] € (netto) geschätzt worden.

Randnummer2

In den Vergabeunterlagen ist das maximale Auftragsvolumen der Rahmenvereinbarung mit […] € (netto) angegeben. Bei den Vergabeunterlagen befindet sich zudem ein Entwurf der abzuschließenden Rahmenvereinbarung. Dieser sieht in Ziffer 2.4 folgende Klausel vor:

Randnummer3

„Die Rahmenvereinbarung kann vom Auftraggeber jederzeit vor Ablauf der Vertragslaufzeit mit einer Frist von fünf (5) Tagen in Schriftform gekündigt werden, wenn das genehmigte Budget des Auftraggebers in Höhe von […] EUR (netto) aufgrund bereits erteilter Aufträge ausgeschöpft ist.“

Randnummer4

Unter anderem die Antragstellerin sowie die Beigeladene beteiligten sich mit fristgerecht eingereichten Angeboten an der Ausschreibung. Am 10. Mai 2022 schloss die Antragsgegnerin das Angebot der Antragstellerin nach § 57 Abs. 1 Nr. 5 VgV aus, weil darin fehlerhafte Preise enthalten seien und somit das Angebot nicht die (echten) erforderlichen Preisangaben enthalte. Die Preisblattanpassung stelle eine nachträgliche Änderung der Angebotspreise dar, die gemäß § 15 Abs. 5 Satz 2 VgV nach Ablauf der Angebotsfrist aus Gründen der Gleichbehandlung aller Bieter im Rahmen der Wertung unbeachtlich zu bleiben habe. Mit Vorabinformationsschreiben vom 10. Mai 2022 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin den Angebotsausschluss sowie die Absicht mit, der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen.

Randnummer5

Mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 16. Mai 2022 rügte die Antragstellerin diese Absicht. Sie rügte unter anderem, dass weder in der Bekanntmachung noch in den Vergabeunterlagen eine Höchstabnahmemenge angegeben sei, ab deren Erreichung die ausgeschriebene Rahmenvereinbarung ende. Dies stelle einen Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und der Nichtdiskriminierung und damit einen schweren Vergaberechtsverstoß dar. Ohne die Angabe von Höchstmengen sei die Kalkulation kaum zu bewerkstelligen gewesen. Sie – die Antragstellerin – habe die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Angabe von Schätz- und Höchstmengen bei Rahmenvereinbarungen nicht gekannt, sei sich ihrer eigenen Leistungsfähigkeit nicht vollständig gewahr gewesen und habe dennoch ein Angebot unter Zeitdruck abgegeben.

Randnummer6

Am 19. Mai 2022 wies die Antragsgegnerin die Rüge zurück. Dies nahm die Antragstellerin zum Anlass, am 20. Mai 2022 einen Nachprüfungsantrag zu stellen.

Randnummer7

Diesen hat die Vergabekammer mit Beschluss vom 12. August 2022 als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, die Antragstellerin sei bereits nicht antragsbefugt, denn sie habe nicht hinreichend dargelegt, dass ihr durch die gerügten Vergaberechtsverstöße ein Schaden zumindest zu entstehen drohe. Denn das Angebot der Antragstellerin sei vorliegend aufgrund fehlerhafter Preisangaben ausgeschlossen worden. Hiergegen habe die Antragstellerin auch keine Rüge erhoben, weshalb von einem vergaberechtskonformen Ausschluss auszugehen sei. Damit habe die Antragstellerin – ungeachtet etwaiger der Antragsgegnerin unterlaufener Vergaberechtsverstöße – keine Chance mehr, den ausgeschriebenen Auftrag zu erhalten.

Randnummer8

Eine derartige (zweite) Chance und damit die Antragsbefugnis der Antragstellerin folge auch nicht daraus, dass entweder das Vergabeverfahren in das Stadium vor Angebotsabgabe zurückversetzt oder dass nach Aufhebung gar neu ausgeschrieben werden müsse.

Randnummer9

So sei die Beigeladene – bei deren Angebot es sich um das einzige in der Wertung verbliebene handele – nicht wegen fehlender Eignung zwingend vom Vergabeverfahren auszuschließen. Ein entsprechender Ausschlussgrund liege nicht vor.

Randnummer10

Zudem ergebe sich auch vor dem Hintergrund der Rüge, die Antragsgegnerin habe vergaberechtswidrig keine Höchstabnahmemenge der abzuschließenden Rahmenvereinbarung bekannt gemacht, ab deren Erreichen die Rahmenvereinbarung unmittelbar ihre Wirkung verliere, kein Anspruch auf eine „zweite Chance“ der Antragstellerin. In Ziffer 5.1 der Vergabeunterlagen finde sich nämlich die Angabe, dass das „maximale Auftragsvolumen dieser Rahmenvereinbarung“ […] € betrage. Diese Aussage sei von den Verfahrensbeteiligten übereinstimmend so verstanden worden, dass dies der veranschlagte maximale Gesamtwert über die Gesamtlaufzeit der Rahmenvereinbarung sei. Es sei auch ausreichend, wenn die Höchstmenge der Rahmenvereinbarung in den Vergabeunterlagen mitgeteilt werde, für welche der Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung einen Link gemäß § 41 Abs. 1 VgV angebe.

Randnummer11

Mithin sei ein entsprechender Vergaberechtsverstoß nicht erkennbar. Aus Ziffer 2.4. Rahmenvereinbarung, wonach der Auftraggeber die Rahmenvereinbarung kündigen könne, wenn das genehmigte Budget des Auftraggebers in Höhe von […] € (netto) aufgrund bereits erteilter Aufträge ausgeschöpft sei, ergebe sich nichts Gegenteiliges. Denn nach der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs könne sich der öffentliche Auftraggeber nur bis zur angegebenen Höchstmenge bzw. zum angegebenen Höchstwert verpflichten. Die Rahmenvereinbarung verliere ihre Wirkung bei Erreichen dieser Menge bzw. dieses Wertes. Die Angabe einer Höchstmenge stelle mithin eine der Rahmenvereinbarung immanente Mengenbegrenzung dar; sei sie erreicht, sei der Beschaffungszweck der Rahmenvereinbarung erfüllt. Verliere die Rahmenvereinbarung mit Erreichen der Höchstmenge/des Höchstwertes ihre Wirkung beziehungsweise sei die Rahmenvereinbarung durch Erfüllung erloschen, bestünden nachfolgend keine weiteren Leistungspflichten des Auftragnehmers aus dieser Rahmenvereinbarung. Auf das in Ziffer 2.4 der Rahmenvereinbarung enthaltene Kündigungsrecht des Auftraggebers komme es mithin nicht an. Dieses Recht des Antragsgegners laufe vielmehr ins Leere, da mit Erreichen der Höchstabnahmemenge die Rahmenvereinbarung ohnehin ihre Wirkung verliere und folglich keine Leistungspflichten des Auftragnehmers bestünden, die mit Wirkung für die Zukunft durch eine wirksame Kündigung noch entfallen könnten. Folglich ergebe sich auch hinsichtlich der Höchstmenge aus der Rahmenvereinbarung keine Notwendigkeit, der Antragsgegnerin den Zuschlag zu untersagen.

Randnummer12

Gegen diese ihren Verfahrensbevollmächtigten am 12. August 2022 zugestellte Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Diese hat sie mittels eines – auf elektronischem Wege – am 26. August 2022 beim erkennenden Oberlandesgericht eingegangenen und mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen Schriftsatzes eingelegt sowie begründet.

Randnummer13

Sie beantragt,

Randnummer14

1. den Beschluss der Vergabekammer Rheinland-Pfalz insoweit aufzuheben, wie der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen wurde – Nr. 1 des Tenors des Beschlusses vom 12. August 2022, Az. VK 1 6/22;

Randnummer15

2. der Antragsgegnerin zu untersagen, das Vergabeverfahren „[…]“, bekannt gemacht im EU-Abl. […], abgesandt am […] 2022, veröffentlicht am […] 2022 durch Zuschlagserteilung abzuschließen;

Randnummer16

3. der Antragsgegnerin bei fortbestehender Vergabeabsicht aufzugeben, ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren betreffend „[…]“ gemäß dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und gemäß der Vergabeverordnung nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Beschwerdesenates durchzuführen;

Randnummer17

4. das im Antrag zu 3. bezeichnete Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht auf den Zeitpunkt vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen;

Randnummer18

hilfsweise:

Randnummer19

unabhängig vom Hauptantrag zu 5. auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens hinzuwirken (vgl. § 168 Abs. 1 S. 2 GWB).

