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Schwerpunktthema Flüchtlingsunterkünfte (2):

Verwaltungsgericht Karlsruhe: Nutzung eines ehemaligen Seniorenheims als Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber

Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil, 02. Dez. 2015 – 5 K 350/15

Tatbestand

Die Kläger wenden sich gegen eine Baugenehmigung für die Nutzung eines ehemaligen Seniorenheims als Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber.

Die Kläger sind Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks …

Am 19.08.2014 schloss der Beklagte vertreten durch die untere Aufnahmebehörde beim Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis mit dem Beigeladenen einen Mietvertrag über das Gebäude … ab. Das ca. fünf Jahre lang leerstehende Gebäude wurde über einen Zeitraum von 30 Jahren als Seniorenheim und zuvor 70 Jahre als Krankenhaus genutzt. Das zugehörige Grundstück grenzt unmittelbar an das Grundstück der Kläger an. Ein Bebauungsplan existiert für das maßgebliche Gebiet nicht.

Am 09.09.2014 beantragte der Beigeladene beim Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis die Erteilung einer Baugenehmigung für die beabsichtigte Nutzungsänderung des Gebäudes als Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber. In dem Antrag war zunächst die Umnutzung des ehemaligen Seniorenheims zur Unterbringung von 120 Asylbewerbern vorgesehen. Mit Schreiben vom 17.09.2014 änderte der Beigeladene seinen Antrag auf Nutzungsänderung dahingehend ab, dass die Nutzung der künftigen Gemeinschaftsunterkunft auf eine maximale Unterbringung von 80 Asylbewerbern begrenzt wurde. Der Beklagte bat mit Schreiben vom 09.09.2014 die zuständige Gemeinde Waibstadt, eine Stellungnahme nach § 54 Abs. 3 Satz 1 LBO abzugeben und die erforderliche Nachbarbeteiligung durchzuführen. Den Angrenzern wurde am 19.09.2014 das Anhörungsschreiben zugestellt.

Ab dem 26.09.2014 wurden aufgrund der zunehmenden Flüchtlingszahlen zunächst ca. 50 Asylbewerber im ehemaligen Seniorenheim untergebracht.

Am 26.09.2014 stellten die Kläger beim Verwaltungsgericht Karlsruhe unter dem Az. 5 K 2792/14 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz und beantragten zunächst, dem Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die im ehemaligen Altenheim in der …, 74915 Waibstadt untergebrachten Personen in einer anderen Unterkunft unterzubringen.

Am 17.10.2014 erhoben die Kläger Einwendungen gegen die beantragte Baugenehmigung. Sie wendeten ein, dass sich das Vorhaben nicht in die nähere Umgebung einfüge. Sie befürchteten Lärm, Vandalismus, Diebstähle und Konflikte. Ihre Lebensqualität werde durch die Dauerbeobachtung, Dauerbeleuchtung und das unerlaubte Betreten ihres Grundstücks enorm eingeschränkt. Die Feuertreppe grenze an ihr Grundstück; ein Stahlträger stehe sogar auf ihrem Grundstück, sodass Abstandsflächen verletzt werden würden. Die Ableitung des Abwassers und Niederschlagswassers erfolge teilweise über ihr Grundstück.

Mit Bescheid vom 29.10.2014 erteilte das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis dem Beigeladenen die beantragte streitgegenständliche Baugenehmigung. Unter Nr. 4 der besonderen Hinweise, Auflagen und Bedingungen zur Baugenehmigung wurden u.a. die beigefügten Nebenbestimmungen des Brandschutzsachverständigen zum Bestandteil der Genehmigung gemacht. Gegen die Baugenehmigung legten die Kläger am 06.11.2014 Widerspruch ein.

Mit Bescheid vom 20.01.2015 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den Widerspruch zurück: Eine Verletzung subjektiver Rechte der Kläger sei nicht gegeben. Bauplanungsrechtlich sei das Vorhaben nach § 34 Abs. 2 BauGB zu beurteilen, da die Eigenart der näheren Umgebung einem Mischgebiet gemäß § 6 BauNVO entspreche. In einem Mischgebiet sei die Asylbewerberunterkunft als Anlage für soziale Zwecke allgemein zulässig. Selbst wenn die vorhandene Bebauung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung als allgemeines Wohngebiet zu klassifizieren sein sollte, käme es zu keinem anderen Ergebnis. Auch in einem allgemeinen Wohngebiet seien Anlagen für soziale Zwecke gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO zulässig. Ob mit der am Gebäude vorhandenen Feuertreppe ein Überbau auf dem Grundstück der Kläger einhergehe, sei unerheblich, denn die Baugenehmigung werde unbeschadet der Rechte privater Dritter gemäß § 58 Abs. 3 LBO erteilt. Nach Aktenlage könne zudem von einem Überbau nicht ausgegangen werden, denn die im Jahr 1987 genehmigte Fluchttreppe befinde sich laut Lageplan vom 11.03.1987 vollständig auf dem Baugrundstück; eine Veränderung der Feuertreppe sei auch nicht Gegenstand der Baugenehmigung gewesen. Die Erschließungsvorschriften dienten im Übrigen allein dem Allgemeininteresse und seien daher grundsätzlich nicht nachbarschützend. Ein Eingriff in schutzwürdige Rechte des Nachbarn sei allenfalls denkbar, wenn die fehlende Erschließung gerade zu besonderen, individuellen Beeinträchtigungen der Kläger führen würde. Hierfür sei jedoch nichts ersichtlich, zumal das Grundstück der Kläger durch die Feuertreppe nicht in Anspruch genommen werde. Im Übrigen wären irgendwie geartete baurechtliche Ansprüche der Kläger in Bezug auf die hier in Rede stehende Feuertreppe aufgrund Zeitablaufs bereits verwirkt, denn die Baugenehmigung für das Altenpflegeheim, dem die Feuertreppe diene, sei bereits im September 1987 erteilt worden.

