Ax Rechtsanwälte

  • Uferstraße 16, 69151 Neckargemünd
  • +49 (0) 6223 868 86 13
  • mail@ax-rechtsanwaelte.de

EILMELDUNG: LG Baden-Baden, Urteil vom 25.5.22, zu Anpassungsverlangen bei Entsorgungsverträgen wegen Störung der Geschäftsgrundlage

Vertragliche Abreden in Gestalt von Preisanpassungsklauseln und gesetzliche Sonderregelungen genießen Vorrang vor § 313 BGB

von Thomas Ax

„Nach § 313 Abs. 1 BGB kann die Anpassung des Vertrags verlangt werden, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Die Geschäftsgrundlage eines Vertrages wird dabei nach ständiger höchst- und obergerichtlicher Rechtsprechung gebildet durch die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut (statt vieler BGHZ 167, 25 Rn. 24; s.a. OLG Karlsruhe, Urteil vom 08. November 2016 – 17 U 185/15 –, juris, Rn. 58). Diese Vorstellungen müssen sich als falsch herausgestellt haben. Die Parteien müssten, wenn sie dies vorausgesehen hätten, den Vertrag anders geschlossen haben. Eine Anpassung des Vertrages kann zudem nur gefordert werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann (BGHZ 167, 25 Rn. 30 m.w.N.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 08. November 2016 – 17 U 185/15 –, juris, Rn. 58). Bei der Auflösung eines Vertrags wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB handelt es sich um eine von vornherein auf besondere Ausnahmefälle beschränkte rechtliche Möglichkeit, die zur Vermeidung untragbarer, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarer Folgen unabweisbar erscheinen muss (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 08. November 2016 – 17 U 185/15 –, juris, Rn. 58 m.w.N.).

bb) Marktpreise und ihre Veränderung können dabei grundsätzlich Umstände darstellen, die bei entsprechender Vorstellung zur Geschäftsgrundlage geworden sind. Eine starke Veränderung von Preisen, insbesondere ein starker Preisverfall, kann deshalb eine schwerwiegende Änderung der Geschäftsgrundlage, insbesondere bei einem Abfallentsorgungsvertrag, sein (in diese Richtung etwa OLG Hamm, Urteil vom 10. März 2011 – 21 U 123/10 –, juris, Rn. 117 [zum Altpapierverwertungsvertrag]).

Ob das Festhalten am Vertrag bei stark veränderten Preisen dann gleichwohl zuzumuten ist, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung zu beurteilen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10. März 2011 – 21 U 123/10 –, juris, Rn. 118). Die Möglichkeit, eine Vertragspflicht unter dem Gesichtspunkt des Wegfalls oder der Änderung der Geschäftsgrundlage an die veränderten Verhältnisse anzupassen, besteht wie gesehen nur unter ganz eng begrenzten Voraussetzungen. § 313 BGB ist dagegen nicht anwendbar, wenn sich durch die Veränderung ein Risiko verwirklicht, das eine Partei zu tragen hat. Wie die Risikosphären der Parteien gegeneinander abzugrenzen sind, ergibt sich aus dem Vertrag, dem Vertragszweck und dem anzuwendenden dispositiven Recht (vgl. BGH, NJW 2000, 1714). Der Sachleistungsschuldner trägt grundsätzlich das Risiko von Leistungserschwerungen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10. März 2011 – 21 U 123/10 –, juris, Rn. 119).

Eine stillschweigende Risikoübernahme liegt etwa in der Vereinbarung eines Festpreises (vgl. BGHZ 129, 236, 253). Der vereinbarte Festpreis bleibt grundsätzlich auch bei unerwarteten Kostenerhöhungen bindend (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10. März 2011 – 21 U 123/10 –, juris, Rn. 119). Steigende Selbstkosten können die Annahme einer Änderung der Geschäftsgrundlage insbesondere dann nicht begründen, wenn der Sachleistungsgläubiger die Steigerung der Selbstkosten hätte voraussehen können und er sich durch die Gestaltung der jeweiligen Verträge bewusst sein musste, ein großes Risiko durch Preissteigerungen während der Vertragszeit auf sich zu nehmen, und er insoweit Vorsorge hätte treffen können, d.h. er die Möglichkeit hatte, ein für ihn untragbares und unzumutbares Ergebnis zu vermeiden (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10. März 2011 – 21 U 123/10 –, juris, Rn. 119 m.w.N.). Dies gilt auch für den Fall, dass der Vertragspreis für den Sachleistungsschuldner nicht mehr kostendeckend ist, d.h. er im Falle der Durchführung des unveränderten Vertrages durch die Steigerung der Selbstkosten statt eines Gewinns nunmehr einen Verlust zu verkraften hat; dieser fällt allein in sein unternehmerisches Risiko (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 10. März 2011 – 21 U 123/10 –, juris, Rn. 119 m.w.N.).