Randnummer20

Die Antragsgegnerin beantragt,

Randnummer21

die gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 12. August 2021 – VK 1 – 6/22 – gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Randnummer22

Mit ihrem Beschluss vom 12. August 2022 hat die Vergabekammer zudem ausgesprochen, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten antragsgegnerseits nicht notwendig war. Hiergegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, die sie mittels eines – aus einem besonderem elektronischem Anwaltspostfach heraus auf elektronischem Weg übermittelten – am 26. August 2022 beim erkennenden Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatzes eingelegt sowie begründet hat.

Randnummer23

Insoweit beantragt die Antragsgegnerin,

Randnummer24

Ziffer 3 des Beschlusstenors der Vergabekammer vom 12. August 2022, Az. VK 1 6/22, dahingehend zu ändern, dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch sie notwendig war.

Randnummer25

Die Antragstellerin beantragt,

Randnummer26

die gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 12. August 2022, Az. VK 1 – 6/22 – gerichtete sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

Randnummer27

Der Senat hat mit Beschluss vom 7. September 2022 die aufschiebende Wirkung der gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 12. August 2022 (VK 1 – 6/22) gerichteten sofortigen Beschwerde der Antragstellerin bis zur Entscheidung über diese sofortige Beschwerde verlängert. Die Beigeladene hat sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.

Randnummer28

Ergänzend wird auf den gesamten Inhalt der Akten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der dort vorgelegten Vergabeakten sowie auf die vorliegenden Gerichtsakten im Übrigen Bezug genommen.

II.

Randnummer29

Die zulässige – insbesondere statthafte (§ 171 Abs. 1 Satz 1 GWB), der gesetzlichen Form (§ 172 Abs. 3, 175 Abs. 2, 72 Nr. 2 GWB, 130d Satz 1, 130a Absätze 1 bis 3 ZPO) und Frist (§§ 172 Abs. 1, 175 Abs. 2, 72 Nr. 2 GWB, 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO) gemäß eingelegte sowie form- und fristgerecht begründete (§ 172 Abs. 2, 175 Abs. 2, 72 Nr. 2 GWB, 130d Satz 1, 130a Absätze 1 bis 3 ZPO) – sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Denn die Vergabekammer hat dem verfahrensgegenständlichen Nachprüfungsantrag zu Unrecht jeden Erfolg versagt. Dieser ist nämlich ebenfalls in vollem Umfang zulässig und begründet.

Randnummer30

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

Randnummer31

Insbesondere fehlt es der Antragstellerin nicht an der gemäß § 160 Abs. 2 GWB erforderlichen Antragsbefugnis.

Randnummer32

Im vorliegenden Beschwerdeverfahren macht die Antragstellerin einen auf den Vergabeunterlagen gründenden Verstoß der Antragsgegnerin gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) und der Transparenz (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) geltend. Das verfahrensgegenständliche Rechtsschutzbegehren richtet sich mithin auf die Beseitigung eines mit nicht heilbaren Fehlern behafteten Verfahrens mit der Konsequenz einer Neuausschreibung und der damit eröffneten Chance, an dem neuen Verfahren unter Bedingungen, die die Chancengleichheit gewährleisten, teilzunehmen (vgl. insoweit auch BVerfG, NZBau 2004, 564, 566). In einem solchen Fall liegt auch ohne weitere Darlegung auf der Hand, dass als Folge der stattdessen gewählten oder beabsichtigten vergaberechtswidrigen Vorgehensweise des öffentlichen Auftraggebers dem Bieter ein Schaden zu entstehen droht (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 – X ZB 8/09 -, juris, Rdnr. 32; Beschluss vom 26. September 2006 – X ZB 14/06 -, juris, Rdnr. 30; OLG Frankfurt, Beschluss vom 30. März 2021 – 11 Verg 18/20 -, juris, Rdnr. 61; OLG Rostock, Beschluss vom 17. Juli 2019 – 17 Verg 1/19 -, juris, Rdnr. 40, m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2. Mai 2018 – VII-Verg 3/18 -, juris, Rdnr. 22; BeckOK Gabriel/Mertens/Prieß/Stein-Gabriel/Mertens, Vergaberecht, 26. Edition, Stand: 31. Oktober 2022, § 160 GWB, Rdnr. 106, m.w.N.; Burgi/Dreher/Opitz-Horn/Hofmann, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 160 GWB, Rdnr. 35).

Randnummer33

Ein Schaden droht nämlich bereits dann, wenn die Aussichten des antragstellenden Bieters auf die Erteilung des Auftrags zumindest verschlechtert worden sein können. Das ist nicht nur der Fall, wenn dies für den Zuschlag in dem eingeleiteten und zur Nachprüfung gestellten Vergabeverfahren zutrifft. Denn es ist die tatsächliche Erteilung des Auftrags, welche die Vermögenslage von Bietern beeinflusst, nicht der Umstand, in welchem Vergabeverfahren sie erfolgt. § 160 Abs. 2 GWB lässt auch nicht erkennen, dass für die Antragsbefugnis allein auf die Möglichkeit abzustellen sein könnte, den ausgeschriebenen Auftrag gerade in dem eingeleiteten und zur Nachprüfung gestellten Vergabeverfahren zu erhalten. Nach seinem Wortlaut muss vielmehr ganz allgemein ein (drohender) Schaden dargelegt werden, für den die behauptete Verletzung von Vergabevorschriften kausal ist. Es genügt deshalb, wenn es nach dem Vorbringen des das Nachprüfungsverfahren betreibenden Bieters möglich erscheint, dass er ohne den behaupteten Vergaberechtsverstoß den Bedarf, dessentwegen die Ausschreibung erfolgt ist, gegen Entgelt befriedigen kann. Das ist regelmäßig auch der Fall, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren nicht ohne Weiteres durch Zuschlag beendet werden darf, und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt. Dass im Voraus nicht abzusehen ist, ob die darin liegende Chance eine realistische Aussicht darstellt, den Auftrag zu erhalten, und sich eine solche Chance keinesfalls zwangsläufig für den betreffenden Bieter auftun muss, ist angesichts der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unerheblich. Denn hiernach reicht schon die Möglichkeit einer Verschlechterung der Aussichten des den Nachprüfungsantrag stellenden Bieters infolge der Nichtbeachtung von Vergabevorschriften aus (vgl. zu allem Vorstehenden BGH, Beschluss vom 10. November 2009 – X ZB 8/09 -, juris, Rdnr. 32, m.w.N.; Burgi/Dreher/Opitz-Horn/Hofmann, a.a.O.).

Randnummer34

Danach ist die Antragsbefugnis der Antragstellerin nicht zu verneinen. Denn sie macht vorliegend einen auf den Vergabeunterlagen gründenden Verstoß der Antragsgegnerin gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) und der Transparenz (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) geltend und behauptet überdies, dieser habe sich auf ihre Preisgestaltung ausgewirkt, weil sie sich in der Phase des Angebotsentwurfs ihrer Leistungsfähigkeit nicht vollständig gewahr gewesen sei. Träfe dies zu, wäre das Vergabeverfahren in das Stadium vor der Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen. Die Antragstellerin hätte dann die Möglichkeit, ein neues Angebot abzugeben und auf dieses den Zuschlag zu erhalten.

Randnummer35

Die antragsgegnerseits zitierten Ausführungen des Oberlandesgerichts Celle in dessen Beschluss vom 7. Juli 2022 – 13 Verg 4/22 – ändern an alledem nichts. Sie geben auch zu einer Divergenzvorlage des Senats nach § 179 Abs. 2 Satz 1 GWB keine Veranlassung.

