Ax Rechtsanwälte

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VOB/A Aufhebung unumkehrbar, aber rechtswidrig

von Thomas Ax

Gemäß § 18 VOB/A wird ein Vergabeverfahren in der Regel mit der Erteilung des Zuschlags beendet. Der Auftraggeber hat aber auch die Möglichkeit, unter den in § 17 Abs. 1 VOB/A geregelten Voraussetzungen ein Vergabeverfahren rechtmäßig aufzuheben. Die dort geregelten Aufhebungstatbestände sind eng auszulegen und abschließend (BGH, Urteil vom 08.09.1998 – X ZR 48/97). Gemäß § 17 Abs. 1 VOB/A kann eine Ausschreibung aufgehoben werden, wenn kein Angebot eingegangen ist, das den Ausschreibungsunterlagen entspricht (Nr. 1), die Vergabeunterlagen grundlegend geändert werden müssen (Nr. 2) oder andere schwerwiegende Gründe bestehen (Nr. 3). Eine Aufhebung nach § 17 Abs. 1 VOB/A kann allerdings nur in den Fällen rechtmäßig sein, in denen den Auftraggeber keine tatbestandliche Verantwortlichkeit hinsichtlich der Aufhebungsgründe trifft. Gemäß § 16 d Abs. 1 Nr. 1 VOB/A darf auf ein Angebot mit einem unangemessen hohen Preis der Zuschlag nicht erteilt werden. Die Feststellung eines unangemessen hohen Angebotspreises muss jedoch auf einer ordnungsgemäßen Schätzung des Auftragswerts beruhen. Für die Schätzung muss der Auftraggeber oder der von ihm gegebenenfalls beauftragte Fachmann Methoden wählen, die ein wirklichkeitsnahes Schätzungsergebnis ernsthaft erwarten lassen (BGH, Urteil vom 20.11.2012 – X ZR 108/10). Ihn trifft für die Rechtmäßigkeit seiner Auftragswertschätzung eine Darlegungs- und Beweislast. Der Auftraggeber kann die Angebotspreise nicht subjektiv als unangemessen hoch beurteilen. Entscheidet sich der Auftraggeber für die Aufhebung, so hat er zudem alle entscheidungsrelevanten Gründe und Erwägungen sorgfältig und vollständig zu dokumentieren, im vorliegenden Fall gem. § 20 VOB/A. Dies ist hier nur unzureichend erfolgt. Nur auf eine möglichst wirklichkeitsnahe Schätzung darf ein öffentlicher Auftraggeber seine Ausschlussentscheidung eines angeblich unverhältnismäßig teuren Angebots stützen; diese Schätzung muss grundsätzlich von den aktuellen Kosten der konkret ausgeschriebenen Leistungen ausgehen, und die einzelnen Schätzgrundlagen müssen nachvollziehbar begründet worden sein (OLG München, Beschluss vom 07.03.2013, Verg 36/12; VK Bund, Beschluss vom 19.09.2014, VK 1-70/14). Die Aufhebung eines Vergabeverfahrens ist eine von den Nachprüfungsinstanzen nur eingeschränkt überprüfbare Ermessensentscheidung, nämlich dahingehend, ob die Vergabestelle überhaupt ihr Ermessen ausgeübt hat (ggf. Ermessensnichtgebrauch) oder ob sie das vorgeschriebene Verfahren nicht eingehalten hat, von einem nicht zutreffenden oder unvollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, sachwidrige Erwägungen in die Wertung mit eingeflossen sind oder der Beurteilungsmaßstab nicht zutreffend angewandt worden ist (Ermessensfehlgebrauch).

Die für einen Zuschlag erforderliche „Aufhebung der Aufhebung“ des Vergabeverfahrens kann die Vergabekammer allerdings nicht vornehmen oder anordnen. Trotz Rechtswidrigkeit der Aufhebung ist diese wirksam, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht und die Aufhebung nicht zur Diskriminierung einzelner Bieter, zum Schein oder aus Willkür erfolgt ist (BGH, Urteil vom 08.09.1998, X ZR 48/97; VK Bund, Beschluss vom 07.03.2018, VK 2-12/18; VK Nordbayern, Beschluss vom 05.07.2019, RMF-SG21-3194-4-23). Das Vorliegen eines sachlichen Grundes wird u. a. dann angenommen, wenn der öffentliche Auftraggeber feststellt, dass er aus haushaltsmäßigen Gründen auf die konkret ausgeschriebene Beschaffung verzichten muss, weil er entweder keine Mittel mehr in der benötigten Höhe zur Verfügung hat oder ihm die Beschaffung schlicht zu teuer ist (VK Bund, Beschluss vom 11.06.2008, VK 1-63/08; VK Lüneburg, Beschluss vom 13.03.2017, VgK-02/2017). Hinzu kommt, dass öffentliche Auftraggeber ohnehin nicht verpflichtet sind, den Zuschlag zu erteilen und den Vertrag zu schließen, wenn die Voraussetzungen nach § 17 Abs. 1 VOB/A nicht gegeben sind. Nach der Rechtsprechung des BGH müssen Bieter die Aufhebung des Vergabeverfahrens, von engen Ausnahmen abgesehen, nicht nur dann hinnehmen, wenn sie von einem der in den einschlägigen Bestimmungen der Vergabe- und Vertragsordnungen (etwa § 17 Abs. 1 VOB/A) aufgeführten Gründe gedeckt und deshalb von vornherein rechtmäßig ist. Aus den entsprechenden Bestimmungen der Vergabe- und Vertragsordnungen folge nicht im Gegenschluss, dass ein öffentlicher Auftraggeber gezwungen wäre, ein Vergabeverfahren mit der Zuschlagserteilung abzuschließen, wenn keiner der zur Aufhebung berechtigenden Tatbestände erfüllt ist (siehe nur BGH, Urteil vom 20.03.2014 – X ZB 18/13). Für den Auftraggeber besteht also kein Kontrahierungszwang. Vielmehr bleibt es ihm grundsätzlich unbenommen, von einem Beschaffungsvorhaben auch dann Abstand zu nehmen, wenn dafür kein anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt. Dies folgt daraus, dass die Bieter zwar einen Anspruch darauf haben, dass der Auftraggeber die Bestimmungen über das Vergabeverfahren einhält, aber nicht darauf, dass er den Auftrag auch erteilt und demgemäß die Vergabestelle das Vergabeverfahren mit der Erteilung des Zuschlags abschließt (st. Rspr., siehe nur BGH, Beschluss vom 20.03.2014 – X ZB 18/13). VK Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 01.11.2019 – 3 VK LSA 37/19