Ax Rechtsanwälte

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VK Hessen: Der soziale Wohnungsbau und die soziale Wohnraumförderung stellen als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe dar

vorgestellt von Thomas Ax

Die Beurteilung, ob eine Aufgabe „nichtgewerblicher Art“ vorliegt, kann nicht abstrakt festgestellt werden, sondern ist durch Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Dabei ist der Begriff des öffentlichen Auftraggebers jedoch weit auszulegen. Ob eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nichtgewerblicher Art vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände, die zur Gründung der betreffenden Einrichtung geführt haben, und der Voraussetzungen, unter denen sie ihre Tätigkeit ausübt, zu beurteilen. Der soziale Wohnungsbau und die soziale Wohnraumförderung stellen als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe dar. In diesem Bereich tätige kommunale Wohnungsbaugesellschaften üben die im Allgemeininteresse liegende Aufgabe regelmäßig auch dann in nichtgewerblicher Art aus, wenn sie daneben in Gewinnerzielungsabsicht unter Marktbedingungen Wohnraum anbieten. Es entspricht dem typischen Bild heutiger kommunaler Wohnungsbaugesellschaften, dass sie die Aufgabe der sozialen Wohnraumförderung mit der Tätigkeit eines nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten agierenden Wohnungsunternehmens verbinden. Das ändert nichts daran, dass die im Allgemeininteresse liegende besondere Aufgabe der sozialen Wohnraumförderung eine solche nichtgewerblicher Art ist. Um als Rüge zu gelten, muss die fragliche Äußerung des späteren Antragstellers gegenüber der Vergabestelle zwar nur erkennen lassen, dass er einen bestimmten Sachverhalt als Vergaberechtsverstoß ansieht und eine Abhilfe erwartet. Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller persönlich – ohne Anwalt – sowohl Rüge als auch das Verfahren vor der Vergabekammer betreiben kann, dürfen an den Wortlaut auch keine hohen Anforderungen gestellt werden. Insbesondere muss eine Rüge nicht ausdrücklich als solche bezeichnet werden. Ein Schreiben erfüllt nur dann die Anforderungen einer Rüge, wenn nach dem objektiven Empfängerhorizont zumindest durch Auslegung eindeutig erkennbar ist, dass nicht nur eine Anregung zur Optimierung eines Vergabeverfahrens gegeben werden soll, sondern ein Rechtsfehler geltend gemacht wird.
VK Hessen, Beschluss vom 18.11.2021 – 69d-VK-3/2021
nachfolgend:
OLG Frankfurt, Beschluss vom 15.03.2022 – 11 Verg 10/21


Gründe:

I.

Mit Vorinformation vom 4. September 2020, veröffentlicht im Supplement zum EU-Amtsblatt vom 9. September 2020 schrieb die Antragsgegnerin die „Errichtung einer vollständig neuen Infrastruktur und öffentlichen Erschließung der Konversionsfläche „- “ in t“ im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb aus (EU-ABl. 2020/ ###; HAD-Vergabenummer ###). Hierzu gehören Kanalbau sowie Straßenbauleistungen.

Gemäß Ziff. II. 1.5 der Vorinformation beläuft sich der geschätzte Gesamtwert des Auftrages auf ohne Mehrwertsteuer. Unter Ziff. II. 2.10 der Vorinformation war festgelegt, dass Varianten/Alternativangebote zulässig sind. Als Zuschlagskriterien waren unter Ziff. II. 2.5 der Vorinformation der Preis und das Kriterium „Leistungsfähigkeit, gemäß Kriterienkatalog“ mit je 50% genannt. Bestandteil der Vergabeunterlagen war eine Aufforderung zur Angebotsabgabe nach Formblatt 211 EU des Vergabehandbuchs des Bundes (VHB) und Teilnahmebedingungen EU nach Formblatt 212 EU (VHB). Unter Ziffer 6.2 der Aufforderung zur Angebotsabgabe war festgelegt, dass Nebenangebote für die gesamte Leistung, nur in Verbindung mit einem Hauptangebot zugelassen sind“ (Ordner 5, Bl. 4 der Vergabeakte).

Die Teilnahmebedingungen für die Vergabe von Bauleistungen (Formblatt 212 EU) enthalten in Ziffer 4.1 den Passus:

„Nebenangebote müssen die geforderten Mindestanforderungen erfüllen; dies ist mit Angebotsabgabe nachzuweisen.“ (Ordner 5, Bl. 6 der Vergabeakte).

Die Vergabeunterlagen verweisen im Hinblick auf Frost- und Schottertragschichten von Trag- und Deckschichten grundsätzlich auf die zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen (ZTV T-StB) in der Form, dass deren Vorgaben grundsätzlich einzuhalten sind, jedoch ausweislich der Leistungsbeschreibung (HLV) stets. „natürlichen Gesteinskörnungen“ zu verwenden sind (Ordner 5, Bl. 159 ff. d. Vergabeakte).

Das Leistungsverzeichnis stellt hinsichtlich der Oberfläche der Betonfertigteile der Sitzringe des Quartierscarré in OZ 3.6.120. an deren Oberflächenqualität folgende Anforderungen

„… als Sichtbeton, mit besonderen Anforderungen, Klasse SB 4 gemäß DBV-Merkblatt „Sichtbeton“, Ausgabe August 2004. Keine Versetzhilfen, die Werksteine sind mit geeignetem Gerät (Versetzzange, Vakuumgerät…) ohne Versetzspuren einzubauen, an den Fugen sind durch geeignete Schutzmaßnahmen Abplatzungen zu vermeiden; alle sichtbaren Kanten mit Minifase, Oberfläche zusätzlich geglättet und hydrophobiert.“ (Ordner 5, Bl. 185 der Vergabeakte).

Der Auftrag sollte in einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb vergeben werden. Als Schlusstermin für den Eingang von Interessenbekundungen war der 22. Oktober 2020 festgelegt.

Die Antragstellerin hat ihr Interesse an dem Auftrag bekundet und am 21. Oktober 2020 einen Teilnahmeantrag eingereicht.

Am 22. Dezember 2020 reichte die Antragstellerin ein Hauptangebot und 3 Nebenangebote ein. Der Angebotspreis für das Hauptangebot der Antragstellerin lag bei brutto (Ordner 10, Bl. 288 d. Vergabeakte). Das Nebenangebot Nr. 1 sah in den Oz. 8.1.10. bis 8.1.90 eine Frostschutzschicht aus „Recycling-Material“, in den Oz. 8.1.100. bis 8.1.180 eine kombinierte Frost- und Schottertragschicht aus „Recycling-Material“ vor (Ordner 10, Bl. 360ff. d. Vergabeakte). Das Nebenangebot Nr. 2 betraf Straßenausstattungen und Markierungen und sah eine Preisreduktion von brutto vor (Ordner 10, Bl. 368 d. Vergabeakte). Das Nebenangebot Nr. 3 beinhaltete ebenfalls alternative Straßenausstattungen und Markierungen mit einer Preisreduktion in Höhe von brutto (Ordner 10, Bl. 372 d. Vergabeakte). Dieses Nebenangebot beinhaltete in Abweichung von Nebenangebot Nr. 2 eine konstante Sitzflächenbreite von 40 cm (Ordner 10, Bl. 373 d. Vergabeakte). Das Nebenangebot Nr. 1 war mit den Nebenangeboten Nr. 2 oder 3 kombinierbar. Die Nebenangebote 2 und 3 schlossen sich gegenseitig aus.

