Ax Rechtsanwälte

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OLG München zu der Frage, dass das Verlassen der Baustelle allein (noch) keine endgültige Erfüllungsverweigerung ist

vorgestellt von Thomas Ax

1. Ein Anspruch des Auftraggebers auf Ersatz von Fertigstellungsmehrkosten wegen Mängeln der Leistung vor der Abnahme setzt im VOB/B-Vertrag voraus, dass er dem Auftragnehmer erfolglos eine angemessene Frist zur Beseitigung des Mangels gesetzt und die Kündigung angedroht hat und nach fruchtlosem Ablauf der Frist der Vertrag gekündigt wurde.
2. Einer Fristsetzung mit Kündigungsandrohung bedarf es nicht, wenn der Auftragnehmer die Erfüllung des Vertrags ernsthaft und endgültig verweigert.
3. Das Verlassen der Baustelle allein ist (noch) keine endgültige Erfüllungsverweigerung. Das Kooperationsgebot erfordert, dass sich der Auftraggeber mit dem Auftragnehmer wegen ausstehender Restleistungen in Verbindung setzt, statt die Arbeiten ohne Rücksprache zu halten selbst fertigzustellen.
OLG München, Urteil vom 26.07.2022 – 9 U 7532/21 Bau
vorhergehend:
LG München I, 30.09.2021 – 8 O 20798/15
nachfolgend:
BGH, Beschluss vom 16.08.2023 – VII ZR 160/22 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)


Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Bezahlung restlichen Werklohns für Kabeltiefbauarbeiten einschließlich dem zugehörigen Projektmanagement aus zwei Bauvorhaben „Glasfasererschließung H……“ und „S………….“ aus insgesamt 6 Einzelrechnungen in Anspruch. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Endurteils des Landgerichts München I vom 30.09.2021, Az.: 8 O 20798/15, Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage – nach Zeugenbeweis nur hinsichtlich 3 Rechnungen (Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 4) stattgegeben, im Übrigen die Forderungen zurückgewiesen. Bei den Rechnungen Nr. 3 und Nr. 5 fehle es an der Abnahme bzw. einem Vortrag dazu, der Anspruch aus Rechnung Nr. 6 sei verjährt. Eine Aufrechnung der Beklagten mit Ersatzvornahmekosten wies das Landgericht zurück, da keine Aufforderung zur Nachbesserung unter Fristsetzung erfolgt sei. Auch weitere Gegenansprüche der Beklagten (Mietzins für die Anmietung von Baustellengeräten; Erstattung verauslagter Kosten wegen der Beschädigung fremder Kabelanlagen) wies das Landgericht ebenfalls zurück.

Gegen dieses dem Klägervertreter nach eigener Auskunft (Bl. 369 d.A.) am 30.09.2021 zugestellte Endurteil legte derselbe mit Schriftsatz vom 29.10.2021, beim Oberlandesgericht München eingegangen am 01.11.2021 (Bl. 368 d.A.), fristgerecht Berufung ein (Bl. 362/364 d.A.), die er jedoch nicht fristgerecht begründete. Hierauf wurde der Kläger mit Verfügung des Vorsitzenden des 9. Senats vom 19.01.2022 (Bl. 395 d.A.) aufmerksam gemacht. Ein Schriftsatz des Klägers vom 16.12.2021 ist bei Gericht nicht eingegangen. Daraufhin erklärte der Klägervertreter im Rahmen seiner zur Berufung der Beklagten fristgerecht eingegangenen Berufungserwiderung vom 17.01.2022 (Bl. 388/394 d.A.), dass „der Schriftsatz vom 29.11.2021 [gemeint war der 29.10.2021] als Anschlussberufung weiterverfolgt wird„. Eine Begründung der Anschlussberufung erfolgte jedoch weder in der Berufungserwiderung noch in einem sonstigen Schriftsatz. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 21.06.2022 regte der Einzelrichter die Rücknahme der Anschlussberufung an, da diese offenkundig unzulässig ist, vgl. §§ 524 Abs. 3, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 und 4 ZPO. Mit Schriftsatz vom 05.07.2022 nahm der Klägervertreter die Anschlussberufung des Klägers zurück.