Mit Beschluss vom 02.02.2015 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz ab.

Am 05.02.2015 haben die Kläger Klage erhoben. Sie beantragen,

die Baugenehmigung des Beklagten vom 29.10.2014 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 20.01.2015 aufzuheben.

Zur Begründung führen sie aus: Ihr Grundstück grenze unmittelbar an das streitgegenständliche Grundstück. Der tatsächliche Abstand zwischen den Gebäuden betrage ca. fünf Meter. Durch den Betrieb der Flüchtlingsunterkunft seit dem 26.09.2014 finde eine starke Beeinträchtigung ihres Eigentums statt. Auch sei durch die massive Zunahme der Bewohner auf dem Nachbargrundstück von 0 Bewohner seit über fünf Jahren auf bis zu 80 Bewohnern aus einem fremden Kulturkreis eine massive Beeinträchtigung ihres Persönlichkeitsrechts zu befürchten. Sie seien rund um die Uhr den Blicken von 80 Nachbarn zuzüglich von Besuchern ausgesetzt. Dies führe zu einer erheblichen Beeinträchtigung ihres Befindens. Die Beeinträchtigung durch das ehemalige Seniorenheim sei deutlich geringer gewesen. Die damalige Baugenehmigung habe lediglich eine Nutzung durch 30 oder 39 Personen vorgesehen, wenngleich auch 57 Personen untergebracht gewesen seien. Die Nutzung eines Seniorenheims sei für die Nachbargrundstücke weit weniger belastend.

Der Betrieb des streitgegenständlichen Gebäudes verstoße auch gegen drittschützende Normen des Baurechts. Es bestünden brandschutzrechtliche Bedenken. Die Baurechtsbehörde habe in einem internen Vermerk selbst ausgeführt, dass eine Nutzungsänderung erst nach Durchführung verschiedener, umfangreicher Brandschutzmaßnahmen genehmigungsfähig sei. Das Rücksichtnahmegebot werde verletzt, da die Genehmigung gegen den Gebietserhaltungsanspruch verstoße. Die Anzahl der Wohnungen habe als Ausdruck der Art der baulichen Nutzung bodenrechtliche Relevanz. Zwar sei ihr Grundstück vorbelastet. In der Umgebung befänden sich überwiegend Wohnbebauung, ein Getränkehandel, eine Bäckerei mit Café, eine Arztpraxis und eine Rechtsanwaltskanzlei. Diesen Nutzungsarten sei aber gemeinsam, dass die Immissionsbelastung auf die Geschäftszeiten beschränkt bleibe, während die ausländischen Bewohner der Flüchtlingsunterkunft gerade auch zu den Zeiten da seien, in denen sie sich selbst (die Kläger) in ihrem Wohnhaus aufhalten würden. Die Flüchtlingsfamilien könnten zudem auch aus Kleinkindern bestehen, gegen deren Emissionen zwar nicht polizeirechtlich vorgegangen werden könne, die aber eine beeinträchtigende Wirkung auf ihr Grundstück hätten.

Das Verfahren zur Erteilung der Baugenehmigung leide an unheilbaren Verfahrensmängeln. Die Baugenehmigung sei für eine Nutzungsänderung beantragt worden. Erteilt worden sei sie jedoch als Genehmigung für einen Neubau. Jedenfalls enthalte sie Abschnitte, die lediglich bei einem Neubau sinnvoll seien. Exemplarisch werde auf die gesonderte Lagerung von Mutterboden hingewiesen. Bei einer Nutzungsänderung sei eine derartige Vorgehensweise nicht notwendig und die Nebenbestimmung zur Baugenehmigung daher sinnlos. Die lediglich für einen Neubau geltenden Nebenbestimmungen ergäben in ihrer Gesamtheit das Bild, dass das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis den Antrag gar nicht geprüft oder auch nur zur Kenntnis genommen, sondern einfach genehmigt habe. Der Landkreis Rhein-Neckar-Kreis habe ein selbständiges Interesse an der Genehmigung, weil er das Gebäude, bezüglich dessen die Nutzungsänderung beantragt worden sei, zur Unterbringung von Flüchtlingen angemietet habe. Der Beigeladene habe die Nutzungsänderung nicht für sich beantragt. Tatsächlicher Nutznießer der Genehmigung sei der Rhein-Neckar-Kreis, der selbst Genehmigungsbehörde sei. Diese Tatsache wiederum habe wenigstens eine Prüfung des Antrags auf Nutzungsänderung im ordentlichen („normalen“) Verwaltungsverfahren erforderlich gemacht. Stattdessen dränge sich angesichts der offensichtlich fehlerhaften Vorstellung der Genehmigungsbehörde von der beantragten Maßnahme – Nutzungsänderung statt Neubau – der Eindruck auf, der Antrag sei einfach „durchgewunken“ worden, ohne dass die Genehmigungsbehörde von seinem Inhalt auch nur in Grundzügen Kenntnis genommen habe. Demzufolge sei davon auszugehen, dass die Baugenehmigung rechtswidrig sei, weil sie ohne Sachprüfung erteilt worden sei. Hierbei handele es sich um einen Verfahrensfehler, der auch im Widerspruchsverfahren nicht heilbar sei. Durch das Widerspruchsverfahren könne grundsätzlich nur die unterbliebene Anhörung der Kläger geheilt werden. Die komplette Ersetzung des Verwaltungsverfahrens durch das Widerspruchsverfahren sei nicht zulässig.