Auch die Beigeladene reichte am 22. Dezember 2020 ein Hauptangebot sowie ein Nebenangebot ein. Der Angebotspreis des Hauptangebots belief sich auf brutto (Ordner 10, Bl. 2 d. Vergabeakte). Ihr Nebenangebot sah im Unterschied zum Hauptangebot einen Nachlass bezüglich der Oberfläche der Sitzmöbel „Betonfertigteile mit geschliffener oder gestrahlter Oberfläche“ vor (Ordner 10, Bl. 24 d. Vergabeakte) und beinhaltete im Vergleich zum Hauptangebot eine Preisreduktion in Höhe von brutto (Ordner 10, Bl. 4 d. Vergabeakte).

Am 15. Januar 2021 fand ein Aufklärungsgespräch mit Vertretern der Antragstellerin über den Inhalt ihres Angebotes statt. Die Vergabeakte enthält hierzu ein Verhandlungsprotokoll „Aufklärung über Angebotsinhalte“ (Ordner 14, Bl. 287ff. d. Vergabeakte), das unter Ziffer 11. folgende handschriftliche Anmerkungen enthält: „Nebenangebot 1 (Recyclingmaterial) wird abgelehnt“ sowie „Nebenangebot 3 (Sitzbreite) nicht gleichwertig, wird abgelehnt“. Das Protokoll wurde von Vertretern der Antragstellerin sowie der Antragsgegnerin unterzeichnet. Rügen hinsichtlich etwaiger Vergaberechtsverstöße wurden in der Folge zunächst nicht erhoben.

Mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 27. Januar 2021 wurde der Antragstellerin mitgeteilt, dass die Antragsgegnerin beabsichtige, den Zuschlag am 8. Februar 2021 auf das Angebot der Beigeladenen inkl. Nebenangebot vom 22.12.2020 in Höhe von brutto zu erteilen. Auf das Angebot der Antragstellerin könne der Zuschlag aus nicht erteilt werden, da ein wirtschaftlicheres Nebenangebot vorliege. Das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin könne nach Rücksprache mit der aufgrund des Angebots von Recycling-Material nicht gewertet werden. Das Nebenangebot Nr. 3 habe aus gestalterischen Gründen nicht gewertet werden können. Die erfolgte Wertung des Nebenangebots Nr. 2 reiche nicht aus, um das wirtschaftlichste Angebot zu werden.

Mit Schreiben vom 2. Februar 2021 beanstandete die Antragstellerin Vergaberechtsverstöße. Sie rügte zum einen die ihrer Auffassung nach unzureichende Begründung der Nichtberücksichtigung ihres Nebenangebotes Nr. 1, die unterlassene Wertung ihres Nebenangebotes Nr. 1 und den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen.

Mit Schreiben vom 3. Februar 2021 teilte die Antragsgegnerin mit, dass der Rüge der Antragstellerin nicht abgeholfen werden könne. Hier führte die Antragsgegnerin aus, dass es bei der Bewertung des Nebenangebotes Nr. 1 der Antragstellerin die Bieterreihenfolge unverändert geblieben wäre. Das Nebenangebot der Beigeladenen belaufe sich auf brutto, das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin hingegen auf brutto.

Mit E-Mail vom 5. Februar 2021 rügte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin weitere Vergaberechtsverstöße im Hinblick auf das Nebenangebot Nummer 3 der Antragstellerin. Außerdem beanstandet die Antragstellerin hilfsweise die Verpflichtung zur Bekanntgabe ausreichend transparenter Mindestanforderungen für Nebenangebote (§ 8 EU Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 lit. b) VOB/A).

Die Antragstellerin ist der Ansicht, der Ausschluss ihres Nebenangebotes Nr. 1 sei aus zweierlei Gesichtspunkten vergaberechtswidrig. Zum einen entspreche die Begründung des Ausschlusses vom 27. Januar 2021 nicht den Anforderungen des § 134 Abs. 1 GWB. Dieses Schreiben führe nicht hinreichend aus, warum das von der Antragstellerin angebotene Recyclingmaterial nicht zugelassen wurde. Der Verweis auf die Rücksprache mit der sei hierbei nicht ausreichend.

Zum anderen liege in der Nichtbewertung des Nebenangebots Nr. 1 der Antragstellerin durch die Antragsgegnerin ein Vergaberechtsverstoß. Dieses Nebenangebot erfülle sämtliche Mindestanforderungen. Zu Nebenangeboten seien keine zusätzlichen Mindestanforderungen aufgestellt worden. Die Nicht-Bewertung des Nebenangebots Nr. 1 aufgrund des angebotenen Recyclingmaterials verstoße gegen Vergaberecht, da solches Material nach den zusätzlichen technischen Vertragsbedingungen (ZTVT-StB), auf die die Leistungsbeschreibung der Antragsgegnerin bezugnehmend, sowie aus der VOB/C, die gemäß § 8 EU Abs. 1 VOB/A gelte, zulässig sei. Soweit sich die Antragsgegnerin hinsichtlich der Begründung der Nichtwertung darauf beziehe, dass sie im Hauptangebot eine natürliche Gesteinskörnung fordere, könne dies nicht zum Ausschluss des Nebenangebot führen, da es grade Sinn und Zweck der Nebenangebote sei, Alternativen zum Hauptangebot anzubieten.

Sie meint darüber hinaus, dass das Nebenangebot der Beigeladenen gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Nr. 5 VOB/A auszuschließen sei, da es uneindeutige Angaben enthalte. Hinsichtlich der Oberfläche der Betonfertigteile der Sitzringe des Quartierscarré sehe dieses eine Oberflächenqualität in „geschliffen oder gestrahlt“ vor, woraus sich kein eindeutiges Angebot ergebe.