Auch der Beklagtenvertreter legte gegen das ihm am 05.10.2021 zugestellte Endurteil fristgerecht mit Schriftsatz vom 22.10.2021, eingegangen beim Oberlandesgericht am gleichen Tag (Bl. 360/361 d.A.), Berufung ein, die er mit Schriftsatz vom 23.12.2021, beim Oberlandesgericht München eingegangen am 28.12.2021 (Bl. 373/385 d.A.), begründete.

Mit ihrer Berufung begehrt die Beklagte die vollständige Klageabweisung. Sie rügt, dass hinsichtlich der vereinbarten Sicherheitseinbehalte keine Verzugszinsen hätten zugesprochen werden dürfen und dass die Aufrechnungslage und das Zurückbehaltungsrecht wegen der eigenen Restfertigstellungskosten im Hinblick auf das Bauvorhaben S…….. und die insoweit zugesprochene Vergütung von 48.061,90 Euro (Rechnung Nr. 4) nicht berücksichtigt worden sei. Außerdem sei der angebotene Zeuge ….. [damalige technische Leiter der Beklagten, Bl. 217 d.A.] nicht gehört worden. Der Kläger habe die Baustelle verlassen, sämtliche Mitarbeiter abgezogen, seine Arbeiten nicht fortgesetzt und letztlich die Kommunikation komplett eingestellt. Der Kläger habe keinerlei Interesse gezeigt, die ihm obliegende Fertigstellung mittels Einbau einer Asphalttragschicht zu bewirken. Als Fertigstellungstermin sei der 30.08.2014 vereinbart worden. Hierbei handle es sich um einen Fixtermin. Die fehlende Vereinbarung einer Vertragsstrafe bei Nichteinhaltung der Frist sei kein gegen die Annahme eines Fixtermins sprechendes Indiz. Eine Fristsetzung sei nicht erforderlich gewesen, da der Kläger die Leistungserfüllung endgültig verweigert habe und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs gerechtfertigt sei. Die Beklagte könne die Fertigstellungskosten in Höhe von 39.776,18 Euro als Schaden gegen den Werklohnanspruch des Klägers gemäß § 6 Abs. 6 VOB/B bzw. § 286 Abs. 2 Nr. 3 und 4 BGB in Verrechnung bringen. Der Zeuge ……. habe bestätigt, dass die Baustelle verlassen war und dass man mit den Fertigstellungsarbeiten so lange gewartet habe, wie man das vertreten konnte, nämlich 2-3 Wochen. Unerheblich sei der vom Landgericht hervorgehobene Aspekt, ob mit dem Kläger über die nicht fertiggestellten Arbeiten gesprochen worden sei. Dies sei nicht möglich gewesen, da der Kläger nicht mehr erreichbar war bzw. nicht reagierte. Zudem macht die Beklagte unter Berufung auf eine Entscheidung des OLG München, Az. 9 U 6562/20, in welcher von einer 10-jährigen Verjährungsfrist als Höchstfrist ausgegangen wurde, ein Zurückbehaltungsrecht wegen der möglichen In-Haftungsnahme nach § 14 AEntG durch die S…….. in Höhe von mindestens 35.000,00 Euro geltend. Der Kläger tritt dem allem entgegen und verteidigt das Ersturteil. Seinen Pflichten zur Anmeldung gegenüber der S…… sei er nachgekommen.


Die Beklagte beantragt daher zuletzt (Bl. 373 d.A.),

das Urteil des Landgerichts München I vom 30.09.2021, Az: 8 O 20798/15 aufzuheben und die Klage abzuweisen.


Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung der Klägerin (Bl. 388 d.A.) und verteidigt im Übrigen das Ersturteil.


Im Übrigen wird auf die Hinweise des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 21.06.2022 (Protokoll S. 2, Bl. 403 d.A.) sowie die gewechselten Schriftsätze der Parteien verwiesen.


II.

A.

Anschlussberufung des Klägers:

Über die Anschlussberufung des Klägers war infolge Rücknahme nicht mehr zu entscheiden. Die Anschlussberufung des Klägers wäre andernfalls mangels Begründung gemäß §§ 524 Abs. 3, 520 Abs. 3 ZPO als unzulässig zu verwerfen gewesen.

B.

