Ax Rechtsanwälte

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CORONA-RechtsprechungsUPDATE

vorgestellt von Thomas Ax

LG MA: Mietmangel oder Vertragsanpassung? 

Eine Corona-bedingte Schließung der Büro-Räume stellt keinen Mietmangel dar.

Der Mieter kann aber aufgrund der Vorschrift des § 313 BGB wegen Störung der Vertragsgrundlage eine Vertragsanpassung verlangen, wenn die Voraussetzungen vorliegen.

Dies ist zu verneinen, wenn die entsprechende Landesverordnung nicht die Schließung der Büro-Räume verlangt.

Auch Umsatzeinbußen von lediglich 10 bis 15% rechtfertigen keine Vertragsanpassung.

LG Mannheim, Urteil vom 23.07.2020 – 23 O 22/20 

LG München: Corona-bedingte Schließung ist Störung der Geschäftsgrundlage 

Die in den Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnungen (BayIfSMV) aufgrund der Corona-Pandemie geregelten Beschränkungen für Hotelbetriebe begründen weder einen zur Minderung berechtigenden Mangel der Mietsache noch einen Fall der Unmöglichkeit, führen aber zu einer Störung der Geschäftsgrundlage. Die Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Höhe der zu zahlenden Miete im Rahmen der Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB herabzusetzen ist, bedarf neben dem Rückgriff auf allgemeine Wertungen zur Risikoverteilung zusätzlich einer konkreten Begründung anhand der Umstände des Einzelfalls; Art. 240 § 2 EGBGB entfaltet diesbezüglich keine Sperrwirkung.

LG München I, Urteil vom 25.01.2021 – 31 O 7743/20

LG Paderborn: Corona-Pandemie und ihre Folgen stellen ein von außen kommendes, betriebsfremdes Ereignis dar

Höhere Gewalt ist ein von außen kommendes, keinen betrieblichen oder persönlichen Zusammenhang aufweisendes, auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis. Die Corona-Pandemie und ihre Folgen stellen ein von außen kommendes, betriebsfremdes Ereignis dar. Weil es eine Pandemie solchen Ausmaßes noch nie gegeben hat, war diese für den Einzelnen auch unvorhersehbar.
LG Paderborn, Urteil vom 25.09.2020 – 3 O 261/20

Zum Sachverhalt
Die Kl. verlangten von der Bekl. die Erstattung einer Anzahlung von 10.000 Euro, die sie für eine – aufgrund der Corona-Pandemie – nicht durchgeführte Veranstaltung geleistet hatten. Die Kl. haben – in Vertretung ihrer Jahrgangsstufe des städtischen Gymnasiums – die Planung und Organisation des Abiturballs übernommen. Hierzu haben sie mit der Bekl., die gewerblich Veranstaltung plant und durchführt, am 17.2.2020 einen entsprechenden Vertrag geschlossen. Die Bekl. sollte sich im Wesentlichen um die Sicherheit, das Catering, die Technik (ua Musik), die Location, das Personal, die Fotografie und das Programm kümmern. Ursprünglich gingen die Kl. von einer Teilnehmerzahl von bis zu 1.000 Personen aus, da die Stufe aus 102 Schülern und 60 Lehrern besteht, die Eltern dabei sein sollten, zwei weitere Eintrittskarten für jeden Schüler gedacht waren und zudem weitere Karten in den Verkauf gehen sollten. Hinsichtlich der Vergütung wurde eine Anzahlung von 10.000 Euro brutto vereinbart. Im Übrigen sollte nach der Durchführung der Veranstaltung noch eine zu ermittelnde Restsumme gezahlt werden. Die Veranstaltung sollte am 20.6.2020 stattfinden, was aufgrund der Corona-Pandemie jedoch letztlich nicht erfolgte. In § 1 unter „Veranstaltungsort/Gemeinde“ wurde durch den Geschäftsführer der Bekl. handschriftlich „H.-Halle, Zur H.-Halle, E.“ eingetragen. Dabei handelt es sich um die größte Halle der Stadt E. mit einer Fläche von knapp 1.600 m².

In dem Vertrag heißt es ferner:
„§ 8. Rechtsfolgen bei Ausfall der Veranstaltung aufgrund höherer Gewalt
(1) Findet die Veranstaltung aufgrund höherer Gewalt von Anfang an nicht statt, so ist von keiner Partei Leistung zu erbringen. Teilleistungen sind entsprechend der von den Parteien vorgenommenen Bewertung zu vergüten, Vorauszahlungen sind zu erstatten.
(…)
(3) Beide Parteien bemühen sich, soweit möglich einen neuen Veranstaltungstermin zu finden.
§ 9. Schadensersatz und Vertragsstrafe.
(1) Der Auftraggeber verpflichtet sich, der Auftragnehmerin eine Vertragsstrafe iHv 50 % des Honorars zu zahlen, wenn der Auftritt aufgrund grober Fahrlässigkeit oder Vorsatzes seitens des Auftraggebers nicht stattfindet. (…)“

Mit E-Mail vom 20.1.2020 teilten die Kl. der Bekl. mit, dass sie 1.000 Abiballkarten umsonst bekommen würden. Angehangen war dort ein Kostenvoranschlag des Catering-Unternehmens, der „ca. 500 Personen um 18.30 Uhr + ca. 300 Personen (oder mehr)“ ab 23.30 Uhr vorsah. In die konkrete Planung der Veranstaltung stieg die Bekl. nicht mehr ein.
Mit Schreiben vom 18.5.2020 forderten die Kl. die geleistete Anzahlung iHv 10.000 Euro zurück und erklärten kein Interesse mehr an der Durchführung des Abiturballs zu haben. Die Bekl. verweigerte mit Anwaltsschreiben vom 27.5.2020 jegliche Rückzahlung und verwies darauf, dass die Veranstaltung nachgeholt werden könne. Die Kl. forderten die Bekl. – nunmehr – mit Anwaltsschreiben vom 10.6.2020 auf, die Erstattung bis zum 18.6.2020 nachzuholen. Die Bekl. lehnte eine Zahlung jedoch weiterhin ab. Mit Schreiben vom 24.6.2020 bot sie den Kl. zwei Termine zur Nachholung der Veranstaltung an (18.7.2020 oder im November). Dies lehnten die Kl. ab. Zwischenzeitlich wurde den Kl. ein Gutschein iHv 5.000 Euro übergeben, den die für ein Event ihrer Wahl bei der Bekl. einlösen können sollten.
Die Kl. haben beantragt,
die Bekl. zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubiger einen Betrag iHv 10.000 Euro nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 19.6.2020 zu zahlen sowie sie aus der Inanspruchnahme der Kostenrechnung vom 10.6.2020 iHv 1.285,44 Euro gegenüber Rechtsanwalt G freizustellen.
Die Klage hatte Erfolg.

