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OLG Düsseldorf: Rechtsnatur der Teilkündigung ist ein Rechtsverhältnis iSd § 256 Abs. 1 ZPO

vorgestellt von Thomas Ax

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer am 2.12.2016 aus wichtigem Grund ausgesprochenen Teilkündigung eines Auftrags über Dachabdichtungsarbeiten. Zwischen den Parteien bestand aufgrund des Schreibens vom 17.7.2013 ein Werkvertrag über die Erstellung von Dachdeckerarbeiten auf dem Justizzentrum in Bochum. Die Geltung der VOB/B 2012 war vereinbart, s. Ziffer 1 des Verhandlungsprotokolls vom 24.6.2013.

Mit dem am 20.8.2021 verkündeten Urteil hat die 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf – Einzelrichter – festgestellt, die von dem Beklagten mit Schreiben vom 2.12.2016 ausgesprochene Teilkündigung des Bauvertrages sei ihrer Rechtsnatur nach keine berechtigte Kündigung aus wichtigem Grund (Entziehung des Auftrags nach § 8 Abs. 3 VOB/B). Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Feststellungsklage sei zulässig. Ein Kündigungsgrund könne ein Rechtsverhältnis iSd § 256 ZPO sein, wenn die Kündigung selbst zu bestimmten Rechtsfolgen führe. So sei der Fall hier. Die Klägerin habe ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung, weil sich der Beklagte auf Grundlage der Kündigung erheblicher Erstattungsansprüche wegen Mehrkosten durch die Inanspruchnahme von Drittfirmen berufe. Die Feststellungsklage bleibe auch dann zulässig wenn – wie hier – eine Bezifferung im Laufe des Prozesses möglich geworden sei. Die Feststellungsklage sei begründet. Der Beklagte habe unter dem 2.12.2016 keine berechtigte Kündigung aus wichtigem Grund ausgebracht, die ihn zur Entziehung des Auftrages nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B berechtigt habe. Der Ausspruch der Teilkündigung sei unzulässig gewesen. Aus § 12 Abs. 2 VOB/B werde geschlussfolgert, dass nur in sich abgeschlossene Teile der Leistung isoliert gekündigt werden könnten. Wie bei der Teilabnahme bestehe die Voraussetzung, dass die Teile funktional selbständig seien. Der BGH habe zur § 8 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 VOB/B entschieden, dass der Begriff der Abgeschlossenheit entsprechend des gleichlautenden Begriffs in § 12 Abs. 2 VOB/B zu verstehen sei. Damit werde das Ziel verfolgt, eine klare Trennung der beiden Leistungsbereiche sicher zu stellen, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung von Mehrkosten und im Hinblick auf Gewährleistungsansprüche.

Die Feststellungsklage ist zulässig.

Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Rechtsverhältnisses iSd § 256 Abs. 1 ZPO. Ein Rechtsverhältnis ist die aus einem konkreten Sachverhalt abgeleitete rechtliche Beziehung von Personen untereinander oder von Personen zu Sachen (BGH NZBau 2022, 20 mwN). Nur das Rechtsverhältnis selbst kann Gegenstand der Feststellung sein, nicht bloße Vorfragen. Gegenstand der Feststellung können aber einzelne auf einem umfassenderen Rechtsverhältnis beruhende Rechte oder Pflichten sein sowie der Inhalt und Umfang einer Leistungspflicht (vgl. BGH, NZBau, 2022, 20; BGH NZBau 2019, 572; NZBau 2015, 229). Ein Kündigungsgrund allein kann ein Rechtsverhältnis darstellen, wenn die Kündigung selbst bereits zu bestimmten Rechtsfolgen führt (vgl. BGH, NW 2013, 1744). Im Hinblick auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen einer freien Kündigung oder einer Kündigung aus wichtigem Grund bei einem nach der VOB/B zu beurteilenden Werkvertrag, hat der BGH in der Rechtsnatur einer ausgesprochenen Kündigung ein zwischen den Parteien streitiges Rechtsverhältnis gesehen (vgl. BGH, NJW 2013, 1744). Zwar erging die Entscheidung im Hinblick auf eine Zwischenfeststellungklage nach § 256 Abs. 2 ZPO. Allerdings sind die Anforderungen an ein Rechtverhältnis in Abs. 1 und Abs. 2 des § 256 ZPO identisch (vgl. Zöller-Greger § 256 Rn. 24; BeckOK ZPO/Bacher, 45. Ed. 1.7.2022, ZPO § 256 Rn. 41).

Insofern handelt es sich bei der Rechtsnatur der Teilkündigung um ein Rechtsverhältnis iSd § 256 Abs. 1 ZPO. Bei einer wirksamen Entziehung des Auftrags könnte der Beklagte von der Klägerin nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 S. 1 VOB/B Ersatz von Fertigstellungsmehrkosten verlangen. Zudem könnte die Klägerin dann keine Vergütung für die nicht ausgeführten Leistungen verlangen. Da eine Feststellungsklage sowohl auf die Feststellung des Bestehens als auch des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichtet sein kann (vgl. BGH, NZBau 2019, 572 Rn. 29), ist auch die hier erhobene negative Feststellungsklage zulässig. Es besteht ein schutzwürdiges Interesse der Klägerin an alsbaldiger Feststellung bestehen. Das Feststellungsinteresse im Sinne eines rechtlichen Interesses ist gegeben, wenn dem Recht oder der Rechtslage des Klägers eine gegenwärtige Gefahr oder Unsicherheit droht und das Feststellungsurteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (vgl. BGH NJW-RR 2017, 1317) und unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit zu einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte zu führen (vgl. BGH, NJW 1999, 3774). Dies ist vorliegend der Fall. Die Klägerin befürchtete bei Klageerhebung, dass der Beklagte ihr die Mehrkosten der Fertigstellung durch eine Drittfirma berechnen und insoweit Zahlungen an sie zurückhalten würde (vgl. Bl. 17 GA) oder auch einen Gegenanspruch erheben würde. Die Gefahr war realistisch und gegenwärtig. Der Beklagte behielt sich in der Klageerwiderung die Geltendmachung gerade dieses Anspruches vor, s. Bl. 44 GA. Zudem hatte er bereits am 5.12.2016 die Restleistungen ausgeschrieben.

