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Mehr oder weniger Auskunftsrechte im nationalen VOB/A-Vergabeverfahren

von Thomas Ax

Anders als im Oberschwellenbereich, der durch das GWB gesetzlich geregelt ist, gibt es im Unterschwellenbereich keinen geregelten vergabeinternen Primärrechtsschutz, mit dem die Erteilung des Zuschlags an einen anderen Bieter verhindert werden kann. Insoweit ist aber die Möglichkeit des Rechtsschutzes im einstweiligen Verfügungsverfahren anerkannt. Ein besonderes Rechtsschutzverfahren für Vergaben unterhalb der Schwellenwerte existiert in den Bundesländern überwiegend nicht. Unterhalb der Schwellenwerte erlangen die Verdingungsordnungen keine Gesetzesqualität. Sie sind als verwaltungsinterne Vorschriften in diesem Bereich ohne Außenwirkung. Die VOB/A stellen in diesem Bereich lediglich interne Verfahrensregeln der Verwaltung dar, die keine Schutzfunktion zugunsten der Bieter entfalten (Völlink/Kehrberg, VOB/A, Einl Rn. 34; Schneider in Kapellmann/Messerschmidt, 6. Auflage, VOB/A Einleitung Rn. 33). Ein Auskunftsanspruch bzw. Akteneinsichtsrecht kann sich entweder aus den Regelungen der VOB/A ergeben oder – soweit darin keine abschließende Regelung getroffen wird – gemäß § 242 BGB. Die VOB/A regelt in der Fassung 2012 Informationsrechte der Bewerber in §§ 14 und 19 VOB/A über den Eröffnungstermin und die Zuschlagsentscheidung. Soweit sich aus § 242 BGB ein Auskunftsanspruch ergeben kann, geht dieser nicht über die in der VOB/A geregelten Informationspflichten und Auskunftsrechte hinaus. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 242 BGB gebieten es Treu und Glauben, einem Anspruchsberechtigten einen Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn er in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (vgl. nur BGH, Urteil vom 06.02.2007 – X ZR 117/04 – NJW 2007, 1806). Ein solcher einem Schadensersatzanspruch oder der Feststellung einer Schadensersatzpflicht dem Grunde nach vorausgehender Auskunftsanspruch kommt nur in Betracht, wenn das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs überhaupt grundsätzlich möglich erscheint. Ergibt sich der etwaige Schadensersatzanspruch aus einer vertraglichen Grundlage, reicht es aus, dass für den Leistungsanspruch, der mit Hilfe der begehrten Auskunft geltend gemacht werden soll, eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Soll die begehrte Auskunft also einen vertraglichen Schadensersatzanspruch belegen, muss dieser nach allgemeiner Meinung nicht bereits dem Grunde nach feststehen; vielmehr reicht schon der begründete Verdacht einer Vertragspflichtverletzung aus (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Auflage, § 260 Rn. 6 mwN; OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.04.2011, VI U 28/10 (Kart) mwN und Ausführungen; Urteil vom 20.08.2008 – VI-U (Kart) 1/08). Bei gesetzlichen Schadensersatzansprüchen wird für das Bestehen eines Auskunftsanspruchs darüber hinaus allgemein vorausgesetzt, dass der Geschädigte dartun muss, dass der Anspruch, dessen Durchsetzung die Auskunft dienen soll, dem Grunde nach besteht; es genügt grundsätzlich nicht, dass die Anspruchsvoraussetzungen wahrscheinlich gemacht werden (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Auflage, § 260 Rn. 6 mwN; OLG Düsseldorf, a.a.O. und Urteil vom 20.08.2008 – VI-U (Kart) 1/08).

 