Sie beantragt,

1. Der Antragsgegnerin zu untersagen, in dem Vergabeverfahren „Errichtung einer vollständigen neuen Infrastruktur und öffentlichen Erschließung der Konversionsfläche ‚ ‚ in “ (Vergabe-Nr. 2020/S. 175 – 421653) den Zuschlag auf das Angebot der, zu erteilen und die Antragsgegnerin zugleich zu verpflichten, die Angebote unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer neu zu werten,

2. der Antragstellerin umfassende Einsicht in die Vergabeakten gemäß § 165 Abs. 1 GWB zu gewähren,

3. die Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der zu zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen aufzuerlegen,

4. Die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin für notwendig zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

1. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 5. Februar 2020 als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen,

2. die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin für notwendig zu erklären,

3. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin aufzuerlegen,

4. Der Antragstellerin keine umfassende Akteneinsicht zu gewähren.


Sie ist der Ansicht, der Nachprüfungsantrag sei bereits unzulässig, da es sich bei der Antragsgegnerin nicht um einen öffentlichen Auftraggeber i.S.d. § 99 Nr. 2 GWB handele. Die Antragsgegnerin sei nur aufgrund eines städtebaulichen Vertrags mit der zur Durchführung eines Vergabeverfahrens nach den Vorschriften des GWB verpflichtet. Die Antragsgegnerin nehme keine im allgemeinen Interesse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art wahr. Bei ihr handele es sich um ein Wirtschaftsunternehmen, das mit Gewinnerzielungsabsicht im Wettbewerb agiere.

Außerdem trägt sie vor, die Antragstellerin sei bereits nicht antragsbefugt, da ihr kein Schaden drohe. Selbst bei Wertung ihres Nebenangebotes Nr. 1 liege sie in der Wertung hinter dem Angebot der Beigeladenen.

Außerdem sei die Antragstellerin mit ihrem Vortrag hinsichtlich der Nichtwertung ihres Nebenangebots Nr. 1 präkludiert. Sie habe diesen Vergaberechtsverstoß nicht rechtzeitig gerügt. Bereits seit dem Bietergespräch vom 15. Januar 2021 habe die Antragstellerin Kenntnis davon erlangt, dass ihr Nebenangebot Nr. 1 nicht zur Wertung komme, weshalb sie dies gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nummer 1 GWB hätte rügen müssen. Bereits zu diesem Zeitpunkt habe die finale Entscheidung der Antragsgegnerin festgestanden, was auch der Antragstellerin bekannt gewesen sei. Die Rüge am 2. Februar 2021 sei demnach verspätet.

Auch mit ihrem Vortrag bezüglich ihres Nebenangebotes Nr. 3 sei die Antragstellerin rekrutiert, da sie auch von diesem von ihr vorgebrachten Vergaberechtverstoß bereits seit dem 15. Januar 2021 Kenntnis hatte und demnach binnen 10 Kalendertagen hätte rügen müssen. Bereits zu diesem Zeitpunkt sei der Antragstellerin bekannt gewesen, dass die Antragsgegnerin den Vorschlag der Antragstellerin als nicht gleichwertig ansah.

Die Beigeladene beantragt,

1.den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 5. Februar 2021 als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen,

2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der beigeladenen aufzuerlegen.

Sie ist der Ansicht, die Antragsgegnerin sei kein öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 2 GWB. Die Tatsache, dass die Antragsgegnerin auch sozialen Wohnungsbau betreibe, reiche nicht aus, die Antragsgegnerin als Auftraggeber in diesem Sinne zu klassifizieren; es komme vielmehr auf die Tätigkeit im Einzelnen an. Vorliegend betreibe die Antragsgegnerin Leistungen im Wettbewerb und mit Gewinnerzielungsabsicht.

Sie meint darüber hinaus, mangels anderer Angaben handele es sich bei der Mindestanforderung „natürliche Gesteinskörnung“ auch um eine Mindestanforderung für die Nebenangebote.

Mit Verfügung der Vergabekammer vom 6. Mai 2021wurde die Beigeladene dem Verfahren hinzugezogen. Die Vergabekammern hat den Beteiligten mit Verfügung vom 17. September 2021 einen rechtlichen Hinweis zu den Erfolgsaussichten des Antrags erteilt und darin bereits darauf hingewiesen, dass der Nachprüfungsantrag nach Ansicht der Vergabekammer teilweise unzulässig und offensichtlich unbegründet ist.

II.

Die Vergabekammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da gemäß § 166 Abs. 1 Satz 3 Var. 2 und 3 GWB der Nachprüfungsantrag teilweise unzulässig und im Übrigen offensichtlich unbegründet war.

1. Der Antrag ist teilweise unzulässig.

a. Der Rechtsweg zu den Vergabekammern des Landes Hessen ist eröffnet. Insbesondere ist der Schwellenwert gem. § 106 Abs. 2 Nr. 1 GWB i.V.m. Art. 4 lit. a der RL 2014/24/EU i.V.m. Delegierte Verordnung (EU) 2019/1828 der Kommission vom 30. Oktober 2019 ist überschritten. Die Schätzung des Auftragswertes durch die Antragsgegnerin überschreitet 5.350.000; – Euro brutto. Sie liegt bei brutto. Der von der Antragsgegnerin geschätzte Nettoauftragswert beträgt.; -Euro. Gem. §§ 156 Abs. 2, 159 Abs. 3 S. 1 GWB ist die ausschließliche sachliche und örtliche Zuständigkeit der Hessischen Vergabekammern eröffnet.

Soweit die Antragsgegnerin die Auffassung vertritt, sie sei kein öffentlicher Auftraggeber i. S. d. § 99 GWB, führt dies jedenfalls vorliegend nicht zu einer Unzulässigkeit des Antrags. Hierbei handelt es sich um eine Frage der Anwendbarkeit des Oberschwellenvergaberechts nach dem 4. Teil des GWB, mithin um eine Frage der Begründetheit des Antrags. Für die Zulässigkeit des Antrags reicht es hingegen aus, dass die Antragstellerin eine Rechtsverletzung i. S. d. § 97 Abs. 6 GWB durch einen öffentlichen Auftraggeber behauptet und hinreichend darlegt. Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt.

b. Die Antragstellerin ist antragsbefugt i. S. d. § 160 Abs. 2 GWB. Gemäß § 160 Abs. 2 Satz 1 GWB ist jedes Unternehmen, das ein Interesse an dem öffentlichen Auftrag oder der Konzession hat und eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften geltend macht, antragsbefugt. Gemäß § 160 Abs. 2 Satz 2 GWB ist darzulegen, dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.

Dafür reicht es aus, wenn eine Verletzung eigener Rechte möglich erscheint (BGH Beschluss v. 10.11.2009, Az.: X ZB 8/09, NZBau 2010, 124, 126). Generell droht dem Antragsteller, der sich mit einem Angebot am beanstandeten Vergabeverfahren beteiligt hat, ein Schaden durch eine Verletzung von Vergabevorschriften, wenn das Vergabeverfahren ursächlich aufgrund der behaupteten Rechtsverletzung nicht durch einen Zuschlag beendet werden darf und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung oder zumindest eine (teilweise) Rückversetzung des Vergabeverfahrens in Betracht kommt (BGH Beschluss v. 10.11.2009, Az.: X ZB 9/09, Rn. 31.). Dafür ist allein auf den Vortrag des Antragstellers abzustellen. In diesem Sinn genügt eine Darlegung, dass der Antragsteller im Fall eines ordnungsgemäßen (neuerlichen) Vergabeverfahrens bessere Chancen haben könnte als im beanstandeten Verfahren oder die Aussichten des Antragstellers auf eine Erteilung des Auftrags im beanstandeten Vergabeverfahren zumindest verschlechtert worden sein können (Dicks in: Ziekow/Völlink, Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 160 Rn. 23 m.w.N.).