Dass das Genehmigungsverfahren nicht ergebnisoffen und daher nicht an Recht und Gesetz orientiert, sondern nur zum Schein geführt worden sei, um der Genehmigungsbehörde selbst die beabsichtigte Nutzung zu erlauben, ergebe sich auch aus dem Umstand, dass der Kläger die Nutzungsänderung mit Antrag vom 08.09.2014 beantragt habe. Der Antrag umfasse die ersten drei Blätter der Bauakte. Bereits das vierte Blatt der Bauakte sei die teilweise Rücknahme des Antrags auf Nutzungsänderung. Dort nehme der Kläger den Antrag auf Nutzungsänderung dahingehend zurück, dass die Nutzung des Gebäudes statt für 120 nur mehr für 80 Flüchtlinge/Asylbewerber beantragt werde. Es sei davon auszugehen, dass der Beigeladene von der Genehmigungsbehörde den Hinweis erhalten habe, den Antrag auf 80 Personen zu begrenzen, um eine Genehmigung zu erhalten. Die teilweise Rücknahme des Antrags auf Nutzungsänderung durch den Beigeladene im Schreiben vom 17.09.2014 sei ausschließlich durch einen – in der Bauakte nicht dokumentierten – Hinweis des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis motiviert gewesen. Ziel sei es gewesen, den öffentlichen Verlautbarungen des Rhein-Neckar-Kreises nicht zu widersprechen und eine erleichterte Genehmigung bei einer geringeren Zahl von Bewohnern zu erreichen. Der Beigeladene sei nur vorgeschoben worden, um den Anschein zu wahren, nicht der Rhein-Neckar-Kreis beantrage selbst die Genehmigung der Nutzungsänderung „bei sich selbst“. Das Genehmigungsverfahren sei auch unter diesem Gesichtspunkt nicht gesetzmäßig erfolgt.

Vorliegend sei die Erschließung nicht gesichert, weil die Feuertreppe des Gebäudes auf dem Vorhabengrundstück teilweise auf ihr Nachbargrundstück gebaut sei, ohne dass dieser Überbau auf gesicherter Rechtsgrundlage erfolgt wäre. Mit Schreiben vom 21.11.2014 habe der Beklagte selbst nach Vermessungen festgestellt, dass es sich um einen Überbau handele. Ihnen sei das Ergebnis dieser Messung aber verheimlicht worden. Die Baugenehmigung sei extra vorschnell erteilt worden, um das Ergebnis der Messung nicht mehr berücksichtigen zu müssen. Insbesondere sei auf ihrem Grundstück auch keine Dienstbarkeit eingetragen, die die dauerhafte Duldung der Feuertreppe auf ihrem Grundstück sichere. Dass die Feuertreppe selbst eine notwendige Erschließungsmaßnahme darstelle, ergebe sich bereits aus der schlichten Tatsache ihrer Existenz. Ein derartiges Bauwerk werde nicht errichtet, wenn es nicht notwendig sei. Die Abwasserbeseitigungsanlage verfüge nicht über einen eigenen Kanal, sondern werde über ihr Grundstück abgeleitet. Der Beklagte habe absichtlich nicht geprüft, ob die Erschließung gesichert sei, da er sonst das Gegenteil hätte feststellen müssen.

Der Beklagte beantragt,

Die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf den Vortrag im vorläufigen Rechtsschutzverfahren. Das Baugenehmigungsverfahren sei nicht nur zum Schein durchgeführt worden. Hinsichtlich der Feuertreppe sei zu berücksichtigen, dass die Baugenehmigung unbeschadet privater Rechte Dritter erteilt wird und ein Überbau deswegen unerheblich sei. Erschließungsvorschriften stünden allein im Allgemeininteresse und seien nicht nachbarschützend, das gelte auch für den Abwasserkanal.

Der Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er führt aus: Der Überbau sei entschuldigt und würde ohnehin nur sehr geringfügig auf das klägerische Grundstück reichen. Es wäre zudem unproblematisch, die entsprechende Stahlstütze umzusetzen. Die Feuertreppe berühre außerdem nicht die Frage der Erschließung. Die Baugenehmigung sei ihm erteilt worden, nicht dem Beklagten selbst. Es sei nicht nachvollziehbar, inwiefern die Änderung des Bauantrags zu einem Verfahrensfehler führen sollte. Der Vollständigkeit halber sei den Ängsten der Kläger entgegen zu halten, dass die Flüchtlinge mittlerweile warmherzig aufgenommen und unterstützt worden seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, das Protokoll zur mündlichen Verhandlung, die Gerichtsakten in dem Verfahren 5 K 2792/14 und im Übrigen auf die vorgelegten Behördenakten (4 Hefte) verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Baugenehmigung vom 29.10.2014 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren nachbarschützenden Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO darf die von einem Nachbarn mit der Klage angefochtene Baugenehmigung nur aufgehoben werden, wenn dem genehmigten Vorhaben von der Baurechtsbehörde nach § 58 LBO zu prüfende öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegenstehen, die zumindest auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind. Auf Rechtsmittel des Nachbarn kann eine rechtswidrige Baugenehmigung daher nur dann aufgehoben werden, wenn sie den Nachbarn in seinen subjektiven Rechten verletzt (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 08.07.1998 – 4 B 64.98 -, BauR 1998, 1206, Urteil vom 16.09.1993 – 4 C 28.91 -, NJW 1994, 1546, Urteil vom 19.09.1986 – 4 C 8.84 -, NVwZ 1987, 409, Beschluss vom 22.11.1984 – 4 B 244.84 -, BRS 42 Nr. 206; VGH Baden-Württemberg, Beschuss vom 11.11.1996 – 5 S 2595/96 -, juris, Urteil vom 11.02.1993 – 5 S 2313/92 -, juris, Beschluss vom 14.12.1990 – 8 S 2440/90 -, juris). Dass die Kläger durch die baurechtliche Entscheidung des Beklagten gerade in ihren eigenen subjektiven Rechtspositionen verletzt würden, weil die Baugenehmigung unter Verletzung ergebnisrelevanter drittschützender Verfahrensvorschriften zustande gekommen wäre (dazu 1.) oder weil dem genehmigten Bauvorhaben nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungs- (dazu 2.) oder Bauordnungsrechts (dazu 3.) entgegenstünden, lässt sich aber gerade nicht feststellen.

