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VertragsManagement - VertragsMan ® Hochbaurecht OLG Nürnberg: Verletzt der Auftragnehmer seine bauvertragliche Kooperationspflicht erheblich, kann der Auftraggeber vom Bauvertrag zurücktreten

vorgestellt von Thomas Ax

Der Bauvertrag bedarf in besonderem Maße einer Kooperation und Abstimmung der beiden Vertragspartner. Dazu gehören je nach Gegebenheiten des Falls Informations-, Mitwirkungs- und Rügeobliegenheiten und -pflichten und die Bemühung um eine einvernehmliche Lösung. Ein fachkundiges Spezialunternehmen muss den nicht sachkundigen Auftraggeber aktiv aufklären und instruieren, wenn dieser im Rahmen seiner Möglichkeiten die Unterlagen vorlegt, die er erklärtermaßen für ausreichend hält, um seinerseits den eigenen Mitwirkungspflichten zu genügen, die sich aber aus Sicht des Auftragnehmers als unzureichend erweisen. Verletzt der Auftragnehmer seine bauvertragliche Kooperationspflicht erheblich, kann der Auftraggeber vom Bauvertrag zurücktreten.
OLG Nürnberg, Urteil vom 10.12.2020 – 13 U 2087/18
vorhergehend:
OLG Nürnberg, 23.07.2020 – 13 U 2087/18
LG Nürnberg-Fürth, 21.09.2018 – 1 O 843/18
OLG Nürnberg, 10.08.2016 – 2 U 2182/13
LG Nürnberg-Fürth, 27.09.2013 – 9 O 694/13
LG Nürnberg-Fürth, 18.05.2012 – 9 O 2700/11
nachfolgend:
BGH, Beschluss vom 20.04.2022 – VII ZR 36/21 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)


Gründe:

I.

Die Parteien streiten um Rückzahlung von Anzahlungen, die der Kläger an die Beklagte zur Erfüllung eines Werkvertrags über den Einbau eines Aufzugs geleistet hatte.

Die Parteien schlossen am 16./28.10.2009 einen Vertrag über den Einbau des senkrechten Plattformlifts 4500 an einem Mietshaus des Klägers für insgesamt 42.721 Euro. Hierauf leistete der Kläger Anzahlungen, insgesamt 29.104,70 Euro. Diese Anzahlungen verlangt der Kläger nunmehr klageweise zurück und stützt sich dabei auf Rücktritt vom Vertrag. Es handelt sich um den nunmehr dritten Rechtsstreit der Parteien zu diesem Gegenstand.

Im ersten Verfahren vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth (9 O 2700/11) verlangte der Kläger erstmalig Rückzahlung der Anzahlungen. Den Anspruch stützte er darauf, dass die Parteien einen Änderungsvertrag geschlossen hätten, aufgrund dessen ein anderer Aufzug hätte installiert werden sollen; damit sei der ursprüngliche Vertrag aufgehoben worden. In seinem rechtskräftigen Urteil vom 18.05.2012, mit dem es die Klage abgewiesen hatte, führte das Landgericht aus, es habe sich nicht davon überzeugen können, dass der behauptete Änderungsvertrag geschlossen worden sei.

Im zweiten Verfahren vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth (9 O 694/13) verlangte der Kläger erneut Rückzahlung der Anzahlungen. Diesmal stützte er den Anspruch auf Rücktritt. Zur Begründung trug er vor, er habe alle notwendigen bauseitigen Leistungen erbracht. Die Beklagte sei mit der Lieferung und Montage des Lifts in Verzug, weshalb er habe zurücktreten können. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 27.09.2013 als derzeit unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagtenleistung sei noch nicht fällig, weil der Kläger nicht nachgewiesen habe, dass er seine notwendigen Vorleistungen – Herstellung von Grube und Bodenplatte sowie Freigabe der Zeichnungen – vollständig erbracht habe. Die dagegen gerichtete Klägerberufung hat das Oberlandesgerichts Nürnberg durch Urteil vom 10.08.2016 (2 U 2182/13) abgewiesen. Das Oberlandesgericht ist bei seiner Begründung im Wesentlichen dem Erstgericht gefolgt und hat festgestellt, dass es

durch das Verhalten des Klägers selbst nicht zu den für die baulichen Vorleistungen des Klägers erforderlichen Festlegungen zum Gebäudeanschluss und zur Position der Anschlusskabel gekommen (sei)

(Urteil vom 10.08.2016, S. 6). Mangels Freigabe sei die Beklagtenleistung noch nicht fällig gewesen und lägen die Voraussetzungen für einen Rücktritt nicht vor.