Randnummer36

Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass der Senat die Antragsbefugnis vorliegend allein unter dem Gesichtspunkt der Gewährung einer sogenannten zweiten Chance für solche Rügen bejaht, deren Behebung eine (teilweise) Aufhebung des bisherigen Vergabeverfahrens oder die Untersagung der Zuschlagserteilung erfordern und damit der Antragstellerin die Möglichkeit eröffnen, sich – im Fall fortbestehender Beschaffungsabsicht der Antragsgegnerin – durch ein neues Angebot am Vergabeverfahren zu beteiligen. Die insoweit zur Anwendung gebrachten Rechtsgrundsätze beruhen – wie den obigen Ausführungen unschwer entnommen werden kann – auf gefestigter Rechtsprechung gerade auch des Bundesgerichtshofs. Danach sind im – hier vorliegenden – auf die Beseitigung eines mit nicht heilbaren Fehlern behafteten Vergabeverfahrens (mit der Konsequenz einer Neuausschreibung und der damit eröffneten Chance, an dem neuen Verfahren unter Bedingungen, die die Chancengleichheit gewährleisten, teilzunehmen) gerichteten Nachprüfungsverfahrens weitere Darlegungen des Antragstellers dazu, dass ihm als Folge der stattdessen gewählten oder beabsichtigten vergaberechtswidrigen Vorgehensweise des öffentlichen Auftraggebers ein Schaden zu entstehen droht, gerade nicht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2009 – X ZB 8/09 -, juris, Rdnr. 32; Beschluss vom 26. September 2006 – X ZB 14/06 -, juris, Rdnr. 30).

Randnummer37

Diesen Gesichtspunkt hat das Oberlandesgericht Celle in seinen im hier maßgeblichen Zusammenhang zitierten Ausführungen vom 7. Juli 2022 zwar nicht – jedenfalls nicht in erkennbarer Art und Weise – zur Anwendung gebracht. Dies nötigt den der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs folgenden Senat im Streitfall indes nicht zu einer Divergenzvorlage (vgl. Senat, Beschluss vom 3. Dezember 2014 – Verg 8/14 -, juris, Rdnr. 24, m.w.N.; BGH, NJW 1959, 1450, 1451 – zu § 121 Abs. 2 GVG; OLG Dresden, Beschluss vom 10. Juli 2003 – Wverg 16/02 -, juris, Rdnr. 30, m.w.N.; Feilcke in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 2019, § 121 GVG, Rdnr. 26, m.w.N.; Reidt/Stickler/Glahs-Stickler, Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, § 179 GWB, Rdnr. 13). Anderenfalls müssten die Oberlandesgerichte alle Sachen auch dann immer wieder dem Bundesgerichtshof vorlegen, wenn sie sich dessen Ansicht anschließen wollten, nur weil einmal eine abweichende oberlandesgerichtliche Entscheidung ergangen ist (vgl. BGH, a.a.O.). Dies ist zur Sicherung der Rechtseinheit und damit zur Wahrung des § 179 Abs. 2 Satz 1 GWB nicht erforderlich (vgl. BGH, a.a.O.).

Randnummer38

Im Übrigen tritt vorliegend der Umstand hinzu, dass das Oberlandesgericht Celle in seinen im hier maßgeblichen Zusammenhang zitierten Ausführungen vom 7. Juli 2022 entscheidend darauf abgestellt hat, dass die dortige Antragstellerin unstreitig in der Lage gewesen war, ihr Angebot zu kalkulieren. So liegt der Fall hier indes gerade nicht. Vorliegend hat die Antragstellerin vielmehr behauptet, der in Rede stehende – vermeintliche – Vergaberechtsverstoß habe sich auf ihre Preisgestaltung ausgewirkt, weil sie sich in der Phase des Angebotsentwurfs ihrer Leistungsfähigkeit nicht vollständig gewahr gewesen sei.

Randnummer39

Der Nachprüfungsantrag ist auch nicht deshalb unzulässig, weil der antragstellerseits gerügte Vergaberechtsverstoß nicht rechtzeitig gerügt worden ist. Die Antragstellerin ist mit ihrer hier maßgeblichen Rüge nicht präkludiert.

Randnummer40

Insbesondere bestand keine Obliegenheit der Antragstellerin zu einer entsprechenden Rüge binnen der Angebotsfrist. Eine solche folgt auch nicht aus § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB.

Randnummer41

Zwar sind nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB Vergaberechtsverstöße, die aufgrund der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, spätestens bis zum Ablauf der Frist zur Bewerbung oder zur Angebotsabgabe gegenüber dem Auftraggeber zu rügen. Hinsichtlich der Erkennbarkeit ist jedoch auf den – objektiven – Maßstab eines durchschnittlich fachkundigen Bieters abzustellen, der die übliche Sorgfalt anwendet (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Mai 2022 – Verg 2/22 -; EuGH, NZBau 2015, 306, 311, Rdnr. 55; OLG Schleswig, Beschluss vom 12. November 2020 – 54 Verg 2/20 -, juris, Rdnr. 73; OLG Düsseldorf, NZBau 2019, 742, 744, Rdnr. 25; KG, Beschluss vom 15. Februar 2019 – Verg 9/17 -, juris, Rdnr. 36; OLG Rostock, Beschluss vom 21. Januar 2019 – 17 Verg 8/18 -, BeckRS 2019, 28975, Rdnr. 15; OLG Naumburg, Beschluss vom 16. Dezember 2016 – 7 Verg 6/16 -, juris, Rdnr. 55; BeckOK Gabriel/Mertens/Prieß/Stein-Gabriel/ Mertens, 26. Edition, Stand: 31. Oktober 2022, § 160, Rdnr. 162 f.; Heiermann/Zeiss/Summa-Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, Stand: 21. Juni 2021, § 160 GWB, Rdnr. 267; Ziekow/Völlink-Dicks, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 160, Rdnr. 50). Auf die Erkenntnisse beziehungsweise Erkenntnismöglichkeiten des konkreten Unternehmens – hier diejenigen der Antragstellerin – kommt es insoweit nicht an (vgl. OLG Naumburg, a.a.O., m.w.N.; MünchKomm-Jaeger, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 160 GWB, Rdnr. 81). Das Tatbestandsmerkmal der Erkennbarkeit in § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB bezieht sich zudem nicht ausschließlich auf die den Vergabeverstoß begründenden Tatsachen, sondern zudem auf deren rechtliche Bewertung als Vergaberechtsverstöße (vgl. Senat, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.; KG, a.a.O.; OLG Frankfurt am Main, NZBau 2017, 569, 571, Rdnr. 46; MünchKomm-Jaeger, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 160 GWB, Rdnr. 81, m.w.N.; Ziekow/Völlink-Dicks, a.a.O., Rdnr. 48; Burgi/Dreher/Opitz-Horn/Hofmann, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 160 GWB, Rdnr. 50). Erkennbar in diesem Sinne sind nur solche Verstöße, die laienhaft und ohne Anwendung juristischen Sachverstands ins Auge fallen (vgl. OLG Frankfurt am Main, a.a.O.; OLG Naumburg, Beschluss vom 16. Dezember 2016 – 7 Verg 6/16 -, juris, Rdnr. 54; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. August 2011 – Verg 30/11 -, BeckRS 2011, 21699). Dabei ist zu beachten, dass ein Durchschnittsbieter im oben dargestellten Sinne weder umfassend die vergaberechtlichen Literatur und Rechtsprechung noch im Einzelnen die Rechtsprechung zur Auslegung der maßgeblichen Bestimmungen kennen muss (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 28. Oktober 2021 – 54 Verg 5/21 -, juris, Rdnr. 293; OLG Frankfurt am Main, a.a.O.; OLG Naumburg, a.a.O., Rdnr. 57, m.w.N.).

Randnummer42

Danach war der hier in Rede stehende Vergaberechtsverstoß nicht erkennbar im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB. Denn er gründet gerade auf der vergaberechtlichen Rechtsprechung zur Auslegung der das Gleichheits- und des Transparenzgebot normierenden europarechtlichen Vorschriften. Gegenstand der hier verfahrensgegenständlichen Rüge der Antragstellerin ist nämlich ausschließlich die (Rechts-)Behauptung, die Vergabeunterlagen genügten nicht den seitens des Europäischen Gerichtshofs mit Urteil vom 17. Juni 2021 – C-23/20 – postulierten – vergaberechtlichen Normen bei deren bloßer Lektüre nicht ohne Weiteres zu entnehmenden – Anforderungen. Ohne vorherige anwaltliche Beratung konnte ein durchschnittlich fachkundiger Bieter die hier in Rede stehende Vergaberechtswidrigkeit der verlinkten Vergabeunterlagen in rechtlicher Hinsicht mithin nicht erkennen (vgl. insoweit auch VK Bund, Beschluss vom 26. Oktober 2021 – VK 1 – 108/21 -, juris, Rdnr. 95).