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Die Antragstellerin hat nachvollziehbar und substantiiert geltend gemacht, dass ihr durch die Nichtberücksichtigung ihres Nebenangebotes Nr.1 möglicherweise insofern ein Schaden drohe, als sie hierdurch nicht den Zuschlag auf den streitgegenständlichen Auftrag erhält und dass bei Berücksichtigung dieses Nebenangebots ein Zuschlag auf ihr Angebot möglich sein könne.

Sofern die Antragsgegnerin diese Schadensmöglichkeit bestreitet und anhand eigener Rechnungen darlegt, dass sich auch bei erfolgter Wertung des Nebenangebots Nr. 1 der Antragstellerin die Bieterreihenfolge nicht ändern würde, ist dieser Vortrag nicht in der Lage, die Antragsbefugnis der Antragstellerin in Zweifel zu ziehen. Um die Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu gewährleisten, ist im Rahmen der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags vorliegend im Zweifel die Rechnung der Antragstellerin zu Grunde zu legen und im Zweifel im Rahmen der Begründetheit eine diesbezügliche Entscheidung zu treffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.7.2004, NZBau 2004, 564, 565 f.).

c. Die Antragstellerin ist aber gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB hinsichtlich der Vergaberechtsverstöße betreffend den Ausschluss ihrer Nebenangebote zu 1 und zu 3 präkludiert, da sie diese nicht rechtzeitig gerügt hat.

Gemäß § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB ist ein Antrag unzulässig, soweit der Antragsteller den geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften vor Einreichen des Nachprüfungsantrags erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht innerhalb einer Frist von zehn Kalendertagen gerügt hat.

Die Pflicht zur unverzüglichen Rüge beginnt dann, wenn dem Bieter ein Vergaberechtsverstoß positiv bekannt ist, er also bestimmte Tatsachen kennt, die bei vernünftiger, auch laienhafter rechtlicher Würdigung einen Mangel des Vergabeverfahrens darstellen können, wobei er die Augen nicht mutwillig vor der Erkenntnis verschließen darf (Nowak in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB § 160 Rn. 67 ff., beckonline m. w. N.; Dicks in: Ziekow/Völlink, a.a.O., GWB § 160 Rn. 40).

Erforderlich ist, dass der Antragsteller nicht lediglich positive Kenntnis von den einen Vergaberechtsverstoß begründenden tatsächlichen Umständen, sondern aufgrund laienhafter, vernünftiger Bewertung zugleich die positive Vorstellung von einem Verstoß gegen Vergabevorschriften gewonnen hat (BGH Beschluss vom 26.9.2006 – X ZB 14/06 Rn. 35, NZBau 2006, 800 = VergabeR 2007, 59; OLG München Beschluss vom 16.4.2009 – Verg 3/09, NZBau 2009, 467; OLG Düsseldorf Beschluss vom 12.3.2008 – Verg 56/07, BeckRS 2008, 21252 = VergabeR 2008, 671; Beschluss vom 4.3.2004 – Verg 8/04, BeckRS 2009, 7999 = VergabeR 2004, 511 (512); Dicks in: Ziekow/Völlink, a.a.O., GWB § 160 Rn. 40).

Für die Kenntnis der rechtlichen Bedeutung eines Sachverhalts ist auf eine laienhafte, vernünftige Bewertung abzustellen. (Dicks in: Ziekow/Völlink, a.a.O., § 160 GWB Rn. 40 m.w.N.). Die Rügeobliegenheit des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB erstreckt sich dabei auch auf Zwischenentscheidungen (Vorfestlegungen) des Auftraggebers (Dicks in: Ziekow/Völlink, GWB § 160 Rn. 41).

aa. Dass die Antragstellerin bereits seit dem Bietergespräch am 15. Januar 2021 Kenntnis davon hatte, dass die Antragsgegnerin deren Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 nicht in die Wertung einbeziehen würde und dass es sich hierbei um einen potentiellen Vergaberechtsverstoß handelt, steht zur Überzeugung der Vergabekammer fest.

Unstreitig ist zwischen den Beteiligten, dass bereits im Bietergespräch am 15. Januar 2021 darüber gesprochen wurde, dass die Antragsgegnerin die Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 der Antragstellerin nicht gewertet werden würden. Das Nebenangebot Nr. 1 sollte aufgrund des angebotenen Recyclingmaterials und nach Rücksprache mit einem Mitarbeiter der, das Nebenangebot Nr. 3 wegen der vom Amtsentwurf stark abweichenden Sitzfläche abgelehnt werden. Dass es zu einem Gespräch von entsprechendem Inhalt zwischen Vertretern der Antragstellerin sowie der Antragsgegnerin gekommen ist, wird bereits von der Antragstellerin vorgetragen. Sie selbst führt auch an, dass eine voraussichtliche Ablehnung dieser beiden Nebenangebote durch die Vertreter der Antragsgegnerin thematisiert wurde.

Entsprechendes ergibt sich auch aus dem von der Antragstellerin als Anlage AST 7 vorgelegten Protokoll. Die unter Ziffer 11 gemachten handschriftlichen Angaben stellt zu Überzeugung der Vergabekammer unter Beweis, dass zumindest eine vorläufige Entscheidung seitens der Antragsgegnerin zum Ausschluss der Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 der Antragstellerin und der Gründe hierfür bereits in diesem Gespräch gegenüber den Vertretern der Antragstellerin kommuniziert worden ist.

Zweifel daran, dass wenigstens diese Punkte im genannten Gespräch zur Sprache kamen ergeben sich weder aus dem Vortrag der Antragstellerin selbst, noch aus dem vorgelegten Protokoll. Letzteres stellt sich für die Vergabekammer als ausführlich und detailreich dar.

bb. Ob es sich bei dem im Aufklärungsgespräch in Aussicht gestellten Ausschluss der beiden Nebenangebote der Antragstellerin bereits um eine finale Entscheidung oder lediglich um das In-Aussicht-Stellen einer vergaberechtlichen Schlussentscheidung bzw. vorläufige Entscheidung handelte, kann vorliegend dahinstehen. Selbst dann, wenn die Vertreter der Antragsgegnerin hier lediglich eine vorläufige Einschätzung bzw. die Ankündigung einer vergaberechtlichen Entscheidung getroffen hätten, setzte dies die Frist des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB in Gang.