Soweit sich aus dem durch das Vergabeverfahren begründeten Schuldverhältnis ein Auskunftsanspruch herleiten lässt, wird dieser durch die Regelungen der VOB/A, die zumindest im Wege der Selbstbindung der Beteiligten anwendbar sind, konkretisiert und begrenzt. Infolge der Durchführung eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge entsteht ein Schuldverhältnis im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen, § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Hiernach kann dem Bieter – auch im Unterschwellenbereich bei Zugrundelegung der Regelungen der VOB/A – gegen den Auftraggeber ein Schadenersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2, 3 BGB zustehen, wenn dieser durch Missachtung von Vergabevorschriften seine Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Bieters schuldhaft verletzt und dem durch diese Vorschriften geschützten Unternehmen hierdurch Schaden zugefügt hat (vgl. nur BGH, Urteil vom 15. Januar 2013 – X ZR 155/10 – Parkhaussanierung – NZBau 2013, 319). Ein auf das positive Interesse gerichteter Schadensersatzanspruch steht einem Bieter nach ständiger Rechtsprechung zu, wenn der ausgeschriebene oder ein diesem wirtschaftlich gleichzusetzender Auftrag erteilt worden ist und ihm bei rechtmäßigem Verlauf des Vergabeverfahrens der Zuschlag hätte erteilt werden müssen (BGH, Urteil vom 15. Januar 2013 – X ZR 155/10 – Parkhaussanierung – NZBau 2013, 319). Unter Berücksichtigung der VOB/A steht ein Auskunftsanspruch nur hinsichtlich des offiziellen Submissionsprotokolls samt Nachträgen zu. Nach § 14 Abs. 7 VOB/A ist den Bietern und ihren Bevollmächtigten Einsicht – nicht Übersendung (von Wietersheim/Katzenberg in Ingenstau/Korbion, VOB, 19. Auflage, § 14 VOB/A Rn. 49; 21. Auflage, § 14a VOB/A Rn. 46) – in die Niederschrift des Eröffnungstermins (das Submissionsprotokoll) und deren Nachträge zu gestatten. Den Bietern sind auf Antrag die Namen der (anderen) Bieter sowie die verlesenen und nachgerechneten Endbeträge der Angebote sowie die Zahl ihrer Nebenangebote nach der rechnerischen Prüfung unverzüglich mitzuteilen. Hinsichtlich der Nebenangebote erfasst das Auskunftsrecht nach § 14 VOB/A nur deren Zahl, nicht deren Endbeträge (Planker, in Kapellmann/Messerschmidt, 6. Auflage, VOB, § 14 VOB/A Rn. 31 a.E.). Dem Auskunfts- und Einsichtsrecht gem. § 14 Abs. 7 VOB/A steht auch der Zeitablauf nicht entgegen. Das Einsichtsrecht besteht grundsätzlich so lange fort, wie der Bieter ein berechtigtes Interesse daran hat. Will der Bieter einen Schadensersatzanspruch geltend machen, steht ihm das Einsichtsrecht auch nach Zuschlagserteilung weiter zu (Planker, in Kapellmann/Messerschmidt, 6. Auflage, VOB, § 14 VOB/A Rn. 30). Der Antrag kann indes nicht mehr gestellt werden, wenn der Auftraggeber mit einem solchen Antrag nicht mehr rechnen muss (vgl. zur insofern gleich gelagerten Problematik bei § 19 VOB/A: Stickler, in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 5./6. Auflage, VOB/A § 19 Rn. 18).