Aus den Gründen
1. Den Kl. steht gegen die Bekl. ein Anspruch auf Rückerstattung von 10.000 Euro aus § 8 I des Vertrags vom 17.2.2020 zu.
Danach sind Vorauszahlungen zu erstatten, wenn die Veranstaltung aufgrund höherer Gewalt von Anfang an nicht stattfindet. So liegt es hier.
Nach dem BGH handelt es sich bei höherer Gewalt um ein von außen kommendes, keinen betrieblichen oder persönlichen Zusammenhang aufweisendes, auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis (BGHZ 215, 81 = NJW 2017, 2677). Danach ergeben sich folgende Voraussetzungen für das Vorliegen höherer Gewalt: (1) Es muss sich um ein von außen kommendes, betriebsfremdes und somit außerhalb des Einflussbereiches der Vertragsparteien liegendes Ereignis handeln; (2) dieses Ereignis darf auch bei Anwendung äußerst vernünftigerweise zu erwartender Sorgfalt und somit aufgrund Unvorhersehbarkeit nicht abwendbar sein.
Epidemien werden grundsätzlich als Ereignis höherer Gewalt anerkannt (vgl. AG Bad Homburg Urt. v. 2.9.1992 – 2 C 1451/92-18, BeckRS 1992, 6956 zum Ausbruch der Choleraepidemie; AG Augsburg Urt. v. 9.11.2004 – 14 C 4608/03, BeckRS 2004, 16212 zum Ausbruch des SARS-Virus). Bei der Einordnung sollen unter anderem den Erklärungen des Auswärtigen Amtes (vgl. AG Königstein Urt. v. 11.10.1995 – 21 C 84/95BeckRS 1995, 9173) und den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) (vgl. jurisPK-BGB/Steinrötter, 9. Aufl. 2020, § 651h Rn. 22) Indizwirkung zukommen. Auch unter dem UN-Kaufrecht werden Epidemien den Fällen höherer Gewalt zugeordnet (jurisPK-BGB/Baetge, Art. 79 CISG Rn. 13). Die Ausbreitung des Covid-19-Virus wird sogar als Pandemie eingestuft. Zudem liegen Warnungen und Empfehlungen des Auswärtigen Amtes (s. Reisewarnung des Auswärtigen Amtes unter https://www.auswaertiges-amt.de/de/ReiseUndSicherheit/covid-19/2296762; zuletzt abgerufen am 13.10.2020) sowie der WHO (vgl. https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019; zuletzt abgerufen am 13.10.2020) vor.
Die Corona-Pandemie und ihre Folgen stellen ein von außen kommendes, betriebsfremdes Ereignis dar. Weil es eine Pandemie solchen Ausmaßes noch nie gegeben hat, war diese für den Einzelnen auch unvorhersehbar. Selbst bei Anwendung äußerst vernünftigerweise zu erwartender Sorgfalt war sie für den Einzelnen nicht abwendbar. Das neuartige Corona-Virus stellt also ein Ereignis dar, das unter den Begriff der höheren Gewalt fällt (vgl. auch Beyer/Hoffmann NJOZ 2020, 609 [610]). Der für den 20.6.2020 geplante Abiturball konnte aufgrund dessen auch nicht stattfinden.
Eine nach der Norm ebenfalls vorgesehene Vergütung für Teilleistungen entsprechend der von den Parteien vorgenommenen Wertung ist hier ebenso nicht zu leisten, weil nach eigenem Vortrag der Bekl. solche noch nicht vorgenommen wurden.
2. Der Anspruch der Kl. ist auch nicht durch rechtsvernichtende Einwendungen untergegangen.
a) Die Kl. sind entgegen der Ansicht der Bekl. nicht auf die Gutscheinlösung gem. § 240 § 5 I EGBGB zu verweisen.
Die Vorschrift wurde aufgrund der Covid-19-Pandemie eingeführt und soll Veranstalter und Betreiber von Freizeitveranstaltungen bzw. -einrichtungen, die sich aufgrund der Absage von Veranstaltungen oder der Schließung von Einrichtungen infolge der Covid-19-Pandemie zahlreichen Rückerstattungsansprüchen der Kunden ausgesetzt sehen, vor der Insolvenz schützen. Sie berechtigt Veranstalter und Betreiber, den Inhabern von Eintrittskarten und Nutzungsberechtigungen anstatt des ihnen nach bisherigem Recht zustehenden Anspruchs auf Erstattung des Eintrittspreises bzw. Entgelts einen Gutschein auszustellen. Als spezialgesetzliche Ausnahmeregelung zu § 326 I, IV iVm § 346 I BGB setzt sie einen bestehenden Erstattungsanspruch voraus und findet im Übrigen nur auf Freizeitveranstaltungen und Verträge, die vor dem 8.3.2020 geschlossen wurden, Anwendung (BeckOGK/Preisser, 15.9.2020, Art. 240 § 5 EGBGB Rn. 1).
Die hier vorliegende Konstellation lässt sich nicht unter die Vorschrift subsumieren. Die Kl. sind keine Inhaber von Eintrittskarten oder sonstigen Nutzungsberechtigungen. Ihnen steht insoweit auch kein Erstattungsanspruch für einen Eintrittspreis oder ein sonstiges Entgelt zu, so dass ihnen ersatzweise dafür auch kein Gutschein zu übergeben ist.
Die Kl. haben die Bekl. mit der Planung und Durchführung einer Veranstaltung beauftragt. Dabei handelt es sich um einen Werkvertrag iSd § 631 BGB. Die Bekl. schuldete mit der Durchführung der Veranstaltung einen Erfolg, den die Kl. mit einem Werklohn zu vergüten gehabt hätten. Sie haben selbst mit dem Vertrag aber keinen Eintritt oder eine Teilnahmeberechtigung an der erst noch zu planenden Veranstaltung erworben, die jetzt durch ein Surrogat zu ersetzen wäre.
Mangels planwidriger Regelungslücke war die Vorschrift auf die vorliegende Situation entgegen der Auffassung der Bekl. auch nicht analog anzuwenden.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 25.9.2020 versicherte der Prozessbevollmächtigte der Kl., den überreichten Gutschein zu vernichten.
b) Der Anspruch auf Rückerstattung ist auch nicht durch Aufrechnung gem. § 389 BGB teilweise erloschen.
Es fehlt an einem aufrechenbaren Gegenanspruch. Der Bekl. steht insbesondere kein Anspruch gegen die Kl. auf Zahlung einer Vertragsstrafe iHv 50 % des Honorars gem. § 9 I des Vertrags zu.
Danach ist der Auftraggeber sinngemäß verpflichtet, der Auftragsnehmerin eine solche Vertragsstrafe zu zahlen, wenn die Veranstaltung aufgrund von grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz seitens des Auftraggebers nicht stattfindet.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Dass die Veranstaltung – wie ursprünglich geplant – am 20.6.2020 nicht stattfand, lag an der Corona-Pandemie und der damit einhergehenden behördlichen Beschränkungen bzw. Verbote für solche Veranstaltungen.
Die Kl. haben es auch im Übrigen nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet, dass die Veranstaltung noch stattfindet, indem sie es ablehnten, einen Ersatztermin mit der Bekl. zu vereinbaren. Hierzu waren sie entgegen der Ansicht der Bekl. nicht gem. § 8 III des Vertrags verpflichtet. Im Einzelnen:
aa) Nach § 8 III des Vertrags bemühen sich beide Parteien, soweit möglich, einen neuen Veranstaltungstermin zu finden – wenn dieser etwa aufgrund höherer Gewalt nicht stattfinden konnte.
