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Vergaberecht A - Z

A – Aufhebung des Vergabeverfahrens als einzig verbleibende Entscheidungsoption
Eine Aufhebung des Vergabeverfahrens als einzig verbleibende Entscheidungsoption unter anderem dann geboten, wenn die Angebotspreise der Bieter die vertretbare Kostenschätzung eines Auftraggebers bzw. die zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel deutlich übersteigen und weniger einschneidende Alternativen als die Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht erkennbar sind. Die Grundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit gebieten dann eine Aufhebung des Vergabeverfahrens (vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.08.2018, Az.: Verg 14/17; OLG Karlsruhe, NZBau 2014, 189, 192; VK Bund, Beschluss vom 13.02.2019, Az.: VK 1-3/19). VK Thüringen, Beschluss vom 28.02.2020 – 250-4002-21/2020-E-002-IK

F – Fortsetzung des Vergabeverfahrens nach Aufhebung
Ein Anspruch auf Fortsetzung des Verfahrens besteht nicht, wenn die Aufhebung nicht aus rechtlich zu missbilligendem Grund erfolgt ist (BGH v.20.02.2014 – X ZB 18/13). Nach der Rechtsprechung des BGH müssen Bieter die Aufhebung des Vergabeverfahrens nicht nur dann hinnehmen, wenn sie von einem der in der unter § 17 Abs. 1 VOB/A-EU aufgeführten Gründe gedeckt und deshalb von vornherein rechtmäßig ist. Ein öffentlicher Auftraggeber ist nicht gezwungen, ein Vergabeverfahren mit der Zuschlagserteilung abzuschließen, wenn keiner der zur Aufhebung berechtigenden Tatbestände erfüllt ist (BGH v. 05.11.2002 – X ZR 232/00). Der Auftraggeber unterliegt aus Gründen des allgemeinen Vertragsrechts grundsätzlich keinem Kontrahierungszwang. (BGH, Beschluss vom 20.03.2014, Az.: X ZB 18/13; OLG Celle, Beschluss vom 10.03.2016, Az.: 13 Verg 5/15; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.01.2015 – Verg 29/14). Dieser Befund findet seine Bestätigung auch im EU-Recht in Artikel 55 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24/EU sowie im Erwägungsgrund (82) der Richtlinie 2014/24/EU, die keine weiteren Voraussetzungen für die Befugnis des Auftraggebers vorsehen, auf die Vergabe eines Auftrags zu verzichten. Insbesondere ist die Ausübung dieser Befugnis nicht vom Vorliegen schwerwiegender Gründe oder außergewöhnlicher Umstände abhängig. Daher können als Begründung einer Aufhebungsentscheidung etwa auch politisch veränderte Konstellationen oder auch reine Zweckmäßigkeitserwägungen dienen (EuGH, Urteil vom
11.12.2014, Az.: Rs. C-440/13 Croce Amica One; Burgi/Dreher, Kommentar zur VgV-SektVO-KonzVgV-VSVgV-VOB/A-EU-VOB/A-VS, 3. Aufl., 2019, § 17
VOB/A, Rn 13; Kulartz/Kus/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 2017, § 63, Rn 16 ff.). Sofern die Aufhebung des Vergabeverfahrens aber nicht von den einschlägigen Bestimmungen der jeweils anwendbaren Vergabeverordnung gedeckt ist, ist diese rechtswidrig und kann ggf. Schadensersatzansprüche der sich an der Ausschreibung beteiligenden Unternehmen nach § 181 GWB begründen (BGH, Beschluss vom 20.03.2014, Az.: X ZB 18/13; OLG Celle, Beschluss vom 10.03.2016, Az.: 13 Verg 5/15). Die in § 17 Abs. 1 VOB/A-EU normierten Aufhebungsgründe schränken das Recht des Auftraggebers, ein Vergabeverfahren ohne Zuschlag zu beenden, nicht ein. Sie haben vielmehr Bedeutung für die Abgrenzung einer rechtmäßigen Aufhebung von einer zwar wirksamen, aber rechtswidrigen Beendigung des Vergabeverfahrens (Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 63 VgV, Rn 18). Notwendige Voraussetzung für eine wirksame Aufhebung ist lediglich, dass der öffentliche Auftraggeber für seine Aufhebungsentscheidung einen sachlichen Grund hat, sodass eine Diskriminierung ausgeschlossen und seine Entscheidung nicht willkürlich ist oder bloß zum Schein erfolgt (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.01.2020 – 1 VK 69/19; VK Brandenburg, Beschluss vom 11.10.2017 – VK 8/17; VK Bund, Beschluss vom 07.03.2018, VK 2-12/18; VK Nordbayern, Beschluss vom 05.07.2019, RMF-SG21-3194-4-23). VK Thüringen, Beschluss vom 28.02.2020 – 250-4002-21/2020-E-002-IK

