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OLG Düsseldorf: Der Anspruch auf Akteneinsicht im Nachprüfungsverfahren hat eine rein dienende, zum zulässigen Verfahrensgegenstand akzessorische Funktion

von Thomas Ax

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 20.12.2019 – Verg 35/19) hat der Anspruch auf Akteneinsicht im Nachprüfungsverfahren eine rein dienende, zum zulässigen Verfahrensgegenstand akzessorische Funktion (ebenso OLG Naumburg, Beschluss vom 01.06.2011 – 2 Verg 3/11). Die Beschleunigungsbedürftigkeit von Vergabenachprüfungsverfahren steht einem gänzlich voraussetzungslosen Akteneinsichtsanspruch aus § 165 Abs. 1 GWB entgegen (Senatsbeschluss vom 25.09.2017 – Verg 19/17). Ein Anspruch auf Akteneinsicht setzt vielmehr über den Wortlaut von § 165 Abs. 1 GWB hinaus einen das Akteneinsichtsgesuch begründenden beachtlichen und entscheidungserheblichen Sachvortrag voraus. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09.01.2020 – Verg 10/18

Gründe:

I.

Mit am 12.09.2017 veröffentlichter Vorinformation (Anlage Ast. 1) machte der Antragsgegner die beabsichtigte Direktvergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags über Busverkehrsleistungen auf seinem Gebiet einschließlich von dort abgehender Linien in benachbarte Gebietskörperschaften europaweit bekannt. Der Dienstleistungsauftrag sollte nach der Vorinformation zum 09.12.2018 gestützt auf Art. 5 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 für zehn Jahre an einen internen Betreiber, die Beigeladene, vergeben werden. Bei der Beigeladenen handelt es sich um ein Verkehrsunternehmen, das zu 100 % in kommunalem Eigentum steht. Der Antragsgegner ist an ihr zu 12,5 % beteiligt. Mit einem an den Antragsgegner gerichteten Schreiben vom 14.09.2017 bekundete die Antragstellerin Interesse an den zu vergebenden Verkehrsdienstleistungen und erkundigte sich nach den Gründen für die beabsichtigte Direktvergabe. Der Antragsgegner antwortete hierauf mit einem Schreiben vom 26.09.2017. Mit Schreiben vom 27.09.2017 (Anlage Ast. 2) rügte die Antragstellerin gegenüber dem Antragsgegner insgesamt neun vermeintliche Vergaberechtsverstöße: 1. Die Beigeladene erfülle die Voraussetzungen für eine Direktvergabe nicht, weil der Gesellschaftsvertrag keine Kontrolle ermögliche, die der Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle entspreche. 2. Die Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 sei nicht anwendbar, weil der Antragsgegner keine Dienstleistungskonzession vergebe. 3. Die nach § 97 Abs. 3 GWB erforderliche Losbildung sei unterblieben. 4. Die Direktvergabe sei unzulässig, weil der Antragsgegner bereits die X. GmbH als internen Betreiber bestimmt habe. 5. Dem Antragsgegner fehle die Vergabebefugnis, weil er die Zuständigkeit für den Beförderungstarif und damit die Interventionsbefugnis auf den W. übertragen habe. 6. Die Beigeladene nehme in unerlaubter Weise an Vergabeverfahren in der Stadt F., dem Kreis F., dem S., der Stadt I. und dem S. 1 teil. 7. Bei den Stadtbusverkehren I. und F. gehe es nicht um Leistungen innerhalb einer Übergangsregelung nach Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007, sondern um eine unzulässige Tätigkeit außerhalb des Gebiets des Antragsgegners. 8. Die Einhaltung des Eigenerbringungsgebots sei nicht konkret belegt. 9. Die Beigeladene erbringe ihre überwiegende Tätigkeit nicht für öffentliche Auftraggeber, weil sie wesentliche Umsätze mit den Beförderungsgästen als Privatpersonen erziele. Der Antragsgegner wies diese Rügen mit Schreiben vom 02.10.2017 (Anlage Ast. 3) zurück. Mit einem am 06.10.2017 bei der Vergabekammer Rheinland eingegangenen Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 04.10.2017 hat die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag gestellt.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1. dem Antragsgegner zu untersagen, einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag über Busverkehrsleistungen im Liniennetz „S. 2“ entsprechend der im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union vom 12. September 2017 veröffentlichten Vorinformation 2014/S 174-357275 an die Beizuladende zu vergeben,