Auch in der Folgezeit wurde der streitgegenständliche Lift von der Beklagten nicht geliefert und montiert. Im hiesigen Verfahren verlangt der Kläger die Rückzahlung der geleisteten Anzahlung nach zwischenzeitlich abgegebenen weiteren Rücktrittserklärungen.

Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 28.11.2016 erklärte der Kläger die Freigabe der Liftzeichnung der Beklagten vom 27.07.2012, N401-1963-A2, und bat um kurzfristige Mitteilung,

wann ungefähr mit der Lieferzeit zu rechnen ist und ob die Lieferzeit auch ordnungsgemäß eingehalten wird.

Diesbezüglich merkte sich der Kläger in diesem Schreiben eine Frist bis zum 12.12.2016 vor.

Am 09.01.2017 erteilte die Stadt Lünen die Baugenehmigung für den Anbau des Aufzugs.

Unter dem 13.01.2017 richtete der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigten ein weiteres Schreiben an die Beklagte, welches durch Einschreiben mit Rückschein versandt wurde. Beigefügt war die Baugenehmigung mit der Bitte um Kenntnisnahme und Überprüfung. Der Kläger formulierte in dem Schreiben, dass er,

da alle Unterlagen ordnungsgemäß vorliegen und auch die Zahlungsbedingungen erfüllt sind„,

einen Lieferbeginn am 13.03.2017 gemäß Auftragsbestätigung errechnet habe. Diesen bitte er innerhalb von zehn Tagen zu bestätigen, da bekanntlich ein Gerüst geordert, die Wände aufgeschlagen und die Mieter ordnungsgemäß informiert werden müssten.

Die Prozessbevollmächtigten des Klägers übermittelten die Schreiben vom 28.11.2016 und vom 13.01.2017 darüber hinaus am 16.01.2017 per Telefax an den zu dieser Zeit von der Beklagten mandatierten Rechtsanwalt S.. Dieser antwortete mit Telefax vom selben Tag, er sei hinsichtlich des Themas „Lieferung des Lifts“ von der Beklagten nicht mandatiert worden, sondern nur hinsichtlich von Forderungen bezüglich einer Bürgschaft.

Daraufhin beauftragten die Klägervertreter noch am 16.01.2017 die Gerichtsvollzieherin M. damit, die Schreiben vom 28.11.2016 (nebst Freigabeerklärung zu den Liftzeichnungen) sowie vom 13.01.2017 (nebst erneuter Freigabe und Baugenehmigung) an die Beklagte zuzustellen. In den beiden Schreiben wird auf die jeweiligen Anlagen ausdrücklich Bezug genommen. Am 16.02.2017 bestätigte die Geschäftsführerin der Beklagten gegenüber der Gerichtsvollzieherin unterschriftlich „den Erhalt des Schreibens der Anwälte S.„. Die Gerichtsvollzieherin M. teilte den Klägervertretern mit E-Mail vom 01.03.2017 mit:

Frau G. war kurz nach unserem Telefonat bei mir im Büro. Ich habe mir den Erhalte Ihrer Schreiben schriftlich bestätigen lassen.

Mit Schreiben des Rechtsanwalts S. vom 09.03.2017 ließ die Beklagte erklären, sie sei von der Montage des vereinbarten Liftmodells von der Leistungspflicht befreit, weil der im Jahr 2009 bestellte Lift nicht mehr den gültigen Maschinenrichtlinien entspreche und somit nicht mehr vom TÜV abgenommen werden könne.

Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 22.05.2017 setzte der Kläger der Beklagten eine Nachfrist bis 20.06.2017, um mit der Bauausführung zu beginnen und dies dem Kläger nachzuweisen. Hinsichtlich des Einwands zur geänderten Maschinenrichtlinie äußerte der Kläger, dass es im Risikobereich des Werkunternehmers liege, seine Leistung an die gesetzlichen Vorgaben anzupassen. Das Schreiben wurde per Einschreiben mit Rückschein an die Beklagte versandt, der Rückschein ging am 29.05.2017 mit dem Schreiben an die Klägervertreter zurück mit dem Vermerk, dass das Schreiben von der Beklagten nicht abgeholt worden sei.

Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 21.12.2017 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Vertrag.

Die Beklagte hat erstinstanzlich behauptet, abgesehen von der Zustellung durch die Gerichtsvollzieherin am 16.02.2017 sämtliche sonstigen Sendungen des Klägers nicht erhalten zu haben, auch keine Benachrichtigungsscheine von Einschreiben. Höchstvorsorglich bestreite sie, dass dem Schreiben vom 13.01.2017 eine Baugenehmigung beigefügt gewesen sei.

Im Übrigen verweist der Senat gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zu den erstinstanzlichen Feststellungen und zu den Anträgen der Parteien auf das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 21.09.2018.

Mit dieser Entscheidung hat das Landgericht die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Rücktrittserklärung vom 21.12.2017 sei unwirksam, da es am Nachweis einer wirksamen vorangegangenen Fristsetzung zur Leistungserbringung fehle. Im Schriftsatz des Klägers vom 28.11.2016 habe der Kläger der Beklagten keine Frist zur Erbringung ihrer Leistung gesetzt, sondern nur zur Mitteilung der Lieferzeit und zu einer Erklärung zu deren Einhaltung. Der Klägervortrag zur weiteren Fristsetzung im Schreiben vom 22.05.2017 sei unschlüssig, dieses Schreiben sei dem Landgericht gar nicht erst vorgelegt worden.

Eine Unmöglichkeit des Lifteinbaus sei nicht eingetreten. Der Beklagtenvortrag, der seinerzeit bestellte Lift könne wegen einer Änderung der Maschinenrichtlinie nicht mehr eingebaut werden, sei schon unsubstantiiert, jedenfalls aber klägerseits bestritten. Zu den Einzelheiten der Urteilsbegründung wird ergänzend auf die dortigen Entscheidungsgründe verweisen.

Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Klageziel in vollem Umfang weiterverfolgt.

Mit Schreiben vom 16.10.2018 (Anlage K 5.4), durch den Gerichtsvollzieher G. zugestellt am 25.10.2018 (Anlagen K 5.1 und 5.2), forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 05.11.2018 erneut auf, mit einer Ausführung der Arbeiten zur Umsetzung des Vertrages zu beginnen und dies nachzuweisen. Der Kläger kündigte in dem Schreiben weiter an, dass er bei Nichteinhaltung der Aufforderung erneut den Rücktritt erklären werde. Weiter wies der Kläger in dem Schreiben darauf hin, dass kurzfristig – innerhalb der gesetzten Frist – ein Kontakt zwischen Lifthersteller und Bauleiter hergestellt werden müsse. Für den Fall, dass im Übrigen Änderungen notwendig geworden seien, solle diesbezüglich zwecks erforderlicher Ab-sprachen Kontakt mit dem Kläger aufgenommen werden, unter Vorlage von Unterlagen, die erkennen lassen, wie sich etwaig notwendig gewordene Änderungen einarbeiten lassen. Soweit die Herstellung des Gebäudeanschlusses unklar sein sollte oder die Position der Anschlusskabel, werde auf die mit der Baugenehmigung überreichten Unterlagen verwiesen, aus denen sich alles ergebe. Wenn dann immer noch Unklarheiten verbleiben sollten, bleibe es der Beklagten unbenommen, in Absprache mit dem Bauleiter der Mandantschaft Einmessungen vor Ort vorzunehmen.