Danach dürften sich die Parteien zwar grundsätzlich dazu verpflichtet haben, sich insoweit einvernehmlich zu verständigen. Allerdings ist es tatsächlich nicht möglich, einen neuen Termin für die konkret vertraglich vereinbarte Veranstaltung „Abiball“ zu finden.
(1) Zunächst ist festzuhalten, was konkret unter der hier vertraglich vereinbarten Veranstaltung „Abiball“ zu verstehen ist.
Nach allgemeinem Verständnis handelt es sich bei einem Abiturball um eine Feier anlässlich des abgelegten Abiturs, zu der die Abiturienten in der Regel ihre Eltern, Lehrer und gegebenenfalls weitere Freunde und Verwandte einladen. In Abgrenzung zu den Begrifflichkeiten einer Klassen- und Stufenfeier nehmen an einem Abiturball gerade nicht nur die Schüler/innen teil.
Dass – wie die Bekl. behauptet – bislang lediglich klar gewesen sei, dass die drei Kl. an der Veranstaltung teilnehmen werden und eine genaue Teilnehmerzahl nicht besprochen worden sei, ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts zunächst lebensfremd, aber auch nicht weiter relevant.
Nach gebotener Auslegung des Vertrags gem. §§ 133157 BGB entspricht es nicht dem Willen der Vertragsparteien, dass eine Feier veranstaltet wird, an der ausschließlich die Schüler/innen der Jahrgangsstufe teilnehmen. Insoweit gibt es zahlreiche Hinweise auf das Ausmaß der Veranstaltung, die für die Durchführung eines Abiturballs im oben genannten Sinne sprechen: Bereits der Veranstaltungsort spricht neben der Begrifflichkeit „Abiball“ für die beabsichtigte Durchführung einer Feier, an der nicht nur die 102 Schüler/innen teilnehmen. Soweit die Bekl. einwendet, den Veranstaltungsort noch nicht festgelegt zu haben, überzeugt dies nicht. Die Angabe der H.-Halle unter dem Punkt Veranstaltungsort in § 1 des Vertrags ist auch nicht als bloßer Vorschlag zu verstehen. Als solcher ist der handschriftlich vom Geschäftsführer der Bekl. eingetragene Veranstaltungsort auch nicht ersichtlich. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 4 des Vertrags, der vorsieht, dass der Auftragsgeber vorschlagsberechtigt ist, die Auftragnehmerin soweit möglich hierauf eingeht, die Entscheidung aber letztlich ihr obliegt. Konkreter Vortrag dazu, dass auch der bereits ohne Vorbehalt eingetragene Veranstaltungsort hier bislang lediglich als Vorschlag der Kl. zu verstehen gewesen sein sollte, liegt nicht vor. Letztlich kann dies aber auch dahinstehen, weil sich aus dem weiter vereinbarten Umfang das Ausmaß der Veranstaltung im oben genannten Wortsinn ergibt.
Im Vertrag ist ausdrücklich festgehalten, dass für Sicherheit gesorgt, ein catering organisiert und ein Musiker bzw. ein DJ für die Dauer von elf Stunden auftreten wird. Im Übrigen ergibt sich bereits eine Teilnehmerzahl von 560 Personen, wenn die 102 Schüler/innen des Abiturjahrgangs mit ihren Eltern und zwei weiteren Personen kommen, für die die zwei weiteren Eintrittskarten pro Schüler/in gedacht waren. Dass weitere Karten in den Verkauf gehen sollte, um zusätzlichen Freunde oder Schülern/innen aus anderen Stufen zur Feier Zugang gewähren zu können, wird hinreichend durch eine E-Mail der Kl. vom 20.1.2020 an den Geschäftsführer Schütz belegt.
Dass es sich um keine einfache Klassenfeier handeln sollte, ergibt sich auch bereits aus der geleisteten Anzahlung von 10.000 Euro.
(2) Für die vertraglich vereinbarte Veranstaltung eines Abiturballs war und ist es auch aktuell nicht möglich, einen neuen Termin zu finden.
Zum einen ist unter zeitlichen Gesichtspunkten die Durchführung eines Abiturballs nicht mehr möglich.
Insoweit kann auch dahinstehen, ob die Veranstaltung den Charakter eines relativen Fixgeschäfts aufweist, bei der die Verlegung der Veranstaltung auf einen späteren Zeitpunkt durchaus möglich wäre, oder ob es sich um ein absolutes Fixgeschäft handelt, bei dem die Einhaltung der Leistungszeit so wesentlich ist, dass eine verspätete Leistung keine Erfüllung mehr, sondern eine andere Leistung darstellt und mit Ablauf des vereinbarten Leistungszeitraums automatisch Unmöglichkeit eintritt.
Denn auch dann, wenn man ein relatives Fixgeschäft annimmt, weil gerade nicht die geschuldete Leistung als solche (Nachholung des Abiturballs) durch Zeitablauf unmöglich geworden, sondern die Erreichung des von den Gläubigern angestrebten Zwecks, steht den Kl. ein Recht zum sofortigen Rücktritt nach Ablauf des Erfüllungszeitraumes gem. § 323 I, II Nr. 2 BGB zu, das sie ohne Weiteres geltend machen können (BeckOGK/Riehm, 1.2.2020, § 275 BGB Rn. 98). Hier wäre eine Fristsetzung in diesem Sinne entbehrlich, weil die Bekl. die Planung und Durchführung der streitgegenständlichen Veranstaltung bis zu einer jedenfalls konkludent innerhalb des Vertrags bestimmten Frist nicht bewirkt hat, obwohl die fristgerechte Leistung aufgrund der den Vertragsabschluss begleitenden Umstände für die Kl. wesentlich ist. Es liegt bereits in der Natur der Sache, dass die Veranstaltung eines Abiturballs im zeitlichen Zusammenhang mit der Erlangung der Hochschulreife stattfindet. Dies kann jetzt nicht mehr erfolgen.
In der mit Schreiben vom 18.5.2020 von den Kl. an die Bekl. mitgeteilten Entscheidung, dass sie kein Interesse mehr an der Durchführung des Abiturballs haben und die Veranstaltung als solche nicht mehr stattfinden soll, liegt auch eine konkludente Erklärung des Rücktritts vom Vertrag, § 349 BGB.
bb) Im Übrigen könnte die Veranstaltung auch – nach wie vor – nicht nachgeholt werden.
Gemäß § 13 V a CoronaSchVO-NW sind ausschließlich interne und jeweils einmalige selbst organisierte Feste von Schulabgangsklassen oder -jahrgängen außerhalb von Schulanlagen und Schulgebäuden möglich, wenn durch besondere Maßnahmen sichergestellt ist, dass an diesen Veranstaltungen ausschließlich die Mitglieder der jeweiligen Abschlussklasse oder des jeweiligen Abschlussjahrgangs teilnehmen. Auch ausschließlich private Feiern wären lediglich mit einer Teilnehmerzahl von 150 Personen zulässig. Beides entspricht jedoch nicht der vertraglich vereinbarten Leistung.
e) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 I, 288 I BGB. Der Bekl. ist durch das Schreiben der Kl. vom 10.6.2020, in dem eine Mahnung iSd § 286 I 1 BGB zu sehen ist, mit Ablauf einer für die Zahlung bis zum 18.6.2020 gesetzten Frist in Verzug geraten. Entsprechend § 187 I BGB ist deshalb die Forderung ab dem Tag danach, dem 19.6.2020, zu verzinsen.
(…)