L – Losentscheid
Erfüllen mehrere Angebote die Voraussetzungen des wirtschaftlichsten Angebots, weil sie völlig gleichwertig sind, kann die Auswahl unter ihnen naturgemäß nicht mehr nach den Vorschriften erfolgen, nach denen „das“ wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln ist (Art. 67 Abs. 2 der Vergaberichtlinie 2014/24), und es muss ein weiteres, zusätzliches Auswahlkriterium herangezogen werden. Für dieses kommt mangels Alternativen lediglich ein Losentscheid in Betracht Ein Losentscheid – so die wohl herrschende Auffassung (s. nur Schneider, in Beck’scher VergR-Komm., Bd. 2, SektVO § 62 Rdnr. 36; Mestwerdt / Sauer in Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., Bd. 3, VgV § 75 Rdnr. 34; OLG Rostock, Beschl. v. 1. 8. 2003, 5 Az. 17 Verg 7/03, ZfBR 2004, S. 192) – ist vergaberechtlich zulässig. Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehlt zwar, und die in § 75 Abs. 6 VgV 2016 enthaltene Regelung betrifft einen Sonderfall, aus dem sich eine allgemeine Analogie oder ein allgemeiner Umkehrschluss nicht herleiten lassen. Dass ein Losentscheid grundsätzlich zulässig sein muss, folgt indessen aus der Natur der Sache; denn wenn die vollständige Auswertung aller Angebote anhand der in einer Ausschreibung in zulässiger Weise vorgesehenen Kriterien dazu führt, dass zwei Angebote gleichwertig sind, käme als Alternative zu einem Losentscheid nur die Wiederholung der Ausschreibung in der Hoffnung, nunmehr werde es nicht dazu kommen, in Betracht. Das aber widerspräche dem Sinn der Vorschriften über die Vergabe, bei Einhaltung aller gesetzlichen Vorschriften in einem Verfahren zu einem Ergebnis zu gelangen. Zwingende vergaberechtliche Bestimmungen stehen einem Losentscheid nicht entgegen. Hier ist darauf hinzuweisen, dass die Einhaltung der vergaberechtlichen Vorschriften dazu führen muss, das wirtschaftlichste Angebot zu ermitteln; sind aber die dafür notwendigen Vorkehrungen getroffen und eingehalten worden, endet der unmittelbare Anwendungsbereich der Vergabevorschriften über die Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots. Gerade der Losentscheid entspricht in diesem Fall dem in Erwägungsgrund 1 der Vergaberichtlinie niedergelegten Zweck des europäischen Vergaberechts, die Vergabe öffentlicher Aufträge im Einklang mit den Grundsätzen des freien Warenverkehrs, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit sowie den sich daraus ableitenden Grundsätzen der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz erfolgen zu lassen. Es ist auch nicht erforderlich, einem öffentlichen Auftraggeber abzuverlangen, in eine Leistungsbeschreibung über die für die Beschreibung der nachgefragten Leistung notwendigen Kriterien hinaus weitere Kriterien aufzunehmen, um durch eine solche Vermehrung der Kriterien den Eintritt des Ereignisses, dass mehrere Angebote nach der Auswertung anhand des Kriterienkataloges sich als gleichwertig erweisen, unwahrscheinlicher zu machen. Dem widerspricht schon der Umstand, dass ein reiner Preiswettbewerb, also eine Ausschreibung, die als maßgebliches Kriterium für das wirtschaftlichste Angebot allein auf den Preis abstellt, nach allgemeiner Auffassung grundsätzlich zulässig ist (s. nur OLG Düsseldorf, Beschl. v. 2. 