Randnummer43

Eine positive Kenntnis des Vergaberechtsverstoßes durch die Antragstellerin im Sinne eines Erkennens gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ist ebenfalls nicht feststellbar. Die dem Rügeschreiben vom 16. Mai 2022 beigefügte Vollmacht spricht vielmehr dafür, dass sich die Antragstellerin erst am 13. Mai 2022 hatte anwaltlich beraten zu lassen. Eine frühere Rechtsberatung hat auch die Antragsgegnerin nicht behauptet. Hierfür bestehen auch sonst keine – greifbaren – Anhaltspunkte.

Randnummer44

Im Übrigen lag das Rügeschreiben – ausweislich der Vergabeakten – der Antragsgegnerin jedenfalls schon am 17. Mai 2022 vor. In diesem war auch – unter anderem – gerügt worden, dass in den Vergabeunterlagen keine Höchstabnahmemenge angegeben worden sei, „ab deren Erreichen die ausgeschriebene Rahmenvereinbarung endet“ (Hervorhebung durch den Senat). Es war also gerade nicht lediglich das Fehlen der Angabe einer Höchstabnahmemenge gerügt worden.

Randnummer45

Dass die Antragstellerin schon früher – jedenfalls vor Ablauf der Angebotsfrist – ein Kalkulationsrisiko und Unsicherheiten bei der Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit bemerkt hatte, ändert an alledem nichts. Denn allein die Existenz derartiger Risiken und Unsicherheiten begründet keinen Vergaberechtsverstoß (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. September 2017 – VII-Verg 9/17 -, juris, Rdnr. 77, m.w.N.; Beschluss vom 18. April 2012 – VII-Verg 93/11 -, juris, Rdnr. 20). Dies gilt insbesondere im – hier vorliegenden – Falle der Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. April 2012 – VII-Verg 93/11 -, juris, Rdnr. 20). Die Vergaberechtswidrigkeit folgt daher erst aus den oben wiedergegebenen seitens des Europäischen Gerichtshofs entwickelten Erwägungen rechtlicher Art. Entscheidend sowohl für die Erkennbarkeit im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 GWB (vgl. insoweit Senat, a.a.O.; OLG Düsseldorf, a.a.O.; KG, a.a.O.; OLG Frankfurt am Main, NZBau 2017, 569, 571, Rdnr. 46; MünchKomm-Jaeger, Wettbewerbsrecht, 4. Aufl. 2022, § 160 GWB, Rdnr. 81, m.w.N.; Ziekow/Völlink-Dicks, a.a.O., Rdnr. 48; Burgi/Dreher/Opitz-Horn/Hofmann, Beck’scher Vergaberechtskommentar, 4. Aufl. 2022, § 160 GWB, Rdnr. 50) als auch für die Kenntnis im Sinne von § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 26. September 2006 – X ZB 14/06 -, juris, Rdnr. 35; MünchKomm-Jaeger, a.a.O., Rdnr. 56; Burgi/Dreher/Opitz-Horn/Hofmann, a.a.O., Rdnr. 44, m.w.N.) kommt es – auch – auf die rechtliche Wertung an, dass eine Missachtung von Bestimmungen über das Vergabeverfahren vorliegt.

Randnummer46

Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet. Denn die Antragsgegnerin hat mit den für das hier in Rede stehende Verfahren maßgeblichen Vergabeunterlagen gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) und der Transparenz (§ 97 Abs. 1 Satz 1 GWB) verstoßen und damit die Antragstellerin in ihren aus den vorzitierten Normen folgenden Rechten verletzt.

Randnummer47

Nach § 97 Abs. 2 GWB sind alle Teilnehmer an einem Vergabeverfahren gleich zu behandeln, es sei denn, eine Ungleichbehandlung ist aufgrund dieses Gesetzes ausdrücklich geboten oder gestattet. Zudem ist das Vergabeverfahren nach § 97 Abs. 1 Satz 1 GWB transparent zu gestalten. Beiden Verfahrensmaximen – Gleichbehandlungsgrundsatz und Transparenzgebot – kommt bieterschützender Charakter zu (vgl. BGH, NZBau 2005, 290, 295; Gabriel/Krohn/Neun-Freytag, Handbuch Vergaberecht, 3. Aufl. 2021, § 38, Rdnr. 62, m.w.N., Ziekow/Völlink-Ziekow, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 97, Rdnr. 22 und Rdnr. 43; Pünder/Schellenberg-Fehling, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 97, Rdnr. 158, m.w.N.).

Randnummer48

Sie gebieten unter anderem, dass im Falle der Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung in der entsprechenden (Auftrags-)Bekanntmachung und/oder in den Vergabeunterlagen sowohl die Schätzmenge und/oder der Schätzwert als auch eine Höchstmenge und/oder ein Höchstwert der gemäß der Rahmenvereinbarung zu erbringenden Dienstleistungen beziehungsweise der zu liefernden Waren anzugeben sind, und dass die Rahmenvereinbarung ihre Wirkung verliert, wenn diese Menge oder dieser Wert erreicht ist (vgl. EuGH, Urteil vom 17. Juni 2021 – C-23/20 -, juris, Tenor Ziffer 1. und Rdnr. 61, Rdnr. 68 sowie Rdnr. 71). Dass der öffentliche Auftraggeber die Schätzmenge und/oder den Schätzwert sowie eine Höchstmenge und/oder einen Höchstwert der gemäß einer Rahmenvereinbarung zu erbringenden Dienstleistungen beziehungsweise der zu liefernden Waren angibt, ist für den Bieter von erheblicher Bedeutung, da er auf der Grundlage dieser Schätzung seine Leistungsfähigkeit zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der Rahmenvereinbarung beurteilen kann (vgl. EuGH, a.a.O., Rdnr. 63). Wäre der Höchstwert oder die Höchstmenge der Rahmenvereinbarung nicht angegeben oder die Angabe nicht rechtlich verbindlich, könnten sich öffentliche Auftraggeber zudem über diese Höchstmenge hinwegsetzen (vgl. EuGH, a.a.O., Rdnr. 64). Dann könnten Zuschlagsempfänger wegen Nichterfüllung der Rahmenvereinbarung vertraglich haftbar gemacht werden, wenn sie die von den öffentlichen Auftraggebern geforderten Mengen nicht leisten könnten, selbst wenn diese Mengen die Höchstmenge in der Bekanntmachung und/oder den Vergabeunterlagen überschreiten (vgl. EuGH, a.a.O.).

Randnummer49

Diesen Anforderungen sind die hier maßgeblichen Vergabeunterlagen nicht gerecht geworden. Denn ihre Auslegung ergibt eindeutig, dass eine Überschreitung des Höchstwerts der zu erbringenden Dienstleistungen nach der ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung gerade nicht ohne Weiteres zu einem Erlöschen der Leistungspflicht des Auftragnehmers führen soll. Vielmehr wird dem öffentlichen Auftraggeber – der Antragsgegnerin – die Möglichkeit eröffnet sich über die „Höchstmenge“ der Dienstleistungen hinwegzusetzen.

Randnummer50

Dabei verkennt der Senat nicht, dass in der Regel allein die Angabe einer Höchstmenge und/oder eines Höchstwerts der gemäß der ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung zu erbringenden Dienstleistungen beziehungsweise der zu liefernden Waren dazu führt, dass sich der öffentliche Auftraggeber nur bis zu dieser Höchstmenge und/oder des Höchstwerts verpflichten kann und die Rahmenvereinbarung damit ohne Weiteres ihre Wirkung verliert, wenn die Menge oder der Wert erreicht ist (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – C-274/21 und C-275/21 -, Rdnr. 66, m.w.N.). Hier bestehen aber tatsächliche Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls, die zu der Feststellung führen, dass mit der ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung eine von dieser Regel abweichende Ausnahme vereinbart werden sollte.