AG Bielefeld: Corona-bedingte Schließung stellt keinen Mangel der Mietsache dar

Bestimmungen, die die Abwicklung des Vertragsverhältnisses bei höherer Gewalt regeln, sind in Gewerberaummietverträgen in keiner Weise unüblich, so dass entsprechende Regelungen als AGB auch nicht überraschend sind. Eine Klausel, die das Risiko der höheren Gewalt auf beide Vertragsparteien im Rahmen einer Staffelung dergestalt verteilt, dass sich das Risiko sukzessive auf den Mieter verschiebt, je näher die Eröffnung der Veranstaltung zeitlich naht, benachteiligt den Mieter nicht unangemessen. Sieht eine Regelung vor, dass der Vermieter sämtliche Kosten trägt, wenn die Messe auf behördliche Anordnung geschlossen werden muss, greift diese Regelung nur, wenn die Messe zuvor bereits eröffnet war. Eine corona-bedingte Schließung stellt keinen Mangel der Mietsache dar.
Auch ein Fall der Unmöglichkeit ist dann nicht gegeben.
AG Bielefeld, Urteil vom 20.10.2020 – 404 C 56/20

Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Erstattung entrichteter Messegebühren in Anspruch.
Am 02.05.2019 meldete die Klägerin ihre Teilnahme an der von der Beklagten geplanten Jobbörse an, welche vom 13.03.2020 bis zum 15.03.2020 im Messezentrum Bad T. stattfinden sollte. Die Parteien vereinbarten, dass die Klägerin in dem vorgenannten Zeitraum einen Eckstand (G 31) in einer Größe von 12 qm belegen dürfen sollte.
Der Anmeldung waren die Messe- und Aufstellungsbedingungen der Beklagten zugrunde gelegt, welche unter Ziffer 4 u.a. wie folgt lauten:
„Unvorhergesehene Ereignisse, die eine planmäßige Abhaltung der Messe/Ausstellung unmöglich machen und nicht vom Veranstalter zu vertreten sind, berechtigen diesen die Messe/Ausstellung vor der Eröffnung abzusagen. Muss die Absage mehr als 6 Wochen, längstens jedoch 3 Monate vor dem festgesetzten Termin erfolgen, werden 25% der Standmiete als Unkostenbeitrag erhoben. Erfolgt die Absage in den letzten 6 Wochen vor Beginn, erhöht sich der Unkostenbeitrag auf 50%. Außerdem sind die auf Veranlassung des Ausstellers bereits entstandenen Kosten zu entrichten. Muss die Messe/Ausstellung infolge höherer Gewalt oder auf behördliche Anordnung geschlossen werden, sind die Standmiete und alle vom Aussteller zu tragenden Kosten in voller Höhe zu bezahlen. …“
Auf die Rechnungen der Beklagten vom 09.05.2019 und 07.01.2020 zahlte die Klägerin eine Standmiete in Höhe von 1.723,80 Euro (netto), eine Marketingpauschale in Höhe von 429,00 Euro (netto) und einen Heizkostenbeitrag in Höhe von 60,00 Euro (netto).
Am 11.03.2020 musste die Beklagte die Messe aufgrund behördlicher Anordnung wegen der anhaltenden Corona-Pandemie absagen.
Mit Schreiben vom 02.04.2020 verweigerte die Beklagte die von der Klägerin begehrte Erstattung der verauslagten Gebühren.
Die Klägerin behauptet, dass sie den Zugang zu dem streitgegenständlichen Mietobjekt, nämlich der Standfläche, zu keinem Zeitpunkt erhalten habe. Insoweit meint die Klägerin, dass sie auch nicht das Verwendungsrisiko in Bezug auf das Mietobjekt trage. Jedenfalls könne die Klägerin auf Grundlage der Ziffer 4 der Messe- und Ausstellungsbedingungen der Beklagten, soweit diese als überraschende Klausel überhaupt wirksam sei, die Hälfte der gezahlten Gebühren zurück verlangen, da die Messe bereits im Vorfeld und nicht erst nach deren Beginn abgesagt worden sei. Schließlich müsse berücksichtigt werden, dass die Beklagte durch die Absage nicht unerhebliche Aufwendungen erspart habe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.212,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von 9% über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, dass die Übergabe der Standfläche faktisch stattgefunden habe, da die Klägerin bereits auf der Fläche einen von ihr ausgesuchten und bestellten Teppichboden verlegen ließ. Ferner habe die Klägerin noch am 11.03.2020 ab 8:00 Uhr die Möglichkeit gehabt mit dem Aufbau des Standes zu beginnen. Dementsprechend ist die Beklagte der Auffassung, dass die Klägerin das Verwendungsrisiko des Mietobjekts trage. Ferner seien die der Messe- und Ausstellungsbedingungen der Beklagten wirksam in den Vertrag einbezogen worden, insbesondere liege keine unangemessene Benachteiligung vor. Schließlich behauptet die Beklagte, dass sie hohe Summen für Werbung investiert und auch die Miete für die Messehalle gezahlt habe. Dagegen habe sie keine Aufwendungen erspart, da die Absage erst kurz vor der geplanten Öffnung der Messe erfolgt sei.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist in dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Rückzahlung eines Betrags in Höhe von 921,90 Euro aus § 812 Abs. 1 S.1 BGB i.V.m. Ziff.4 der Messe- und Ausstellungsbedingungen.
1. Die Klägerin, welche unstreitig sämtliche Messegebühren verauslagt hat, kann zunächst die Erstattung der hälftigen Standmiete von 861,90 Euro verlangen. Nach den als AGB zu qualifizierenden Messe- und Ausstellungsbedingungen der Beklagten hat der Aussteller einen Unkostenbeitrag von 50% zu leisten, wenn die Absage der Messe in den letzten 6 Wochen vor Beginn der Veranstaltung erfolgt. Die Jobbörse, welche vom 13.03.2020 bis 15.03.2020 stattfinden sollte, wurde unstreitig am 11.03.2020 gegenüber der Klägerin aufgrund behördlicher Anordnung wegen der der anhaltenden Corona-Pandemie abgesagt. Diese Pandemie stellt nach Auffassung der Gerichts auch unzweifelhaft eine sämtliche Beteiligten unvorhergesehenes Ereignis dar.