Der Beklagte ist zu Recht für den Übergang der Nutzung von einem Seniorenheim zu einer Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber von einer sowohl bauplanungs- (§ 29 Abs. 1 BauGB) als auch bauordnungsrechtlich (§ 58 LBO) genehmigungspflichtigen Nutzungsänderung ausgegangen. Die neue Nutzung als Gemeinschaftsunterkunft liegt nicht mehr in der Variationsbreite einer normalen Seniorenheimnutzung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.04.2014 – 8 S 1528/13 -, juris).

  1. Die Kläger können sich nicht mit Erfolg auf die Verletzung von baurechtlichen Verfahrensvorschriften berufen.

Verfahrensvorschriften im Baurecht sind lediglich hinsichtlich der Bürgerbeteiligung bei der Bauleitplanung sowie der Nachbarbeteiligung am Baugenehmigungsverfahren drittschützend (vgl. hierzu: VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 06.08.2003 – 5 S 1219/03 -; Ortloff, NJW 1983, S. 961, Dürr, DÖV 1994, S. 841, weitere Nachweise bei Dürr, Baurecht in Baden-Württemberg, 14. Auflage 2013, Rdnr. 299 f.) Eine entsprechende Verletzung haben die Kläger nicht geltend gemacht, diese ist auch nicht ersichtlich.

Nur ergänzend weist das Gericht darauf hin, dass nicht zu beanstanden ist, dass der Beigeladene als Bauherr im Sinne von § 42 LBO vorliegend den Bauantrag gemäß § 53 Abs. 1 Satz 2 LBO gestellt hat. Der Bauherr ist auch jederzeit berechtigt, seinen Bauantrag zu ändern, anzupassen oder zu ergänzen. Den Akten lässt sich darüber hinaus eindeutig entnehmen, dass der Grund für die Reduzierung der aufzunehmenden Anzahl an Flüchtlingen die ab dem 01.01.2016 geltende Regelung der §§ 8 Abs. 1, 23 FlüAG (Art. 1 des Gesetzes zur Neuordnung der Flüchtlingsaufnahme, über die Erstattung von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz und zur Änderung sonstiger Vorschriften vom 19.12.2013, GBl. 2013, Nr. 18, S. 493) ist, wonach jedem Flüchtling eine höhere Anzahl an Quadratmetern zur Verfügung stehen muss. Entgegen der Auffassung der Kläger ergibt sich auch nicht aus den der Baugenehmigung beigefügten „Allgemeinen Hinweisen zur Baugenehmigung“, dass der Beklagte keinerlei Prüfung durchgeführt habe. Aus den „Allgemeinen Hinweisen zur Baugenehmigung“, die über den konkreten Nutzungsänderungsantrag hinausgehen, ergibt sich auch nicht, dass vorliegend etwas genehmigt wurde, was nicht beantragt worden ist. Dass der Beklagte vor Erteilung der Baugenehmigung nicht das Ergebnis der Vermessung der Feuertreppe abgewartet hat, ist unschädlich, da der Überbau die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung ohnehin unberührt lässt (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.03.1996 – 5 S 1798/95 -, NJW 1996, 3429; BayVGH, Beschluss vom 16.08.2010 – 2 ZB 10.134 -, juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19.10.2012 -2 L 149/11 -, Rn. 26, juris; Verwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 27.08.2008 – 5 K 1183/07 -, Rn. 73, juris).

  1. Eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften des Bauplanungsrechts ist nicht erkennbar.

2.1 Dies gilt zunächst für den Gebietserhaltungsanspruch. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann sich ein von einem Bauvorhaben betroffener Nachbar auf den sogenannten Gebietserhaltungs- bzw. Gebietsgewährleistungsanspruch berufen, wenn in einem beplanten Gebiet ein gebietsuntypisches Vorhaben zugelassen wird. Er hat auf die Bewahrung der Gebietsart einen Anspruch auch dann, wenn das baugebietswidrige Vorhaben im jeweiligen Einzelfall noch nicht zu einer tatsächlich spürbaren und nachweisbaren Beeinträchtigung des Nachbarn führt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.09.1984 – 4 B 147.84 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 61; Beschluss vom 09.10.1991 – 4 B 137.91 -, Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 104; Beschluss vom 11.04.1996 – 4 B 51.96 -, NVwZ-RR 1997, 463).

Derselbe Nachbarschutz wie im beplanten Gebiet kann auch im unbeplanten Innenbereich gegeben sein, wenn die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 BauGB vorliegen und die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht (BVerwG, Urteil vom 16.09.1993 – 4 C 28.91 -, BVerwGE 94, 151). Der Anspruch des Nachbarn auf die Bewahrung der Gebietsart wird grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsart unvereinbaren Vorhabens ausgelöst, weil hierdurch das nachbarliche Austauschverhältnis gestört und eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet wird; dieser Anspruch geht in seiner Reichweite daher über das Rücksichtnahmegebot hinaus (BVerwG, Beschluss vom 11.04.1996 – 4 B 51.96 -, NVwZ-RR 1997, 463). Der Anspruch auf Bewahrung der Gebietsart besteht im unbeplanten Innenbereich jedoch nur dann, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 16.09.1993, a.a.O.).

