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VertragsManagement - VertragsMan ® Hochbaurecht OLG München: Die Aussetzung eines Hauptsacheverfahrens im Hinblick auf ein anderweitig anhängiges selbständiges Beweisverfahren ist grundsätzlich zulässig

vorgestellt von Thomas Ax

Die Aussetzung eines Hauptsacheverfahrens im Hinblick auf ein anderweitig anhängiges selbständiges Beweisverfahren ist grundsätzlich zulässig. Sie setzt eine fehlerfreie Ermessensausübung des Gerichts der Hauptsache voraus. Das Gericht der Hauptsache muss neben dem Grundsatz der Prozessökonomie, nach dem mehrfache Beweiserhebungen wegen desselben Gegenstands mit möglicherweise unterschiedlichen Ergebnissen zu vermeiden sind, auch berücksichtigen, ob die gebotene Förderung und Beschleunigung des Prozesses auf andere Weise besser zu erreichen ist. Die Aussetzungsentscheidung kann nur auf Ermessensfehler überprüft werden. Maßgeblich für den Streitwert der sofortigen Beschwerde gegen den Aussetzungsbeschluss ist das Interesse an der (Nicht-) Aussetzung, das mit einem Fünftel des Werts der Hauptsache bewertet wird.
OLG München, Beschluss vom 26.07.2022 – 9 W 810/22 Bau
vorhergehend:
LG München I, 03.05.2022 – 18 O 6187/21

Gründe:

Die Klägerin macht mit Klage vom 03.05.2021 gegen die Beklagten u.a. einen Kostenvorschussanspruch in Höhe von 698.885 Euro aufgrund behaupteter mangelhafter Bauleistung der Beklagten bezüglich der Heizleitungen beim Bauvorhaben ### in ### in ### geltend. Die Leistungen an Bauteil 1 wurden am 24.09.2009, an Bauteil 2 Ende 2008 und an den Bauteilen 3 und 4 am 01.07.2009 abgenommen. Zuvor hatte die Klägerin mit Schriftsatz vom 31.07.2015 bezüglich „im Bereich der Bauteile 1 sowie 3 und 4 an sämtlichen der in diesen Bauteilen vorhandenen je 450 Heizkörper“ behaupteter, streitgegenständlicher Mängel ein selbständiges Beweisverfahren eingeleitet, das beim Landgericht München 1 unter dem Az.: 18 OH 13485/15 noch anhängig ist. Dort wurden bislang ein Hauptgutachten des Sachverständigen ### vom 30.11.2017, ein Ergänzungsgutachten vom 17.10.2018 eingeholt und eine Anhörung des Sachverständigen am 06.09.2019 durchgeführt. Derzeit wird auf der Basis von Beschlüssen vom 10.12.2019 und 28.07.2021 ein Ergänzungsgutachten erholt zu diversen Fragen der Streithelferin der Beklagten, der Fa. ### GmbH, sowie zu einer „Tischvorlage“ und einer Stellungnahme des TÜV Süd.

Mit Schreiben vom 01.06.2022 avisierte der Sachverständige eine Fertigstellung des Gutachtens, für das eine Untersuchung durch die ### GmbH erforderlich sei, bis Ende Oktober 2022 an.

Am 08.03.2022 (BI. 94) kündigte das Erstgericht an, dass eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO bis zur Beendigung des Verfahrens, Az.: 18 OH 13485/15, beabsichtigt sei, die Parteien erhielten Gelegenheit zur Stellungnahme. Während die Streithelferin der Beklagten, die Fa. #### GmbH eine Aussetzung befürwortete (BI. 101/111), widersetzten sich sowohl die Klägerin (BI. 97/100) als auch die Beklagten (BI. 112/118) einer Aussetzung.

Mit Beschluss vom 03.05.2022 (BI. 124/126) setzte die Kammer die Verhandlung bis zur Erledigung des selbständigen Beweisverfahrens beim Landgericht München I, 18 OH 13485/15, aus, da dieses Verfahren noch nicht beendet sei und die hier streitgegenständlichen Mängel, insbesondere die Frage eines Serienmangels und der Art der Mangelbeseitigung, behandele.

Hiergegen legte die Klägerin mit Schriftsatz vom 18.05.2022 (BI. 128/131) sofortige Beschwerde ein. Zur Begründung führte sie aus, dass ein effektiver Rechtsschutz angesichts des Zeitablaufs in Gefahr sei, zuletzt mit Beschluss vom 28.07.2021 ein Ergänzungsgutachten angeordnet worden sei zu einer Stellungnahme des TÜV, deren Gegenstand der Einbau von Lyra-Bögen sei. Die bisherige Beweiserhebung habe einen Baumangel ergeben, lediglich die Streithelferin der Antragsgegnerseite möchte klären, welche kostengünstige Sanierungsart möglich sei. Das Erstgericht habe sich bei seiner Ermessensentscheidung nicht mit der Frage der gebotenen Förderung und Beschleunigung des Prozesses auf andere Weise befasst.