Nachdem weder innerhalb der gesetzten Frist noch in der Folgezeit irgendeine Reaktion der Beklagten auf die Aufforderung vom 16.10.2018 erfolgt war, erklärte der Kläger mit dem Schriftsatz zur Berufungsbegründung vom 19.12.2018 erneut den Rücktritt.

Zur Begründung der Berufung vertritt der Kläger die Auffassung, er sei schon mit Schreiben vom 21.12.2017 wirksam vom Vertrag zurückgetreten. Das Landgericht habe es versäumt, eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung der Beklagten zu prüfen. Diese ergebe sich aus der systematischen Zugangsvereitelung für Erklärungen und Nachrichten durch die Beklagte. Daher sei es auf Fristsetzungen nicht angekommen.

Jedenfalls sei aber durch die in der Berufungsbegründung ausgesprochene weitere Rücktrittserklärung nun ein Rückabwicklungsverhältnis entstanden.

Ein Zurückbehaltungsrecht wegen der Bürgschaftskosten stehe der Beklagten nicht zu.


Der Kläger hat in der zweiten Instanz beantragt zu erkennen:

Die Beklagte wird unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils verurteilt, an den Kläger 29.904,70 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.


Die Beklagte hat beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.


Die Beklagte hält die Rücktrittserklärung in der Berufungsbegründung für verspätet. Im Übrigen stünde der Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht an den Anzahlungen wegen der Bürgschaftskosten zu. Hilfsweise erklärte die Beklagte die Aufrechnung gegen die Klageforderung.

Zu den Einzelheiten des Parteivortrags in der Berufungsinstanz wird im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Der Senat hat zunächst erwogen, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Auf den entsprechenden Hinweis vom 23.07.2020 haben beide Parteien erneut zur Sache Stellung genommen. Der Senat hat daraufhin mit Verfügung vom 19.08.2020 von seinem Hinweis Abstand genommen und eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Auf das Protokoll vom 19.11.2020 und die ihr vorangehenden Schreiben, sowie auf den nachgelassenen Schriftsatz des Klägers vom 25.11.2020 wird Bezug genommen.


II.

Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache weitestgehend Erfolg, weil die Rücktrittserklärung im Berufungsbegründungsschriftsatz wirksam war und dem Kläger daher gemäß § 346 Abs. 1 BGB ein Rückerstattungsanspruch über 29.904,70 Euro zusteht. Zinsen kann der Kläger jedoch erst ab dem Zugang der Rücktrittserklärung vom 19.12.2018 bei der Beklagten verlangen; die weitergehende Berufung war zurückzuweisen

1. Der Erstattungsanspruch der Beklagten ergab sich nicht schon auf der Grundlage der Rück-trittserklärung vom 21.12.2017. Das hat der Senat in seinem Hinweis vom 23.07.2020, dort unter II, eingehend begründet und er hält daran auch im Lichte der Ausführungen im Klägerschriftsatz vom 14.08.2020 fest. Zur Meidung von Wiederholungen wird auf die dortigen Erwägungen (S. 3 bis 7 des Hinweises) Bezug genommen (vgl. Zöller/Feskorn, ZPO, 33. Aufl., § 313 Rn. 19a), nachdem der Zeitpunkt des wirksamen Rücktritts vorliegend ohnehin nur für den Beginn des Zinslaufs von Bedeutung ist.

2. Der Kläger hat allerdings in seiner Berufungsbegründung vom 19.12.2018 wirksam den Rücktritt vom Vertrag erklärt und damit das Vertragsverhältnis in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, aufgrund dessen er die Rückgewähr seiner Anzahlungen verlangen kann (§ 346 Abs. 1 BGB). Insoweit hält der Senat – wie bereits in der Verfügung vom 19.08.2020 anvisiert – an seiner gegenteiligen Bewertung im Hinweis vom 23.07.2020 nicht mehr fest. Die Voraussetzungen des Rücktrittsrechts gemäß § 323 Abs. 1 BGB liegen vor.

