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VG Arnsberg zur der Frage der rechtlichen Qualität eines Abwasserkanals

Bei dem fraglichen Kanal handelt es sich nicht um eine öffentliche Abwasserleitung, sondern um eine private Einrichtung der Eigentümer der Grundstücke

VG Arnsberg, Urteil vom 18.01.2010 – 14 K 1176/09


Tatbestand

Die Parteien streiten über die rechtliche Qualität eines Abwasserkanals. Die Kläger sind Eigentümer des Wohnhausgrundstücks B. I. , das sie vor wenigen Jahren erworben haben. Das Grundstück liegt nordwestlich der Straße B. I. , die im Wesentlichen von Südwesten nach Nordosten verläuft. Die Grundstücke beiderseits der Straße sind durchgehend bebaut, wobei die Bebauung in ihren Ursprüngen auf die dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts zurückgeht. Das Gelände weist ein Gefälle von Südosten nach Nordwesten auf mit der Folge, dass die nordwestlich der Straße gelegenen Gebäude mit ihren Fundamenten zum Teil deutlich tiefer liegen als die Straßenoberfläche. Zur Zeit der Errichtung der Gebäude beiderseits der Straße war eine öffentliche Kanalisation nicht vorhanden. Damals wurde zwischen dem Bauherren, der Arbeiter-Heimstättengenossenschaft eGmbH in I1. -I2. , und der Stadtgemeinde I1. vereinbart, dass in den Häusern Trockenklosetts eingebaut und für die Unterbringung der menschlichen Abfallstoffe und der Gebrauchswässer wasserdichte Gruben angelegt würden, die nach Bedarf entleert werden sollten. Für die Beseitigung des Niederschlagswassers war eine nordwestlich der Häuser verlaufende Rohrleitung von 20 cm Weite bei 1,10 Meter Tiefe geplant, die in einem Siepen enden sollte. Die Wohnhäuser wurden errichtet und die Entwässerungsanlagen wurden vereinbarungsgemäß hergestellt.

In den Jahren 1959/60 stellte die Stadt I1. in der Straße „B. I. “ einen Abwasserkanal her, an den nach den Vorstellungen der Stadt auch die nordwestlich der Straße gelegenen Grundstücke angeschlossen werden sollten. Unter dem 4. November 1959 richtete der Oberstadtdirektor der Stadt I1. ein Schreiben unter anderem an den damaligen Eigentümer des Grundstücks B. I. 27, in welchem er diesen „dringend“ bat, den Anschluss des Wohnhauses „sofort nach Betriebsfertigstellung des städtischen Kanals kurzfristig herzustellen“. Dazu bezog sich der Oberstadtdirektor unter anderem auf verschiedene Vorschriften der Ortssatzung der Stadt I1. , nach denen für jedes bebaute Grundstück an kanalisierten Straßen Anschlusspflicht und Benutzungszwang bestehe. Im Januar 1960 trafen jedoch die Eigentümer der Grundstücke B. I. 5 bis 41 (ungerade Zahlen) eine Vereinbarung, wonach der vorhandene Regenwasserkanal aus dem Jahre 1931 in Zukunft als Schmutzwasserkanal benutzt werden und über das Grundstück B. I. an den städtischen Kanal angebunden werden sollte. Es wurde ausdrücklich bestimmt, dass es sich weiterhin um einen „Privatkanal“ handele, den die „Grundstückseigentümer 5 bis 41“ gemeinsam reinigen und unterhalten bzw. die anteiligen Kosten für diese Tätigkeiten aufbringen sollten. Mit Bauschein vom 10. Mai 1961 erteilte der Oberstadtdirektor der Stadt I1. dem Eigentümer des Grundstücks B. I. die Genehmigung zur Herstellung der Entwässerungsanlage für dieses Grundstück, wobei auf dem zur Genehmigung gehörenden Lageplan ausdrücklich von einem „Hauptkanal hinter den Häusern mit Anschluss an den städt. Kanal“ die Rede ist.