Berufung der Beklagten:

Die Berufung der Beklagten ist nur zu einem geringen Teil bei den Nebenentscheidungen (Verzugszinsen bei den beiden Sicherheitseinbehalten in Rechnung 1 und 2 erfolgreich. Ansonsten sind Rechtsfehler des Ersturteils nicht erkennbar. Der Senat folgt im Übrigen inhaltlich dem ausführlich und zutreffend begründeten Ersturteil des Landgerichts. Die Berufungsbegründung der Beklagten vermag das Ersturteil im Übrigen nicht zu erschüttern.

1. Verzugszinsen hinsichtlich der Sicherheitseinbehalte: Die Sicherheitseinbehalte stehen den Vergütungsansprüchen des Klägers nicht mehr entgegen, da die vertraglich vereinbarte Gewährleistung von 5 Jahren 1 Monat gemäß 7.2. WV (Anlagen K 1 und B 8) jedenfalls zwischenzeitlich abgelaufen ist. Richtig ist aber der Einwand der Beklagten, dass wegen des vereinbarten 5 %-igen Sicherheitseinbehalts bei den Rechnungen Nr. 1 und Nr. 2 Verzugszinsen erst nach Ablauf der Gewährleistungsfristen anfallen können. Dies wurde im Tenor korrigiert. Erfolgversprechende weitere Einwände gegen die Rechnungen Nr. 1 und Nr. 2 bestehen nicht.

2. Gegenansprüche wegen der Restfertigstellung bei Rechnung Nr. 4:

a) Bei der mit Anlage K 4 geltend gemachten Rechnung Nr. 4 nahm das Erstgericht zutreffend ein Abrechnungsverhältnis an. Mit dem Schreiben vom 16.04.2015 (Anlage B 1) und der Klageerwiderung vom 27.01.2016 hat die Beklagte Sekundäransprüche geltend gemacht und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie an der Erfüllung des Vertrags kein Interesse mehr hat.

b) Gegenansprüche wegen der Nichtfertigstellung der Asphalttrageschicht Hauptstreitpunkt der Parteien kommen nicht in Betracht. Ansprüche der Beklagten aus § 6 Abs. 6 VOB/B bzw. §§ 4 Abs. 7, 8 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B, § 286 Abs. 2 Nr. 3 und 4 BGB, bzw. §§ 634 Nr. 2, 637, 280, 281 BGB bestehen nicht.

aa) Die Positionen der Parteien zu den Ursachen, weshalb die Klägerin die von ihr geschuldete Leistung „Einbau einer Asphalttragschicht“ nicht mehr erbracht hat, gehen konträr auseinander, ohne dass die Beklagte durch die durchgeführte Beweisaufnahme ihre Sicht der Dinge hätte belegen können. So behauptet der Kläger, dass er die Böden für die Asphaltverlegung fertig vorbereitet habe und dann auf die Entscheidung der Beklagten gewartet habe, ab wann mit der Asphaltverlegung begonnen werden sollte (Bl. 27/28; 65 d.A.). Anfragen des Klägers, wann er weiter seine Dienste erbringen könne, seien seitens der Beklagten schlicht ignoriert worden (Bl. 390 d.A.). Die Fortsetzung der Arbeiten seien dem Kläger unmöglich gemacht worden. Die hierzu von der Klagepartei angebotenen Zeugen wurden erstinstanzlich zwar nicht vernommen. Es konnte aber durch die durchgeführte Beweisaufnahme die durchaus plausible Version der Klagepartei nicht widerlegt werden.

bb) Demgegenüber behauptet die Beklagte, der Kläger habe die Werkleistungen grundlos eingestellt, die Baustelle verlassen und sei nicht mehr erreichbar gewesen bzw. habe nicht mehr reagiert (Berufungsbegründung S. 5/7).

cc) Durch die Einvernahme des von der Beklagten angebotenen Zeugen ……., der damals der Bauleiter vor Ort war, konnte lediglich belegt werden, dass die Baustelle verlassen war, aber nicht, dass die Klagepartei im Hinblick auf die Erfüllung ihrer ausstehenden Arbeiten angesprochen bzw. dazu angehalten wurde. Die Beweiswürdigung des Erstgerichts hierzu (LG UA. S. 11) ist nicht zu beanstanden. Rechtsfehler sind nicht ersichtlich.