Dem Wortlaut des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB lässt sich nicht entnehmen, dass lediglich finale Entscheidungen des Auftraggebers Anknüpfungspunkt für den Rügetatbestand bieten. Vielmehr ergibt sich nach Sinn und Zweck der Rügeobliegenheit, dass jegliche potentiellen Vergaberechtsverstöße, somit auch vorläufige Entscheidungen des öffentlichen Auftraggebers innerhalb der in § 160 Abs. 3 GWB genannten Frist gerügt werden müssen. Die Rügeobliegenheit verfolgte Zweck, dem Auftraggeber eine beschleunigte Selbstkorrektur eines Vergaberechtsfehlers ohne Nachprüfungsverfahren zu ermöglichen (Jaeger in: Münchener Kommentar Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, Band 3, (MüKoEuWettbR), 2. Aufl. 2018, GWB § 160 Rn. 3 m.w.N.). Hierbei soll der Auftraggeber im Sinne einer „letzten Chance“ im frühestmöglichen Stadium die Möglichkeit erhalten, eventuelle Fehler zu erkennen und gegebenenfalls zu korrigieren (Appellfunktion) (OLG Brandenburg, Beschluss v. 30.4.2013 BeckRS 2013, 08486). Diesem Zweck würde es zuwiderlaufen, wenn öffentliche Auftraggeber erst dann auf ihre potentiellen Vergaberechtsfehler aufmerksam gemacht werden müssten, wenn eine finale Entscheidung bereits getroffen wurde, sodass der Fehler potenziell schwieriger zu beseitigen wäre, als wenn der Bieter bereits frühzeitig darauf hingewiesen hätte (siehe auch Dicks in: Ziekow/Völlink, GWB § 160 Rn. 41).

Der Inhalt des Protokolls über das Bietergespräch vom 15. Januar 2021 belegt zur Überzeugung der Vergabekammer jedenfalls, dass die Antragsgegnerin eine vorläufige Entscheidung darüber getroffen hat, die Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 der Antragstellerin nicht in die Bewertung mit einzubeziehen. Dies wird durch den Wortlaut der ersten drei Punkte hinreichend deutlich. Eine Auslegung des Protokolls dahingehend, ob mit dem Ausdruck „wird abgelehnt“ eine bereits getroffene Entscheidung dokumentiert oder eine zukünftige Entscheidung in Aussicht gestellt wird, ist vorliegend entbehrlich, da das Protokoll jedenfalls hinreichend dokumentiert, dass zumindest eine vorläufige Entscheidung, die die Rügeobliegenheit des § 160 Abs. 3 Satz 1 Nummer 1 GWB auslöst, getroffen wurde.

cc. Dass die Antragstellerin den voraussichtlichen Ausschluss ihrer Nebenangebote auch für sich als Vergaberechtsverstoß gewertet hat, ist angesichts der im Nachprüfungsverfahren erschöpfend ausgetauschten Schriftsätze offenkundig, sodass zur Überzeugung der Kammer von einer entsprechenden rechtlichen Einschätzung bei der Antragstellerin auch bereits am 15. Januar 2021 ausgegangen werden muss.

Diese Einschätzung stützt sich im Wesentlichen auf die Einlassung der Antragstellerin selbst, ihre Vertreter hätten dem Ausschluss im Termin „widersprochen“. Dass Vertreter der Antragstellerin bereits im Aufklärungsgespräch vom 15. Januar 2021 der Nichtwertung der Nebenangebote Nr. 1 und 3 widersprochen haben, wird von den Beteiligten einheitlich vorgetragen. Auch die Vergabekammer sieht keine Gründe, diese Darstellung in Zweifel zu ziehen. Ein solcher Widerspruch gegen Äußerungen von Vertretern der Antragsgegnerin ist logisch nur dann denkbar, wenn seitens der Vertreter der Antragstellerin bereits eine abweichende Auffassung vertreten wird. Dies setzt zumindest eine laienhafte rechtliche Bewertung der zuvor zur Kenntnis genommen Tatsachen voraus. Die Antragstellerin war auch aufgrund ihrer individuellen Fähigkeiten und Kenntnissen in der Lage, die ihr im Bietergespräch vom 15. Januar 2021 bekannt gewordenen Tatsachen in vergaberechtlicher Hinsicht einzuordnen.

Eine solche Rüge erfolgte jedoch ersichtlich im Nachgang des Aufklärungsgespräches binnen der Frist des § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB nicht. Die Antragstellerin selbst trägt selbst konsequent vor, erst mit Schreiben vom 2. Februar 2021 den behaupteten Vergaberechtsverstoß gerügt zu haben.

Der im Aufklärungsgespräch seitens der auf Seiten der Antragstellerin teilnehmenden Personen geäußerte „Widerspruch“ ist vorliegend auch nicht bereits als Rüge zu werten.

Um als Rüge zu gelten, muss die fragliche Äußerung des späteren Antragstellers gegenüber der Vergabestelle zwar nur erkennen lassen, dass er einen bestimmten Sachverhalt als Vergaberechtsverstoß ansieht und eine Abhilfe erwartet. Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller persönlich – ohne Anwalt – sowohl Rüge als auch das Verfahren vor der Vergabekammer betreiben kann, dürfen an den Wortlaut auch keine hohen Anforderungen gestellt werden. Insbesondere muss eine Rüge nicht ausdrücklich als solche bezeichnet werden (vgl. Byok, in Byok/Jaeger, Vergaberecht, 3. Aufl., § 107 GWB Rdnr. 97; Wiese, in Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 2. Aufl., § 107 Rdnrn. 98 ff.; Dicks, in Ziekow/Völlink, Vergaberecht, § 107 Rdnr. 53).

Ein Schreiben erfüllt nur dann die Anforderungen einer Rüge, wenn nach dem objektiven Empfängerhorizont zumindest durch Auslegung eindeutig erkennbar ist, dass nicht nur eine Anregung zur Optimierung eines Vergabeverfahrens gegeben werden soll, sondern ein Rechtsfehler geltend gemacht wird (OLG Frankfurt am Main, Beschluss v. 2. März 2007 – 11 Verg 15/06 -). Dem Protokoll sind jedenfalls keine auslegungsfähigen Äußerungen der Antragstellerin zu entnehmen, aus denen geschlossen werden könnte, dass der im Bietergespräch geäußerte Widerspruch diese Schwelle erreicht hat. Die ordnungsgemäße Rüge setzt eine Beanstandung voraus, die den gerügten Verstoß hinreichend konkret benennt und mit einer vollständigen und nachvollziehbaren Sachverhaltsdarstellung verbindet. Ist das Vorbringen pauschal und substanzlos, ist es unbeachtlich, und eine Amtsermittlung nicht erforderlich (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss v. 7. November 2018, Verg 39/18).