Mit Bescheid vom 24. April 1962 zog der Oberstadtdirektor der Stadt I1. den damaligen Eigentümer des Grundstücks B. I. zu einer einmaligen Kanalanschlussgebühr heran, nachdem dessen Grundstück „betriebsfähig an die städtische Abwasseranlage angeschlossen ist“. Mit Urteil vom 6. Juni 1963 – 1 K 250/62 – hob die 1. Kammer des erkennenden Gerichts diesen Bescheid auf. In den Gründen des Urteils wird hervorgehoben, dass die Stadt I1. für sämtliche betroffenen Grundstücke nur einen Kanalanschluss habe herstellen müssen, während die Eigentümer die gesamten Unterhaltungskosten des langen Privatkanals, den sie zudem auf eigene Kosten hergestellt hätten, zusätzlich tragen müssten. Auf diese Weise seien einerseits die Leistungen des damaligen Beklagten erheblich geringer als bei den normalen Kanalanschlüssen, während andererseits den Grundstückseigentümern nur ein Anschluss an die Kanalisation geboten werde, der mit erheblichen „Mehrunkosten“ für den einzelnen Eigentümer verbunden sei als in den Regelfällen.

Seit Anfang der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts bemühten sich der Oberstadtdirektor der Stadt I1. und später der Beklagte um eine Sanierung des fraglichen Kanals hinter den Häusern entlang der Straße B. I. . In diesem Zusammenhang kam es auch zu Besprechungen mit dem Regierungspräsidenten und dem zuständigen Ministerium, in denen diese die Ansicht vertraten, der im privaten Eigentum befindliche Kanal sei „ohne Zweifel“ ein öffentlicher Kanal. Öffentlich in diesem Sinne sei jeder Kanal, in welchem zwei oder mehr Abwasserteilströme zusammenflössen. Mitte der neunziger Jahre verhandelten die Eigentümer und die Stadt I1. über den Neubau eines Privatkanals, wobei die Mehrheit der Eigentümer sich in der Pflicht sah, die Kosten hierfür zu tragen, während der Rechtsvorgänger der Kläger meinte, die Sanierung bzw. Erneuerung des „Privatkanals“ sei Sache der Kommune, weil deren Pflicht dort beginne, wo das Abwasser von mindestens zwei Grundstücken zusammengeführt werde; Verträge zwischen den an einem solchen Kanal angeschlossenen Anliegern seien unerheblich. Später wurde seitens der Stadt I1. erwogen, den Kanal durch die Stadtentwässerung I1. AöR (SEH) sanieren zu lassen. Dies geschah jedoch nicht. Soweit der Beklagte Sanierungsmaßnahmen durchgeführte, stellte er diese den jeweiligen Eigentümern in Rechnung.

Mit Schreiben vom 22. Juni 2004 widersprach der Kläger einer entsprechenden Rechnung, die der Beklagte für die Beseitigung einer Verstopfung ausgestellt hatte. Er machte geltend: Die Verstopfung habe sich nicht auf seinem Grundstück eingestellt. Sie – die Kläger – hätten nur das „Pech“ gehabt, als erste das Problem zu erkennen, weil bei ihnen der Kanal durch den Keller verlaufe. Im Übrigen hätten sie erfahren, dass ein privater Kanal zu einem öffentlichen Kanal wird, wenn mehr als drei Haushalte angeschlossen seien. Weil dies hier der Fall sei, müsse die Stadt I1. für Wartung und Reinigung des Kanals sorgen.

Mit Schreiben vom 11. August 2004 legte der Beklagte dem Kläger seine Sicht der Angelegenheit dar: Die Häuser Im B. I. 5 bis 41 entwässerten über einen Privatkanal, der hinter den Gebäuden verlaufe und bei Haus Nr. 41 in den öffentlichen Kanal münde. Die öffentliche Abwasseranlage liege im Straßenbereich vor den Wohnhäusern. Seit der Herstellung des öffentlichen Kanals bestehe für jedes Grundstück die Möglichkeit und die Verpflichtung, das Schmutzwasser diesem Kanal direkt zuzuführen. Er – der Beklagte – habe bislang darauf verzichtet, separate Anschlusskanäle zu fordern. Die gemeinsame Ableitung über den Privatkanal sei für die Eigentümer kostengünstiger und werde im Hinblick auf die Unterhaltungsvereinbarung aus dem Jahre 1960 gestattet. Danach seien die Grundstückseigentümer verpflichtet, den gesamten Privatkanal gemeinsam zu reinigen und zu unterhalten bzw. die Kosten hierfür gemeinsam zu tragen. Als Miteigentümer habe der Kläger dem Beklagten den Auftrag erteilt, eine Verstopfung zu beseitigen. Dies habe er

– der Beklagte – getan, so dass der Kläger zahlungspflichtig sei.