dd) Auch im Hinblick auf eine endgültige und ernsthafte Erfüllungsverweigerung der Klagepartei ist die Beklagte beweisfällig geblieben. Soweit die Beklagte behauptet, der Kläger sei nicht mehr erreichbar gewesen, ist dies schon nicht glaubhaft, nachdem die Klagepartei eine E-Mail der Beklagten vom 21.08.2014 (Anlage K 22) vorgelegt hat (Bl. 125 d.A.), aus der sich ergibt, dass der Kläger zu diesem Zeitpunkt ohne weiteres erreichbar war, weil er zu diesem Zeitpunkt eine Auftragsofferte der Beklagten für das Bauvorhaben F……. erhalten hat. Es erschließt sich daher schon nicht, weshalb die Beklagte in keiner Weise versucht hat, mit dem Kläger in Kontakt zu treten und diesen zur Erbringung seiner Restleistung (Einbau der Asphalttragschicht) anzuhalten, sondern stattdessen 2-3 Wochen zugewartet hat und dann ohne Rücksprache mit dem Kläger die fehlenden Arbeiten selbst fertiggestellt hat. Schon das Kooperationsgebot hätte erfordert, sich mit dem Kläger wegen der ausstehenden Restleistung in Verbindung zu setzen, anstatt ohne Rücksprache mit diesem die Arbeiten selbst fertigzustellen. Die Beklagte konnte nicht nachweisen, dass sie überhaupt versucht hat, mit dem Kläger Kontakt aufzunehmen bzw. dass diese Bemühungen vergeblich waren.

ee) In rechtlicher Hinsicht ist der Ausgangspunkt des Erstgerichts völlig zutreffend, dass ohne Nachfristsetzung, die nicht nachgewiesen ist, Ersatzvornahmekosten nicht verlangt werden können, einerlei auf welche Anspruchsgrundlage diese gestützt werden (§§ 634 Nr. 2, 637; 280, 281, 286 BGB, § 6 Abs. 6 VOB/B bzw. §§ 4 Abs. 7, 8 Abs. 3 VOB/B).

ff) Eine entsprechende Frist zur Nachbesserung konnte nicht nachgewiesen werden und war entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten auch nicht entbehrlich. Eine Beweiserhebung zu den hierfür von der Beklagten aufgewandten Ersatzvornahmekosten in Höhe von 39.776,18 Euro durch Sachverständigenbeweis, obwohl von der Einzelrichterin im Hinweisbeschluss vom 16.07.2020, S. 2 (Bl. 253 d.A.) angedacht, unterblieb daher zu Recht. In der mündlichen Verhandlung vom 09.02.2021 (Bl. 267 d.A.) hat die Erstrichterin darauf hingewiesen, dass es eine offene Frage sei, ob es einer Nachfristsetzung bedurfte oder nicht und ein Sachverständigengutachten nur zu erholen wäre, wenn es einer Fristsetzung durch die Beklagte nicht bedurft hätte. Mit Hinweisbeschluss vom 11.02.2021, S. 4 (Bl. 272 d.A.) hat die Einzelrichterin dann darauf hingewiesen, dass sie nicht von einem relativen Fixgeschäft ausgeht und hat diese Rechtsauffassung dann auch in ihrem Urteil zugrunde gelegt. Die Ausführungen erscheinen überzeugend und werden durch die Ausführung in der Berufungsbegründung nicht erschüttert. Die bloße Vereinbarung eines Fertigstellungstermins genügt für die Annahme eines relativen Fixgeschäftes nicht. Auch aus den Besonderheiten des öffentlichen Straßenbaus und den dabei erforderlichen zeitlich befristeten Straßensperrungen er-gibt sich nichts anderes.

gg) Zudem ist hier zu berücksichtigen, dass die Parteien vertraglich die Geltung der VOB/B in der aktuellen Fassung, wie sie zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses Gültigkeit haben, vereinbart haben (vgl. Anlage B 8). Daraus ergibt sich, dass Ersatzvornahme-Kostenansprüche der Beklagten an §§ 4 Abs. 7, 8 Abs. 3 VOB/B zu messen sind, d.h. es müsste also auch vor der Ersatzvornahme die (Teil-)Kündigung ausgesprochen und noch dazu davor angedroht gewesen sein, was jedoch nicht erfolgt ist.