2. den Antragsgegner für den Fall, dass er an dem Beschaffungsvorhaben festhält, zu verpflichten, den Auftrag nur nach vorheriger Durchführung eines förmlichen Vergabeverfahrens nach den Vorschriften des Teiles 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und nach Maßgabe der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu vergeben. Der Antragsgegner hat beantragt, den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen. Mit Beschluss vom 18.01.2018 hat die Vergabekammer dem Antragsgegner untersagt, in dem Vergabeverfahren der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen, und ihm zugleich aufgegeben, den Auftrag nur nach vorheriger Durchführung eines Vergabeverfahrens nach den Vorschriften des Vierten Teils des GWB zu vergeben, wenn er an dem Beschaffungsvorhaben festhalten sollte. Gegen den ihm am 18.01.2018 zugestellten Beschluss der Vergabekammer hat der Antragsgegner am 01.02.2018 sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf eingelegt. Der Vergabesenat hat das Beschwerdeverfahren im Juli 2018 mit Einverständnis der Parteien im Hinblick auf die Vorabentscheidungsverfahren Rs. C-266/17 und Rs. C-267/17 des Europäischen Gerichtshofs zunächst ruhend gestellt. Nach Wiederaufnahme des Verfahrens im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hat der Senat dem Antragsgegner aufgegeben, darzulegen, in welcher rechtlichen Ausgestaltung der öffentliche Dienstleistungsauftrag vergeben werden soll. Der Antragsgegner hat hierauf mit Schriftsatz vom 01.10.2019 ausgeführt, dass ein Vertrag nach dem sog. Bruttoprinzip beabsichtigt sei. Zugleich hat er sein bisheriges Vorbringen dahingehend ergänzt, dass sich das Drittgeschäft der Beigeladenen seit der Beteiligung der sog. Stadtbusstädte an dieser nur noch auf 5,1 % belaufe. Bestandteil der auf Aufforderung des Senats danach vom Antragsgegner vorgelegten fortgeschriebenen Vergabeakte ist ein als vertraulich gekennzeichneter „Wirtschaftsplan 2019“ der Beigeladenen (Blatt 166-190 der Vergabeakte), auf dessen Grundlage der Antragsgegner den Umfang des Drittgeschäfts nach seinen Angaben in einem Schreiben vom 08.10.2019 (Bl. 202 GA) ermittelt hat. Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass sie Gelegenheit erhalten müsse, die Seiten 166-190 der Vergabeakte einzusehen und dazu Stellung zu nehmen. Die Darlegungs- und Beweislast für Ausnahmetatbestände von der Anwendbarkeit des Vergaberechts trage derjenige, der sich darauf berufe. Zum sog. Wesentlichkeitskriterium als Voraussetzung eines vergaberechtsfreien Inhouse-Geschäfts habe der Antragsgegner erstmals mit Schreiben vom 08.10.2019 und den damit übersandten Seiten 166 – 190 der Vergabeakte konkrete Tatsachen vorgetragen.

Die Antragstellerin beantragt,

1. ihr Akteneinsicht in die mit Schreiben des Antragsgegners vom 8. Oktober 2019 übersandten Schreiben 166 – 190 der Vergabeakte zu gewähren;

2. der Antragstellerin nach positiver Entscheidung über den Antrag zu 1. Schriftsatznachlass zu ergänzendem Vortrag in Bezug auf die Seiten 166 – 190 der Vergabeakte zu gewähren;

3. hilfsweise – für den Fall, dass die Anträge zu 1. und 2. Nicht in vollem Umfang Erfolg haben sollten – der Antragstellerin Akteneinsicht in eine allein hinsichtlich konkreter Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Beigeladenen geschwärzte Fassung der Seiten 166 – 190 der Vergabeakte zu gewähren und danach Schriftsatznachlass einzuräumen. Der Antragsgegner beantragt, das Akteneinsichts- und Schriftsatznachlassgesuch zurückzuweisen. In einem vom Antragsgegner vorgelegten Schreiben vom 24.10.2019 (Anlage Bf. 6) weist die Beigeladene auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit ihres Wirtschaftsplans 2019 wegen darin enthaltener Geschäftsgeheimnisse hin. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Schriftsätze, die Verfahrensakten der Vergabekammer und die Vergabeakte verwiesen.

II.