Nach § 34 Abs. 2 BauGB beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach Maßgabe der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der Baunutzungsverordnung bezeichnet sind, entspricht. Bei der Bestimmung der nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes gelegenen „näheren Umgebung“ ist darauf abzustellen, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die Umgebung und andererseits die Umgebung auf das Baugrundstück prägend auswirken kann (BVerwG, Urteil vom 26.05.1978 – 4 C 9.77 -, BVerwGE 55, 369). Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das Baugrundstück eingebettet ist. Dabei kann die Einheitlichkeit der Bau- und Nutzungsstruktur Auswirkungen auf die Abgrenzung der im Rahmen des Einfügungsgebotes maßgeblichen näheren Umgebung haben. Je einheitlicher sich die Bau- und Nutzungsstruktur darstellt, umso eher ist ggf. bei der Bestimmung der maßgeblichen Umgebung auf einen vergleichsweise geringeren Umfang abzustellen. Die Grenze der maßgeblichen näheren Umgebung kann auch so beschaffen sein, dass die Grenze zwischen näherer und fernerer Umgebung dort zu ziehen ist, wo zwei jeweils einheitlich geprägte Bebauungskomplexe mit voneinander verschiedener Bau- und Nutzungsstruktur aneinander stoßen (BVerwG, Beschluss vom 28.08.2003 – 4 B 74/03 -, juris).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe und auf der Grundlage der im Verfahren vorgelegten Unterlagen geht das Gericht davon aus, dass das Gebiet, in dem die Grundstücke der Kläger und des Beigeladenen liegen, wenigstens einem allgemeinen Wohngebiet i.S.v. § 4 BauNVO entspricht. Dies ergibt sich für die Kammer aus dem Umstand, dass sich nach dem von dem Beklagten mit den Behördenakten vorgelegten Lageplan in der Nähe der Grundstücke der Kläger und des Beigeladenen überwiegend Wohngebäude und dazwischen u.a. ein Getränkehandel, eine Bäckerei mit Café, eine Arztpraxis, eine Schlosserei sowie eine Rechtsanwaltskanzlei befinden. Das Gericht war auch nicht gehalten, sich im Rahmen eines Ortstermins einen eigenen Eindruck der näheren Umgebung zu verschaffen. Aufgrund der genannten Nutzungsarten scheidet die Annahme eines reinen Wohngebiets, in dem eine derartige Anzahl von Nicht-Wohnnutzungen nicht typisch – bzw. hinsichtlich der Schlosserei auch nicht zulässig – wären, aus. Soweit es sich bei dem Gebiet sogar um ein Mischgebiet handeln sollte, könnten die Kläger daraus keine für sie günstigere Rechtslage herleiten.

Unabhängig von der Einstufung von Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber als Wohnnutzung oder als Anlage für soziale Zwecke gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 3 BauNVO (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 04.06.1997 – 4 C 2.96 -, juris), ist diese Nutzung in jedem Fall nach der Art der baulichen Nutzung in einem allgemeinen Wohngebiet zulässig.

Die Nutzungsänderung als Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber genügt auch dem ungeschriebenen Erfordernis der Gebietsverträglichkeit, das sich aus dem typisierenden Ansatz der Baugebietsvorschriften in der Baunutzungsverordnung rechtfertigt. Die vom Verordnungsgeber festgelegte typische Funktion der Baugebiete – ihr Gebietscharakter – schließt das Erfordernis der Gebietsverträglichkeit der in einem Baugebiet allgemein oder ausnahmsweise zulässigen Nutzungsarten mit ein (BVerwG, Beschluss vom 28.02.2008 – 4 B 60.07 -, NVwZ 2008, 787). Zwischen der Zweckbestimmung des Baugebiets und den jeweils zugeordneten Nutzungsarten besteht ein funktionaler Zusammenhang, der für die Auslegung und Anwendung jeder tatbestandlich normierten Nutzungsart maßgeblich ist.

Ausgangspunkt und Gegenstand dieser typisierenden Betrachtungsweise ist das jeweils zur Genehmigung gestellte Vorhaben. Zu fragen ist, ob ein Vorhaben dieser Art generell geeignet ist, das Wohnen in einem allgemeinen Wohngebiet zu stören. Gegenstand dieser Betrachtung sind die Auswirkungen, die typischerweise von einem Vorhaben der beabsichtigten Art ausgehen. Bei dem Kriterium der Gebietsverträglichkeit geht es um die Vermeidung als atypisch angesehener Nutzungen, die den Wohngebietscharakter als solchen stören. Im vorliegenden Fall ist eine Wohnnutzung bzw. wohnähnliche Nutzung im Rahmen einer Anlage für soziale Zwecke in einem faktischen allgemeinen Wohngebiet genehmigt worden. Es ist nicht erkennbar, inwieweit die allgemein zulässige genehmigte Nutzung als „Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber“ bei einer typisierenden Betrachtungsweise aufgrund ihrer typischen Nutzungsweise – bezogen auf den (typischen) Gebietscharakter eines allgemeinen Wohngebiets – störend wirken könnte. Durch die streitgegenständliche Baugenehmigung wird auch unter Berücksichtigung des Vortrags der Kläger, die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft stammten „aus einem anderen Kulturkreis“, weder der typische Charakter eines allgemeinen Wohngebiets in Frage gestellt noch das Baugebiet durch das Vorhaben in Unruhe gebracht, so dass auch keine Umstrukturierung des faktischen allgemeinen Wohngebiets eingeleitet wird (vgl. BayVGH, Beschluss vom 04.11.2009 – 9 CS 09.2422 -, juris).