Randnummer51

Die Frage, welcher Erklärungswert den maßgeblichen Teilen der Vergabeunterlagen zukommt, ist nämlich nach den für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätzen (§§ 133, 157 BGB) zu entscheiden (vgl. BGH, NZBau 2014, 185, 188, Rdnr. 31; 2013, 180, 181, Rdnr. 9; 2008, 592, 592, Rdnr. 10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Juni 2022 – VII-Verg 19/22 -, juris, Rdnr. 36; NZBau 2018, 563, 565, Rdnr. 31; 242, 245, Rdnr. 41; OLG Celle, Beschluss vom 18. November 2021 – 13 Verg 6/21 -, Rdnr. 15; OLG Rostock, Beschluss vom 30. September 2021 – 17 Verg 3/21 -, juris, Rdnr. 66; OLG Dresden, Beschluss vom 5. Februar 2021 – Verg 4/20 -, juris, Rdnr. 34). Dabei ist im Rahmen einer normativen Auslegung auf den objektiven Empfängerhorizont der potenziellen Bieter beziehungsweise Bewerber, also einen abstrakten Adressatenkreis, abzustellen (BGH, a.a.O.; NZBau 2012, 513, 514, Rdnr. 10; NJW-RR 1993, 1109, 1110; OLG Düsseldorf, a.a.O.; OLG Rostock, a.a.O.). Es kommt nicht darauf an, wie die Antragstellerin als einzelne Bieterin die Unterlagen verstanden hat, sondern wie der durchschnittliche Bieter des angesprochenen Bewerberkreises sie verstehen musste oder konnte (vgl. BGH, NJW-RR 1993, 1109, 1110; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Juni 2022 – VII-Verg 19/22 -, juris, Rdnr. 37; NZBau 2018, 563, 565, Rdnr. 31; 242, 245, Rdnr. 41). Entscheidend ist die Verständnismöglichkeit aus der Perspektive eines verständigen und mit der ausgeschriebenen Leistung vertrauten Unternehmens, das über das für eine Angebotsabgabe oder die Abgabe eines Teilnahmeantrags erforderliche Fachwissen verfügt (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O., m.w.N.).

Randnummer52

Von diesen Grundsätzen ausgehend sind die hier maßgeblichen Vergabeunterlagen im oben genannten Sinne auszulegen. Denn Ziffer 2.4 des bei den Vergabeunterlagen befindlichen Entwurfs der abzuschließenden Rahmenvereinbarung sieht ein Kündigungsrecht des Auftraggebers für den Fall vor, dass das diesem genehmigte Budget in Höhe von […] € (netto) aufgrund bereits erteilter Aufträge ausgeschöpft ist. Zudem entspricht dieses genehmigte Budget seiner Höhe nach gerade dem in den Vergabeunterlagen als solches bezeichneten und ebenfalls mit […] € (netto) bezifferten maximalen Auftragsvolumen der ausgeschriebenen Rahmenvereinbarung. Die Regelung des Kündigungsrechts in Ziffer 2.4 der Rahmenvereinbarung hätte folglich keinerlei Sinn, wenn eine Überschreitung des Höchstwerts der zu erbringenden Dienstleistungen von […] € ohne Weiteres zu einem Erlöschen der Leistungspflicht des Auftragnehmers führen sollte. Eines Kündigungsrechts bedürfte es dann schlichtweg nicht.

Randnummer53

Ein entsprechendes Erfordernis folgt auch – anders als die Antragsgegnerin meint – nicht aus der Gefahr einer Doppelausschreibung. Denn ohne ein entsprechendes Kündigungsrecht würde die Rahmenvereinbarung – wie oben bereits dargestellt – ohne Weiteres mit Erreichen der angegebenen Höchstmenge und/oder des Höchstwerts der zu erbringenden Dienstleistungen beziehungsweise der zu liefernden Waren „automatisch“ ihre Wirkung verlieren (vgl. EuGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – C-274/21 und C-275/21 -, Rdnr. 66, m.w.N.). Die Gefahr, bei einem sich überschneidenden Leistungszeitraum zwei Rahmenvereinbarungen abzuschließen, hätte damit auch bei einem Verzicht auf das hier in Rede stehende Kündigungsrecht nicht bestanden.

Randnummer54

Dieses war auch nicht erforderlich, um der Antragsgegnerin die Möglichkeit einer Auftragsänderung während der Vertragslaufzeit (§ 132 GWB) offen zu halten. Denn eine entsprechende Änderungsmöglichkeit besteht gerade auch dann, wenn kein Kündigungsrecht wie das hier in Rede stehende vereinbart ist und die Rahmenvereinbarung ohne Weiteres mit Erreichen der angegebenen Höchstmenge und/oder des Höchstwerts der zu erbringenden Dienstleistungen beziehungsweise der zu liefernden Waren ihre Wirkung verliert (vgl. EuGH, a.a.O., Rdnr. 67, m.w.N.).

Randnummer55

In diesem Zusammenhang verkennt der Senat auch nicht, dass im Rahmen eines formalisierten Vergabeverfahrens abgegebene Erklärungen des Auftraggebers regelmäßig so zu verstehen sind, dass sie im Einklang mit den vergaberechtlichen Bestimmungen stehen (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2010 – VII ZR 201/08 -, juris, Rdnr. 18; Urteil vom 10. September 2009 – VII ZR 152/08 -, juris, Rdnr. 20). Dies gilt jedoch nur „im Zweifel“ (vgl. BGH, Urteil vom 6. September 2012 – VII ZR 193/10 -, juris, Rdnr. 19), also im Falle eines ansonsten nicht eindeutigen Auslegungsergebnisses. Ein solches liegt hier indes – wie sich den vorstehenden Ausführungen entnehmen lässt – gerade nicht vor.

Randnummer56

Der nach alledem vorliegende Verfahrensfehler hat die Antragstellerin auch in ihren Rechten verletzt (§ 168 Abs. 1 Satz 1 GWB). Die Feststellung einer subjektiven Rechtsverletzung setzt nicht die Feststellung voraus, dass die Antragstellerin bei Einhaltung der Vergabevorschriften den Zuschlag erhalten hätte (vgl. OLG München, Beschluss vom 21. September 2018 – Verg 04/18 -, juris, Rdnr. 60). Es reicht vielmehr aus, dass nicht oder nicht zuverlässig beurteilt werden kann, ob die Antragstellerin bei vergaberechtskonformer Korrektur des Verfahrens in der Wertung den ersten Platz erringen kann (vgl. OLG München, a.a.O.). So liegt der Fall hier. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass im Falle einer Neuausschreibung mit den seitens des Europäischen Gerichtshofs mit Urteil vom 17. Juni 2021 – C-23/20 – postulierten Anforderungen entsprechenden Vergabeunterlagen die Antragstellerin eventuell den Zuschlag erhalten kann (vgl. insoweit auch OLG München, Beschluss vom 21. Mai 2010 – Verg 2/10 -, BeckRS 13748; BeckOK Gabriel/Mertens/Prieß/Stein-Prell, 26. Edition, Stand: 31. Oktober 2022, § 168, Rdnr. 27).

Randnummer57

Nach alledem ist das Vergabeverfahren nach § 168 Abs. 1 Satz 1 GWB analog (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 19. September 2022 – 54 Verg 3/22 -, juris, Rdnr. 254; Ziekow/Völlink-Steck, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 178 GWB, Rdnr. 11) in den Stand vor der Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen. Denn die Antragsgegnerin hat – eine fortbestehende Beschaffungsabsicht vorausgesetzt – die Vergabeunterlagen der Rechtsauffassung des Senats entsprechend zu überarbeiten und den Bietern erneut Gelegenheit zur Abgabe eines Angebots zu geben. Die Vergabeunterlagen waren den Bietern indes bereits mit der Auftragsbekanntmachung über einen in diese aufgenommenen Internet-Link zur Verfügung gestellt worden.

Randnummer58

Soweit der Senat vorliegend eine Auslegung des relevanten Europarechts vorgenommen hat, bedurfte es auch eines Vorabentscheidungsersuchens an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 267 Abs. 3 AEUV – anders als die Antragsgegnerin meint – nicht. Denn die seitens des Senats zur Anwendung gebrachten europarechtlichen Grundsätze sind – wie sich den entsprechenden obigen Zitaten entnehmen lässt – allesamt bereits seitens des Europäischen Gerichtshofs geklärt. Im Übrigen hat der Senat diese Grundsätze lediglich auf den vorliegend als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung stehenden Sachverhalt angewandt.