Der auf § 175 Abs. 2 i.V.m. § 165 Abs. 1 GWB gestützte Akteneinsichtsantrag der Antragstellerin ist nicht begründet. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 20.12.2019 – Verg 35/19) hat der Anspruch auf Akteneinsicht im Nachprüfungsverfahren eine rein dienende, zum zulässigen Verfahrensgegenstand akzessorische Funktion (ebenso OLG Naumburg, Beschluss vom 01.06.2011 – 2 Verg 3/11). Die Beschleunigungsbedürftigkeit von Vergabenachprüfungsverfahren steht einem gänzlich voraussetzungslosen Akteneinsichtsanspruch aus § 165 Abs. 1 GWB entgegen (Senatsbeschluss vom 25.09.2017 – Verg 19/17). Ein Anspruch auf Akteneinsicht setzt vielmehr über den Wortlaut von § 165 Abs. 1 GWB hinaus einen das Akteneinsichtsgesuch begründenden beachtlichen und entscheidungserheblichen Sachvortrag voraus. An einem solchen fehlt es hier. Der Antragsgegner mag zwar für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 108 Abs. 1 GWB darlegungsbelastet sein, wie die Antragstellerin zugunsten eines Akteneinsichtsanspruchs anführt. Aus dieser Darlegungslast, der der Antragsgegner hier seit Beginn des Beschwerdeverfahrens durch entsprechenden Vortrag nachkommt, ergibt sich jedoch entgegen der Ansicht der Antragstellerin kein auf eine umfängliche Prüfungsmöglichkeit abzielender Anspruch von Bietern auf Einsichtnahme in die Vergabeakten. Den Inhalt der Vergabeakte zu prüfen, ist vielmehr Aufgabe der Vergabenachprüfungsinstanzen und von diesen im Umfang des Untersuchungsgrundsatzes nach § 163 GWB von Amts wegen zu leisten.

Ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Vergaberechtsverstöße, die einen Akteneinsichtsanspruch bezogen auf die Seiten 166-190 der Vergabeakte des Antragsgegners begründen könnten, hat die Antragstellerin nicht vorgetragen. Die Antragstellerin hat das sog. Wesentlichkeitskriterium des § 108 Abs. 1 Nr. 2 GWB – entsprechend der neunten Rüge ihres Rügeschreibens vom 27.09.2017 – bis zuletzt nur unter dem Gesichtspunkt der aus ihrer Sicht als schädliche Drittumsätze zu wertenden Fahrgasteinnahmen in Zweifel gezogen. Soweit der Wirtschaftsplan 2019 der Beigeladenen Informationen über Fahrgasteinnahmen enthält, kommt es hierauf aus Rechtsgründen indes nicht an und sind diese damit nicht entscheidungserheblich. Der Senat verneint in ständiger Rechtsprechung die Schädlichkeit der Fahrgasteinnahmen in Konstellationen der vorliegenden Art, wie der Antragstellerin aus anderen Verfahren bekannt ist (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 18.12.2019 – Verg 16/16). Die Antragstellerin hätte im Übrigen auch keinen Anspruch auf Akteneinsicht, wenn sie einen Verstoß gegen das sog. Wesentlichkeitskriteriums des § 108 Abs. 1 Nr. 2 GWB einfach behauptete, ohne zugleich ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte zu benennen, auf welche sich die Behauptung stützen lässt. Nach der Rechtsprechung des Senats besteht ein Akteneinsichtsanspruch nicht, wenn der Bieter ins Blaue hinein Fehler oder mögliche Verstöße in der Hoffnung rügt, mithilfe von gewährter Akteneinsicht zusätzliche Informationen zur Untermauerung bislang substanzloser Mutmaßungen zu erhalten (vgl. Senatsbeschluss vom 29.06.2017 – Verg 7/17; ebenso OLG München, Beschluss vom 08.11.2010 – Verg 20/10). Da aufs Geratewohl oder ins Blaue hinein aufgestellte Behauptungen im Nachprüfungsverfahren unzulässig und unbeachtlich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 26.09.2006 – X ZB 14/06), können sie einen Akteneinsichtsanspruch nicht begründen.

Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass einem Akteneinsichtsanspruch der Antragstellerin bezogen auf die Seiten 166-190 der Vergabeakte auch § 165 Abs. 2 GWB entgegenstünde. Danach ist die Einsicht zu versagen, wenn dies aus wichtigen Gründen, insbesondere des Geheimschutzes oder zur Wahrung von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen, geboten ist. Solche wichtigen Gründe liegen im Hinblick auf den Wirtschaftsplan 2019 der Beigeladenen vor, wie schon aus dem Schreiben der Beigeladenen vom 24.10.2019 deutlich wird, hier aber aus den zuvor dargelegten Gründen keiner weiteren Ausführungen mehr bedarf. Den weiteren Akteneinsichtsantrag der Antragstellerin aus dem Schriftsatz vom 20.12.2019 betrachtet der Senat als erledigt, nachdem die Antragstellerin eine Ablichtung der geschwärzten Fassung des Vertragsentwurfs (Bl. 207-222 der Vergabeakte) erhalten hat. Nachdem keine Akteneinsicht zu gewähren ist, besteht für die abhängig beantragte Schriftsatzfrist von vornherein kein Raum.