a) Die Beklagte hat im streitgegenständlichen gegenseitigen Vertrag eine fällige Nebenleistung nicht vertragsgemäß erbracht.

aa) Die Parteien haben einen gegenseitigen (synallagmatischen) Vertrag über die Lieferung und den Einbau eines Plattformlifts an das Mehrfamilienhaus des Klägers abgeschlossen (vgl. Anlage K 1). § 323 Abs. 1 BGB verlangt allerdings nicht die Verletzung einer Pflicht, die ihrerseits im Gegenseitigkeitsverhältnis zu den Pflichten des Vertragspartners steht (BT-Drs. 14/6040, S. 183, rechte Spalte, zu § 323 Abs. 1; Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 323 Rn. 10 m. w. N.). Ausreichend ist die Verletzung einer nicht unerheblichen Nebenpflicht (arg. § 323 Abs. 5 Satz 2 BGB). Vorliegend hat die Beklagte ihre bauvertragliche Kooperationspflicht in der Ausprägung der Instruktions- und Aufklärungspflichten verletzt. Der Bauvertrag bedarf in besonderem Maße einer Kooperation und Abstimmung der beiden Vertragspartner. Dazu gehören je nach Gegebenheiten des Falls Informations-, Mitwirkungs- und Rügeobliegenheiten und -pflichten und die Bemühung um eine einvernehmliche Lösung (BGH, Urteil vom 23.05.1996 – VII ZR 245/94, NJW 1996, 2158; Urteil vom 10.05.2007 – VII ZR 226/05, NJW-RR 2007, 1317 Rn. 27). Der bloße Hinweis der Beklagten auf eine „Bringschuld und keine Holschuld“ (Beklagtenschriftsatz vom 22.09.2020, S. 3) verfehlt gerade den Kern der Kooperationspflichten.

bb) Vorliegend hat die Beklagte ihre Instruktions- und Aufklärungspflichten, die zur Vertragsabwicklung essenziell waren, verletzt.

(1) Bei der Beklagten handelt es sich um ein Spezialunternehmen im Bereich des Aufzugsbaus. Das bedingt, dass sie – anders als der Kläger – über das Fachwissen verfügte, das notwendig war, um den Einbau der Liftanlage erfolgreich zu Ende zu bringen. Dieser Umstand verlangte von der Beklagten eine aktive Aufklärung und Instruktion des Klägers, wenn letzterer im Rahmen seiner Möglichkeiten die Unterlagen vorlegt, die er – wie hier für die Beklagte auch erkennbar – erklärtermaßen für ausreichend hält, um seinerseits den eigenen Mitwirkungspflichten zu genügen, die sich aber aus der (fachlich überlegenen) Sicht der Beklagten als unzureichend erweisen.

(2) Die vorgenannte Ausprägung der Kooperationspflicht hat die Beklagte verletzt.

(a) Der Kläger hat – schlussendlich – der Beklagten die Freigabe der Liftzeichnung und die Baugenehmigung für den Lift nebst zugehörigen Unterlagen durch die Gerichtsvollzieherin M. übergeben lassen. Hiervon ist der Senat überzeugt. Die Gerichtsvollzieherin hat mit E-Mail vom 01.03.2017 (Anlage K, ohne Nummerierung) gegenüber den Klägervertretern mitgeteilt, dass die Geschäftsführerin der Beklagten, Frau G., bei der Gerichtsvollzieherin im Büro war und sich die Beamtin den Erhalt der Schreiben, mit deren Zustellung sie von den Klägervertretern beauftragt worden war, hat schriftlich bestätigen lassen. Der Zusammenhang der Antwort und die Verwendung des Plurals bezüglich der Schreiben in der E-Mail lässt keinen vernünftigen Zweifel daran, dass die Gerichtsvollzieherin damit die Übergabe sämtlicher ihr zur Zustellung übergebenen Schriftstücke gemeint hat. Die Gerichtsvollzieherin hatte dazu von den Klägervertretern mit Schreiben vom 16.01.2017 einen einheitlichen Zustellungsauftrag für drei Schreiben (vom 28.11.2016, 13.01.2017 und 16.01.2017, nebst Anlagen) erhalten, den sie unter einem Aktenzeichen (…) geführt und abgerechnet hatte. Unter diesem Aktenzeichen hat sich die Gerichtsvollzieherin die Bestätigung über den Erhalt vom 16.02.2017 von der Geschäftsführerin der Beklagten unterzeichnen lassen. Dass auf der von der Gerichtsvollzieherin zur Unterschrift vorgefertigten Empfangsbestätigung der Singular („Erhalt des Schreibens„) vorgegeben war, ist ersichtlich ein Schreibversehen.