2.2 Das streitgegenständliche Bauvorhaben widerspricht auch nicht dem in § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerten planungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme, soweit es dem Schutz der Kläger zu dienen bestimmt ist.

Der Nachbarschutz nach § 15 Abs.1 Satz 2 BauNVO ist als Ausprägung des allgemeinen Rücksichtnahmegebots in Bezug auf Belästigungen und Störungen drittschützend und verleiht einem betroffenen Nachbarn im Fall der Verletzung ein Abwehrrecht gegen die Baugenehmigung (BVerwG, Urteil vom 25.01.2007 – 4 C 1.06 -, juris).

Die Anforderungen, die das Gebot der Rücksichtnahme im Einzelnen begründet, hängen wesentlich von den jeweiligen Umständen ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt, umso mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Abzustellen ist darauf, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (BVerwG, Urteil vom 23.09.1999 – 4 C 6.98 -, BVerwGE 109, 314 und Urteil vom 18.11.2004 – 4 C 2.04 -, NVwZ 2005, 328). Entscheidend ist letztlich, ob eine für den Rücksichtnahmebegünstigten unzumutbare Beeinträchtigung entsteht.

Nach diesen Maßstäben liegt eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots zu Lasten der Kläger nicht vor.

Die von dem Vorhaben in der nunmehr genehmigten Form – Belegung mit bis zu 80 Personen – ausgehenden Emissionen sind für die Kläger nicht unzumutbar. Von der Nutzung als Asylbewerberunterkunft gehen insbesondere keine Störungen mit bodenrechtlicher Relevanz aus. Auch der Vortrag der Kläger gibt insoweit keine näheren Anhaltspunkte.

Ob und inwieweit sich Belästigungen oder Störungen auswirken können, ist nach objektiven Maßstäben unter Berücksichtigung der bestimmungsgemäßen Nutzung der Anlage und der sich daraus ergebenden Erwartung von Auswirkungen zu beurteilen. Bei der Bewertung von Gefahren und Beeinträchtigungen nachbarlicher Interessen können nur solche Störungen berücksichtigt werden, die typischerweise bei der bestimmungsgemäßen Nutzung des Vorhabens auftreten und von bodenrechtlicher Relevanz sind (städtebauliche Gesichtspunkte). Anderen Gefahren kann im jeweiligen Einzelfall mit den Mitteln des Polizei- und Ordnungsrechts oder des zivilen Nachbarrechts begegnet werden (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 27.08.1992 – 10 B 3439/92 -, NVwZ 1993, 279). Bei möglichen Rechts- und Ordnungsverletzungen müssen primär bestimmte Personen als Verhaltensstörer zur Verantwortung gezogen werden (vgl. BayVGH, Urteil vom 13.09.2012 – 2 B 12.109 -, BayVBl 2013, 241).

Insbesondere bei den zu erwartenden Geräuschimmissionen handelt es sich in dem hier vorliegenden faktischen allgemeinen Wohngebiet um typische grundsätzlich hinzunehmende Wohngeräusche, selbst wenn – wie die Kläger vortragen – sich der Lebensrhythmus und die Gewohnheiten der Asylbewerber von denen der Ortsansässigen unterscheiden sollte. Es ist kein im baurechtlichen Sinne schützenswerter Belang, bei einer Nutzung, die typischerweise Wohngeräusche verursacht, nach verschiedenen Personengruppen und deren sozialtypischen Verhaltensweisen zu differenzieren. Unterschiede in den Lebensgewohnheiten und im Wohnverhalten verschiedener Bevölkerungsgruppen sind baurechtlich ohne Relevanz (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 22.07.1991 – 7 B 1226/91 -, NVwZ 1991, 1003; VGH Kassel, Beschluss vom 29.11.1989 – 4 TG 3185/89 -, NJW 1990,1131).

Baurechtliche Beachtung kann im Rahmen des Rücksichtnahmegebots allein die Belegungsdichte finden, von der die bodenrechtliche Relevanz abhängen kann. Mit einer Belegungsdichte von 80 Personen befinden sich in dem streitgegenständlichen Gebäude zwar deutlich mehr Personen als in einem normalen Wohnhaus. Auch eine intensivere Nutzung dieser Art muss in einem allgemeinen Wohngebiet jedoch grundsätzlich hingenommen werden (vgl. VG München, Beschluss vom 25.11.2014 – M 8 SN 14.4859 -, Rn. 30, juris für eine Belegungsdichte bis zu 250 Personen). Dies gilt erst recht im Hinblick darauf, dass das Gebiet und vor allem auch das Grundstück der Kläger durch die vorherige Nutzung des streitgegenständlichen Gebäudes als Seniorenheim und Krankenhaus erheblich vorbelastet war. Mit einer Belegungsdichte zwischen 30 und 57 Personen zuzüglich Pflege- und Versorgungspersonal wurde auch das Seniorenheim in einem erheblichen Umfang genutzt. Zwar haben die Kläger ihr Wohnhaus zu einem Zeitpunkt errichtet, zu dem das Nachbargebäude leer stand. Indes war die Nutzung insgesamt nur fünf Jahre unterbrochen, sodass sie nicht davon ausgehen konnten, dass zukünftig keine erneute Belegung des Gebäudes erfolgen würde. Das streitgegenständliche Gebäude prägt daher seinerseits die Umgebungsbebauung entsprechend weiter. Die Nutzung des Gebäudes war auch nicht auf die bereits genehmigte Nutzung als Seniorenheim beschränkt. Vielmehr bietet ein Gebäude dieser Größe eine Vielzahl von möglichen Nutzungsarten für soziale Zwecke, die nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO alle gleichermaßen im allgemeinen Wohngebiet zulässig sind. Eine erhebliche, zu einer Unzumutbarkeit führende Intensivierung durch die Unterbringung von nunmehr 80 Personen kann vor diesem Hintergrund nicht erkannt werden.