Zwar wird für den Antrag des Bieters diskutiert, dass ein schutzwürdiges Interesse des Bieters nicht mehr zu erkennen sei und der Auftraggeber mit einem Antrag nicht mehr rechnen musste, wenn nach der Mitteilung über den erteilten Zuschlag ein halbes Jahr vergangen ist. Danach soll in der Regel Verwirkung eintreten. Eine feste Zeitgrenze soll damit aber nicht festgelegt werden (vgl. Stickler in Kapellmann/Messerschmidt, 6. Auflage, VOB/A, § 19 Rn. 19; siehe zum zeitlichen Rahmen der Geltendmachung des Informationsverlangens auch Reichling/Portz in Ingenstau/Korbion, 19. Auflage, § 19 VOB/A Rn. 19; 21. Auflage Rn. 20).  Im Übrigen besteht in diesem Bereich kein weitergehender Auskunftsanspruch nach § 242 BGB. Denn die Frage, welche Informationen über Nebenangebote anderer Bieter der Bieter erhalten darf, ist in § 14 VOB/A geregelt (unter Berücksichtigung des Geheimhaltungsgebots nach § 14 Abs. 1 und 8 VOB/A). Das gleiche gilt für die Bietererklärungen. Diese sind Bestandteil des Angebots und gehören nicht zu den Umständen, die nach § 14 VOB/A mitzuteilen sind. Insoweit ist in der VOB/A geregelt, dass Bieter, die nicht berücksichtigt werden, unverzüglich zu informieren sind (§ 19 Abs. 1 VOB/A). Ferner haben sie nach § 19 Abs. 2 VOB/A auf Verlangen Anspruch auf Mitteilung der Gründe für ihre Nichtberücksichtigung sowie die Merkmale und Vorteile des Angebots des erfolgreichen Bieters sowie dessen Namen. Auch insoweit begrenzt die VOB/A den Anspruch auf die in § 19 Abs. 1 und 2 VOB/A genannten Informationen. Der Vergabevermerk mit abschließender Bewertung und Zuschlagsempfehlung gehört nicht hierzu. Die Information nach § 19 Abs. 2 VOB/A darf sich nur auf das Angebot des jeweils informierten Bieters beziehen. Der Auskunftsanspruch nach § 19 Abs. 2 VOB/A betrifft nur das eigene Angebot des Bieters und die Gründe für seine Nichtberücksichtigung. Insoweit genügt es, dem unterlegenen Bieter in Stichworten die Gründe seiner Nichtberücksichtigung mitzuteilen, etwa dass ein anderer Bieter ein wirtschaftlicheres Angebot abgegeben hat. Die Mitteilung von Informationen über die Angebote anderer Bieter ist dem Auftraggeber regelmäßig untersagt. Denn die Angebote und ihre Anlagen sind geheim zu halten (§ 14 Abs. 8 VOB/A). Mitzuteilen sind den Bietern allerdings – anders als Bewerbern – die Merkmale und Vorteile des Angebots des erfolgreichen Bieters sowie dessen Name. Bei den Merkmalen und Vorzügen handelt es sich um diejenigen Zuschlagskriterien, die den Ausschlag für die Wertungsreihenfolge in der vierten Wertungsstufe gegeben haben. Die Informationspflicht beschränkt sich auf die in § 19 Abs. 2 VOB/A genannten Angaben. Weitere Auskünfte über den Inhalt der Angebote anderer Bieter darf der Auftraggeber aufgrund seiner Geheimhaltungsverpflichtung nicht erteilen (Stickler, in Kapellmann/Messerschmidt, VOB, 5./6. Auflage, VOB/A § 19 Rn. 15). Zulässig ist lediglich die Mitteilung der Vergabekriterien (Wirtschaftlichkeit pp.), auf denen die Zuschlagsentscheidung beruht (Vergabehandbuch Formblatt 334 bzw. 335). Diese Angaben hatte die Beklagte gemacht. Weitergehende Bestandteile des Angebots des erfolgreichen Bieters, etwa der Preis, dürfen nicht mitgeteilt werden. Ein Anspruch auf Erteilung weitergehender Auskünfte lässt sich auch nicht aus dem allgemeinen Auskunftsanspruch aus § 242 BGB herleiten. Auch ein etwaiger, insbesondere weitergehender Auskunftsanspruch gemäß § 810 BGB in Verbindung mit § 20 VOB/A scheidet aus.

Vergabeakten dürften zwar auch im Interesse der am Vergabeverfahren teilnehmenden Bieter errichtet sein (Habersack in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 810 Rn. 6). Ungeschriebene Anspruchsvoraussetzung ist aber die Schutzwürdigkeit des Interesses. Daran fehlt es, wenn die Einsichtnahme der Ausforschung des Anspruchsgegners dienen soll. Die Einsichtnahme ist auch unzulässig, wenn ein Schadensersatzanspruch gegen den Urkundenbesitzer erhoben werden soll und der darlegungspflichtige Anspruchsteller die Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden Tatsachen erst durch die Einsichtnahme erwerben will (Habersack in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 810 Rn. 11). Insofern gilt die entsprechende Wertung zu § 242 BGB. Der Anspruch aus § 810 BGB geht nicht über denjenigen nach § 242 BGB hinaus. Zu den Voraussetzungen des § 810 BGB gehört die Schutzwürdigkeit des Gläubigers. Hierzu zählt wiederum die Abwägung mit Gegeninteressen des Urkundenbesitzers: So ist die Einsichtnahme nicht zu gestatten, wenn sie für die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht erforderlich ist (vgl. Habersack in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 810, Rn. 11). Im Streitfall begehrt die Klägerin eher eine Ausforschung als eine letzte Klarheit. Sie möchte nahezu umfassend über die Gründe der Auswahlentscheidung informiert werden, um so deren Rechtmäßigkeit überprüfen zu können. Jedenfalls wäre aber das Einsichtsrecht des § 810 BGB durch die entsprechenden Vorschriften der VOB/A begrenzt. OLG Köln, Urteil vom 29.01.2020 – 11 U 14/19