Die Überzeugung des Senats wird dadurch bestärkt, dass die Beklagte nach Empfang der Schriftstücke das Fehlen von Anlagen nicht monierte. Hätten die Unterlagen tatsächlich gefehlt, so hätte sich eine derartige Anmahnung aufgedrängt, nachdem in dem nur eine gute halbe Seite Text umfassenden Schreiben vom 13.01.2017 schon im dritten Satz ausgeführt wird:

Wir überreichen Ihnen darüber hinaus die neue Baugenehmigung … zur Kenntnisnahme

und die Beklagte im darauf folgenden Satz aufgefordert wird:

Zu Ihrer eigenen Sicherheit ist Ihrerseits diese Baugenehmigung zu überprüfen.

Im Schreiben des damals die Beklagte vertretenden Rechtsanwalts S. vom 09.03.2017 (Anlage B 1) äußerte sich die Beklagte zwar zur Frage der Montage des Lifts (mit der Auffassung, sie sei von ihrer Leistungspflicht befreit), monierte aber mit keinem Wort, dass bei dem drei Wochen zuvor zugestellten Schreiben darin benannte Anlagen fehlen würden. Selbst in der Klageerwiderung vom 25.04.2018, in welcher sich die Beklagte durchaus mit dem Schreiben vom 13.01.2017 befasst, wird noch nicht ansatzweise behauptet, diesem Schreiben seien die darin benannten Anlagen nicht beigefügt gewesen. Erst mit Schriftsatz vom 28.08.2018 hat die Beklagte erstmals erklären lassen, dass sie nun „höchstvorsorglich“ bestreite, „dass dem Schreiben des Klägervertreters vom 13.01.2017 eine Baugenehmigung beigefügt war“ (Bl. 42 der Akte).

(b) Nachdem im Schreiben vom 13.01.2017 der Kläger auch formuliert hatte

Da nun alle Unterlagen ordnungsgemäß vorliegen …„,

war für die Beklagte mit Erhalt des Schreibens nebst der genannten Unterlagen klar, was der Kläger als taugliche und genügende Mitwirkung ansah. Sollte die Beklagte diese Mitwirkung des Klägers für fachlich ungenügend oder nicht umfangreich halten, wäre es ihre Pflicht gewesen, ihn spezifisch darauf hinzuweisen und die aus ihrer Sicht fehlenden Informationen konkret zu benennen und damit den Kläger instand zu setzen, das zu liefern, was fehlt. Das hat sie nicht getan. Im bereits mehrfach angesprochenen Anwaltsschreiben vom 09.03.2017 (Anlage B 1) hat die Beklagte vielmehr lediglich ausrichten lassen, dass der bestellte Lift nicht mehr eingebaut werden könne, weil er nicht mehr den gültigen Maschinenrichtlinien entspreche und somit nicht mehr vom TÜV abgenommen werden könne. Wenige Tage zuvor hatte die Beklagte aber die Unterlagen vom Kläger erhalten. Daher wäre es an der Beklagten gewesen, dem nicht fachkundigen Kläger näher auseinanderzusetzen, welche rechtlichen Änderungen zwischenzeitlich eingetreten sind und welche Auswirkungen diese auf die Durchführung des vertraglichen Projekts haben, so dass der Kläger hierauf hätte sachgerecht reagieren können. Sie hätte darauf hinweisen müssen, in welchen Punkten die zwischenzeitlich vom Kläger vorgelegten Unterlagen lückenhaft oder nicht ausreichend sind, was genau er gegebenenfalls nachliefern müsse und welche technischen Optionen mit welchen Voraussetzungen bestehen, um das Projekt doch noch – gegebenenfalls modifiziert – vollenden zu können.