Im Januar 2005 fand unter Beteiligung von Bediensteten des Beklagten eine Anwohnerversammlung statt, bei der seitens der Vertreter des Beklagten herausgestellt wurde, dass dieser eine Sanierung des Privatkanals ablehne und die Eigentümer entweder die Möglichkeit hätten, den Kanal zu sanieren oder ihre Grundstücke – nach der Errichtung eines separaten Regenwasserkanals in der Straße – an den Schmutzwasserkanal im Straßenkörper anzuschließen, wobei dies in den meisten Fällen nur mit Hilfe einer Hebeanlage möglich ist. Die Anlieger bildeten eine Arbeitsgruppe, welche die in der Versammlung aufgezeigten Möglichkeiten ausloten sollte. Ergebnisse der Tätigkeit dieser Gruppe sind allerdings nicht aktenkundig. Vielmehr war die Mehrzahl der Eigentümer gewillt, eine gerichtliche Klärung herbeizuführen.

Am 21. April 2009 haben die Kläger die vorliegende Klage erhoben, bei der es sich ausweislich eines Schreibens des Prozessbevollmächtigten der Kläger an den Beklagten um eine Musterklage auch für die weiteren betroffenen Eigentümer handelt. Die Kläger begründen eingehend ihre Rechtsansicht, wonach der hinter den Häusern bzw. unterhalb ihres Gebäudes verlaufende Kanal nordwestlich der Straße B. I. ein öffentlicher Kanal sei, weil er mehrere Grundstücke entwässere, er seitens der Behörden und – zwischenzeitlich – auch des Beklagten so eingeschätzt worden sei und er zum Entwässerungskonzept der Stadt I1. gehöre.

Die Kläger beantragen,

1. festzustellen, dass es sich bei der durch ihr Grundstück „B. I. “ verlaufenden Entwässerungsleitung um einen öffentlichen Kanal handelt,

2. den Beklagten zu verpflichten, diese Entwässerungsleitung auf seine Kosten zu sanieren, zu kontrollieren sowie dauerhaft zu unterhalten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit eingehenden Ausführungen begründet er seine Rechtsansicht, wonach es sich bei der streitigen Abwasserleitung um einen Privatkanal handele, auch wenn die beteiligten Behörden früher eine abweichende Auffassung vertreten hätten, die mittlerweile in der Rechtsprechung überholt sei.

Am 10. September 2009 hat der Berichterstatter vor dem Grundstück der Kläger die Streitsache mit den Parteien erörtert. Hierbei hat er sich auch einen Eindruck von den örtlichen Gegebenheiten verschafft. Auf die über diesen Termin gefertigte Niederschrift (Bl. 69 bis 71 der Gerichtsakte) wird verwiesen.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist mit dem Hauptantrag zu 1. als Feststellungsklage zulässig. Nach § 43 Abs. 1 Alt. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann mit dieser Klageart das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses festgestellt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Unter Rechtsverhältnis im Sinne dieser Vorschrift sind die aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer Rechtsnorm sich ergebenden rechtlichen Beziehungen einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache zu verstehen,

vgl. nur Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, 15. Auflage (2007), § 43 Rand-Nr. 11 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte.

Im vorliegenden Fall ist das Begehren der Kläger auf die Feststellung gerichtet, dass der in Rede stehende Abwasserkanal zum öffentlichen Kanalnetz der Stadt I1. bzw. der SEH gehört. Hierbei handelt es sich um ein der Feststellung zugängliches Rechtsverhältnis. Das berechtigte Interesse der Kläger an einer baldigen Klärung dieser Frage ist vor dem Hintergrund der Sanierungsbedürftigkeit der betreffenden Abwasserleitung offenkundig.

