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Nachprüfungsantrag trotz Erteilung des Auftrags zulässig, wenn Auftrag fehlerhaft nur national ausgeschrieben und die Antragstellerin sich an dieser Ausschreibung mit einem Angebot beteiligt hat, die fehlende europaweite Ausschreibung aber nicht gerügt hat?

von Thomas Ax

Ja! Weder wird der Nachprüfungsantrag aus diesem Grund unstatthaft noch ist die Antragstellerin damit präkludiert, die fehlende europaweite Ausschreibung geltend zu machen. Nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB ist ein öffentlicher Auftrag von Anfang an unwirksam, wenn der öffentliche Auftraggeber den Auftrag ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vergeben hat, ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist, und dieser Verstoß in einem Nachprüfungsverfahren festgestellt worden ist. Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB gelten die Rügeobliegenheiten nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB nicht bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB.

§ 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB stellt nach seinem Wortlaut nur darauf ab, dass keine Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union stattgefunden hat. Auf die Frage, ob national ausgeschrieben wurde, kommt es nach dem Wortlaut nicht an. Zudem ergibt sich aus § 135 Abs. 2 Satz 1 GWB, dass eine Unwirksamkeit des Vertrags auch dann möglich ist, wenn es „betroffene Bieter und Bewerber“ gegeben hat. Schließlich war nach § 101 Abs. 1 Nr. 2 GWB in der bis April 2016 geltenden Fassung ein Vertrag unwirksam, wenn der Auftraggeber „einen öffentlichen Auftrag unmittelbar an ein Unternehmen erteilt, ohne andere Unternehmen am Vergabeverfahren zu beteiligten und ohne dass dies aufgrund Gesetzes gestattet ist“. Diese deutlich engere Formulierung hat der Gesetzgeber gerade nicht in die Neufassung übernommen, sondern die zum alten Recht vertretene europarechtlich gebotene erweiternde Auslegung nachvollzogen (siehe BT-Drs. 18/6281 S. 122). Somit kommt eine Feststellung der Unwirksamkeit des Vertrags und ein darauf gerichteter Nachprüfungsantrag auch dann in Betracht, wenn der Auftrag – unzulässig – nur national ausgeschrieben wurde und der Antragsteller sich mit einem Angebot beteiligt hat (so auch OLG Koblenz, Beschl. v. 1. September 2021, Verg 1/21; zum Fall eines Interessensbekundungsverfahrens unter Beteiligung der Antragstellerin OLG Jena, Beschl. v. 9. April 2021, Verg 2/20 – Kindergartenbetrieb; zum Fall einer freiwilligen Ex-Ante-Transparenzbekanntmachung und eines Angebots der Antragstellerin OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12. Juli 2017, Verg 13/17 – Dialysegerät, NZBau 2017, 679).

Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB bestehen in diesem Fall auch keine Rügeobliegenheiten (so auch OLG Koblenz, a. a. O; OLG Jena, a. a. O; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 4. Dezember 2020, 15 Verg 8/20; OLG Düsseldorf, a. a. O.; Jaeger in Münchener Kommentar zum GWB, 4. Aufl. 2022, § 160 Rn. 95 f.; a. A. Gabriel/Mertens in BeckOK Vergaberecht, 26. Ed. 31. Oktober 2022, GWB § 160 Rn. 209; Nowak in Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 160 Rn. 84; Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 6. Auflage 2021, GWB § 160 Rn. 117). Hierfür spricht bereits der Wortlaut des § 160 Abs. 3 Satz 2 GWB, der keine Einschränkungen vorsieht. Vielmehr verweist er umfassend auf § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB, ohne danach zu differenzieren, ob es eine nationale Ausschreibung gab. Zudem erschiene es widersprüchlich, wenn einerseits der Auftraggeber gerade keine förmliche Ausschreibung nach den Vorschriften des GWB durchführt, andererseits dem Bieter aber die strengen Rügepflichten auferlegt würden. Ferner sieht § 135 Abs. 2 GWB in seiner neuen Fassung ohnehin gewisse Fristen vor, innerhalb derer die Unwirksamkeit des Vertrags geltend zu machen ist, so dass dem Bedürfnis nach einer baldigen Klärung auch im Interesse des Auftraggebers Rechnung getragen wurde. Letztlich liefe es auf eine Korrektur des § 160 Abs. 3 Satz 2, § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB entgegen des klaren Wortlauts hinaus, für die es weder Anhaltspunkte in der Entstehungsgeschichte der Neufassung noch ein sonst ersichtliches Bedürfnis gibt.
§ 160 Abs. 3 Satz 2 GWB differenziert gerade nicht danach, ob es um die Rüge der fehlenden europaweiten Ausschreibung oder um sonstige Rügen geht. Vielmehr gilt Satz 1 bei einem Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB generell nicht (so auch OLG Karlsruhe, Beschl. v. 4. Dezember 2020, 15 Verg 8/20, und Rn. 47). Auch insoweit kann dem Bieter die vorsorgliche Einhaltung der strengen Rügeobliegenheiten nach § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB nicht zugemutet werden, wenn sich der Auftraggeber gerade nicht für eine Ausschreibung unter Einhaltung der strengeren Vorgaben des GWB entschieden hat. Die VOB/A und die UVgO enthalten keine dem § 160 Abs. 3 Satz 1 GWB vergleichbaren Rügeobliegenheiten.

Der Nachprüfungsantrag ist auch nicht wegen Verletzung von Rügepflichten aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis unzulässig. Ob sich aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis eine Rügeobliegenheit ergeben könnte, ist umstritten (bejahend OLG Naumburg, Beschl v. 2. März 2006, Verg 1/06; ablehnend OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26. Mai 2008, Verg 14/08, und Jaeger in Münchener Kommentar zum Wettbewerbsrecht, GWB § 160 Rn. 96; offenlassend OLG München, Beschl. v. 19. Juli 2012, Verg 8/12; vgl. auch Dreher in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, GWB § 160 Rn. 117). Indessen ist dies jedenfalls für § 160 Abs. 3 Satz 1, § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB n. F. abzulehnen. Die Konstruktion einer Rügepflicht aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis läuft letztlich auf eine Korrektur der Neufassung hinaus, ohne dass es dafür eine Rechtfertigung gäbe.