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OLG Düsseldorf: Der Begriff des in sich abgeschlossenen Teils einer Leistung ist eng auszulegen

vorgestellt von Thomas Ax

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer am 2.12.2016 aus wichtigem Grund ausgesprochenen Teilkündigung eines Auftrags über Dachabdichtungsarbeiten. Zwischen den Parteien bestand aufgrund des Schreibens vom 17.7.2013 ein Werkvertrag über die Erstellung von Dachdeckerarbeiten auf dem Justizzentrum in Bochum. Die Geltung der VOB/B 2012 war vereinbart, s. Ziffer 1 des Verhandlungsprotokolls vom 24.6.2013.

Die VOB/B geht von einer Vollkündigung aus. Eine Teilkündigung ist für die Kündigung in den Fällen des fruchtlosen Fristablaufs gemäß § 4 Abs. 7 und 8 Nr. 1 und § 5 Abs. 4 VOB/B vorgesehen. In diesen Fällen kann die Kündigung auf einen in sich abgeschlossenen Teil der Leistung beschränkt werden, vgl. § 8 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 VOB/B. Bezieht sich eine Teilkündigung nicht auf abgeschlossene Teile der Leistung, ist sie unwirksam (vgl. BGH, NJW 2009, 3717). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, der sich der Senat anschließt, ist der Begriff des in sich abgeschlossenen Teils einer Leistung eng auszulegen. Denn bei seiner Auslegung sind die Ziele des § 12 Abs. 2 VOB/B, in welchem der Begriff ebenfalls verwendet wird, zu beachten. Nach den durch den BGH aufgestellten Auslegungsgrundsätzen ist ein Begriff, der innerhalb eines AGB-Klauselwerks mehrfach verwendet wird, grundsätzlich für alle Klauseln einheitlich auszulegen (vgl. BGH, NJW 2009, 3717 zustimmend: OLG Celle Urt. v. 27.2.2019 – 7 U 227/18). Während im Rahmen des § 8 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 VOB/B einer weiten Auslegung nichts entgegenstünde, ist eine Teilabnahme nur für den Auftragnehmer günstig. Ihrer Annahme sind durch den Begriff des in sich abgeschlossenen Teils der Leistung Grenzen gesetzt. Hierdurch wird das hohe Interesse des Auftraggebers daran geschützt, dass zusammengehörende Leistungsteile nicht dadurch zergliedert werden, dass für sie unterschiedliche Abnahmewirkungen eintreten, wie z.B. unterschiedliche Gewährleistungsfristen oder Gefahrübergänge (vgl. BGH, NJW 2009, 3717, beck-online). Dem schließt sich der Senat an.

Keine in sich abgeschlossenen Teile der Bauleistung sind einzelne Teile eines Rohbaus, wie zum Beispiel eine Betondecke oder ein Stockwerk (vgl. BGH, NJW 1968, 1524). Grundsätzlich können Leistungsteile innerhalb eines Gewerks nicht als abgeschlossen angesehen werden, da es ihnen regelmäßig an der Selbstständigkeit mangelt, die eine eigenständige Beurteilung der Teilleistung ermöglicht. Dies kann bei klarer räumlicher oder zeitlicher Trennung der Leistungsteile eines Gewerks anders zu beurteilen sein. Eine ausreichende räumliche Trennung kann etwa dann angenommen werden kann, wenn die Leistungsteile an verschiedenen Bauwerken, wie etwa an mehreren zu errichtenden Häusern, zu erbringen sind (vgl. BGH, NJW 2009, 3719). Entscheidend ist, ob eine funktionale und in sich selbstständig beurteilbare Teilleistung vorliegt (vgl. Ingenstau/Korbion VOB 21. Auflage, § 8 Abs. 3 VOB/B Rn. 30). Bei der Frage der Abgeschlossenheit kann es auch auf die Vertragsgestaltung ankommen (vgl. BGH NJW 2009, 3717). Unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Arbeiten zu dem BT F und dem Verbindungsgang keine in sich abgeschlossenen Leistungen darstellen. Bei den von der Kündigung betroffenen Aufgaben handelte es sich um Leistungsteile innerhalb eines Gewerks, nämlich des Gewerkes Dachabdichtungsarbeiten. Dies spricht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung gegen eine Abgeschlossenheit.