Die Klage mit dem Antrag zu 1. hat in der Sache allerdings keinen Erfolg. Bei dem fraglichen Kanal handelt es sich nicht um eine öffentliche Abwasserleitung, sondern um eine private Einrichtung der Eigentümer der Grundstücke nordwestlich der Straße B. I. . Diese Erkenntnis folgt aus der geschichtlichen Entwicklung der Anlage, die folgendes Bild zeigt:

Der Kanal wurde Anfang der dreißiger Jahre von den beteiligten Eigentümern eindeutig als private Anlage hergestellt. Weder die Eigentümer noch die damalige Stadt I1. handelten in der Absicht oder in dem Bewusstsein, es werde eine öffentliche Kanalisation geschaffen. Soweit die Stadt I1. seinerzeit überhaupt hinzugezogen wurde, erklärt sich dieser Umstand zwanglos aus der Zuständigkeit der Stadtverwaltung als Baupolizeibehörde. Auch nach damaligem Recht musste für die zu errichtenden Wohnhäuser die Erschließung gesichert sein; hierzu gehörte auch die entwässerungstechnische Erschließung (vgl. heute § 4 Abs. 1 Nr. 3 der Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen). Nachdem die Bauherren eine privatrechtliche Regelung der Beseitigung des Niederschlagswassers gefunden hatten und im Übrigen vorgesehen war, die sonstigen Abwässer einschließlich der Fäkalien wasserdichten Gruben zuzuführen, wurde diese Lösung augenscheinlich von der Stadt I1. gebilligt. Eine Übernahme der Abwasserleitung in die Zuständigkeit der Stadt ist hierdurch nicht erfolgt.

Die Umwandlung des bisherigen Regenwasserkanals in einen Schmutzwasserkanal Anfang der sechziger Jahre hat dessen rechtliche Qualität nicht verändert. Die aus jener Zeit vorliegenden Verlautbarungen sind insoweit eindeutig. So wird in dem Schreiben des Oberstadtdirektors der Stadt I1. an den Eigentümer des Grundstücks B. I. 27 vom 4. November 1959 gefordert, das Wohnhaus kurzfristig an den städtischen Kanal anzuschließen, und es wird weiter ausgeführt, der Anschluss vom städtischen Straßenkanal bis zur Grundstücksgrenze werde von einem Vertragsunternehmer der Stadt I1. hergestellt. Die wiederholte Erwähnung eines städtischen Kanals zeigt den Gegensatz auf zu dem privaten Kanal, der damals seit rund dreißig Jahren vorhanden war. Auch der Heranziehungsbescheid des Oberstadtdirektors vom 24. April 1962 zeichnet sich durch einen eindeutigen Wortlaut aus, wenn es dort heißt, das Grundstück B. I. sei nunmehr „betriebsfähig an die städtische Abwasseranlage angeschlossen“. Diese Formulierung zwingt zu dem Umkehrschluss, dass nach Auffassung der Beteiligten zuvor keine städtische Abwasseranlage vorhanden war. Die tatsächliche Umwandlung des bisherigen Regenwasserkanals in eine Leitung für sämtliche Abwässer hat seine rechtliche Qualität nicht verändert. Grundlage hierfür war die Vereinbarung aus Januar 1960, in der ausdrücklich betont wird, dass der Kanal „Privatkanal“ bleibe. Soweit die Stadt I1. die Funktionserweiterung des Kanals gebilligt hat, betraf diese Billigung auch die rechtliche Beschreibung des Kanals als private Einrichtung. Eine Übernahme in das öffentliche (städtische) Kanalnetz ist eindeutig nicht erfolgt.

Auch in den Jahren nach 1960 ist der fragliche Kanal keine öffentliche Einrichtung im Sinne des Klagebegehrens geworden. Damit eine Sache zu einer öffentliche Sache im Rechtssinne wird, bedarf es eines ausdrücklichen Rechtsakts, nämlich der sogenannten Widmung, wodurch die öffentlichrechtliche Sachherrschaft begründet, der öffentliche Zweck der Sache bestimmt und der Umfang ihrer möglichen Nutzung geregelt wird,

vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Band II, 6. Auflage (2000) Seite 687 (Rand-Nr. 1).

Eine Widmung kann erfolgen durch Gesetz, im Zuge eines förmlichen Verfahrens, durch einen ausdrücklich darauf gerichteten Verwaltungsakt, durch die Eintragung in ein öffentliches Register oder durch sogenannte „unvordenkliche Verjährung“, also die widerlegbare Vermutung der Öffentlichkeit der Sache,

vgl. zu alledem nur Wolff/Bachof/Stober a.a.O. Rand-Nummern 8 ff.

Im vorliegenden Fall lässt sich eine Widmung des fraglichen Abwasserkanals nicht feststellen.

