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OLG Karlsruhe dazu, ob die Frage nach der Einhaltung der "anerkannten Regeln der Technik" einer Beweiserhebung entgegensteht

vorgestellt von Thomas Ax

1. Der Antrag auf Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens bedarf einer hinreichenden Bezeichnung der Tatsachen, über die ein Beweis erhoben werden soll. Es genügt die Angabe der Beweistatsachen in groben Zügen. Insbesondere ist kein Vortrag zu den (vermuteten) Ursachen von Mängeln erforderlich.
2.Die Formulierung der Beweisbehauptungen in Frageform – anstelle tatsächlicher Behauptungen – steht einer Beweiserhebung nicht entgegen und macht den Beweisantrag nicht zum Ausforschungsbeweis.
3. Frage nach der Einhaltung der „anerkannten Regeln der Technik“ steht einer Beweiserhebung ebenfalls nicht entgegen.
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 04.09.2023 – 8 W 6/23

Gründe:

I.

Die Parteien streiten im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens über Mängel an der Tiefgarage eines Bauvorhabens in der ###-Straße ### in ###.

Auf Antrag vom 30.09.2019 wurde die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens beschlossen. Noch vor Erstattung des schriftlichen Gutachtens stellte die Antragstellerin mehrfach weitere Beweisfragen, die ebenfalls dem Sachverständigen zur Beantwortung aufgegeben wurden.

Nach Vorlage des schriftlichen Gutachtens wurde auf Antrag der Antragsgegnerin Termin zur Anhörung des Sachverständigen auf den 05.12.2022 bestimmt. Mit Schriftsatz vom 23.11.2022 formulierte die Antragstellerin weitere Beweisfragen zu weiteren behaupteten Mängeln der Tiefgarage. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Aktenseiten 209 bis 212 verwiesen.

Das Landgericht hat durch den angegriffenen Beschluss

„den Antrag der Antragstellerseite vom 23.11.2022, weitere Fragen im Rahmen dieses Verfahrens zu klären“

zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antrag sei als Ausforschungsbeweisantrag unzulässig. Zudem

„erschließe sich das Rechtsschutzbedürfnis auch nicht im Hinblick auf die zeitliche Komponente“.

Das Verfahren laufe seit Herbst 2019. Die Bezugnahme auf Ausführungen im Ursprungsantrag vom 30.09.2019 genüge nicht für die Darlegung oder gar Glaubhaftmachung des Rechtsschutzbedürfnisses.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde, mit der sie ihr Ziel der Fortsetzung der Begutachtung weiterverfolgt. Das Landgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht vorgelegt. Ein Antrag sei unzulässig, wenn der Antragsteller ohne konkrete Anhaltspunkte die tatsächlichen Grundlagen für einen Anspruch ermitteln lassen wolle. Das Begehren nach dem Feststellen von Löchern und die Frage, ob die Bauteile den anerkannten Regeln der Technik entsprechen, sei viel zu unkonkret. Zudem fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil über drei Jahre seit der ersten Antragstellung vergangen seien und nicht erkennbar sei, weshalb die Fragen erst jetzt/noch immer wesentlich sein sollen. Es sei bereits ein schriftliches Gutachten eingeholt und der Sachverständige habe dies mündlich erläutert.


II.

Die gegen die Ablehnung des Antrags zulässige (vgl. Frechen in: Werner/Pastor, Der Bauprozess, 18. Aufl., Rn. 91 m.w.N.) sofortige Beschwerde hat Erfolg. Die beantragte Beweiserhebung ist durchzuführen.

1. Der Antrag genügt den Anforderungen des § 487 Nr. 2 ZPO.

a) Eine hinreichende Bezeichnung der Tatsachen, über die ein Beweis erhoben werden soll (§ 487 Nr. 2 ZPO) liegt bereits bei Angabe der Beweistatsachen in groben Zügen vor. Insbesondere ist kein Vortrag zu den (vermuteten) Ursachen von Mängeln erforderlich.

Andererseits müssen die Baumängel jedenfalls nach ihrem äußeren Erscheinungsbild („Symptome“) angegeben werden. Das geforderte Minimum an Substantiierung ist dann nicht erreicht, wenn ein Antragsteller in lediglich formelhafter und pauschaler Weise Tatsachenbehauptungen aufstellt, ohne diese zu dem zugrundeliegenden Sachverhalt in Beziehung zu setzen (BGH, Beschluss vom 10.11.2015 – VI ZB 11/15 -, NJW-RR 2016, 63 Rn. 9), oder die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau und pauschal bezeichnet werden, dass sie weder eine sachgerechte Stellungnahme des Antragsgegners ermöglichen noch einem Sachverständigen im Fall der Beweisanordnung konkrete Anhaltspunkte für die durchzuführenden Prüfungen geben (Frechen in: Werner/Pastor, Der Bauprozess, 18. Auflage, Rn. 51 m.w.N.).

Zudem ist eine reine Ausforschung unzulässig, wenn also keine konkreten Tatsachen vorgetragen werden, sondern lediglich Fragen an einen Gutachter in der Hoffnung gestellt werden sollen, um dadurch anspruchsbegründende Tatsachen zu erfahren und hierdurch die Grundlagen für einen beweiserheblichen Tatsachenvortrag zu gewinnen (Frechen in: Werner/Pastor, Der Bauprozess, 18. Aufl., Rn. 53 m.w.N.).

b) Gemessen hieran liegt ein hinreichend substantiierter Antrag vor.