Die Messe- und Ausstellungsbedingungen der Beklagten wurden auch wirksam in das streitgegenständliche Vertragsverhältnis einbezogen. Die streitgegenständliche Klausel unter Ziff.4 ist nicht überraschend i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB, da Bestimmungen, welche die Abwicklung des Vertragsverhältnisses bei höherer Gewalt regeln, in Gewerbemietverträgen in keiner Weise unüblich sind. Es liegt auch keine unangemessene Benachteiligung der Klägerin i.S.d. § 307 Abs. 2 BGB vor. Vielmehr mildert Ziff.4 der Messe- und Ausstellungsbedingungen der Beklagten das nach den gesetzlichen Vorschriften grundsätzlich bestehende Verwendungsrisiko des Mieters (§ 537 BGB), hier der Klägerin, sogar deutlich ab, indem sie das Risiko der höheren Gewalt auf beide Vertragsparteien im Rahmen einer Staffelung verteilt. Während der Mieter im Fall einer sehr frühzeitigen Absage lediglich 25% der Standmiete als Unkostenbeitrag entrichten soll, verschiebt sich das Risiko erst sukzessive auf den Mieter, je näher die Eröffnung der Veranstaltung zeitlich naht.
Die Beklagte kann sich auch nicht auf die Bestimmung berufen, nach welcher die Standmiete vom Aussteller in voller Höhe zu tragen ist. Nach dem Wortlaut dieser Regelung sollte dies nur dann gelten, wenn die Messe infolge höherer Gewalt bzw. auf behördliche Anordnung „geschlossen“ werden muss. Dies setzt denklogisch voraus, dass die streitgegenständliche Jobbörse überhaupt erst eröffnet wurde, was unstreitig im Zeitpunkt der Absage noch nicht der Fall vor, sondern erst am 13.03.2020 erfolgen sollte. Schließlich gehen Zweifel bei der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu Lasten des Verwenders, hier der Beklagten.
2. Die Klägerin kann dagegen nicht die Rückzahlung der geleisteten Marketingpauschale in Höhe von 429,00 Euro beanspruchen. Nach Ziff.4 der Messe- und Ausstellungsbedingungen der Beklagten sind unabhängig von der gestaffelten Standmiete von dem Aussteller die von ihm veranlassten Kosten zu entrichten, die bereits entstanden sind. Vorliegend entspricht es schon der allgemeinen Lebenserfahrung, dass das Marketing bzw. die Werbung für die streitgegenständliche Jobmesse im Zeitpunkt der Absage, nämlich drei Tage vor der Eröffnung, weitestgehend durchgeführt wurde. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte auch dezidiert dargelegt, dass sie u.a. 1000 Plakate hat drucken und aufhängen sowie mehrere Anzeigen in lokalen Zeitungen hat schalten lassen. Das pauschale Bestreiten der Klägerin mit Nichtwissen ist vor diesem Hintergrund unerheblich, insbesondere da die Werbung, u.a. Plakate und Anzeigen, der Wahrnehmung der Klägerin bzw. deren Geschäftsführer ohne weiteres zugänglich war. Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Beklagte das Entgelt für die entsprechenden Dienstleistungen nicht entrichtet haben soll.
3. Schließlich kann die Klägerin jedoch den entrichteten Heizkostenbeitrag in Höhe von 60,00 Euro erstattet verlangen. In diesem Zusammenhang ist nach verständiger Würdigung nicht ersichtlich, dass drei Tage vor der Eröffnung der Veranstaltung schon nennenswerte von der Beklagten zu tragenden Heizkosten entstanden sind. Solche Kosten hat die Beklagte selbst nicht im Rahmen ihrer Auflistung von Auslagen für die Jobbörse dargelegt.
II.
Die Klägerin hat dagegen keinen weiteren Rückzahlungsanspruch auf Grundlage der gesetzlichen Regelungen. In diesem Zusammenhang kann es auch dahinstehen, ob im konkreten Fall das Mietobjekt, mithin die Standfläche, der Klägerin bereits zum vertragsgemäßen Gebrauch überlassen worden ist.
Im Falle einer solchen Gebrauchsüberlassung hätte die Klägerin keinen Anspruch auf Mietminderung gemäß § 536 BGB. Eine solche Mietminderung kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel aufweist, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt oder mindert, oder ein solcher Mangel während der Mietzeit entsteht. In diesem Zusammenhang können insbesondere bei der Vermietung von Gewerberäumen auch durch hoheitliche Maßnahmen bewirkte Gebrauchsbeschränkungen die Tauglichkeit zu dem vertragsgemäßen Gebrauch mindern und damit einen Sachmangel darstellen, allerdings nur dann, wenn sie unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der konkreten Mietsache in Zusammenhang stehen (vgl. BGH, Urteil vom 13.07.2011 – XII ZR 181/09). Dagegen fällt das Verwendungsrisiko in den Bereich des Mieters, da der Vermieter nur verpflichtet ist, die Mietsache in einem Zustand zu erhalten, der dem Mieter die vertraglich vorgesehene Nutzung ermöglicht (vgl. LG Heidelberg, Urteil vom 30.07.2020 – 5 O 66/29). Vorliegend wurde die Jobbörse gerade nicht aufgrund einer mangelhaften Beschaffenheit der gemieteten Standflächen des Messezentrums abgesagt, sondern aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie, wobei der Schutz der Bevölkerung vor allgemeinen gesundheitlichen Gefahren im Mittelpunkt stand.
Auch wenn angenommen wird, dass die streitgegenständliche Mietsache der Klägerin tatsächlich noch nicht überlassen wurde, hat sie aus den vorgenannten Gründen keinen Erstattungsanspruch aus §§ 326 Abs. 1, Abs. 5, 346 Abs. 1 BGB. Eine Unmöglichkeit der Leistungsbewirkung der Beklagten i.S.d. § 275 Abs. 1 – Abs. 3 BGB liegt gerade nicht vor. Der Vermieter muss lediglich die Gebrauchsmöglichkeit in Bezug auf die Mietsache verschaffen. Der Mieter bleibt dagegen aufgrund des nach § 537 BGB bestehenden Verwendungsrisikos zur Mietzahlung verpflichtet, solange es nicht an der Sache selbst liegt, dass sie nicht bestimmungsgemäß verwendet werden kann. Es können allenfalls solche Störungen zu einer Unmöglichkeit führen, die in der Beschaffenheit, der Lage oder dem Zustand der Mietsache begründet sind (vgl. LG Heidelberg, Urteil vom 30.07.2020 – 5 O 66/29). Die ist vorliegend – wie bereits dargelegt – nicht der Fall.
Eine Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB kommt mangels Anwendbarkeit schon deswegen nicht in Betracht, da die Parteien für den Fall einer behördlich angeordneten Schließung bzw. höherer Gewalt ausdrückliche Regelungen getroffen und vereinbart haben.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, Abs. 2, 291 BGB.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.
Der Streitwert wird auf 2.212,80 EUR festgesetzt.