Entscheidend gegen eine Wertung des „Widerspruchs“ als Rüge i.S.d. § 160 GWB spricht jedoch schließlich das spätere – auch prozessuale – Verhalten der Antragstellerin. Es hätte einer mit Schreiben vom 2. Februar 2021 erhobenen, schriftlichen Rüge nicht bedurft, hätte die Antragstellerin bereits im Bietergespräch mündlich gerügt und ihren „Widerspruch“ auch als Rüge gewertet. Das Rügeschreiben enthält auch keinerlei Anhaltspunkte dahingehend, dass ihm lediglich eine klarstellende Funktion zukommen könnte. Auch im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens hat die Antragstellerin, stets erst das Schreiben vom 2. Februar 2021 als Rüge benannt. Auch die kommentarlose Gegenzeichnung des Protokolls durch die Vertreter der Antragstellerin, in dem der Inhalt des Bietergesprächs ansonsten sehr detailliert festgehalten wurde, spricht vorliegend gegen eine Wertung des „Widerspruchs“ als Rüge, sondern lässt den Schluss zu, dass es sich zwar um eine Äußerung gehandelt haben mag, die auch aus einem internen rechtlichen Bewertungsprozess hervorging, es jedoch gänzlich an Anhaltspunkten fehlt, die erkennen lassen könnten, dass für die Teilnehmer am Bietergespräch dieser Widerspruch nicht lediglich eine pauschale Unzufriedenheitsbekundung darstellte.

Die Antragstellerin ist – vor allem hinsichtlich der – nicht nur als durchschnittlich erfahrene, sondern als vergaberechtserfahrene Bietergemeinschaft zu werten, da die als überregional tätiges Unternehmen mit Niederlassungen in zahlreichen Bundesländern sich nach eigenen Angaben mit „Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einer Jahresbauleistung von rund zu den „größten und erfolgreichsten mittelständischen Unternehmen in der bundesdeutschen Bauindustrie“ zählt. Sie verfügt zudem auch über eine eigene Rechtsabteilung und nimmt regelmäßig an öffentlichen Ausschreibungen teil. Da die ist, die in Bietergemeinschaft mit ihr handelnde letztere sich die individuellen Kenntnisse und Erfahrungen der … lassen.

dd. Die Vergabekammer verkennt hierdurch im Übrigen nicht die Beweislastverteilung hinsichtlich der die Rügeobliegenheit begründenden Tatsachen, insbesondere bezüglich der Kenntnis der den Vergaberechtsverstoß begründenden Tatsachen sowie dessen rechtliche Einordnung. Die Tatsache, dass im Gespräch vom 15 Januar 2021 der potentielle Ausschluss der beiden Nebenangebote der Antragstellerin thematisiert wurde und von den Vertretern der Antragstellerin widersprochen wurde, ist weder von der Antragstellerin noch von der Antragsgegnerin bestritten worden. Da es, wie oben erläutert, nicht darauf ankommt, ob hiermit bereits die finale Entscheidung der Antragsgegnerin getroffen werden sollte und weil lediglich diesbezüglich der Sachverhalt unter den Beteiligten streitig ist, war eine Entscheidung nach Beweislastregeln vorliegend nicht erforderlich.

ee. Soweit die Antragstellerin die Auffassung vertritt, eine Präklusion des Vortrags der Antragstellerin zum Ausschluss ihrer beiden Nebenangebote unterlaufe die Anforderungen des § 134 Abs. 1 GWB, kann dem nicht gefolgt werden. Die Rügepräklusion gemäß § 160 Abs. 3 GWB verfolgt einen anderen Zweck als die Vorabinformation gemäß § 134 Abs. 1 GWB.

Die Rügepräklusion soll zum einen unnötige Vergabenachprüfungsverfahren verhindern und zum anderen dem öffentlichen Auftraggeber die Möglichkeit geben, sein eigenes Handeln rechtzeitig zu überprüfen (vgl. oben).

Die Vorabinformation hingegen verfolgt den Zweck, dem unterlegenen Bieter die Prüfung zu ermöglichen, die Entscheidung der Vergabestelle zumindest ansatzweise nachzuvollziehen, um die Erfolgsaussichten abschätzen zu können, ob bzw. inwieweit gegen diese Entscheidung im Nachprüfungswege vor Zuschlagserteilung um Primärrechtsschutz vor der Vergabekammer nachgesucht werden sollte. Die Informationspflicht dient dazu, die unterlegenen Bieter durch einen Vertragsschluss nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen und ihnen so die Möglichkeit zu nehmen, die Zuschlagsentscheidung des Auftraggebers durch die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer überprüfen zu lassen (Braun in: Ziekow/Völlink, a.a.O., GWB § 134 Rn. 2).

Hiermit wäre es nicht vereinbar, die Anforderungen der beiden genannten Vorschriften gleich laufen zu lassen. Vielmehr erfordern die unterschiedlichen Zielrichtungen der beiden Vorschriften, an die die Rügepräklusion auslösenden Tatsachen sowie die Gründe in der Vorabinformation unterschiedliche Anforderungen zu stellen.

2. Der Nachprüfungsantrag ist im Übrigen unbegründet.

a. Bei dem streitgegenständlichen Auftrag handelt es sich um einen Bauauftrag gemäß § 103 Abs. 3 GWB. Die Antragsgegnerin ist öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 99 Nr. 2 lit. a GWB.

Nach § 99 Nr. 2 lit. a GWB sind öffentliche Auftraggeber unter anderem juristische Personen des privaten Rechts, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nichtgewerblicher Art zu erfüllen, wenn sie überwiegend von Stellen nach § 99 Nr. 1 oder Nr. 3 GWB einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise finanziert werden.

Die Voraussetzungen des § 99 Nr. 2 lit. a GWB sind erfüllt, wenn Gebietskörperschaften die juristische Person einzeln oder gemeinsam durch Beteiligung oder auf sonstige Weise überwiegend finanzieren oder über ihre Leitung die Aufsicht ausüben oder mehr als die Hälfte der Mitglieder eines ihrer zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe bestimmt haben (VK Sachsen, Beschluss vom 11. Juni 2021 – 1/SVK/006-21 -).

Die Antragsgegnerin ist zunächst als GmbH & Co. KG eine juristische Person des privaten Rechts. Sie ist eine 100%ige Tochter der ###, die ihrerseits von der ### als Alleingesellschafterin beherrscht wird. Folglich ist das Kriterium der Staatsverbundenheit erfüllt.

Die Beurteilung, ob eine Aufgabe „nichtgewerblicher Art“ i.S.v. § 99 Nr. 2 GWB vorliegt, kann nicht abstrakt festgestellt werden, sondern ist durch Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu ermitteln (Vergabekammer Münster, Beschluss vom 28. Oktober 2016 – VK 1 – 33/16 -). Dabei ist der Begriff des öffentlichen Auftraggebers jedoch weit auszulegen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. März 2018 – Verg 50/16 m.w.N.). Ob eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nichtgewerblicher Art vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände, die zur Gründung der betreffenden Einrichtung geführt haben, und der Voraussetzungen, unter denen sie ihre Tätigkeit ausübt, zu beurteilen (OLG Düsseldorf, aaO m.w.N.).