5. 2007 – Verg 1/07, NZBau 2007, S. 600 ff., 607; Seebo/Lehmann, Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, 2. Aufl., 4. Bd., § 16d EU VOB/A Rdnr. 30 m.w.N.). Und tatsächlich führt schon das Erfordernis der Preiskalkulation durch die Bieter und die Unterschiedlichkeit der wirtschaftlichen Gegebenheiten bei den verschiedenen Bietern dazu, dass kaum je zwei gleichpreisige Angebote abgegeben werden. Es ist zudem die öffentliche Stelle, die ihren Bedarf bestimmt. Anhand ihres konkreten Bedarfs hat sie die nachgefragte Leistung zu beschreiben und die Kriterien auszuwählen, anhand deren sie das wirtschaftlichste Angebot ermittelt. Es widerspräche nun – wie sich gerade auch aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urt. v. 26. 3. 2015, C-601/13) ergibt – den Grundsätzen der Transparenz des Verfahrens (s. dazu Dreher in Immenga/Mestmäcker, WettbewR, Aufl., § 97 GWB Rdnrn. 50 ff.) und der Freiheit von Diskriminierung einzelner Bewerber in eklatanter Weise, wenn die öffentliche Stelle außer diesen, ihren konkreten Bedarf erschöpfend beschreibenden Kriterien, weitere – zur Beschreibung und Bewertung an sich nicht notwendige und daher willkürlich ausgewählte – Kriterien allein zu dem Zweck hinzufügen müsste, um das Ergebnis einer Gleichwertigkeit mehrerer Angebote noch unwahrscheinlicher zu machen, als es dies ohnehin schon ist. Dass es selbst bei einer geringen Zahl von notwendigen Kriterien nur selten zu einer Gleichwertigkeit mehrerer Angebote kommt, wird an dem Umstand deutlich, dass Fragen des Losentscheides im Vergabeverfahren die Vergabekammern und Vergabesenate nur sehr selten und den Bundesgerichtshof und den Europäischen Gerichtshof bislang noch überhaupt nicht beschäftigt haben. Eine Gefahr, dass die öffentlichen Auftraggeber durch eine Beschränkung ihrer Bewertungskriterien gleichsam eine „Flucht in den Losentscheid“ antreten werden, um sich der Mühen einer Ermittlung des jeweils wirtschaftlichsten Angebots anhand einer Wertungsmatrix nicht unterziehen zu müssen, erscheint daher schon aus tatsächlichen Gründen nicht gegeben. Bei der Frage, wie das Losverfahren auszugestalten ist, ist eine funktionale Betrachtungsweise angezeigt; denn wenn auch die Vorschriften über die Auswahl des „wirtschaftlichsten Angebots“ bei der Entscheidung durch Zufall naturgemäß nicht greifen können, sind doch, wie ausgeführt, die in Erwägungsgrund 1 der Vergaberichtlinie niedergelegten übergeordneten Grundsätze jedes Vergabeverfahrens, insbesondere die Grundsätze der Gleichbehandlung, Nichtdiskriminierung, Verhältnismäßigkeit und Transparenz zu beachten. Eine bestimmte Art der Durchführung des Losentscheides ist damit nicht vorgegeben, so dass hier wie auch sonst, wenn der die Entscheidung treffenden Einrichtung vorbehalten ist, dass Los entscheiden zu lassen, es grundsätzlich ihr überlassen ist zu bestimmen, welche Form des Losentscheides gewählt werden soll. Dieses Verfahren ist allerdings so zu wählen, dass ein nicht beeinflusstes Zufallsergebnis herbeigeführt wird, für alle Teilnehmer am Losentscheid also die gleichen Chancen bestehen, und ein hinreichender und den Umständen nach angemessener Schutz vor Manipulationen besteht. Um das zu gewährleisten, muss das Verfahren so gestaltet sein, dass es einerseits nicht zu schlicht, andererseits aber doch so übersichtlich ist, dass seine einzelnen Vorgänge ohne besonderen Aufwand erfassbar und überprüfbar sind (so, zum Losentscheid nach Stimmengleichheit bei einer Wahl, BVerwG, Beschl. v. 15. 5. 1991, Az. 6 P 15/89, NJW 1991, 3231 f., 3232). OLG Hamburg, Beschluss vom 20.03.2020 – 1 Verg 1/19