LSG Rh-Pf: Vergütung eines Gutachtens nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG): Vergütung für den geltend gemachten erhöhten Hygieneaufwand in Höhe von 7,63 Euro brutto

 

Sachverständige erhalten als Vergütung für erhöhten Hygieneaufwand aus Anlass der Covid-19 Pandemie zeitlich befristet einen dem 1-fachen Satz der Nr. 245 GOÄ entsprechenden Betrag nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG. Zusätzliche Hygienemaßnahmen, die ausschließlich durch die Covid-19 Pandemie bedingt sind, deren Eindämmung dienen und voraussichtlich wieder entfallen werden, begründen keinen neuen allgemeingültigen Hygienestandard und stellen deshalb keinen mit der Gutachtenerstattung üblicherweise verbundenen Aufwand i.S.d. § 12 Abs 1 JVEG dar, sondern zählen zu den „notwendigen besonderen Kosten“ i.S.d. § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 JVEG. Die Höhe notwendiger besonderer Kosten kann pauschaliert und geschätzt werden, wenn der Nachweis im Einzelfall unverhältnismäßig hohen Ermittlungsaufwand erfordern würde. Für die Schätzung der Kosten des erhöhten Hygieneaufwands kann Nr. 245 GOÄ herangezogen werden.
LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18.11.2020 – L 4 SB 122/19

Tenor

Die Entschädigung des Antragstellers für die Erstattung des Gutachtens vom 29.05.2020 wird auf 1.482,87 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Streitig ist die Vergütung eines Gutachtens nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG), wobei nur noch die Vergütung für den geltend gemachten erhöhten Hygieneaufwand in Höhe von 7,63 Euro brutto im Streit steht.
Der Antragsteller, der mit dem Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz einen Vertrag nach § 14 JVEG geschlossen hat, ist durch Beweisbeschluss des Senats vom 20.02.2020 zum Sachverständigen ernannt worden.
Für die Erstellung seines Gutachtens vom 29.05.2020 aufgrund einer ambulanten Untersuchung hat der Antragsteller mit Schreiben vom 29.05.2020 zunächst einen Betrag von 1.475,24 Euro geltend gemacht. Darin enthalten sind neben der Gutachtenpauschale laut Vertrag in Höhe von 1.150,00 Euro, Transportkosten in Höhe von 6,00 Euro, Schreibgebühren in Höhe von 23,40 Euro und Laborkosten in Höhe von 9,00 Euro sowie 51,30 Euro. Mit Schreiben vom 03.08.2020 wurde der geltend gemachte Betrag um die Kosten eines erhöhten Hygieneaufwands durch die Covid-19 Pandemie entsprechend Nr. 245 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) um 6,41 Euro nebst darauf entfallender Umsatzsteuer (1,22 Euro) erhöht.
Die Kostenbeamtin des LSG zahlte den ursprünglich geltend gemachten Betrag aus (1.475,24 Euro). Für den geltend gemachten Hygienezuschlag sehe das JVEG keine Erstattung vor. Mit Schreiben vom 13.08.2020 beantragte der Antragsteller richterliche Festsetzung. Es treffe zu, dass das JVEG einen Hygieneaufschlag nicht vorsehe. Allerdings sehe das JVEG Ersatz für Aufwendungen vor, sofern sie notwendig seien und die üblichen Gemeinkosten überschritten (§§ 712 Abs. 1 JVEG). Die Durchführung der Untersuchungen im Rahmen der Begutachtungen für die Sozialgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz könne derzeit nur durch erheblichen finanziellen und organisatorischen Aufwand geleistet werden. Von der Bundesärztekammer (BÄK) sei deshalb zeitlich befristet bis zum 30.09.2020 die analoge Abrechnung der Nr. 245 GOÄ vorgesehen.
In einer Stellungnahme des Antragsgegners vom 11.09.2020 vertrat dieser die Ansicht, das JVEG sehe zwar keine pauschalierte Vergütung vor, jedoch sei bei Bezifferung der angefallenen Kosten der über den üblichen Aufwand hinausgehende Betrag auf Antrag erstattungsfähig. Mit Schreiben vom 20.09.2020 legte der Antragsteller seinen durch die Pandemie bedingten Mehrbedarf an Hygieneartikeln dar. Er erklärte sich damit einverstanden, einen zusätzlichen Betrag in Höhe von 7,00 Euro netto zu akzeptieren. In einer weiteren Stellungnahme des Antragsgegners vom 15.10.2020 errechnete dieser unter Berücksichtigung der Darlegungen des Antragstellers zusätzliche pandemiebedingte Hygienekosten in Höhe von 6,30 Euro netto.

II.
Die Entscheidung über den Antrag ergeht durch den Senat, da die Einzelrichterin das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen hat (§ 4 Abs. 7 S. 1 und 2 JVEG).
Der Antrag auf richterliche Festsetzung der Entschädigung ist nach § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG zulässig und in der Sache begründet. Die dem Antragsteller zu gewährende Entschädigung ist auf 1.482,87 Euro festzusetzen.
Die Entscheidung der Kostenbeamtin war entsprechend abzuändern. Die anteilige Vergütung für den erhöhten Hygieneaufwand war hierbei antragsgemäß auf 6,41 Euro netto (zzgl. Umsatzsteuer von 1,22 Euro) festzusetzen.
Anspruchsgrundlage für den Vergütungsanspruch des Antragstellers ist neben dem JVEG die zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und dem Sachverständigen nach § 14 JVEG getroffene Vereinbarung über die Entschädigung von Sachverständigenleistungen. Die Vereinbarung vom 22.09.2015 in der vorliegend einschlägigen Fassung vom 16.07.2019, die alle bisherigen Vereinbarungen ersetzt (Ziffer XII der Vereinbarung), gilt für alle ab dem 01.05.2019 in Auftrag gegebenen Gutachten (Ziffer IX der Vereinbarung), somit auch für das vorliegende, mit Beweisbeschluss des Senats vom 20.02.2020 in Auftrag gegebene Gutachten des Antragstellers.

Nach Ziffer I der Vereinbarung erhält der Antragsteller für jedes vom LSG Rheinland-Pfalz in Auftrag gegebene und von ihm erstattete schriftliche Gutachten nach ambulanter oder stationärer Untersuchung ohne Rücksicht auf dessen Umfang und den Zeitaufwand als Entschädigung einen Grundbetrag in Höhe von 1.150,00 Euro. Mit diesem Grundbetrag ist der erforderliche Zeitaufwand abgegolten für die vorbereitenden Arbeiten einschließlich der Durchsicht der Akten und des Literaturstudiums, die Erhebung der Vorgeschichte, die körperliche Untersuchung, die Auswertung, Beurteilung und Zusammenfassung aller für die Beantwortung des Beweisthemas erheblichen Fremdbefunde (z.B. Beurteilung fremder Röntgenaufnahmen), die Abfassung, das Diktat und die Korrektur des Gutachtens und eine Fotodokumentation (Ziffer II der Vereinbarung). Mit dem Grundbetrag wird folglich lediglich Zeitaufwand abgegolten. Daneben kann der Antragsteller seinen Aufwand für Transport, Porto und Verpackung pauschal in Höhe von 6,00 Euro abrechnen (Ziffer IV der Vereinbarung). Weitere, vorliegend relevante Vergütungsregelungen enthält die getroffene Vereinbarung nicht. Hinsichtlich sämtlicher weiterer in Betracht kommender Vergütungsbestandteile ist auf die Regelungen des JVEG zurückzugreifen. Dies ergibt sich explizit aus Ziffer VI der Vereinbarung, in der es heißt: „Im Übrigen wird die Vergütung nach den gesetzlichen Bestimmungen festgesetzt“.