Randnummer59

Das antragsgegnerseits eingelegte Rechtsmittel ist zwar ebenfalls zulässig – insbesondere statthaft (§ 171 Abs. 1 Satz 1 GWB), der gesetzlichen Form (§ 172 Abs. 3, 175 Abs. 2, 72 Nr. 2 GWB, 130d Satz 1, 130a Absätze 1 bis 3, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und Frist (§§ 172 Abs. 1, 175 Abs. 2, 72 Nr. 2 GWB, 130a Abs. 5 Satz 1 ZPO) gemäß eingelegt sowie form- und fristgerecht begründet (§ 172 Abs. 2, 175 Abs. 2, 72 Nr. 2 GWB, 130d Satz 1, 130a Absätze 1 bis 3, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 ZPO) worden – aber unbegründet. Aufgrund des Erfolgs der antragstellerseits eingelegten Beschwerde und damit des verfahrensgegenständlichen Nachprüfungsantrags sowie der entsprechenden Kostenfolge (§§ 182 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 GWB) sind die antragsgegnerseits im Verfahren vor der Vergabekammer aufgewandten Gebühren und Auslagen ihrer Verfahrensbevollmächtigten nicht erstattungsfähig. Ein Ausspruch über die Notwendigkeit der antragsgegnerseits erfolgten Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten im Verfahren vor der Vergabekammer – wie seitens der Antragsgegnerin mit ihrem Rechtsmittel begehrt – ist damit nicht veranlasst.

Randnummer60

Die das Beschwerdeverfahren betreffende Kostenentscheidung folgt aus §§ 175 Abs. 2, 71 Sätze 1 und 2 GWB. Es entspricht der Billigkeit, der Antragsgegnerin die durch das begründete Rechtsmittel der Antragstellerin sowie die durch ihr eigenes unbegründetes Rechtsmittel entstandenen Kosten aufzuerlegen. Ebenfalls aus Gründen der Billigkeit trägt die Beigeladene, die im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat keinen Antrag gestellt und sich auch sonst nicht in einem nennenswerten Umfang am Beschwerdeverfahren beteiligt hat, ihre Kosten selbst (vgl. insoweit auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Juli 2020 – VII-Verg 40/19 -, juris, Rdnr. 3).

Randnummer61

Die das Verfahren vor der Vergabekammer betreffende Kostenentscheidung beruht auf den §§ 182 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 GWB.

Randnummer62

Der Ausspruch über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten im Verfahren vor der Vergabekammer folgt aus § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. §§ 1 Abs. 1 LVwVfG Rh.-Pf., 19 Abs. 2 AGVwGO Rh.-Pf. Die Erstattungsfähigkeit der antragstellerischen Rechtsanwaltskosten für den Beschwerderechtszug bedurfte keiner Tenorierung; sie folgt unmittelbar kraft Gesetzes aus § 175 Abs. 1 Satz 1 GWB (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 9. Dezember 2020 – 17 Verg 4/20 -, juris, Rdnr. 91).

Randnummer63

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 50 Abs. 2, 45 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 GKG, 3 ZPO analog.

Randnummer64

Insoweit entfallen […] € auf den Streitwert der antragstellerseits eingelegten Beschwerde. Dies folgt aus § 50 Abs. 2 GKG.

Randnummer65

Danach beträgt der Streitwert im Verfahren über die Beschwerde gegen eine Entscheidung der Vergabekammer 5 % der Bruttoauftragssumme als pauschalierte Gewinnerwartung des Antragstellers bzw. Beschwerdeführers (vgl. BeckOK Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn-Toussaint, Kostenrecht, 39. Edition, Stand: 1. Oktober 2022, § 50 GKG, Rdnr. 26), hier also derjenigen der Antragstellerin. Diese entspricht grundsätzlich dem Preis, den der Bieter für seine Leistung vom Auftraggeber als Gegenleistung fordert, und ist daher im Regelfall – wie auch hier – dem Angebot des Antragstellers bzw. Beschwerdeführers (hier: der Antragstellerin) zu entnehmen (vgl. BGH, NZBau 2014, 452, 453, Rdnr. 7; OLG Naumburg, Beschluss vom 30. Dezember 2002 – 1 Verg 11/02 -, juris, Rdnr. 11; BeckOK Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn-Toussaint, a.a.O., Rdnr. 24; Schneider/Volpert/Fölsch-Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, § 50 GKG, Rdnr. 33). Insoweit war hinsichtlich der optional möglichen Zeiträume etwaiger Vertragsverlängerungen allerdings ein Abschlag von 50 % vorzunehmen (vgl. BGH, NZBau 2014, 452, 454, Rdnr. 10 bis Rdnr. 13).

Randnummer66

Auf den Streitwert des Rechtsmittels der Antragsgegnerin entfallen weitere […] €. Dies beruht auf § 3 ZPO analog.

Randnummer67

Richtet sich ein Rechtsmittel nämlich – wie hier – nur gegen die Kostenentscheidung der Vergabekammer (oder einen Teil davon), findet § 50 Abs. 2 GKG keine Anwendung. Der Gegenstandswert ist vielmehr in entsprechender Anwendung von § 3 ZPO nach freiem Ermessen festzusetzen; es kommt in Wesentlichen darauf an, welches finanzielle Interesse der Rechtsmittelführer mit seinem Bestreben nach Abänderung der angefochtenen Entscheidung verfolgt (vgl. zu allem Vorstehenden Senat, Beschluss vom 17. Juni 2020 – Verg 1/20 -, juris, Rdnr. 25; Beschluss vom 16. Januar 2017 – Verg 5/16 -, juris, Rdnr. 25; OLG Brandenburg, Beschluss vom 21. Mai 2012 – Verg W 1/12 -, juris, Rdnr. 21; OLG Dresden, Beschluss vom 10. Juni 2010 – WVerg 0004/10 -, juris, Rdnr. 7).

Randnummer68

Der hier in Rede stehende Wert ist folglich entsprechend der streitigen Verfahrenskosten zu bemessen. Diese bestehen aus den antragsgegnerseits im Verfahren vor der Vergabekammer aufgewandten Gebühren und Auslagen ihrer Verfahrensbevollmächtigten. Denn mit ihrem Rechtsmittel verfolgt die Antragsgegnerin das Ziel, deren Erstattungsfähigkeit herbeizuführen.

Randnummer69

Die entsprechenden Gebühren der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin sind – ausgehend von einem Gegenstandswert in Höhe von […] € (s.o.) und der Angemessenheit einer 2,0-fachen Gebühr (vgl. insoweit Senat, a.a.O., Rdnr. 27; OLG München, Beschluss vom 27. August 2009 – Verg 4/09 -, BeckRS 2009, 27006; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Juli 2005 – VII-Verg 83/04 -, juris, Rdnr. 21; Ziekow/Völlink-Losch, Vergaberecht, 4. Aufl. 2020, § 182 GWB, Rdnr. 68, jew. m.w.N.) – hier wie folgt in Ansatz zu bringen:

Randnummer70

[…]

Vergabe von Pflegearbeiten an Außenanlagen sowie von Leistungen im Landschaftsbau nach UVgO/ VgV

Vergabe von Pflegearbeiten an Außenanlagen sowie von Leistungen im Landschaftsbau nach UVgO/ VgV

Bei der Vergabe von Pflegearbeiten an Außenanlagen sowie von Leistungen im Landschaftsbau geht es um eine Vielzahl von Leistungen. Insbesondere in der kommunalen Praxis geht es bei derartigen Verträgen nicht nur um den Landschaftsbau selber, sondern auch um Baum- und Grünflächenpflege. Auch Leistungen des Winterdienstes oder Verkehrssicherungsdienste fallen sehr häufig an. Insbesondere bei Grünflächenpflegeleistungen ist in der Praxis umstritten, welche Vergabeordnung anwendbar ist.

Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen der Anwendung der VOB/A und der UVgO können sich bei der Zuordnung von Pflegearbeiten an Außenanlagen ergeben. Fraglich ist, ob entsprechende Pflegearbeiten als Bauleistungen i. S. d. VOB einzuordnen sind, hierdurch also eine „bauliche Anlage hergestellt, instand gehalten, geändert oder beseitigt wird“ (vgl. § 1 VOB/A). In erster Linie zielen Bauleistungen auf die Schaffung, Erhaltung oder Änderung eines Bauwerkes ab. Bauwerk in dem Sinne meint eine unbewegliche, durch Verwendung und Material mit dem Erdboden verbundene Sache. Als Bauleistung sind insoweit alle Arbeiten zu verstehen, die auf eine bauliche Anlage bezogen sind. Die tatbestandliche Alternative der Instandhaltung in § 1 VOB/A eröffnet den Leistungsbegriff insoweit auch auf nachgelagerte Arbeiten, die nach der Schaffung dem Funktionserhalt der Anlage dienen. Hierunter können auch Pflegearbeiten gefasst werden.
Ein Indiz kann insoweit zumindest für Bauvergaben unterhalb der EU-Schwellenwerte die Zuordnung in der VOB/C (Allgemeine Technische Vertragsbedingungen für Bauleistungen-ATV) sein. Entsprechend der ATV DIN 18320 „Landschaftsbauarbeiten“ gilt diese (Bauleistung) für „vegetationstechnische Bau-, Pflege-, Instandhaltungs- und Rodungsarbeiten“ sowie auch für „Bau-, Pflege- und Instandhaltungsarbeiten für Spiel- und Sportanlagen“ und für „Schutzmaßnahmen für Bäume. Pflanzbestände und Vegetationsflächen“ (ATV DIN 18320).