Zunächst scheidet eine Widmung durch Gesetz aus, wobei als „Gesetz“ im hier interessierenden Sinne nur die jeweiligen Satzungen der Stadt I1. bzw. der SEH in Betracht kommen. Auf der Grundlage der geltenden Entwässerungssatzung (ES) ergibt sich hierzu folgende Rechtslage:

Nach § 1 Abs. 1 ES betreibt das von dem Beklagten repräsentierte Kommunalunternehmen die Abwasseranlagen als öffentliche Einrichtung. Nach Nr. 8 der Anlage I zu § 1 Abs. 5 ES gehören zu den öffentlichen Abwasseranlagen alle vom Kommunalunternehmen selbst oder in dessen Auftrag betriebene Anlagen und Fahrzeuge, die dem Sammeln usw. von Abwasser dienen; hierzu gehören auch Abwasseranlagen, die von Dritten hergestellt und unterhalten werden und die dem Kommunalunternehmen für die Einleitung der Abwässer zur Verfügung gestellt sind. Im vorliegenden Fall kommt allenfalls die zweite Alternative in Betracht, weil der Kanal von Dritten hergestellt und (nicht) unterhalten wurde. Es fehlt jedoch an dem Merkmal „zur Verfügung gestellt sind“. Zwar wünschen die Eigentümer, dass die SEH sich des Kanals bedient und ihn in ihre Verfügungsmacht übernimmt. Dies hat indessen die SEH bislang nicht unternommen. Eine „aufgedrängte Verfügung“ meint Anlage I zu § 1 Abs. 5 ES offensichtlich nicht.

§ 10 ff. ES verhalten sich ferner über die sogenannten Anschlusskanäle, mit denen die Grundstücke an die öffentliche Abwasseranlage anzuschließen sind. Hierzu heißt es in Nr. 9 der Anlage zu § 1 Abs. 5 ES, der Anschlusskanal verbinde die Grundstücksentwässerungsanlage mit der öffentlichen Abwasseranlage, wobei der Anschlusskanal nicht Bestandteil der öffentlichen Abwasseranlage sei. Dort (Nr. 9) wird ferner differenziert zwischen dem Hausanschlusskanal und dem Grundstücksanschlusskanal, die in ihrem Zusammenwirken den Anschlusskanal bilden. Diese Vorschrift ist zugeschnitten auf §§ 11 f. ES, wonach grundsätzlich jedes Grundstück einen eigenen Anschluss braucht und lediglich in Ausnahmefällen das Kommunalunternehmen einen gemeinsamen Anschlusskanal gestatten kann. Genau dies ist im vorliegenden Fall allerdings geschehen, indem die Stadt I1. im Jahre 1960 den seinerzeit betroffenen Eigentümern die Errichtung eines gemeinsamen Anschlusskanals gestattet hat, der nach Satzungsrecht nicht zur öffentlichen Abwasseranlage gehört. Danach lässt sich auch aus der einschlägigen Satzung eine Widmung des fraglichen Rohres zur öffentlichen Sache nicht feststellen.