M – Mitwirkung des Planers
Die Vergabeakte muss erkennen lassen, dass die in den einzelnen Stufen des Vergabeverfahrens zu treffenden Entscheidungen von dem Auftraggeber selbst getroffen sind und nicht etwa von einem mit Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens beauftragten Ingenieurbüro oder einem sonstigen beauftragten Sachverständigen. Die Mitwirkung eines Dritten darf nicht die Grenze zur Mitentscheidung überschreiten, da der Auftraggeber alleine für die Vergabeverfahren zu treffenden Entscheidungen verantwortlich ist. Nimmt der Auftraggeber externe Beratung eines Dritten in Anspruch, sollte die Dokumentation daher nicht nur die Übernahme des Entscheidungsvorschlags des Dritten durch den Auftraggeber enthalten. Vielmehr hat sich der Auftraggeber im Rahmen seiner Verantwortung mit dem Entscheidungsvorschlag auseinanderzusetzen (vgl. hierzu näher Kulartz/Kus/ Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VgV, 2017, § 8, Rn 13). Die Entscheidungsfindung des AG im Vergabeverfahren darf nicht allein auf den Feststellungen des Planers beruhen. VK Thüringen, Beschluss vom 28.02.2020 – 250-4002-21/2020-E-002-IK

N – Nebenangebote, nur Preis
Die Festsetzung von ausreichend detaillierten, transparenten und widerspruchsfreien Mindestanforderungen ist aber Voraussetzung für die Zulassung von Nebenangeboten bei einem reinen Preisentscheid. Aus § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 6 VOB/A ist nicht zu folgern, dass nunmehr Nebenangebote stets auch dann zulässig sind, wenn einziges Zuschlagskriterium der Preis ist. § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 6 VOB/A (und der inhaltsgleiche § 35 Abs. 2 VgV) stellt den Versuch des Gesetzgebers dar, im Sinne eines von ihm angenommenen Bedarfs an innovativen Nebenangeboten die Rechtsprechung des BGH (BGH, Beschluss vom 07.01.2014 – X ZB 15/13) zu korrigieren. Die Regelung hat keine Grundlage in den zugrundeliegenden Vergaberichtlinien und steht in einem Spannungsverhältnis zu Art. 45 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 2014/24/EU und § 127 Abs. 4 Satz 2 GWB. § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 6 VOB/A ist daher strikt im Lichte des höherrangigen Rechts auszulegen. Der BGH hat zwar mit Beschluss vom 07.01.2014 – Az.: X ZB 15/13 – ausgeführt, dass die für Nebenangebote vorzugebenden Mindestanforderungen im Allgemeinen nicht alle Details der Ausführung zu erfassen brauchen, sondern Spielraum für eine hinreichend große Variationsbreite in der Ausarbeitung von Alternativvorschlägen lassen und sich darauf beschränken dürfen, den Bietern, abgesehen von technischen Spezifikationen, in allgemeinerer Form den Standard und die wesentlichen Merkmale zu vermitteln, die eine Alternativausführung aufweisen muss. Die Begründung der Vergaberechtsmodernisierungsverordnung zu § 35 Abs. 2 VgV – nach § 35 Abs. 2 S. 1 VgV sind in Hinblick auf Nebenangebote in den Vergabeunterlagen Mindestanforderungen festzulegen – hat diese Ausführungen wortgleich übernommen (vgl. BT-Drs. 18/7318 S. 147f zu § 35 Abs. 2 VgV). Nach der Begründung der Vergaberechtsmodernisierungsverordnung soll in solchen Fällen die Festsetzung aussagekräftiger, auf den jeweiligen Auftragsgegenstand und den mit ihm zu deckenden Bedarf zugeschnittener nichtpreislicher Zuschlagskriterien durch den öffentlichen Auftraggeber „naheliegen“. Auf diese Weise könne eingeschätzt werden, ob ein preislich günstigeres Nebenangebot mit einem