Im Schriftsatz vom 23.11.2022 unter IX. rügt die Antragstellerin eine den anerkannten Regeln der Technik nicht entsprechende und damit mangelhafte Vermörtelung oder Versiegelung der Wandanschlüsse des Batterieraums, des Elektroraums sowie des Müllraums sowie der Notausgänge. Weiter rügt sie, dass die Tür des Elektroraums zu viel Bodenluft aufweise, Spalte außerhalb des zulässigen Bereichs bestünden und vom Rahmen Klotzhölzer herausstehen würden. Zudem habe der Boden des Müllraums einen sich außerhalb Toleranzen im Hochbau bewegenden Bogen nach unten und der Obertürschließer sei defekt. Weiter lässt sich dem Antrag bei sachgerechter Auslegung die Behauptung entnehmen, die Bodenabsenkdichtung des Müllraums sei defekt. Schließlich wird behauptet, dass die Kabelführung an der Decke am Wandanschluss außen den anerkannten Regeln der Technik widerspreche und Löcher mit Brandschutzsilikat abgedichtet werden müssen.

Die Formulierung der Beweisbehauptungen in Frageform – anstelle tatsächlicher Behauptungen – steht einer Beweiserhebung nicht entgegen und macht den Beweisantrag nicht zum Ausforschungsbeweis (Frechen in: Werner/Pastor, Der Bauprozess, 18. Aufl., Rn. 53 m.w.N. sowie die Muster Rn. 66 und 74). Zudem ergibt sich aus dem von der Antragstellerin ausdrücklich in Bezug genommenen Angebot der Firma Mages vom 10.11.2022, dass die in Frageform formulierten Mangelbehauptungen aufgestellt werden sollen (vgl. etwa: „Wandanschluss innen hat stellenweise Löcher. Dieser muss ausgemörtelt werden.“ oder „Wandanschluss außen ist nicht versiegelt. Dieser muss versiegelt werden.“).

c) Die vom Landgericht angedeutete Unklarheit, um welche Räume es sich handele und der von Landgericht hervorgehobene Umstand, dass es das Gebäude nicht kenne, ist nicht nachvollziehbar.

Zum einen konnte sich die Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 21.12.2022 jedenfalls teilweise zu den einzelnen Mangelbehauptungen eingelassen. Zum anderen hat das Landgericht auch in den bisher im Verfahren erfolgten Beweisanordnungen etwa auf den Müllraum abgestellt, ohne dass dies zu Schwierigkeiten der Zuordnung der Räume geführt hat (vgl. etwa S. 5, 9, 41, 45 f. des Gutachtens vom 18.05.2022), zumal die Räume im Angebot der Forma Mages vom 10.11.2022 nochmals hinsichtlich ihrer Lage näher beschrieben sind.

Zum anderen wurde bereits im Schriftsatz vom 25.02.2023 klargestellt, dass alle Türen der Tiefgarage vom Antrag umfasst seien. In der Beschwerdeschrift wurde zudem klargestellt, dass die Wandanschlüsse der Türen angeblich Löcher haben.

2. Die im Schriftsatz vom 23.11.2022 gestellte Frage nach der Einhaltung der „anerkannten Regeln der Technik“ steht einer Beweiserhebung nicht entgegen.

Zur Zustandsfeststellung einer Sache im Sinne des § 485 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört auch die fachtechnische Einordnung einer sich in einem Bauwerk zeigenden Leistung als den allgemein anerkannten Regeln der Technik entsprechend oder widersprechend (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.01.2017 – 15 W 170/16 -; OLG München, Beschluss vom 06.05.1993 – 27 W 101/92 -, BauR 1994, 275 f.; Herget in: Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 487 Rn. 4; Manteufel in: Werner/Pastor, Der Bauprozess, 18. Aufl., Rn. 3117; Frechen in: Werner/Pastor, Der Bauprozess, 18. Aufl., Rn. 26).

3. Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegt ein rechtliches Interesse an der Feststellung im Sinne des § 485 Abs. 2 ZPO vor. Ein rechtliches Interesse an der Feststellung im Sinne des § 485 Abs. 2 ZPO liegt bereits dann vor, wenn die Behauptungen erkennen lassen, dass aufgrund der gewünschten Feststellung Ansprüche gegen den Antragsgegner in Betracht kommen (vgl. hierzu Frechen in: Werner/Pastor, Der Bauprozess, 18. Aufl., Rn. 32 m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall.

Zudem kann die Feststellung der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen (§ 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Die Parteien befinden sich nach wie vor in Vergleichsverhandlungen, sodass zumindest die vage Hoffnung auf eine Einigung im Fall eines eindeutigen Beweisergebnisses besteht (vgl. hierzu Frechen in: Werner/Pastor, Der Bauprozess, 18. Aufl., Rn. 32 m.w.N.). Zudem wird die Antragstellerin im Fall eines ihr ungünstigen Gutachtens eventuell von einer Klageerhebung abgehalten (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16.05.2013 – 9 W 15/13 -,).

Die Auffassung des Landgerichts, es fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil über drei Jahre seit der ersten Antragstellung vergangen seien und nicht erkennbar sei, weshalb die Fragen erst jetzt/noch immer wesentlich sein sollen, ist unzutreffend. Die nunmehr geltend gemachten Mängel waren noch nicht Gegenstand der sachverständigen Begutachtung. Auch war das Beweisverfahren zum Zeitpunkt der ergänzenden Antragstellung bereits deshalb noch nicht beendet, da die bereits terminierte mündliche Anhörung des Sachverständigen noch ausstand (vgl. Frechen, Der Bauprozess, 18. Aufl., Rn. 94 f.). Auf die Verfahrensdauer kommt es hierbei entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht an.

4.