Von diesem – unverändert bestehenden – Ausgangspunkt aus war auch das Schreiben des Klägers vom 16.10.2018 zu bewerten. Dort teilte er der Beklagten unter anderem mit, dass eine kurzfristige Kontaktaufnahme mit seinem Bauleiter erfolgen müsse. Sollten weitere Absprachen notwendig sein, sei Kontakt aufzunehmen. Soweit die Herstellung des Gebäudeanschlusses oder die Position der Anschlusskabel unklar sein sollte, werde auf die bereits überreichten Unterlagen verwiesen. Sollten dann immer noch Unklarheiten bestehen, werde auf die Möglichkeit der Beklagten verwiesen, eine eigene Einmessung in Absprache mit dem Bauleiter des Klägers vorzunehmen. Aus diesem Schreiben geht mithin hervor, dass der Kläger davon ausging, der Beklagten die zur Vertragsdurchführung notwendigen Informationen gegeben zu haben. Hierauf hat die Beklagte jedoch wieder nicht in dem oben als erforderlich beschriebenen Sinn reagiert, sondern erstmals in der Berufungserwiderung vom 19.02.2019 – also lange nach Ablauf der klägerseits gesetzten Frist – ausrichten lassen, dass die vom Kläger geforderten ergänzenden Informationen über die Festlegungen zum Gebäudeanschluss, zur Position der Anschlusskabel und der Nachweis eines Zugangs einer Baugenehmigung für den Lift fehlen, wobei jedenfalls letzterer Punkt nach Überzeugung des Senats, wie bereits oben ausgeführt, nicht der Wahrheit entspricht. Damit stützt sich die Beklagte gerade auf Informationsdefizite des Klägers, die beheben zu helfen sie selbst pflichtwidrig unterlassen hat.

Klarzustellen ist bei alldem, dass die Frage der Erfüllung von Informationspflichten zu unterscheiden ist von der Frage der vom Kläger geschuldeten Vorleistungen. Nach der zur Akte gelangten Auftragsbestätigung K 1 (weitere Vertragsunterlagen wurden nicht vorgelegt) traf den Kläger eine Reihe von Mitwirkungspflichten bei der Einrichtung und Vorbereitung der Baustelle und bei der Klärung von bestimmten Voraussetzungen. Die Erfüllung dieser Mitwirkungspflichten setzte aber ihrerseits voraus, dass dem Kläger als Nichtfachmann von der Beklagten als Spezialunternehmen klargemacht wird, welche konkreten Informationen sie im Einzelnen noch braucht oder inwiefern die bereits erteilten Informationen – entgegen der erkennbaren Annahme des Klägers – noch ungenügend sind. Erst nach Erfüllung der nötigen Aufklärungspflichten wäre es am Kläger gewesen, seinerseits die vertraglich verlangten Vorleistungen für die endgültige Montage des Aufzugs zu erbringen.

Die Verletzung der Kooperationspflicht durch die Beklagte hatte nicht zuletzt deshalb erhebliches Gewicht, weil für die Beklagte aufgrund der Begleiterscheinungen der „Kommunikation“ zwischen den Parteien – Zustellung von Schreiben durch Gerichtsvollzieherin – spätestens Mitte Februar 2017 handgreiflich deutlich geworden sein muss, dass der Kläger geradezu verzweifelt um die (rechtlich gebotene) Kooperation der Beklagten ringt, auf die er dringend angewiesen war, um eventuell noch fehlende eigene Mit-wirkungshandlungen zu vollenden.

b) Der Kläger hat der Beklagten durch den Schriftsatz seiner Rechtsanwältin vom 16.10.2018 auch eine Frist zur Behebung der von der Beklagten für sich beanspruchten Informationsdefizite gesetzt. Dieser Schriftsatz wurde der Beklagten ausweislich des Zustellungsprotokolls des Gerichtsvollziehers G. am 25.10.2018 zugestellt.

