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Generalanwalt beim EuGH erteilt Placet für Auftragsvergabe durch Gemeindezusammenschlüsse (und Regelung über ausschließliche Zulässigkeit in bestimmter allein öffentlich-rechtlicher Organisationsform)

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Nach dem zur Zeit des Sachverhalts geltenden italienischen Recht in der Auslegung durch den Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) dürfen kleine Gebietskörperschaften für die Beschaffung von Bauleistungen, Waren und Dienstleistungen nur dann auf zentrale Beschaffungsstellen zurückgreifen, wenn dies unter ausschließlich öffentlich-rechtlichen Organisationsformen wie zwischen Gemeinden gebildeten Konsortien oder Gemeindeverbänden geschieht.

Das vorlegende Gericht hegt Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Regelung mit dem Unionsrecht, da sie möglicherweise die Nutzung der zentralen Beschaffungsstellen in einer Weise beschränkt, die mit der auf die Kalenderdaten, auf die sich seine Vorlage zur Vorabentscheidung bezieht, zeitlich anwendbaren Richtlinie 2004/18/EG(2) sowie mit den „Grundsätze[n] der Dienstleistungsfreiheit und der maximalen Öffnung des Wettbewerbs im Bereich der öffentlichen Dienstleistungsaufträge“ unvereinbar ist.

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Das Unionsrecht und insbesondere Art. 11 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.03.2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge stehen einer nationalen Vorschrift, wonach – nach der Auslegung durch das vorlegende Gericht – kleine Gebietskörperschaften Bauleistungen, Waren und Dienstleistungen über zentrale Beschaffungsstellen erwerben müssen, die nach zwei konkreten Organisationsmodellen gegründet sein müssen, nämlich in der Form eines Gemeindeverbands oder eines Gemeindekonsortiums, deren Tätigkeitsbereich auf das Gebiet dieser Gemeinden in seiner Gesamtheit betrachtet beschränkt ist, nicht entgegen.

Der nationale Gesetzgeber kann entweder ein dezentralisiertes gemeindliches Beschaffungssystem (in dem sich jede Gemeinde für sich die von ihr zu beschaffenden Waren, Bau- oder Dienstleistungen beschafft) oder ein zentralisiertes bzw. aggregiertes System wählen (d. h. eine gemeinschaftliche Beschaffungsform, die von mehreren Gemeinden oder zentralen Beschaffungsstellen getragen wird, deren sie sich bedienen).
Hinsichtlich dieses zweiten Systems räumt die Richtlinie 2004/18, wie bereits dargestellt, dem nationalen Gesetzgeber die Freiheit ein, es auszugestalten. Diese Gestaltungsfreiheit umfasst, auch wenn die Richtlinie 2004/18 dies nicht ausdrücklich erwähnt (dafür aber die Richtlinie 2014/24), auch die Befugnis, es für einige öffentliche Auftraggeber verpflichtend einzuführen. Nichts würde dagegensprechen, die Möglichkeit der Beteiligung privater Rechtssubjekte an zentralen Beschaffungsstellen vorzusehen.

Ich bin deshalb mit der italienischen Regierung einer Meinung, dass der nationale Gesetzgeber den Status der zentralen Beschaffungsstellen, die dauerhaft für die öffentliche Verwaltung die Aufgaben des öffentlichen Auftraggebers übernehmen, Rechtssubjekten des öffentlichen Rechts vorbehalten darf.

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Was das Wettbewerbsrecht im Bereich öffentlicher Aufträge betrifft, bin ich nicht der Auffassung, dass die italienische Vorschrift gegen dieses als solches verstößt. Der Wettbewerb, den das Unionsrecht in diesem Bereich schützen will, ist in erster Linie der Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsteilnehmern, die den öffentlichen Auftraggebern Bauleistungen, Waren oder Dienstleistungen anbieten. Wenn Letztere (hier die von Gemeindeverbänden und Gemeindekonsortien gebildeten zentralen Beschaffungsstellen) bei der Beschaffung dieser Leistungen die Verfahren der Richtlinie 2004/18 einhalten, bleibt der Wettbewerb zwischen diesen Wirtschaftsteilnehmern erhalten.

Anders ausgedrückt, hat die verpflichtende Nutzung der eigenen zentralen Beschaffungsstellen (in Form von Gemeindeverbänden und Gemeindekonsortien) durch die kleinen Gebietskörperschaften nicht zur Folge, dass der wettbewerblich organisierte Markt zwischen den an der Versorgung der öffentlichen Verwaltung mit von ihr benötigten Waren, Bau- und Dienstleistungen interessierten Wirtschaftsteilnehmern verschwindet.

(Generalanwalt beim EuGH, Beschluss vom 02.04.2020 – Rs. C-3/19).