Insofern kommt es nicht darauf an, ob der Klägerin bei Klageerhebung bereits eine Bezifferung ihres Restwerklohnanspruches in Form der Schlussrechnung möglich gewesen wäre. Ob der Klägerin im Verlauf des Prozesses eine Bezifferung ihres Anspruchs möglich geworden wäre, ist ohnehin irrelevant. Die Feststellungsklage bleibt grundsätzlich auch dann zulässig, wenn eine Bezifferung im Laufe des Prozesses möglich geworden ist (vgl. BGH NJW-RR 2004, 79).
Das Feststellunginteresse ist ausnahmsweise nicht dadurch entfallen, dass inzwischen ein Rechtsstreit anhängig ist, mit dem die Klägerin einen Werklohnanspruch und der Beklagte einen Anspruch auf Erstattung von kündigungsbedingten Mehrkosten geltend macht. Zwar wird eine negative Feststellungsklage unzulässig, wenn in einem anderen Rechtsstreit eine deckungsgleiche Leistungsklage erhoben wird und diese nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann (BGH Urteil vom 21.12.2005, X ZR 17/03; BGH NJW-RR 1990, 1532). Durch den grundsätzlichen Vorrang des Leistungsverfahrens gegenüber dem Feststellungsverfahren mit gleichem Streitstoff sollen widerstreitende Entscheidungen der Gerichte und mehrere parallele Verfahren über den gleichen Streitgegenstand vermieden werden (vgl. BGH; NJW-RR 1990, 1532, BGH Urteil vom 21.12.2005, X ZR 17/03). Dementsprechend ist nicht die später erhobene Leistungsklage wegen der bereits rechtshängigen Feststellungsklage unzulässig, sondern es wird die Feststellungsklage im Hinblick auf die später erhobene Leistungsklage unzulässig (vgl. Kniffka/Koeble, Teil 16, Rn. 22, beck-online). Trotz einer späteren Leistungsklage bleibt die Feststellungsklage aus Gründen einer sinnvollen Prozessökonomie zulässig, wenn der Feststellungsrechtsstreit entscheidungsreif oder im Wesentlichen zur Entscheidungsreife fortgeschritten und die Leistungsklage noch nicht entscheidungsreif ist (vgl. BGH; NJW-RR 1990, 1532, BGH Urteil vom 21.12.2005, X ZR 17/03). Dies ist vorliegend der Fall. Der hiesige Rechtsstreit ist ohne weitere Aufklärung entscheidungsreif, während der Rechtsstreit über die auf Werklohn gerichtete Leistungsklage und die auf Mehrkostenerstattung gerichtete Widerklage im Hinblick auf das hiesige Verfahren ruht.

Das hiesige Verfahren ist auch geeignet, den Streitpunkt darüber, ob eine außerordentliche Teilkündigung vorliegt, einer sinnvollen und sachgemäßen Erledigung zuzuführen. Das Feststellungsinteresse ist auch nicht durch die am 23.05.2017 erklärte außerordentliche Kündigung des Gesamtvertrages (Anlage B1 der BA) entfallen. Wäre diese Kündigung wirksam, so könnte sich auch hieraus ein Anspruch auf Schadensersatz/Erstattung von Mehrkosten für den Beklagten ergeben. Allerdings würde dieser Anspruch nur Maßnahmen oder Kosten erfassen, die nach dem 23.5.2017 angefallen sind. Die Klägerin musste den Rechtsstreit auch nicht auf die Kündigung vom 23.5.2017 ausweiten. Ein Rechtsschutzinteresse entfällt nicht dadurch, dass es einen weiteren Streitgegenstand gibt. Auch die Möglichkeit einer weitergehenden Feststellungsklage steht dem Interesse einer auf einzelne Streitpunkte beschränkten Feststellung nicht entgegen, da anderweitig formulierte Feststellungsklagen stets nur „teilweise“ weitergehend wären. Durch eine negative Feststellungsklage dahingehend, dass dem Beklagten kein Anspruch auf Fertigstellungsmehrkosten aus § 8 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B zustehe, könnte nicht auch zugleich geklärt werden, ob der Klägerin wegen der nicht ausgeführten Arbeiten ein Werklohnanspruch zustehen kann. Der Streit um die Folgen der Kündigung vom 2.12.2016 kann durch den hiesigen Prozess abschließend geklärt werden.

Die Feststellungsklage ist begründet.

Durch das Schreiben vom 2.12.2016 wurde der Klägerin der Auftrag nicht wirksam teilweise (hinsichtlich des Bauteils F und des Verbindungsgangs zwischen den Bauteilen A und B) entzogen iSd § 8 Abs. 3 Nr. 1 VOB/B. Vielmehr war die Teilkündigung unwirksam, da sie sich nicht auf in sich abgeschlossene Teile der vertraglichen Leistung iSd § 8 Abs. 3 Nr. 1 S. 2 VOB/B bezog.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 08.12.2022 – 5 U 232/21