Auch die früheren Satzungen der Stadt I1. enthalten keine Vorschriften, auf deren Grundlage der Privatkanal zur öffentlichen Sache hätte werden können. Die Entwässerungssatzung der Stadt I1. vom 20. September 1989 unterschied in den §§ 7, 8 zwischen Grundstücksentwässerungsanlagen und Anschlusskanälen (Haus- und Grundstücksanschlüsse), wobei letztere die Verbindung zwischen der öffentlichen Abwasseranlage und dem Revisionsschacht auf dem (privaten) Grundstück bildeten. Nach § 8 Abs. 2 der Satzung sollte jedes Grundstück einen eigenen Kanalanschluss haben, wobei diese Formulierung der Errichtung eines gemeinsamen Anschlusskanals für mehrere Grundstücke im Einzelfall erkennbar nicht entgegenstand. Die Entwässerungssatzung vom 19. Dezember 1980 stellte in ihrem § 1 Abs. 3 ausdrücklich klar, dass Haus- und Grundstücksanschlüsse nicht zu der öffentlichen Abwasseranlage gehörten, wobei nach § 9 Abs. 3 gestattet werden konnte, dass unter besonderen Verhältnissen mehrere Grundstücke durch einen Anschlusskanal entwässern. Nach diesen Satzungsbestimmungen war der im vorliegenden Fall streitige Kanal ein Anschlusskanal für mehrere Grundstücke und somit nach § 1 Abs. 3 ES 1980 nicht Bestandteil der öffentlichen Abwasseranlage. Die Entwässerungssatzung vom 10. Januar 1972 eröffnete in ihrem § 11 Abs. 2 ebenfalls die Möglichkeit, mehrere Grundstücke durch einen gemeinsamen Anschlusskanal zu entwässern, wobei die jeweiligen Unterhaltungs- und Benutzungsrechte sowie die Pflichten schriftlich festgelegt und entweder durch eine Baulast oder grundbuchlich gesichert werden mussten. Auch unter der Geltung der Entwässerungssatzung 1972 war der fragliche Kanal mithin eine private Einrichtung, wobei die in § 11 Abs. 2 ES 1972 normierte Forderung nach einer schriftlichen Festlegung der Rechte und Pflichten angesichts der Vereinbarung aus Januar 1960 erfüllt war. Die Entwässerungssatzung vom 4. November 1963 schließlich definierte in ihrem § 1 Abs. 1 die Entwässerungsanlage als öffentliche Einrichtung, wobei der Stadt I1. nur der Transport der Abwässer von den Einleitungsstellen bis zu den Klärwerken oblag. § 8 ES 1963 enthielt zahlreiche Regelungen betreffend die Grundstücksentwässerungsanlagen, für deren ordnungsgemäßer Betrieb und für deren Unterhaltung allein die Anschlussberechtigten verantwortlich waren. Im Übrigen liefert § 8 ES 1963 ebenfalls keine Hinweise darauf, dass nach damaligem Satzungsrecht ein privater Kanal, an dem mehrere Grundstücke angeschlossen waren, allein durch diesen Umstand ein öffentlicher Kanal war.

Ausweislich des gesamten Akteninhalts ist eine Widmung des Kanals zur öffentlichen Sache auch nicht durch eine entsprechende Verwaltungsentscheidung (Verwaltungsakt) des Beklagten bzw. früher des Oberstadtdirektors der Stadt I1. erfolgt. Zutreffend ist freilich der Hinweis der Kläger und ihres Prozessbevollmächtigten darauf, dass in den neunziger Jahren, ausgehend von entsprechenden Ãußerungen der Bezirksregierung, Bedienstete der Stadtverwaltung I1. der Rechtsansicht waren, angesichts der mehreren Grundstücken dienenden Funktion des Kanals gehöre dieser zur öffentlichen Abwasserbeseitigung I1. . Allein eine Rechtsansicht und auch die Verlautbarung einer solchen Ansicht vermögen indessen eine Widmung nicht auszulösen. Damit eine Widmung im Wege des Erlasses eines Verwaltungsakts angenommen werden kann, muss eine behördliche Ãußerung festgestellt werden können, die der Definition des Verwaltungsakts, wie sie in § 35 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) niedergelegt ist, entspricht. Es muss eine hoheitliche Maßnahme zur Regelung eines Einzelfalls mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen vorliegen, an der es hier fehlt. Selbst wenn seinerzeit beim Oberstadtdirektor der Stadt I1. und im Hause des Beklagten vorübergehend die Auffassung bestanden haben mag, der fragliche Kanal sei eine öffentliche Sache, für deren Unterhaltung die Stadt I1. oder die SEH verantwortlich seien, ist eine Rechtsmeinung noch keine „Maßnahme“ im Sinne von § 35 VwVfG, zumal sie auch keinen regelnden Charakter im Sinne dieser Vorschrift zu entfalten vermag. Nur beiläufig sei insoweit festgestellt, dass die einschlägigen Ãußerungen aus dem Hause des Beklagten auch gar nicht eindeutig waren. Gerade der in der mündlichen Verhandlung erörterte Besprechungsvermerk vom 3. März 1999 ist sogar in gewisser Weise widersprüchlich, wenn dort einerseits gesagt wird, die Sanierung der Abwasserverhältnisse müsse durch die SEH erfolgen, wobei die Sanierung sich auf den „bestehenden bisherigen Privatkanal“ beziehe. Etwas weiter ist dort von dem „bestehenden bzw. noch auszubauenden öffentlichen Kanal in der Straße B. I. “ die Rede, womit als bestehender öffentlicher Kanal augenscheinlich nicht der hinter bzw. unter den Wohnhäusern nordwestlich der Straße verlaufende Kanal gemeint war. Von einer eindeutigen Ãußerung des Beklagten bzw. des Oberstadtdirektors dahin, jener Kanal sei Teil der öffentlichen Abwasseranlagen, kann nach alledem nicht die Rede sein.