Mit Beschluss vom 21.06.2022 (BI. 140/143) hat das Erstgericht der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 225, 148 ZPO zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 Abs. 1 ZPO im Hinblick auf das noch nicht abgeschlossene selbständige Beweisverfahren 18 OH 13485/15 des Landgerichts München I ist grundsätzlich zulässig und auch nicht ermessensfehlerhaft.

1. Der Senat legt seiner Entscheidung folgende Rechtssätze zugrunde:

Die Aussetzung eines Hauptsacheverfahrens im Hinblick auf ein anderweitig anhängiges selbständiges Beweisverfahren ist grundsätzlich im Hinblick auf § 493 ZPO zulässig. Die Anordnung der Aussetzung setzt eine fehlerfreie Ermessensausübung voraus. Dabei muss das Gericht der Hauptsache neben dem Grundsatz der Prozessökonomie, nach dem mehrfache Beweiserhebungen wegen desselben Gegenstandes mit möglicherweise unterschiedlichen Ergebnissen zu vermeiden sind, auch berücksichtigen, ob die gebotene Förderung und Beschleunigung des Prozesses auf andere Weise besser zu erreichen ist (BGH, Beschluss vom 26.10.2006 – VII ZB 39/06, NZBau 2007, 98; Kniffka/ Koeble/ Jurgeleit/ Sacher, Kompendium des Baurechts, 5. Aufl. 2020, 14. Teil Rn. 82; Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl. 2022, Vor § 485 Rn. 6).

Das Beschwerdegericht hat uneingeschränkt zu prüfen, ob ein Aussetzungsgrund gegeben ist, im Übrigen aber kann die Aussetzungsentscheidung, die in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, nur auf Ermessensfehler geprüft werden (MüKoZPO/Fritsche, ZPO, 6. Aufl. 2020, § 148 Rn. 17; Zöller/Greger, aaO, § 252 Rn. 5).

2. Unter Berücksichtigung dieser Rechtssätze ist die Entscheidung des Erstgerichts nicht zu beanstanden.

Zur Begründung nimmt der Senat zunächst Bezug auf die Ausführungen des Erstgerichts vom 03.05. und 21.06.2022 und ergänzt im Lichte der Beschwerdebegründung kurz folgendes:

Die abschließende Begutachtung zu den zwischen den Parteien weiterhin streitigen und streitentscheidenden Fragen, ob ein Baumangel in Form eines Serienmangels inmitten liegt und der Art der Mängelbeseitigung, welche sich auf Grund und Höhe des Klageanspruchs auswirken, steht im selbständigen Beweisverfahren, das von der Kammer geführt wird, die auch für das hiesige Hauptsacheverfahren zuständig ist, noch aus. Der Grundsatz der Prozessökonomie gebietet gerade, dass die im selbständigen Beweisverfahren zu den streitentscheidenden Fragen begonnene Beweiserhebung dort möglichst abgeschlossen wird, damit dann zeitnah der Hauptsacheprozess beendet werden kann. Ein anderer, schneller zum Ziel führender Weg der Förderung und Beschleunigung des Prozesses erscheint im derzeitigen Verfahrensstadium nicht gegeben, es sei denn die Prozessbeteiligten finden selbst einen gütlichen Weg der Streitbeilegung. Selbstverständlich hat das Erstgericht insbesondere auch im selbständigen Beweisverfahren, das bereits seit 2015 anhängig ist, das Gebot der Förderung und Beschleunigung im Auge zu behalten und ggfs. das hiesige streitige Verfahren von Amts wegen wieder fortzusetzen (§ 150 ZPO), wenn die Fragen des Vorliegens des behaupteten Serienmangels und der Mängelbeseitigungskosten dort geklärt sind. Selbstverständlich dürfte es aber auch im Interesse aller Beteiligten liegen, die Beweiserhebung nun zügig zu beenden und nicht durch sukzessive Nachfragen weiter in die Länge zu ziehen, denn gerade die jüngsten Entwicklungen zeigen, dass auch die Probleme in Bauprozessen auf allen Seiten eher größer als kleiner werden, zumal hier die Abnahmen bis in Jahr 2008 zurückreichen und seit 2015 gerichtlich über etwaige Baumängel gestritten wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO. Maßgeblich für den Wert ist nicht der Wert der Hauptsache, sondern das Interesse an der (Nicht-) Aussetzung (Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 43. Aufl. 2022, § 3 Rn. 24), das hier mit einem Fünftel des Werts der Hauptsache zu bewerten ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 25.07.2019 – 1 ZB 82/18, NJWRR 2020, 98, Rn. 47).

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.