Neben dem in der Vereinbarung geregelten Grundbetrag und der Transportpauschale können nach den insoweit maßgebenden Regelungen des JVEG unstreitig auch die nachfolgend aufgeführten Vergütungsbestandteile abgerechnet werden, die dem Antragsteller bereits erstattet worden sind:

23,40 Euro Schreibauslagen (Ersatz für besondere Aufwendungen, § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 JVEG)
9,00 Euro Laborkosten Blutentnahme (Honorar für besondere Leistungen, § 10 Abs. 1 JVEG, Anlage 2, Abschnitt 3 Ziffer 307)
51,30 Euro Laborkosten Blutuntersuchung (Honorar für besondere Leistungen, § 10 Abs. 1 JVEG, Anlage 2, Abschnitt 3 Ziffer 302)
xx,xx Euro Umsatzsteuer (Ersatz für besondere Aufwendungen, § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 JVEG)

235,54 Euro

Die vom Antragsteller geltend gemachten Aufwendungen für einen erhöhten Hygieneaufwand sind zusätzlich als „notwendige besondere Kosten“ im Sinne des § 12 Abs.1 S. 2 Nr. 1 JVEG zu ersetzen. Gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 JVEG sind mit der Vergütung nach den §§ 9 bis 11 JVEG auch die üblichen Gemeinkosten sowie der mit der Erstattung des Gutachtens oder der Übersetzung üblicherweise verbundene Aufwand abgegolten, soweit im Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Nach § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG werden die für die Vorbereitung und Erstattung des Gutachtens aufgewendeten notwendigen besonderen Kosten, einschließlich der insoweit notwendigen Aufwendungen für Hilfskräfte sowie die für eine Untersuchung verbrauchten Stoffe und Werkzeuge gesondert ersetzt.
§ 12 Abs. 1 JVEG bezweckt eine möglichst vollständige Abgeltung aller dort genannten im Einzelfall anfallenden Nebenkosten des Sachverständigen, soweit dieser sie tatsächlich gehabt hat (Weber, in: Hartmann/Toissant, Kostenrecht, 50. Auflage 2020, § 12 JVEG, Rn. 4). Die Regelung des § 12 Abs. 1 S. 1 JVEG gilt nur „soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist“. Mit dem Wort „einschließlich“ in § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG wird verdeutlicht, dass die dort genannten Fallgruppen, zu denen die „verbrauchten Stoffe und Werkzeuge“ gehören, nicht abschließend zu verstehen sind, so dass die Regelung weit, d.h. im Sinne einer Auffangklausel, zu verstehen ist.
Das Gesetz definiert den Begriff der Gemeinkosten gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 JVEG nicht. Nach der amtlichen Begründung der gesetzlichen Regelung des § 12 JVEG gehören zu den üblichen Gemeinkosten insbesondere die Aufwendungen des Sachverständigen für Alterssicherung und Krankheitsvorsorge und die mit dem allgemeinen Bürobetrieb verbundenen Kosten sowie die Aufwendungen, die sich aus einer angemessenen Ausstattung mit technischen Geräten und fachbezogener Literatur ergeben (BT-Drs 15/1971, 184). Zu diesen Kosten sind daher insbesondere die Miete und Nebenkosten für die Büro- und Arbeitsräume, Heizung-, Strom- und Wasserkosten, Telefongrundgebühren und die Kosten für eine angemessene Ausstattung mit notwendiger Technik und Literatur zu rechnen. Diese sollen bereits im Stundensatz des Sachverständigen und Dolmetschers oder im Übersetzungshonorar berücksichtigt sein (Schneider, JVEG, 3. Aufl. 2018, § 12, Rn.2).
Hygieneverbrauchsmittel fallen zwar typischerweise unter die üblichen Gemeinkosten. Seit Auftreten der Covid-19 Pandemie sind aber umfangreichere Hygienemaßnahmen erforderlich, wie z.B. Handdesinfektion beim Betreten der Räume, umfassende Maskenpflicht für das gesamte Praxispersonal, zusätzliche Maßnahmen der Flächendesinfektion. Diese zusätzlichen Maßnahmen sind ausschließlich durch die Pandemie veranlasst und dienen speziell deren Eindämmung. Nach Ende der Pandemie und damit dem Wegfall der besonderen Gefahrenlage werden diese zusätzlichen Maßnahmen und die dadurch verursachten Aufwendungen voraussichtlich wieder entfallen. Ein neuer allgemeingültiger erhöhter Hygienestandard wird daher nicht etabliert. Allein der Umstand, dass alle Begutachtungen während der Pandemie erhöhten Aufwand erfordern, macht diesen nicht zu einem neuen „üblichen Gemeinbedarf“. „Besondere Kosten“ im Sinne von § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG sind zur Überzeugung des Senats nicht zwingend nur die in einem besonderen Einzelfall entstandenen Kosten. Ein Einzelfallbezug erscheint dann nicht erforderlich und eine Erstattungsfähigkeit gleichwohl möglich, wenn – wie vorliegend – eine besondere Situation wie eine Pandemie einen unüblichen Aufwand erfordert, der in einer Vielzahl von Einzelfällen situationsbedingt zwingend anfällt.
Hinsichtlich der Frage, ob die vom Antragsteller aufgeführten Hygieneverbrauchsmittel – zu denen zwar auch, aber nicht ausschließlich – Desinfektionsmittel zählen, zu den üblichen Gemeinkosten zu rechnen sind, ist daher eine differenzierte Betrachtung angezeigt. Zwar ist es zutreffend, dass Hygienemittel zu den Stoffen und Werkzeugen zählen, die der Antragsteller in seiner Praxis auch ohne aktuelle Pandemie vorhält und benutzt (vgl. Beschluss des Sozialgerichts Mainz vom 17.09.2020 – S 2 R 250/19). Allerdings gehören zum einen nicht sämtliche Hygieneverbrauchsmittel „in jedem Falle“ zu den Stoffen und Werkzeugen, die ein Sachverständiger in seiner Praxis „auch ohne aktuelle Pandemie“ vorhält und benutzt, da beispielsweise FFP2 Masken und Spuck-Gesichtsmasken nicht ausnahmslos in jedem Falle in jeder ärztlichen Praxis ungeachtet der Pandemie vorgehalten werden. Zum anderen ist ein pandemiebedingter Mehrverbrauch von Desinfektionsmitteln gegeben. Dass in Zeiten der COVID-19 Pandemie einem beauftragten Sachverständigen mit unmittelbarem Arzt-Patienten-Kontakt, d.h. bei angeordneter persönlicher ambulanter oder stationärer Untersuchung, ein erhöhter Hygieneaufwand anfällt, steht für den Senat damit auch ohne entsprechende detaillierte Darlegungen außer Zweifel. Sachverständige, die Gutachten für die Gerichte erstatten, müssen ihre Aufgaben unter Beachtung der für Ärzte geltenden und in Pandemiezeiten entsprechend erhöhten Hygienestandards erfüllen.
Da andere Bestimmungen des JVEG (§§ 5 bis 78 bis 11 JVEG) keinen Ersatz für besondere (hier: durch die Covid-19 Pandemie bedingte) erhöhte Aufwendungen für Hygiene vorsehen, können grundsätzlich auch pandemiebedingte notwendige besondere Aufwendungen in Abgrenzung zu den „üblichen“ Gemeinkosten unter § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG fallen.