In dem Schriftsatz heißt es, dass die zum 05.11.2018 gesetzte Frist auch für die Kontaktaufnahme zur Einmessung und Absprache gilt. Es muss nicht entschieden werden, ob die gesetzte Frist angesichts des langen Vorlaufs dieses Vertragsverhältnisses unangemessen kurz gewesen sein könnte. Die Rücktrittserklärung in der Berufungsbegründung vom 19.12.2018 ist jedenfalls nach Ablauf einer als angemessen zu wertenden Frist erfolgt. Bis zur Rücktrittserklärung hätten die als fehlend angesehenen Informationen ohne Weiteres von der Beklagten beschafft oder deren Beschaffung beim Kläger veranlasst werden können. Das ist unterblieben.

Entgegen der Auffassung der Beklagten konnte die nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils abgegebene Rücktrittserklärung in der Berufungsinstanz berücksichtigt werden. Deren Einführung in den Rechtsstreit beruhte nicht auf Nachlässigkeit im Sinne von § 531 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO. Eine solche ist grundsätzlich zu verneinen, wenn ein neues Angriffs- und Verteidigungsmittel erst nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung entstanden ist (BGH, Beschluss vom 17.05.2011 – X ZR 77/10). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Die Rücktrittserklärung vom 19.12.2018 konnte noch nicht Gegenstand der am 28.08.2018 geschlossenen erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung sein. Im Übrigen war die Tatsache der Erklärung des Rücktritts am 19.12.2018 auch schon deshalb zweitinstanzlich berücksichtigungsfähig, weil diese unstreitig ist.

Die vorstehend unter 2.a dargelegten Erwägungen begründen zugleich, warum der Senat an seiner Wertung im Hinweisbeschluss vom 23.07.2020 unter III.2 zur Wirkungslosigkeit der Fristsetzung nicht festhält.

c) Als Rechtsfolge des Rücktritts haben sich die Parteien die empfangenen Leistungen zurückzugewähren (§ 346 Abs. 1 BGB). Damit hat die Beklagte die empfangenen Anzahlungen i. H. v. insgesamt 29.904,70 Euro an den Kläger zu erstatten.

d) Der Anspruch des Klägers ist durchsetzbar. Ihm steht ein Zurückbehaltungsrecht der Beklagten nicht entgegen. Die Beklagte beruft sich in der Berufungsbegründung vom 19.02.2019 (S. 4) auf ein vermeintliches Zurückbehaltungsrecht wegen Bürgschaftskosten. Insoweit verweist die Beklagte auf einen vermeintlichen Verzugsschaden, den sie bereits vor dem Amtsgericht Lünen (7 C 120/16) geltend gemacht hat. Das Amtsgericht Lünen hat mit rechtskräftigem Urteil vom 23.03.2017 die dahingehende Leistungsklage wegen Verjährung abgewiesen. Eine schlüssige Darlegung und Bezifferung der ver-meintlichen Beklagtenansprüche findet sich in der Berufungsbegründung nicht.

e) Der von der Beklagten zurückzugewährende Betrag ist auch nicht durch hilfsweise Aufrechnung erloschen (vgl. Berufungserwiderung vom 19.02.2019, S. 5). Ein aufrechenbarer Gegenanspruch der Beklagten wird dort ebenso wenig schlüssig behauptet.

3. Zinsen kann der Kläger nicht wie beantragt ab Rechtshängigkeit verlangen, sondern ab dem Zeitpunkt des Zugangs der Rücktrittserklärung in der Berufungsinstanz. Erst damit ist der Rückgewähranspruch fällig geworden (vgl. § 291 Satz 1 Halbsatz 2, Satz 2, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB).


III.

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

3. Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Soweit allgemeine Rechtsfragen entscheidungserheblich waren, bewegt sich der Senat innerhalb der bestehenden höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung.

4. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach §§ 47 GKG, 3 ZPO.