hh) Zutreffend hat bereits das Erstgericht darauf hingewiesen, dass der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag (Anlage B 8) in Ziffer 7.5 eine Spezialregelung vorsieht, wenn „aus wichtigen betrieblichen Gründen ein Mangel, den der AN zu vertreten hat, nach Rücksprache mit dem AN in kürzester Frist beseitigt werden [muss]„. Auch hier hat der Auftraggeber nach dem vorgesehenen Regime Rücksprache mit dem Auftragnehmer zu halten und sich mit ihm ins Benehmen zu setzen, bevor er sein eigenes Instandhaltunspersonal oder Drittfirmen einsetzen darf. Auch dies ist nicht geschehen.

ii) Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen scheidet eine Aufrechnung bzw. Verrechnung der Werklohnforderung für die Rechnung Nr. 4 mit Ersatzvornahmekosten der Beklagten schon deshalb aus, weil die Klagepartei diese Arbeiten gegenüber der Beklagten nicht abgerechnet hat. Die rechnerische Richtigkeit der Werklohnforderung in Höhe von 48.061,90 Euro ist zwischen den Parteien im Übrigen unstreitig bzw. wurde von der Beklagten anerkannt. Bei den geltend gemachten Ersatzvornahmekosten handelt es sich rechtlich um Sowieso-Kosten, die für die Beklagte immer angefallen wären, auch wenn der Kläger diese Leistungen erbracht und abgerechnet hätte. Allenfalls vorstellbar wären daher sog. Restfertigstellungsmehrkosten. Diese macht die Beklagte aber nicht geltend, sondern glaubt zum vollem Ersatz der gesamten Fertigstellungskosten berechtigt zu sein (Berechnung im Schriftsatz vom 06.12.2016, S. 2, Bl. 58 d.A.), ohne mit einer nachvollziehbaren Berechnung die bloßen Mehrkosten auszuweisen.

c) Den Zeugen Dipl. Ing. ……., angeboten mit Schriftsatz vom 23.04.2020, S. 2, Bl. 247 d.A., hat das Erstgericht zu Recht nicht gehört, da er ohnehin nur für die unstreitige Tatsache, dass die Arbeiten vom Kläger nicht fertiggestellt wurden und keine Behinderungsoder Bedenkenanzeige vorlag, angeboten wurde und damit lediglich eine Untätigkeit des Klägers unter Beweis gestellt werden sollte, die ohnehin unstreitig ist, aber nicht, dass der angebotene Zeuge versucht hätte, mit dem Kläger Kontakt aufzunehmen und ihn zur Erfüllung seiner vertraglichen Leistungspflicht anzuhalten.

3. Zurückbehaltungsrecht wegen § 14 Arbeitnehmerentsendegesetz: Ein Zurückbehaltungsrecht wegen § 14 Arbeitnehmerentsendegesetz besteht schon laut Vertrag nicht mehr, da ein Einbehalt längstens 5 Jahre nach § 10.4 der Bauverträge vom 10.01.2014 bzw. 25.06.2014 (Anlagen K 1 und B 8) möglich ist.

a) Richtig ist zunächst, dass der Kläger anders als beim Bauvorhaben „H……“ beim Bauvorhaben „S……“ die Namen der eingesetzten Mitarbeiter oder für ihn angeblich freiberuflich tätigen Arbeiter der S….. nicht mitgeteilt hat und daher grundsätzlich eine Inhaftungnahme der Beklagten für ausstehende Zahlungen auf Mindestlohn und Urlaubsgeld wie bei einer Bürgenhaftung nach § 14 AEntG bis zur Verjährung derartiger Ansprüche in Betracht kommt. Soweit das Erstgericht von einer dreijährigen Verjährungsfrist ausging, ist allerdings zu bemerken, dass die dreijährige Verjährungsfrist erst ab Kenntniserlangung von der Beschäftigung zu laufen beginnt. Bislang hat die S…. nur Kenntnis von der Existenz des Bauvorhabens, aber nicht von den konkret vor Ort eingesetzten Mitarbeitern des Klägers, weshalb grundsätzlich die zehnjährige Verjährungsfrist des § 199 BGB mit Abschluss der Baustelle gilt, die an sich noch nicht abgelaufen ist.