2.3 Die in § 34 Abs. 1 BauGB genannten weiteren Einfügungsvoraussetzungen, insbesondere das Maß der baulichen Nutzung, sind für sich betrachtet nicht nachbarschützend (vgl. BVerwG, Urteil vom 28.04.2004 – 4 C 10.03 -, NVwZ 2004, 1244). Allerdings enthält auch § 34 Abs. 1 BauGB mit dem Begriff des „Einfügens“ nach ständiger Rechtsprechung das Gebot der Rücksichtnahme. Die Anzahl der Wohnungen in einem Gebäude ist dabei kein Kriterium zur Beurteilung der Frage, ob sich ein Vorhaben im Sinne des § 34 Abs.1 BauGB einfügt (BVerwG, Beschluss vom 24.04.1989 – 4 B 72.89 -, NVwZ 1989,1060; BVerwG, Urteil vom 13.06.1980 – IV C 98.77 -, NJW 1981, 473). Die Kläger können sich somit auch nicht unter diesem Gesichtspunkt mit Erfolg auf die mit der erhöhten Belegungsdichte bei einer Nutzung als Gemeinschaftsunterkunft einhergehenden Wohnnutzung in massierter Form berufen (vgl. VG Ansbach, Urteil vom 06.02.2014 – AN 9 K 13.02098 -, juris).

2.4 Auch die von den Klägern behauptete fehlende Erschließung, weil eine vorhandene Feuertreppe des Gebäudes auf dem Vorhabengrundstück sich teilweise auf ihrem Grundstück befinde, führt nicht zum Erfolg ihrer Klage. Bei dem Überbau handelt es sich um eine zivilrechtliche Frage, die das Erfordernis der Erschließung unberührt lässt.

Sie können auch nicht mit dem Einwand der fehlenden Erschließung hinsichtlich der Abwasserentsorgung durchdringen. Zwar ist in ihrem Fall diesbezüglich ausnahmsweise Drittschutz anzunehmen, die Geltendmachung der mangelnden Erschließung ist jedoch aufgrund des langen Bestehens des streitgegenständlichen Gebäudes verwirkt.

Das Erfordernis der gesicherten Erschließung im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist grundsätzlich nicht nachbarschützend. Etwas anderes gilt zugunsten des Nachbarn nur in eng begrenzten Ausnahmefällen, etwa wenn gerade durch die streitgegenständliche Baugenehmigung die Verpflichtung des Nachbarn zur Duldung eines zivilrechtlichen Notwegerechts wegen fehlender Erschließung des Baugrundstücks begründet wird (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 21.12.2001 – 8 S 274/01 -, juris). Diese ausnahmsweise eröffnete Rechtsschutzmöglichkeit des Nachbarn gilt auch für den Fall eines „Notleitungsrechts“ entsprechend (Bayerischer VGH, Beschluss vom 30.4.2007 – 1 CS 06.3335 -; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 03.02.2014 – 9 CS 13.1916 -, Rn. 14, juris). Das Erfordernis der ausreichenden Erschließung ist nicht nur bei der Errichtung, sondern auch der Nutzungsänderung eines schon bestehenden Gebäudes stets neu zu prüfen (VG München, Urteil vom 17.07.2014 – M 11 K 13.4052 – und – M 11 K M 11 K 13.4124 -, Rn. 25, juris ; VG Würzburg, Urteil vom 22.07.2014 – W 4 K 14.137 -, Rn. 23, juris; VG Berlin, Urteil vom 15.07.2015 – 19 K 273.14 -, Rn. 39, juris; VG Würzburg, Urteil vom 10.03.2015 – W 4 K 14.768 -, Rn. 28, juris).

2.4.1 Das Vorhabengrundstück besitzt ausweislich des klägerischen, unbestrittenen Vortrags keinen eigenen Abwasserkanal, sondern wird ausschließlich über das Grundstück der Kläger entwässert. Die Benutzung des klägerischen Abwasserkanals ist auch nicht dinglich gesichert, sodass der Beigeladene derzeit lediglich ein Notwege- bzw. Notleitungsrecht gemäß § 917 BGB geltend machen kann. Dies ist der einzige Fall, in dem ein Nachbar die mangelnde Erschließung eines Bauvorhabens rügen kann, da er nicht auf die Geltendmachung seiner privaten, zivilrechtlichen Rechte gemäß § 58 Abs. 3 LBO verwiesen werden kann, weil die bestandskräftige Baugenehmigung zu einem Duldungsrecht und damit der Vereitlung des zivilrechtlichen Abwehranspruchs führen würde.

2.4.2 Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Gebäude und die Erschließung über das klägerische Grundstück bereits seit über 100 Jahren bestehen. Die Kläger können deswegen die mangelnde Erschließung nicht mehr geltend machen.