Ergänzend ist aber zu beachten, dass Arbeiten auch jenseits eines Funktionszusammenhanges zu Bauwerken als Bauleistungen gewertet werden können. Dies betrifft namentlich Arbeiten an einem Grundstück bzw. Erdarbeiten (vgl.: Korbion, in: Vygen/Katzenberg, VOB, § 1, Rn. 25). Zu solchen Erdarbeiten zählen etwa auch Pflanzarbeiten. Grundsätzlich kann vor diesem Hintergrund die fachgerechte Hegung von Außenanlagen durch Erneuerung von Bepflanzungen etc. als Bauleistung im Sinne der VOB definiert und auch vergeben werden (vgl. Marx, in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOB/A, § 1, Rn. 44). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Verjährungszeit für Mängelansprüche bei einer derartigen Zuordnung als nicht bauwerksbezogene Arbeiten an einem Grundstück bzw. Erdarbeiten vor dem Hintergrund von § 13 IV Nr. 1 VOB/B i. V. m. § 634a BGB nur zwei Jahre beträgt.
Gleichwohl wäre es verfehlt, jegliche Pflegemaßnahme im Außenbereich als Bauleistung auf Grundlage der VOB zu vergeben. Immerhin ordnen europarechtliche Vorgaben bei Vergaben oberhalb der EU-Schwellenwerte Instandhaltungs- und Reparaturmaßnahmen auch den Dienstleistungen zu (vgl. etwa RL 2004/18/EG, Anhang II, Teil A, Kategorie 1). Nähere Zuordnungskriterien hat insoweit die Vergabekammer Berlin mit ihrer Entscheidung vom 02.06.2009 (VK-B2-12/09) definiert. Die Tatbestandsalternative der Instandsetzungsmaßnahme in § 1 VOB/A ist demnach vor dem Hintergrund von § 99 Abs. 3 GWB und weiterer europarechtlicher Vorgaben (vgl. Richtlinie 2004/18/EG, Anhang I) zu interpretieren. Für die Abgrenzung von Maßnahmen nach VOB und UVgO ist insoweit maßgeblich, ob es durch die in Rede stehende Maßnahme zu „nennenswerten Eingriffen in die Bausubstanz“ kommt. Vor diesem Hintergrund kann eine Pflegemaßnahme dann keine Bauleistung sein, wenn die Maßnahme der bloßen Erhaltung des zum bestimmungsgemäßen Gebrauch geeigneten (Soll-)Zustandes dient. Geht die Leistung hingegen über die Sicherung der laufenden Bestimmungsgemäßheit hinaus, indem diese durch einen nicht unwesentlichen Substanzeingriff erst wieder hergestellt werden muss, liegt eine Zuordnung als Bauleistung nahe (vgl.: Eschenbruch, in: Kulartz/Kus/Portz, GWB, § 99, Rn. 182).
Für Pflegemaßnahmen an Außenanlagen ist insoweit eine Unterscheidung nach dem Charakter und dem Schwerpunkt der zu vergebenden Leistung vorzunehmen. Erst wenn vom Schwerpunkt her eine Leistung zu vergeben ist, die Instandsetzungen von einer Dimension, die vergleichbar mit einer Neuanlage sind, zum Inhalt hat, stellt die VOB die Rechtsgrundlage dar. Dies dürfte z. B. bei umfassenderen Neugestaltungen von Parkanlagen oder dem Ersatz einer großflächigen Bepflanzung der Fall sein. Beschränkt sich der Auftragsgegenstand hingegen auf regelmäßige und untergeordnete Pflegearbeiten, wie etwa Rasenmähen, Heckenrückschnitte oder vergleichbare Maßnahmen, die dem schlichten und dauerhaften Erhalt der Anlage dienen, und liegt daher der Schwerpunkt der Aufgabe in einer Dienstleistung, dürfte die UVgO für die Vergabe zur Anwendung kommen.

Sollte der EU-Auftragswert erreicht oder überschritten sein und eine nach GWB/ VgV gebotene EU-Vergabe unterbleiben, wäre der Vertrag schwebend unwirksam.

Das OLG München sieht einen drohenden Schaden auch bei dem Bieter, der an einem unzutreffend national durchgeführten Verfahren beteiligt wurde. Sofern Auftraggeber nationale Vergabeverfahren durchführen, obwohl eigentlich eine europaweite Ausschreibung geboten wäre, stellt sich immer wieder die Frage der Rügepräklusion, wenn sich ein Bieter zunächst auf dieses unzutreffende Verfahren eingelassen hat. Allein die Rüge eines am unzutreffenden Verfahren teilnehmenden Bieters, der Auftrag müsse europaweit ausgeschrieben werden, dürfte aber für sich noch keine Rechtsverletzung des Rügenden bedeuten – er nimmt ja gerade am Verfahren teil.

In einer Entscheidung hat das OLG München (B. v. 02.06.2016, Verg 15/15) dies allerdings anders beurteilt. Der Vergabesenat nimmt einen drohenden Schaden bereits deshalb an, weil der rügende Bieter sein Angebot evtl. günstiger kalkuliert hätte und eine entsprechend höhere Chance auf den Zuschlag gehabt hätte, wenn er von einem unbeschränkten Wettbewerb hätte ausgehen müssen.

Zunächst bestätigt der Senat die Vergabekammer dahingehend, dass der Auftrag bei zutreffender Schätzung des Auftragswertes europaweit hätte ausgeschrieben werden müssen.

Diesen Verstoß hätte der Auftraggeber auch aus den Vergabeunterlagen nicht erkennen können. Zwar hätte den Vergabeunterlagen entnommen werden können, dass eine nationale Ausschreibung durchgeführt würde. Allerdings sei der Auftragswert, von dem der Auftraggeber ausgegangen sei, nicht ersichtlich gewesen. Von einem durchschnittlichen Unternehmen in diesem Bereich (kleines Busunternehmen mit kleinem Fuhrpark und regionalem Tätigkeitsschwerpunkt) könnten keine genauen Kenntnisse über maßgebliche Schwellenwerte und die Berechnung des Auftragswertes erwartet werden. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Ausschreibung von Beförderungsleistungen der öffentlichen Hand eher die Ausnahme darstelle. Der Antragsteller sei daher mit seinem Vorbringen auch nicht präkludiert.

Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BGH (B. v. 10.11.2009, Az.: X ZB 8/09) habe der Antragsteller ferner dargelegt, dass ihm durch einen Vergaberechtsverstoß ein Schaden entstanden sei bzw. zu entstehen drohe. Hierzu genüge es, wenn sich aus dem Vortrag ergebe, dass der Antragsteller für den Fall eines neuerlichen Verfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte als in dem beanstandeten Verfahren. Es sei unerheblich, dass nicht abzusehen sei, ob der Antragsteller in dem neuen Verfahren tatsächliche Chancen auf den Zuschlag hätte.

In dem vom BGH zu entscheidenden Fall hatte der Auftraggeber zwar statt eines gebotenen Offenen Verfahrens ein Verhandlungsverfahren durchgeführt. Die vorstehenden wesentlichen Grundsätze dieser Entscheidung seien jedoch nach Ansicht des Senats auf den hiesigen Sachverhalt zu übertragen. Ein Schaden könne daher nicht allein mit der Begründung verneint werden, dass er Antragsteller in dem nationalen Verfahren unterlegen sei. Vielmehr könne er sich darauf berufen, in einem europaweiten Verfahren bessere Chancen auf den Zuschlag zu haben.