Zu berücksichtigen ist auch, dass eine fehlerhafte Kalkulation bei Ausschreibungen im Risikobereich des Bieters liegt; grundsätzlich hat der Bieter das Risiko seiner Fehlkalkulation zu tragen (vgl. BGH, NJW 1998, 3192, 3195).

cc) Aus der genannten ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt indes zugleich, dass bei Vertragsschluss bestehende Vorstellungen – was von der Geschäftsgrundlage abzugrenzen ist – auch Inhalt des Rechtsgeschäfts geworden sein können. Ihre Geltung zwischen den Vertragsteilen hängt dann von der vertraglichen Ausgestaltung ab, die gegebenenfalls mittels Auslegung gewonnen wird; der Vertrag und seine weitere Ausgestaltung durch das Gesetz bestimmen dann auch die Durchsetzung des Inhalts und die Folgen gegebenenfalls eintretender Vertragsstörungen (vgl. Böttcher in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 313 Rn. 2 m.w.N.). Eine Anpassung nach § 313 BGB scheidet demnach aus, wenn bereits der Vertrag nach seinem gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt Regelungen über das Fehlen, den Wegfall oder die Veränderung bestimmter Umstände enthält (vgl. BGH, NZM 2014, 722 Rn. 18).

dd) Die Parteien können sich insbesondere in ihrem Vertrag über die Zuweisung von Risiken einigen. Hierfür können sie mit flexiblerer Rechtsfolge Anpassungsklauseln wie etwa Preisanpassungsklauseln in Form von Indexklauseln wählen. Besteht dergestalt eine ausdrückliche vertragliche Regelung für das eingetretene Risiko, ist das Vertragsgleichgewicht geregelt und daher grundsätzlich ein Rückgriff auf § 313 BGB nicht zu rechtfertigen (vgl. MüKoBGB/Finkenauer, 8. Aufl. 2019, § 313 Rn. 61; Böttcher in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 313 BGB Rn. 19; s.a. BeckOK BGB/Lorenz; § 313 Rn. 41; zur Regelung einer Ertragsverteilung etwa BGH, NZG 1998, 501, 503; ferner BGH, NJW 1993, 1856, 1359). Angesichts eines im Vertrag gewählten Maßstabs für die Anpassung entsprechender Preise kann etwa die Geschäftsgrundlage nicht deshalb entfallen sein, weil später die Preise eines anderen Maßstabes eine stärkere Steigerung erfahren haben als der im Vertrag gewählte Maßstab (vgl. BGH, Urt. v. 11. Mai 1973 – V ZR 129/71, BeckRS 1973, 31123624).

Gerade vertragliche Abreden in Gestalt von Preisanpassungsklauseln und gesetzliche Sonderregelungen genießen demnach Vorrang vor § 313 BGB (vgl. Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017, 1021; Thume, in: Schmidt, COVID-19, § 14 Vertriebsrecht Rn. 22). Vereinbaren die Parteien eine (wirksame) Preisanpassungsklausel, die sich dann aus Sicht einer Partei als unzureichend erweist, so haben sie in Erkenntnis des Risikos eine autonome Risikoverteilung getroffen, die grundsätzlich einer weitergehenden Abhilfe nach Treu und Glauben im Wege steht (vgl. MüKoBGB/Finkenauer, § 313 Rn. 200). Mit solchen Klauseln wird erkennbar das Risiko eingegangen, dass sich der Marktpreis abweichend vom vereinbarten Preis entwickelt und sich der vereinbarte Preis damit für die eine oder andere Partei im Nachhinein als unvorteilhaft erweist; derartige Preisschwankungen gehören zum unternehmerischen Risiko der davon benachteiligten Partei, das diese mit der Preisvereinbarung bewusst eingegangen ist (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 11. Oktober 2013 – 12 U 15/13, BeckRS 2013, 20587 [zu einer Vertragsklausel, nach der das vereinbarte Entgelt der Preisgleitung in Höhe der Inflationsrate unterliegt]).“