solchen Abstand hinter der Qualität eines dem Amtsvorschlag entsprechenden Hauptangebots zurückbleibt, dass es nicht als das wirtschaftlichste Angebot bewertet werden kann (BT-Drs. 18/7318 S. 147f zu § 35 Abs. 2 VgV). In seinem umfangreichen obiter dictum im Beschluss vom 10.05.2016 – X ZR 66/15 – hat der BGH darauf hingewiesen, dass § 8 EU Abs. 2 Nr. 3 b) S. 2 VOB/A (und entsprechend § 35 Abs.2 S. 3 VgV) nicht von der Beachtung des gesetzlichen Grundsatzes, dass der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt wird und sich das wirtschaftlichste Angebot nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis bestimmt (§ 127 Abs. 1 S. 1 und 3 GWB), entbindet. Nur wenn dies nach dem Gegenstand des Auftrags und der Gesamtheit der Vergabeunterlagen erreicht werden kann, darf der Preis einziges Zuschlagskriterium sein (vgl. auch BT-Drs. 18/6281 S.111 f. zu § 127 Abs. 1 GWB). Konkret bedeutet dies, dass Nebenangebote nur dann nach dem Preis als einzigem Zuschlagskriterium gewertet werden können, wenn durch eine entsprechende Festlegung von Mindestanforderungen i.S.d. § 8 EU Abs.2 Nr.3 b VOB/A sichergestellt ist, dass die Angebote qualitativ soweit vergleichbar sind, so dass der Zuschlag auf das Angebot mit dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis erteilt werden kann. Es ist wäre dem vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vereinbar, wenn wesentlich ungleiche Angebote willkürlich gleich, nämlich nach dem einzigen Kriterium des niedrigsten Preises, dass keine Qualitätsunterschiede abbilden kann, gewertet würden (VK Südbayern, Beschl. v. 06.02.2016, Az.: Z3-3-3194-1-50-12/16). VK Südbayern, Beschluss vom 17.03.2020 – Z3-3-3194-1-47-11/19

N – Nebenangebote, Mindestanforderungen, unzureichende
Ein Nebenangebot umfasst jede Abweichung vom geforderten Angebot. Ein kaufmännisches Nebenangebot liegt vor, wenn der Bieter in technischer
Hinsicht den Vorgaben des Auftraggebers folgt, jedoch in wirtschaftlicher Hinsicht von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweichen. Bei kaufmännischen
Nebenangeboten wird in der Regel nicht das Leistungssoll abgeändert, sondern es werden dem Auftraggeber andere wirtschaftliche Modalitäten angeboten. Dies können ein anderes Finanzierungsmodell, eine abweichende Vergütungsstruktur und auch das Angebot von Preisnachlässen unter Bedingungen sein. Eine Pauschalierung eines Einheitspreisangebotes ist damit ein kaufmännisches, die Vergütungsart betreffendes Nebenangebot (vgl. VK Bund, Beschluss vom 26.02.2007 – VK 2- 9/07). Bei unzureichenden Mindestanforderungen an zugelassene Nebenangebote darf der Zuschlag nicht auf ein Nebenangebot erteilt werden. Eine Zuschlagserteilung auf ein Hauptangebot ist jedoch ebenfalls zu untersagen, da der Fehler des Auftraggebers bei der Erstellung der Vergabeunterlagen nicht zu Lasten der Bieter gehen darf, solange keine Präklusion diesbezüglich vorliegt. Die Behebung des Vergabeverstoßes erfordert daher eine Rückversetzung des Verfahrens in den Zustand vor Veröffentlichung der Vergabeunterlagen, damit der Antragsteller entweder in den Vergabeunterlagen neue Mindestanforderungen für Nebenangebote formulieren kann oder mit einer Änderungsbekanntmachung und einer Umformulierung der Vergabeunterlagen Nebenangebote als nicht zulässig deklarieren kann. Es kann im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass die Zulassung eines Nebenangebots auf die Erstellung des Hauptangebotes Einfluss ausgeübt hat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 02.11.2011, VII-Verg 22/11, BA 16; Thüringer OLG, Beschl. v. 16.09.2013, 9 Verg 3/13). Dies gilt insbesondere, wenn Nebenangebote nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zulässig waren. Durch die ausdrückliche Zulassung von – letztlich vergaberechtlich unzulässigen – Nebenangeboten erweckt der Auftraggeber bei den Bietern den Eindruck, dass der Wettbewerb für Nebenangebote eröffnet ist und darauf auch ein Zuschlag erteilt werden kann. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Bieter das Hauptangebot mit Blick auf das vermeintlich zulässige Nebenangebot ausgearbeitet und kalkuliert haben. Von einer gegenseitigen Beeinflussung beider Angebote ist vielmehr bereits aus grundsätzlichen Erwägungen auszugehen, weil die Möglichkeit, Nebenangebote einzureichen, Bietern einen auf mehrere Angebote gestützten Wettbewerbsbeitrag eröffnet, der typischerweise aufeinander abgestimmt wird (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.01.2015 – Verg 31/14). Diese vom OLG Düsseldorf für technische Nebenangebote entwickelten Grundsätze gelten auch bei rein kaufmännischen Nebenangeboten VK Südbayern, Beschluss vom 17.03.2020 – Z3-3-3194-1-47-11/19

U – Unangemessen hoher Preis
Eine Ausschreibung kann gemäß § 17 Abs. 1 VOB/A-EU aufgehoben werden, wenn gemäß § 16d Abs. 1 Nr. 1 VOB/A-EU keinem Angebot wegen unangemessen hohen Preises der Zuschlag erteilt werden kann. Ob dieser Tatbestand unter § 17 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A-EU – kein Angebot, das den Ausschreibungs-bedingungen entspricht (so Willenbruch/ Wieddekind, Vergaberecht, 4. Aufl., 2017, § 17 VOB/A-EU, Rn 30, vgl. aber Rn 45, 53 ff.) – oder unter § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A-EU – an-derer schwerwiegender Grund (so Burgi/Dreher, Vergaberecht, VgV-SektVO-KonzVgV-VSVgV-VOB/A-Eu- 0B/A- VS, 3. Aufl., 2019, § 17 VOB/A-EU, Rn 10) – zu subsumieren ist, kann offenbleiben. Denn wenn nur Angebote – bzw. wie hier nur ein Angebot – mit einem unangemessen hohen Preis vorliegen, kann jedenfalls nach einem der beiden Tatbestände die Ausschreibung aufgehoben werden (OLG Karlsruhe, NZBau 2014, 189, 190; Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 3. Aufl., 2018, § 17 VOB/A-EU, Rn 2). Der Maßstab für die Ermittlung eines angemessenen Preises und damit für die Beurteilung, ob ein Preis unangemessen hoch im Sinne von § 16d Abs. 1 Nr. 1 VOB/A-EU ist, können Angebote anderer Bieter, Daten aus anderen Ausschreibungen, für vergleichbare Leistungen vom Auftraggeber gezahlte oder ihm angebotene Preise, eigene Kostenschätzungen und Kalkulationen beratender Ingenieurbüros sein. Allerdings müssen für einen zulässigen Vergleich zwischen der Kostenschätzung des Auftraggebers und dem gebotenen Preis das der Kostenschätzung zu Grunde liegende LV sowie das LV der Ausschreibung übereinstimmen und die bei der Kostenschätzung gewonnenen Ergebnisse müssen als vertretbar erscheinen. Bei der Frage der Angemessenheit des Preises ist auf den Gesamtpreis abzustellen und nicht auf einzelne Preispositionen (OLG Karlsruhe, NZBau 2014, 189, 190 f.). Ein Angebotspreis ist dann unangemessen hoch, wenn er die vertretbare Kostenschätzung deutlich übersteigt, wobei die Frage, wann die Kostenschätzung so deutlich überschritten ist, dass eine sanktionslose Aufhebung der Ausschreibung gerechtfertigt ist, nicht durch allgemeinverbindliche Werte nach Höhe oder Prozentsätzen beantwortet werden kann, sondern vielmehr eine alle Umstände des Einzelfalls einbeziehende Interessenabwägung vorzunehmen ist (BGH, Urteil vom 20.11.2012, Az.: X ZR 108/10). Der Auftraggeber muss die Kostenschätzung unter Berücksichtigung aller verfügbaren Daten