Für eine „Widmung kraft unvordenklicher Verjährung“ ist im vorliegenden Fall kein Raum. Dieses Institut greift nur dort Platz, wo die rechtliche Qualität einer tatsächlich öffentlichen Sache nicht bis zu den Anfängen zurückverfolgt werden kann, jedoch eine widerlegbare Vermutung für die Öffentlichkeit anzuerkennen ist. Dem gegenüber kann im vorliegenden Zusammenhang die Historie von der Errichtung des Kanals Anfang der dreißiger Jahre bis in die heutige Zeit nachgewiesen werden, so dass von „Unvordenklichkeit“ nicht die Rede ist.

Es ist schließlich auch keine Widmung durch ein schlüssiges Verhalten des Oberstadtdirektors der Stadt I1. bzw. des Beklagten ersichtlich. Namentlich hat die SEH in der Vergangenheit Sanierungs- und Reparaturarbeiten nicht etwa in eigenem Namen durchgeführt, sondern sie ist stets auf Kosten und auf Rechnung der Anlieger tätig geworden. Gerade das vorliegende Verfahren wurde nicht zuletzt dadurch ausgelöst, dass die SEH den Klägern eine Rechnung für die Beseitigung einer Verstopfung präsentierte, mit der die Kläger – aus ihrer Sicht folgerichtig – nicht einverstanden waren. Ein konkretes Verhalten des Beklagten, das als konkludente Widmung aufgefasst werden könnte, war und ist an keiner Stelle ersichtlich.

Nach alledem erweist sich der Klageantrag zu 1. als unbegründet: Der durch das Grundstück der Kläger verlaufende Kanal ist keine öffentliche Entwässerungsleitung.

Auch der zweite Antrag ist als Leistungsklage zulässig, jedoch nicht begründet. Der Beklagte bzw. die von ihm repräsentierte SEH ist nicht verpflichtet, den Kanal zu sanieren, zu kontrollieren und ihn dauerhaft zu unterhalten. Ausgehend von der zuvor gewonnenen Erkenntnis, dass die fragliche Leitung nicht zur öffentlichen Abwasseranlage gehört, sondern sie als Anschlusskanal im Sinne von § 11 ES anzusehen ist, greift § 11 Abs. 5 ES ein, wonach die Herstellung, Erneuerung und Veränderung sowie die laufende Unterhaltung der Grundstücksentwässerungsanlagen bis zur öffentlichen Abwasseranlage von den Grundstückseigentümern durchzuführen ist. Zwar ist diese Vorschrift zugeschnitten auf die „Normalsituation“, in der einem Grundstück mit einem Grundstückseigentümer eine Grundstücksentwässerungsanlage zugeordnet ist. Sie muss indessen auch in dem vorliegenden Sonderfall greifen, weil die Satzung gleichsam ein „Mittelding“ zwischen Grundstücksentwässerungsanlage und öffentlicher Abwasseranlage nicht kennt. Wenn und soweit eine Abwasserleitung nicht zur öffentlichen Abwasseranlage gehört, sind der Beklagte und die SEH für deren Unterhaltung nicht zuständig. Befindet sich die Leitung – wie hier – im Eigentum einer Vielzahl von Grundstückseigentümern, müssen diese eine Einigung über die notwendigen Maßnahmen treffen, auch wenn dies im Einzelfall beträchtliche Probleme bereiten kann. Ein sachgerechter Schritt zu deren Lösung wurde ja auch schon unternommen: Der Anfang 2005 gegründete Arbeitskreis müsste in der Lage sein, mit Unterstützung des Beklagten eine für alle Grundstückseigentümer tragbare Lösung zu erarbeiten; das Gericht kann in der vorliegenden Konstellation aus den zuvor dargestellten Gründen keine Hilfen anbieten.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO.

Das Gericht sieht davon ab, die Berufung zuzulassen, weil die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen. Insbesondere kommt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zu, obwohl die Kläger den Prozess als „Musterverfahren“ betreiben, dessen Ausgang auch für die übrigen Eigentümer von beträchtlicher Bedeutung ist. Dies verleiht der Rechtssache gleichwohl keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil der Streit nur die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse eines Einzelfalls, nämlich eines Abwasserkanals, zum Gegenstand hat.