Die Alleingesellschafterin der Antragsgegnerin versteht sich nach eigener Darstellung seit ihrer Gründung 1864 als „Grundversorger“ mit dem „Versprechen, günstigen Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten zur Verfügung zu stellen“. Bis heute macht nach Angaben der öffentlich geförderter Wohnraum 39,4% ihres Angebots aus.

Der soziale Wohnungsbau und die soziale Wohnraumförderung stellen als Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe dar (OLG Brandenburg, Beschluss vom 6. Dezember 2016 – 6 Verg 4/16 -). In diesem Bereich tätige kommunale Wohnungsbaugesellschaften üben die im Allgemeininteresse liegende Aufgabe regelmäßig auch dann in nichtgewerblicher Art aus, wenn sie daneben in Gewinnerzielungsabsicht unter Marktbedingungen Wohnraum anbieten. Es entspricht dem typischen Bild heutiger kommunaler Wohnungsbaugesellschaften, dass sie die Aufgabe der sozialen Wohnraumförderung mit der Tätigkeit eines nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten agierenden Wohnungsunternehmens verbinden. Das ändert nichts daran, dass die im Allgemeininteresse liegende besondere Aufgabe der sozialen Wohnraumförderung eine solche nichtgewerblicher Art ist (OLG Brandenburg, aaO.).

Vorliegend vermarktet die Alleingesellschafterin der Antragsgegnerin bereits den im neuen „…“ künftig zu schaffenden Wohnraum im eigenen Namen. Die dem hiesigen Verfahren zugrundeliegende Erschließung der Konversionsflächen schafft hierfür die notwendige Grundlage.

Die Tätigkeit der Antragsgegnerin dient somit unmittelbar der Tätigkeit der sie beherrschenden Wohnungsbaugesellschaft. Folglich dient die Antragsgegnerin zur Überzeugung der Vergabekammer auch unmittelbar allgemeinen Aufgaben nichtgewerblicher Art und ist anzunehmen, dass sie gerade zu diesem Zweck gegründet worden ist.

Bei dem streitgegenständlichen Auftrag handelt es sich um einen öffentlichen Bauauftrag gemäß § 103 Abs. 3 GWB, da der Antragsgegner in seiner Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber einen entgeltlichen Vertrag über Bauleistungen zu schließen beabsichtigt.

b. Die Begründetheit des Nachprüfungsantrags scheitert allerdings daran, dass es der einzig noch zulässige Vergaberechtsverstoß, den die Antragstellerin vorträgt und mit dem sie nicht bereits präkludiert ist, offenkundig nicht trägt. Da die Antragstellerin mit ihrem Vortrag hinsichtlich ihrer Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 3 bereits aus o.g. Gründen präkludiert ist, kommt eine Berücksichtigung dieser Nebenangebote im Rahmen der Bewertung der Angebote durch die Antragsgegnerin nicht mehr in Betracht, weshalb das Nebenangebot Nr. 2 der Antragstellerin maßgeblich ist. Dieses erreicht im Vergleich zum Nebenangebot der Beigeladenen jedoch einen geringeren Rang. Das Nebenangebot der Beigeladenen belief sich auf das Nebenangebot Nr. 2 der Antragstellerin betrug hinge gen 8.662.787,76 Euro.

Entgegen dem Vortrag der Antragstellerin ist das Nebenangebot der Beigeladenen nach Überzeugung der Vergabekammer auch nicht gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 3 VOB/A aufgrund Uneindeutigkeit auszuschließen.

Nach § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 S. 3 VOB/A müssen Änderungen des Bieters an seinen Eintragungen zweifelsfrei sein. Wie im Fall der Regelung des S. 2 gilt, dass ein Angebot einen eindeutigen, nicht widersprüchlichen Inhalt aufweisen muss, damit es mit den Angeboten der anderen Bieter sachgerecht verglichen werden kann und annahmefähig ist (Lausen in: Beck VergabeR, 3. Aufl. 2019, VOB/A-EU § 13 Rn. 57).

Diese Voraussetzungen erfüllt das Nebenangebot der Beigeladenen, wenn dort hinsichtlich der Oberfläche der Betonfertigteile eine „geschliffene oder gestrahlte Oberfläche“ angeboten wird. Anhand beider Methoden wird die von der Antragsgegnerin im Leistungsverzeichnis geforderte „geglättete“ Oberfläche der Betonteile erreicht.

Die Tatsache, dass die Beigeladene hier zwei alternative Methoden zur Erfüllung der im Leistungsverzeichnis geforderten Oberflächenbeschaffenheit anbietet, stellt nach Überzeugung der Vergabekammer keinen Vergaberechtsverstoß dar. Insbesondere liegt hierin keine Uneindeutigkeit des Angebots i.S.d. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 VOB/A, die einen Ausschluss des Angebots zur Konsequenz hätte.

Hinsichtlich der Beurteilung von Nebenangeboten besteht ein Beurteilungsspielraum der Vergabestelle, den die Vergabekammer nur eingeschränkt überprüfen darf (vgl. BGH Urt. v. 8.11.1984 – VII ZR 51/84, NJW 1985, 1466; Urt. v. 6.2.2002 – X ZR 185/99, NZBau 2002, 344 (345)). Vorliegend geht aus den Vergabeunterlagen eindeutig hervor, dass die Antragsgegnerin das Nebenangebot der Beigeladenen bereits daraufhin überprüft hat, ob die o.g. Angaben die im Leistungsverzeichnis geforderten Anforderungen erfüllen, oder diesen gleichwertig sind und hat diese Frage bejaht. Insbesondere kommt es nicht darauf an, dass alternativ zwei unterschiedliche Behandlungsoptionen angeboten wurden, da in diesem Falle beide Varianten als adäquat hinsichtlich der geforderten Oberflächenqualität eingestuft wurden. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin hier ihren Beurteilungsspielraum in grober Weise überschritten hat, sind nicht ersichtlich.

Im Unterschied hierzu ist das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin bereits insofern uneindeutig, als anhand der hier gemachten Angaben bereits nicht eindeutig bestimmt werden kann, ob die angebotenen Leistungen insoweit die Anforderungen des Leistungsverzeichnisses überhaupt erfüllen. Die Antragstellerin bot hier in den Oz. 8.1.10. bis 8.1.90 eine Frostschutzschicht aus „Recycling-Material“, in den Oz. 8.1.100. bis 8.1.180 eine kombinierte Frost- und Schottertragschicht aus „Recycling-Material“ an. Dies ist insofern von entscheidender Relevanz, als anhand dieser Angaben seitens der Vergabestelle schon nicht bewertet werden kann, ob das angebotene Material den von der Antragsgegnerin geforderten „natürlichen Gesteinskörnungen“ entspricht.