in einer der Materie angemessenen und methodisch vertretbaren Weise erarbeiten. Aus der Sicht der Beteiligten sind die Ergebnisse der Kostenschätzung hinzunehmen, wenn sie aufgrund der bei ihrer Aufstellung objektiv vorliegenden und erkennbaren Daten als vertretbar erscheint. Daran wird es regelmäßig fehlen, wenn sie auf erkennbar unrichtigen Daten beruht, insbesondere, wenn sie eine vorhersehbare Kostenentwicklung unberücksichtigt lässt, wichtige Aspekte außer Acht lässt oder ungeprüft und pauschal auf anderen Kalkulationsgrundlagen beruhende Werte übernimmt (BGH, Beschluss vom 20.11.2012, Az.: X ZR 108/10; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.08.2018 – Verg 14/17; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2019, Az.: Verg 42/18; Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl., 2016, § 63 VgV, Rn 62). VK Thüringen, Beschluss vom 28.02.2020 – 250-4002-21/2020-E-002-IK

V – Verfehlung, schwere
Öffentliche Auftraggeber können nach § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine schwere Verfehlung begangen hat, durch die die Integrität des Unternehmens in Frage gestellt wird. Die schwere Verfehlung muss dabei durch das Unternehmen begangen worden sein, so dass bei juristischen Personen wie der Antragstellerin, die Handlung von für das Unternehmen tätigen Personen diesem zuzurechnen sein muss. Hierfür wird in § 124 Abs. 1 Nr. 3 GWB explizit auf die Zurechnungsnorm des § 123 Abs. 3 GWB verwiesen, welche entsprechend anzuwenden ist. Demnach ist das Verhalten einer natürlichen Person dem Unternehmen zuzurechnen, wenn diese als für die Leitung des Unternehmens Verantwortlicher gehandelt hat, wozu auch die Überwachung der Geschäftsführung oder die sonstige Ausübung von Kontrollbefugnissen in leitender Stellung gehört. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/6281 Seite 103) wurde die Formulierung in Anlehnung an § 30 Abs. 1 Nr. 5 OWiG gewählt. Danach gehört zu den für die Leitung des Unternehmens verantwortlich handelnden Personen insbesondere, wer vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder Mitglied eines solchen Organs, Vorstand eines nicht rechtsfähigen Vereins oder Mitglied eines solchen Vorstands, vertretungsberechtigter Gesellschafter einer rechtsfähigen Personengesellschaft oder Generalbevollmächtigter ist oder wer in leitender Stellung Prokurist oder Handlungsbevollmächtigter einer juristischen Person, eines nicht rechtsfähigen Vereins bzw. einer rechtsfähigen Personengesellschaft ist. Diese Auslegung findet auch ihre Grundlage in Artikel 57 Absatz 1 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2014/24/EU, wonach der Ausschluss eines Unternehmens dann möglich ist, wenn „die rechtskräftig verurteilte Person ein Mitglied im Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremium dieses Unternehmens ist oder darin Vertretungs-, Entscheidungs- oder Kontrollbefugnisse hat“. Das Wort „darin“ bezieht sich auf das Unternehmen insgesamt und nicht nur eingeschränkt auf das Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremium dieses Unternehmens. Ansonsten würde der zweite Halbsatz weitgehend leerlaufen und insbesondere der Fall eines Prokuristen nicht erfasst werden, der eventuell nur für einen Teil der wirtschaftlichen Tätigkeit eines Unternehmens Prokura besitzt und nicht Mitglied eines Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsgremiums des Unternehmens ist. Auch Straftaten eines solchen Prokuristen sollten aber dem Unternehmen, für das der Prokurist tätig ist, zugerechnet werden können. VK Südbayern, Beschluss vom 17.03.2020 – Z3-3-3194-1-47-11/19