Über § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG ist das hier erkennbar vorrangig geltend gemachte Hygieneverbrauchsmaterial abrechnungsfähig, wenn es, wie vorliegend, pandemiebedingt ist und deshalb seiner Art nach in Praxen entweder bisher nicht vorgehalten wurde oder es vorgehalten wurde, die Verbrauchskosten jedoch die bisher üblichen Aufwendungen übersteigen, sofern die Aufwendungen notwendig waren. Über die Notwendigkeit entscheidet der Sachverständige unter Berücksichtigung des Auftragsinhalts nach pflichtgemäßem Ermessen (vgl. Binz, in: Binz/Dornhöfer/Zimmermann, GKG/FamGKG/JVEG, 4. Auflage 2019, § 12 JVEG Rn 3), welches nur in diesen Grenzen überprüfbar ist (Weber, in: Hartmann/Toissant, a.a.O., Rn 2). Kosten sind insoweit nicht zu entschädigen, als sie überflüssig waren (Binz, a.a.O.). Zu diesen Kosten gehören nicht die Kosten für die geltend gemachten Werkzeuge (Luftreinigungsgerät und berührungsloses Fieberthermometer). Deren Berücksichtigung steht bereits entgegen, dass das Gesetz nach seinem Wortlaut für die Erstattung ausdrücklich einen „Verbrauch“ verlangt, was einen erheblichen Substanzverlust, eine erhebliche Wertminderung oder eine Beeinträchtigung der Brauchbarkeit voraussetzt (vgl. Schneider, a.a.O. Rn. 33).
Was die Höhe des dem Antragsteller in Zeiten der Covid-19 Pandemie zuzubilligenden Kostenersatzes angeht, finden sich Kriterien zur Konkretisierung der notwendigen besonderen Kosten im JVEG nicht. Die mit dem Antragsteller getroffene Vereinbarung regelt dies ebenfalls nicht. Der Begriff der „notwendigen besonderen Kosten“ unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der vollen gerichtlichen Kontrolle; im Ausnahmefall können diese Kosten auch pauschaliert oder geschätzt werden (Bleutge, in: BeckOK, Kostenrecht, Dörndorfer/Nelle/Wendtland/Gerlach, 31. Auflage, § 12 JVEG, Rn. 8 unter Verweis auf LSG Hessen, Beschluss vom 30.06.2014 – L 2 R 106/13 B). Einen solchen Ausnahmefall, in dem eine Pauschalierungs-/Schätzungsbefugnis besteht, sieht der Senat im vorliegenden Fall als gegeben an. Es würde einen unverhältnismäßig hohen Ermittlungsaufwand erfordern, wenn in jedem einzelnen Abrechnungsfall von den beteiligten Kostenstellen verlangt würde, zeit- und kostenaufwendige Ermittlungen zu Kleinstbeträgen im einstelligen Eurobereich oder darunter für verbrauchte Hygienestoffe anzustellen. Vorliegend wären dies entsprechende Ermittlungen zu Ausgaben für beispielsweise FFP2 Masken, Überziehschuhe, Einmalhandschuhe, Flächendesinfektionsmittel, Händedesinfektionsmittel, chirurgische OP-Hauben und Spuck-Gesichtsmasken, deren Kosten in Zeiten der Pandemie stark variieren. Diese Feststellungen würde die Prüfung der Notwendigkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG mit der im Einzelfall schwierigen tatsächlichen Abgrenzung zu üblichen Gemeinkosten und der Berücksichtigung des pflichtgemäßen und nur in diesen Grenzen überprüfbaren Ermessens beinhalten. Dazu kommt noch, dass dem Sachverständigen umfassende Dokumentationspflichten über sein Hygieneverbrauchsmaterial abverlangt werden würden. Es ist zur Überzeugung des Senats nicht angemessen, vom Sachverständigen einen zeit- und kostenaufwändigen Einzelnachweis der gutachtenbezogenen zusätzlichen Hygieneaufwendungen und damit eine konkrete Bezifferung der Kosten für die jeweilige Untersuchung zu verlangen. Dies würde die Anforderungen an die Darlegungspflichten des Sachverständigen überspannen, die bei lebenspraktischer Sicht an ihn gestellt werden können. Zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „notwendige besondere Kosten“ im Sinne des § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG ist daher zur Überzeugung des Senats auf einen pauschalierenden Ansatz zurückzugreifen und in entsprechender Anwendung des § 287 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls eine Schätzung vorzunehmen (so auch LSG Hessen, Beschluss vom 30.06.2014, a.a.O., Rn. 51; LG Hamburg, Urteil vom 16.11.2018 – 306 S 49/17).
Im Rahmen dieses Ansatzes zieht der Senat zur Bestimmung der konkreten Höhe jener Kosten im Sinne des § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG die Nr. 245 GOÄ im Wege einer pauschalierten Schätzung in Höhe von 6,41 Euro (1-facher Satz) netto heran, die in einer Gemeinsamen Analogabrechnungsempfehlung von der BÄK, dem Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV-Verband) und den Beihilfekostenträgern des Bundes und der Länder für die Erfüllung aufwändiger Hygienemaßnahmen im Rahmen der Covid-19 Pandemie pro Sitzung bei unmittelbarem Arzt-Patienten-Kontakt als berechnungsfähig angesehen wird.
Den Ansatz jener Pauschale, die die bislang geforderte einzelfallbezogene Konkretisierung der Höhe der Kosten und die Vorlage der Nachweise entbehrlich macht und ersetzt, hält der Senat sowohl aus Praktikabilitätserwägungen als auch aus Gründen einer möglichst landesweiten Vereinheitlichung von Maßstäben für zweckmäßig. Über eigene Erfahrungswerte bei der Bestimmung der konkreten Höhe der besonderen Kosten für die Erfüllung erhöhter Hygienemaßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie im Sinne des § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG verfügt der Senat nicht, weshalb er sich diese zu eigen macht.
Der Senat hält es auch für sachgerecht, sich hinsichtlich des Geltungszeitraums der pauschalierten Schätzung an der Laufzeit jener Abrechnungsempfehlungen zu orientieren. Die ursprüngliche Abrechnungsempfehlung, die initial bis zum 30.06.2020 befristet war, sollte nach der Verlängerung zum 30.09.2020 zunächst auslaufen. Aufgrund der Entwicklung des aktuellen Infektionsgeschehens wird die Regelung nach Nr. 245 GOÄ analog (zum 1-fachen Satz) in Höhe von 6,41 Euro netto vorerst bis zum Jahresende (31.12.2020) fortgeführt.
Insgesamt ist die Vergütung des Antragstellers daher unter Berücksichtigung besonderer Aufwendungen für erhöhten Hygieneaufwand in Höhe von 6,41 Euro nebst der darauf entfallenden Umsatzsteuer in Höhe von 1,22 Euro auf einen Betrag von 1.482,87 Euro festzusetzen.
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 4 Abs. 4 S. 3 JVEG).