In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigten, dass durch ein europaweites Verfahren nicht nur der Bieterkreis erweitert werden würde. Vielmehr ergebe sich auch ein Unterschied in Bezug auf die durchzuführenden Verfahrensschritte und die erhöhten formellen Bindungen des Auftraggebers. Der Senat unterlegt seine Ansicht mit Verweis auf weitere obergerichtliche Rechtsprechung, insbesondere auf einen Beschluss des OLG Rostock vom 06.11.2015 (Az.: 17 Verg 27/15). Gleichfalls wird darauf hingewiesen, dass es sich bei der Entscheidung des Senats vom 31.01.2013 (Az.: Verg 31/12), durch welchen ein Nachprüfungsantrag zurückgewiesen wurde, da der Antragsteller zu Recht wegen Änderung der Vergabeunterlagen ausgeschlossen wurde, um eine Einzelfallentscheidung handele.

Vorliegend sei lediglich entscheidend, ob der Antragsteller nachvollziehbar dargelegt habe, im Falle einer europaweiten Ausschreibung bessere Chancen auf den Zuschlag zu haben. Dies sei deswegen gelungen, da der Antragsteller vorgetragen habe, er hätte in diesem Fall seinen Angebotspreis nicht gegenüber dem vorangegangenen Auftrag erhöht bzw. aufgrund der Konkurrenzsituation sogar günstiger kalkuliert.

Der Nachprüfungsantrag sei daher wegen eines Verstoßes gegen die Informationspflicht nach § 134 Abs. 1 GWB und des Unterlassens eines europaweiten Verfahrens begründet, die Unwirksamkeit des Vertrags entsprechend festzustellen.

Einem Bieter, der sich an dem beanstandeten Vergabeverfahren durch die Abgabe eines Gebots beteiligt hat, droht also regelmäßig auch dann (allein deshalb) ein Schaden durch eine Verletzung von Vergabevorschriften, wenn statt einer europaweiten Ausschreibung ein nationales Vergabeverfahren eingeleitet wurde.

Wir raten dringend: Bitte führen Sie im Zweifel ein EG-Vergabeverfahren nach GWB/ VgV durch.

Symposium Vergaberecht im Bildungszentrum der Bundeswehr

Symposium Vergaberecht im Bildungszentrum der Bundeswehr vom 15.05.-17.05.2023 

Referent: Dr. Thomas Ax

Wann? 16.05.2023

09.15 Uhr „Inhalt und Grenzen von Anforderungen zur Versorgungssicherheit nach § 8 VSVgV“

13.45 Uhr „Inhaltliche Anforderungen an ein Schreiben nach § 134 GWB“

Ob Panzer, Computer oder Bekleidung: Damit die Bundeswehr ihren Auftrag erfüllen kann, braucht sie die entsprechende Ausrüstung. Zuständig ist gemäß Art. 87b des Grundgesetzes die Bundeswehrverwaltung. Um die Bundeswehr mit leistungsfähigem und sicherem Gerät auszustatten, werden von zivilen Dienststellen der Bundeswehrverwaltung Aufträge an Industrie, Handel und Gewerbe vergeben. Im Entscheidungsprozess müssen alle Beteiligten zahlreiche vergaberechtliche Vorschriften beachten.

Sonderausgabe
Das aktuelle Begleitheft zum Symposium am 16.05.2023

Kurz belichtet: Vermutungen ohne Anknüpfungstatsachen = Rüge „ins Blaue hinein“

Kurz belichtet: Vermutungen ohne Anknüpfungstatsachen = Rüge „ins Blaue hinein“

1. Weist der Auftraggeber fristgemäße Rügen nach § 160 Abs. 3 GWB zurück und schafft keine Abhilfe, so muss innerhalb der Frist des § 160 Abs. 3 Nr. 4 GWB der Nachprüfungsantrag gestellt werden.

2. Eine unzulässige Rüge „ins Blaue hinein“ liegt vor, wenn der Antragsteller keine tatsächlichen Anknüpfungstatsachen oder Indizien vorträgt, die einen hinreichenden Verdacht auf einen bestimmten Vergaberechtsverstoß begründen. Reine Vermutungen zu eventuellen Vergabeverstößen reichen nicht aus.

3. Ist ein Angebot aufgrund fehlender Eignungsnachweise zwingend nach § 16 EU Nr. 4 VOB/A 2019 auszuschließen, kommt es nicht darauf an, ob weitere Unterlagen form- und fristgerecht eingereicht wurden.

4. Der Anspruch auf Akteneinsicht umfasst nur die Unterlagen, die zur Durchsetzung des subjektiven Rechts des Verfahrensbeteiligten auch erforderlich sind. Sind Teile der Anträge des Antragstellers mangels ausreichender Rügen unzulässig, beschränkt sich das Akteneinsichtsrecht auf die für die Zulässigkeitsfrage entscheidungsrelevanten Aktenteile.

Kurz belichtet: Keine Chance auf den Zuschlag: Nachprüfungsantrag erfolglos

Kurz belichtet: Keine Chance auf den Zuschlag: Nachprüfungsantrag erfolglos

VK Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 05.08.2022 – 3 VK 8/22

1. Ein Nachprüfungsantrag ist nur begründet, wenn neben einer Rechtsverletzung zusätzlich eine zumindest nicht ausschließbare Beeinträchtigung der Auftragschancen festgestellt werden kann. Kann sicher ausgeschlossen werden, dass sich ein festgestellter Vergabeverstoß auf die Auftragschancen des Antragstellers ursächlich ausgewirkt haben kann, bedarf es eines Eingreifens der Nachprüfungsinstanzen nicht.

2. Der Befund eines fehlenden Schadens stimmt überein mit der Feststellung eines fehlenden Rechtsschutzinteresses. Dieses besteht nur, wenn der gerügte Sachverhalt eine Verschlechterung der Zuschlagschancen mit sich bringt.

3. Offensichtliche Unbegründetheit liegt vor, wenn der Antrag unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Aussicht auf Erfolg bietet. Davon ist auszugehen, wenn der Vergabekammer nach Prüfung der Sach- und Rechtslage die Abweisung eines Antrags unzweifelhaft erscheint.

Kurz belichtet: Einschätzung der Referenzgeber muss nicht überprüft werden

Kurz belichtet: Einschätzung der Referenzgeber muss nicht überprüft werden

VK Rheinland, Beschluss vom 27.03.2023 – VK 1/23

1. Bei der materiellen Eignungsprüfung steht dem öffentlichen Auftraggeber ein von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.

2. Ein öffentlicher Auftraggeber ist nicht verpflichtet, durch eigene Ermittlungen die Einschätzung der Referenzgeber zu überprüfen.

3. Bei der Bemessung der gebotenen Prüftiefe und des zu verlangenden Grades an Erkenntnissicherheit bestehen Zumutbarkeitsgrenzen. Der öffentliche Auftraggeber hat auch hinsichtlich der Tiefe der Eignungsprüfung einen Beurteilungsspielraum.

Kurz belichtet: Keine automatische Verlängerung von Konzessionen

Kurz belichtet: Keine automatische Verlängerung von Konzessionen

EuGH, Urteil vom 20.04.2023 – Rs. C-348/22

1. Art. 12 Abs. 1, 2 Richtlinie 2006/123/EG ist dahin auszulegen, dass er nicht nur auf ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse aufweisende Konzessionen für die Nutzung im öffentlichen Eigentum stehender Liegenschaften am Meer anwendbar ist.

2. Art. 12 Abs. 1 Richtlinie 2006/123/EG ist dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass die Knappheit der natürlichen Ressourcen und der zur Verfügung stehenden Konzessionen in Kombination eines abstrakt-generellen Ansatzes auf nationaler Ebene und eines einzelfallbasierten, auf einer Analyse des Küstengebiets der betreffenden Gemeinde beruhenden Ansatzes beurteilt wird.

3. Art. 12 Abs. 1, 2 der Richtlinie 2006/123/EG ist dahin auszulegen, dass er die Pflicht der Mitgliedstaaten, ein neutrales und transparentes Verfahren zur Auswahl der Bewerber anzuwenden, sowie das Verbot, eine für eine bestimmte Tätigkeit erteilte Genehmigung automatisch zu verlängern, unbedingt und derart hinreichend genau definiert, dass davon ausgegangen werden kann, dass ihnen unmittelbare Wirkung zukommt.

4. Art. 288 Abs. 3 AEUV ist dahin auszulegen, dass die Beurteilung der unmittelbaren Wirkung der Pflicht und des Verbots, die in Art. 12 Abs. 1 und 2 Richtlinie 2006/123/EG vorgesehen sind, sowie die Pflicht, entgegenstehende nationale Vorschriften unangewendet zu lassen, den nationalen Gerichten und den Verwaltungsbehörden einschließlich der kommunalen obliegen.