Entgegen der Ansicht des Beklagten handelt es sich bei den Dächern des Bauteils F und des Verbindungsgangs nicht um räumlich von den übrigen Dächern klar getrennte Bauwerke, sondern um Teile eines einheitlichen Gebäudekomplexes. Es liegt nicht dieselbe Situation vor wie z.B. bei der Errichtung zahlreicher Einzelhäuser in einer Neubausiedlung. Der Senat konnte sich durch die in Augenscheinnahme des als Anlage zum Protokoll genommenen Lichtbildes und des Bildes auf Seite 10 der Anlage B8 ein zuverlässiges Bild von den örtlichen Gegebenheiten verschaffen. Dabei haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung bestätigt, dass der Senat die Zuordnung der Bauteile zu den Gebäudeteilen auf dem Lichtbild (Anlage zum Protokoll) zutreffend vorgenommen hat. Wie sich aus den in Augenschein genommenen Lichtbildern ersehen lässt, handelt es sich bei dem Justizzentrum um einen aus diversen Teilen bestehenden Gebäudekomplex. Die Gebäude sind teilweise aneinandergebaut. Das als BT A (Bauteil A) bezeichnete Gebäude ist mit dem als BT B (Bauteil B) bezeichneten Gebäude durch den hier betroffenen Verbindungsgang verbunden. Der Verbindungsgang ist wie ein Flur gestaltet, mit Seitenwänden aus Glas/Metall und einem begrünten Flachdach. Zwar ist das Dach niedriger, als die Dächer der angrenzenden Bauteile. Es schließt aber an die Fassaden dieser beiden Bauteile an.

Das BT F ist ebenfalls niedriger als die übrigen Gebäudeteile. Es ist fast quadratisch geformt und befindet sich zwischen den Bauteilen D, E und A, an die es jeweils anschließt. Dabei grenzt eine Seite des BT F an das BT D und einen Innenhof, die gegenüberliegende Seite grenzt an das BT E und den Zugang zur Straße. Eine weitere Seite grenzt an das BT A und die vierte Seite zeigt zu einem Innenhof/Parkplatz. Soweit aus den Plänen ersichtlich, verbindet das BT F die Bauteile A, D und E miteinander. Auch hier ist das Dach niedriger, als die Dächer der angrenzenden Bauteile. Es gibt also keinen nahtlosen Übergang zwischen den Dacharbeiten auf den Bauteilen D- F. Allerdings schließt das Dach des BT F an die Fassaden der Bauteile A, D und E an. Auch die Leistungsbeschreibung und Vertragsgestaltung sprechen gegen eine klare räumliche und oder zeitliche Trennung und Abgeschlossenheit der Arbeiten am Verbindungsgang und dem BT F. Die Leistungsbeschreibung differenziert hinsichtlich der Grundarbeiten nicht zwischen den einzelnen Bauteilen. Zeitlich war eine einheitliche Leistungsausführung geplant, zu der es dann aus zwischen den Parteien streitigen Gründen nicht kam. Entsprechend sieht das LV eine einheitliche Baustelleneinrichtung (Ziffer 01.01.0010) vor.

Gegen eine Abgeschlossenheit spricht weiter, dass nach dem LV nur eine Verlegeplanung, ein Lagesicherheitsnachweis, ein Übereinstimmungsnachweis (Ziffern. 01.01.0070 – 0090) und eine Baudokumentation (Ziffer 01.08.0010) geschuldet sind. Wie soll eine isolierte Abnahme eines Bauteils erfolgen, wenn sich die Nachweise auf alle Bauteile beziehen sollen? Auch für die sich an die Fertigstellung anschließende Wartung ist lediglich ein Pauschalpreis pro Jahr ausgewiesen (Ziffer 01.07.0010). Die Wartungsverpflichtung sollte offensichtlich hinsichtlich aller Gebäudeteile einheitlich beginnen und durchgeführt werden.
Auch bei der auszuführenden Leistung wird weitgehend nicht nach Bauteilen differenziert. So beziehen sich das Säubern des Untergrundes, der Voranstrich und die Dampfsperrschicht beispielsweise auf eine Gesamtfläche von 5.300 m². Weiter sind im Vertrag keine Teilabnahmen vorgesehen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Parteien dies bewusst nicht vereinbart haben. Von der unter Ziffer 6.1. des Verhandlungsprotokolls vorgesehenen Möglichkeit, für bestimmte Leistungsabschnitte eine Teilabnahme zu vereinbaren, wurde kein Gebrauch gemacht. Das entsprechende Kästchen ist nicht angekreuzt. Vielmehr ist in Ziffer 6.4 festgehalten, es erfolge eine Schlusszahlung für die gesamte vertragliche Leistung nach erfolgreicher Schlussabnahme. Damit besteht auch kein Anhaltspunkt dafür, dass die Parteien durch die Vertragsgestaltung die einzelnen Bauteile als in sich abgeschlossene Teile der Leistung hätten bestimmen wollen.

Dem Beklagten mag zuzugeben sein, dass die genannten Punkte der Vertragsgestaltung jeweils für sich genommen nicht zwingend gegen eine in sich abgeschlossene Leistung sprechen. Allerdings ergibt sich bei der stets vorzunehmenden Gesamtschau ein deutliches Bild dahingehend, dass die Parteien keine in sich abgeschlossenen Leistungsteile begründen wollten. Demgegenüber ist es kein aussagekräftiges Indiz, dass es bislang nicht zu Teilabnahmen kam. Allerdings zeigt auch der Streit der Parteien über die angeblichen Mängel, dass die Leistungen zum Bauteil F gerade nicht eigenständig beurteilt werden können.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 08.12.2022 – 5 U 232/21