Die Verwirkung von Nachbarrechten setzt voraus, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung des Abwehrrechts eine längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die seine verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Das ist der Fall, wenn erstens der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nach so langer Zeit nicht mehr geltend machen würde (Vertrauensgrundlage), zweitens der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt würde (Vertrauenstatbestand) und drittens er sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Vertrauensbetätigung). Bei öffentlich-rechtlichen Nachbarstreitigkeiten ist insoweit die Besonderheit zu beachten, dass sich der Abwehranspruch des von einem Bauvorhaben berührten Nachbarn zwar formell gegen die Behörde richtet, von der Rechtsausübung materiell betroffen aber der Bauherr ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 25.09.1991 – 3 S 2000/91 – VBlBW 1992, 103 m.w.N.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24.03.2014 – 8 S 1938/12 -, Rn. 45, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 01.06.2011 – 8 A 10196/11 -, Rn. 63, juris).

Unter Zugrundelegung dieses Maßstabs haben die Kläger ihre materiell-rechtlichen Abwehransprüche verwirkt.

Das Gebäude wurde unstreitig ca. 70 Jahre als Krankenhaus und danach 30 Jahre als Seniorenheim genutzt. In dieser Zeit wurde auch das Vertrauen in die Zulässigkeit der Abwasserentsorgung betätigt, indem das Gebäude unterhalten und umgebaut wurde. Die zuvor erteilten Baugenehmigungen wurden folglich im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit ausgenutzt. Der Verwirkung der materiellen Abwehrrechte steht auch nicht entgegen, dass die Erschließung von der Baurechtsbehörde bei der Nutzungsänderung erneut zu prüfen ist. Selbst wenn das Gebäude bisher ungenehmigt genutzt worden wäre, käme eine Verwirkung der materiellen – nicht der Verfahrensrechte – Abwehrrechte in Betracht (vgl. OVG Münster, Urteil vom 02.03.1999, – 10 A 2343/97 -, BRS 62 Nr. 194 (1999); VG Würzburg, Beschluss vom 06.02.2013 – W 5 S 13.62 -, Rn. 23, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.12.2007 – 3 S 2107/07 -, Rn. 15, juris). Daher kann die Verwirkung der Klage eines Nachbarn gegen eine Nutzungsänderungsgenehmigung erst recht entgegen gehalten werden.

Der Einwand der mangelnden Erschließung kann auch verwirkt werden. Insbesondere steht die Annahme der Verwirkung nicht im Widerspruch zu den zivilrechtlichen Ansprüchen des Nachbarn auf Unterlassung. Soweit ein Notwegerecht nicht berechtigt und damit vom Nachbarn nicht zu dulden wäre, könnte sich der Nachbar gemäß § 1004 BGB analog gegen die Nutzung seines Grundstücks wehren. Auch dieser Anspruch unterliegt aber der Verjährung und erst recht der Verwirkung (vgl. Kohler/ Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2013, § 902 Rn. 5). Die durch den ausnahmsweise bestehenden Drittschutz bezweckte Parallelität der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung und der zivilrechtlichen Abwehransprüche des Nachbarn vor dem Hintergrund des § 917 BGB wird damit nicht umgangen, da die Verwirkung bzw. Verjährung in beiden Fällen zu berücksichtigen ist.

Für die Verwirkung unerheblich ist auch, dass die Kläger nicht in den vollen vergangenen 100 Jahren Eigentümer des Grundstücks waren. Die jeweiligen Abwehrrechte sind dinglich, d.h. auf die beteiligten Grundstücke bezogen, so dass der neue Eigentümer in die Rechtsstellung des früheren einrückt (BVerwG, Beschluss vom 09.02.1989 – 4 NB 1/89 -, BayVBl. 1989, 665, juris). Es wäre im Übrigen einem Grundstückseigentümer nicht zumutbar, Rechtsnachteile gegenüber einem Nachbargrundstück allein auf Grund eines Eigentumswechsels auf diesem Grundstück hinnehmen zu müssen (Bayerischer VGH, Beschluss vom 28.03.1990 – 20 B 89.3055 -, Rn. 22, juris; VG Würzburg, Beschluss vom 06.02.2013 – W 5 S 13.62 -, Rn. 24, juris).

  1. Eine Verletzung nachbarschützender Vorschriften des Bauordnungsrechts liegt hinsichtlich der nunmehr erteilten Baugenehmigung ebenfalls nicht vor.

3.1 Soweit die Kläger darauf verweisen, die Behördenakten enthielten Angaben hinsichtlich zu erfüllender brandschutzrechtlicher Anforderungen für die beantragte Nutzungsänderung, sind die entsprechenden Anforderungen als Nebenbestimmungen auf Seite 4 der Baugenehmigung vom 29.10.2014 Bestandteil der Genehmigung geworden. Dies ist nicht zu beanstanden.

3.2 Soweit die Kläger eine Verletzung von Abstandsflächen geltend machen, ist diese Rüge – unabhängig von ihrer baurechtlichen Beurteilung – ebenfalls verwirkt (vgl. dazu bereits oben 2.4.2; zur Verwirkung von Abwehrrechten hinsichtlich Abstandsflächen bei Nutzungsänderungen vgl. zudem Verwaltungsgericht des Saarlandes, Urteil vom 08.10.2014 – 5 K 808/13 -, Rn. 65, juris).

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs.1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen. Er hat einen Antrag gestellt und ist daher ein Kostenrisiko eingegangen (vgl. § 154 Abs. 3 Halbs. 1 VwGO und VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 20.01.2011 – 8 S 2567/10 -, ESVGH 61, 159).

III.

Gründe, aus denen das Verwaltungsgericht die Berufung zulassen kann, liegen nicht vor (§ 124 a Abs. 1 Satz 1, § 124 Abs. 2 Nr. 3 und 4 VwGO).

BESCHLUSS

Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 7.500 EUR festgesetzt.

Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.