b) In seinem Urteil vom 21.09.2021, Az.: 9 U 6562/20 Bau, ist der auch hier entscheidende 9. Senat des OLG München von diesen Grundsätzen und insbesondere gemäß § 199 BGB von einer 10-jährigen Verjährungsfrist eines Haftungsanspruchs nach § 14 AEntG ausgegangen, hat jedoch im Ergebnis den Fall anders beurteilt, da er lediglich vom Nichtablauf der 10-jährigen Verjährungsfrist ausgegangen ist, solange die S…… keine Kenntnis von den auf der Baustelle eingesetzten Arbeitnehmern hat.

c) Dabei wurde aber offenbar die Bedeutung und Tragweite der vertraglichen Regelung in § 10.4 des Vertrages vom 25.06.2014 (Anlage B 8) verkannt, die eine Sonderregelung der Parteien hinsichtlich der Nichtvorlage der Enthaftungsbescheinigung zur Regelung der Auftraggeberhaftung im Sinne des § 14 AEntG enthält und lediglich einen 5 %-igen Einbehalt von der Gesamtauftragssumme für einen Zeitraum von längstens 5 Jahre bzw. ein außerordentliches Kündigungsrecht vorsieht. Dies schließt nach Auffassung des Senats die Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts wegen einer Inhaftungnahme wegen § 14 AEntG über einen Zeitraum von 5 Jahren hinaus aus, der bei einer Beauftragung im Jahr 2014 längst abgelaufen ist, da es sich um eine vorrangige vertragliche Regelung handelt, die das Recht auf einen etwaigen 5 %-igen Einbehalt nach 5 Jahren entfallen lässt. Da es sich bei den vertraglichen Regelungen um von der Beklagten gestellte „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ handelt, welche auch schon dem vom Senat am 21.09.2021 entschiedenen Fall, Az.: 9 U 6562/20 Bau, zugrunde lagen, ist § 305c Abs. 2 BGB zu berücksichtigen, wonach Zweifel bei der Auslegung zu Lasten des Verwenders gehen. Hier kann die Klausel bei laiengünstiger Auslegung nur so verstanden werden, dass sich die Beklagte damit verpflichten wollte, den Sicherheitseinbehalt nach einem Zeitraum von 5 Jahren freizugeben und wegen der möglichen Inhaftungnahme nach § 14 AEntG kein Zurückbehaltungsrecht mehr ausüben zu wollen. Es sollte gerade nicht die Möglichkeit bestehen, noch über einen Zeitraum von insgesamt 10 Jahren also bis zur Verjährungshöchsfrist ein sich aus § 14 AEntG ergebendes Zurückbehaltungsrecht geltend zu machen, weil die sich aus der Nichtvorlage der Enthaftungsbescheinigung ergebenden Rechtsfolgen abschließend in § 10.4 geregelt wurden. Die Regelung in § 10.4 bewirkt daher nach einem Ablauf von 5 Jahren nach Abschluss der Baustelle eine Aufhebung der Undurchsetzbarkeit des Vergütungsanspruchs nach §§ 320 oder 273 BGB. Im Falle einer Inanspruchnahme der Beklagten nach mehr als 5 Jahren gemäß § 14 AEntG, steht die Beklagte auch nicht schutzlos. Der so in Anspruch genommene Auftraggeber kann den Auftragnehmer in Regress nehmen, und zwar über die Rückgriffsansprüche des Bürgen oder wegen Verletzung der bauvertraglichen Nebenpflichten aus § 14 AEntG, bei denen es sich um selbständige Nebenpflichten handelt (vgl. Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 4. Auflage 2022, Rn. 76 f.).


III.

Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Auch in der Berufungsinstanz ergibt sich dieselbe Quote wie in der ersten Instanz, da in der Hauptsache weder die Berufung der Beklagten noch die Anschlussberufung des Klägers erfolgreich waren. Die Beklagte hat nur in einem geringen Umfang wegen der Nebenkosten (Zinsen) obsiegt. Mit seiner Anschlussberufung verfolgte der Beklagte die Bezahlung zweier Rechnungen (Nr. 3 und Nr. 5) weiter (19.400,00 Euro und 8.000,00 Euro nebst Zinsen), worüber infolge der Rücknahme der Anschlussberufung nicht mehr zu entscheiden war.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gründet in § 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung in Übereinstimmung mit der höchstund obergerichtlichen Rechtsprechung.

Verkündet am 26.07.2022