Denn „Recyclingmaterial“ existiert nach eigener Sachkenntnis der Vergabekammer in einer Vielzahl verschiedenster Ausprägungen und Zusammensetzungen. Bei Recycling-Baustoffen (RC-Baustoffe) handelt sich um Gesteinskörnungen, die durch mechanische Aufbereitung wie Brechen, Sieben, Sortieren und Klassieren mineralischer Abfälle entstanden sind. Das Ausgangsmaterial entstammt im Wesentlichen Bautätigkeiten wie Neu-, Aus-, Um-, Rückbau, Abriss, Erhaltung von Hoch- und Tiefbauten wie Straßen, Wegen, Flugplätzen und sonstigen Verkehrswegen sowie aus der Produktion mineralischer Baustoffe. Im Regelfall besteht ein RC-Baustoff aus einem Gemisch, zusammengesetzt aus zwei oder mehreren Arten aufbereiteter mineralischer Abfälle wie Beton, Ziegel, Keramik, Kalksandstein und Asphalt. Es existieren aber auch Recycling-Schotter aus wiederverwendeten, natürlichen scharfkantigem Gleisschotter als Grundlage für Unterbau im Gleisbett, die zwar aus natürlichen Materialien bestehen, aber dennoch erhebliche Verunreinigungen durch Fremdstoffe aufweisen können und einer besonderen Aufbereitung bedürfen Welches Material auf das von der Antragstellerin in Abweichung von der im Leistungsverzeichnis geforderten „natürlichen Gesteinskörnung“ konkret angeboten wird, bleibt im Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin unklar. Eine Präzisierung dahingehend, welche Art von „Recycling-Material“ von der Antragstellerin angeboten wurde, hat nicht, auch nicht im Aufklärungsgespräch vom 15. Januar 2021 oder danach stattgefunden. Davon, welche Variante von Recyclingmaterial die Antragstellerin vorliegend anbieten möchte, hängt allerdings im Ergebnis ab, ob hierdurch eine zum Ausschluss führende Abweichung vom Leistungsverzeichnis vorliegt oder ob die dort genannten Anforderungen erfüllt sind.

Im Unterschied zum Nebenangebot der Beigeladenen ist anhand dieser Angaben unzweifelhaft ungeklärt, ob die Anforderungen des Leistungsverzeichnisses durch das Angebot erfüllt sind, sodass das Nebenangebot Nr. 1 der Antragstellerin zur Überzeugung der Kammer auch materiellrechtlich offenkundig zurecht ausgeschlossen worden ist.

c. Die Unbegründetheit des Antrags ist im Übrigen auch offensichtlich.

Eine offensichtliche Unbegründetheit ist gegeben, wenn der Vergabekammer nach Prüfung der Sach- und Rechtslage die Abweisung eines Antrags unzweifelhaft auf der Hand liegt, der Nachprüfungsantrag nach ihrer freien Überzeugung aufgrund der Aktenlage eindeutig zurückgewiesen werden muss und sich durch eine mündliche Verhandlung keine andere Bewertung ergeben kann, z. B. wenn der Antrag unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Aussicht auf Erfolg hat (VK Bund, Beschluss vom 6.10.2003 – VK 2-94/03, BeckRS 2003, 152812 Rn. 33, beck-online; Bungenberg in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, GWB § 166 Rn. 20, beckonline). In der Praxis wird von einer offensichtlichen Unbegründetheit des Antrages ausgegangen und eine Entscheidung der Vergabekammer nach Aktenlage – nach Erteilung eines rechtlichen Hinweises – dann als zulässig angesehen, wenn nach Eingang der Akten und Austausch der Schriftsätze erkennbar ist, dass eine mündliche Verhandlung keine rechtliche Verbesserung für den Antragsteller erbringen kann, selbst wenn einer der Beteiligten – z. B. der Antragsteller – einer solchen Entscheidung entgegentritt (Vergabekammer Schleswig-Holstein, Beschluss vom 18.11.2006 – VK-SH 25/06, NZBau 2007, 672).

Aufgrund der oben dargelegten Ausführungen kann der Antrag unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Aussicht auf Erfolg haben. Soweit der Antrag zulässig ist, fehlt es hingegen evident an einer tatsächlichen Rechtsverletzung zu Lasten der Antragstellerin. Die Antragstellerin hat bereits keine Aussicht auf den Zuschlag, selbst wenn sie mit ihrem Vortrag zu ihrem Nebenangebot Nr. 1 nicht präkludiert wäre. Denn ihr Nebenangebot ist nach Ihrem eigenen Vortrag bereits wegen Unklarheit auszuschließen, wohingegen das Nebenangebot der Beigeladenen gerade keine zum Ausschluss führenden Unklarheiten aufweist.

d. Der weitergehende Antrag auf Akteneinsicht durch die Antragstellerin war vorliegend abzulehnen. Der Sachverhalt ist zur Überzeugung der Vergabekammer auch durch die vorliegende Vergabeakte sowie die ausgetauschten Schriftsätze hinreichend geklärt. Weitere Vergaberechtsverstöße waren, soweit die Vergabekammer zu einer entsprechenden Prüfung angehalten war, nicht ersichtlich.

Die Amtsermittlungspflicht der Vergabekammer gem. § 163 GWB greift hier primär hinsichtlich gleich gelagerter oder jedenfalls offensichtlicher Ausschlussgründe hinsichtlich der weiteren Angebote. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Vergabekammer bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes hinsichtlich des Angebots der Antragstellerin verpflichtet ist, gleichsam ins Blaue hinein auch sämtliche anderen Angebote dahingehend zu überprüfen, ob dort ebenfalls irgendwelche Ausschlussgründe bestehen. Hierfür sind zumindest gewisse Anhaltspunkte erforderlich (vgl. Reidt in: Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 38).

Nachdem sich aber nach Sichtung der entsprechend begehrten Unterlagen durch die Vergabekammer gerade keine Anhaltspunkte finden, dass gleichartige oder offensichtlich andere Ausschlussgründe gegeben sind, ergeben sich keine Hinweise dahingehend, dass von der Beigeladenen abgegebene (Neben-)Angebote aufgrund fehlender Wertbarkeit sämtlich hätten ausgeschlossen werden müssen und nicht ersichtlich ist, dass die Beigeladene Gelegenheit erhalten hätte, Ihre (Neben-)Angebote nachzubessern. Deshalb finden sich insoweit auch keine Anhaltspunkte für eine ungerechtfertigte Bevorzugung oder Vorfestlegung seitens der Antragsgegnerin auf die Beigeladene.

Soweit die Antragstellerin aus diesem Grund weitere Akteneinsicht begehrt, um bisher weder substantiiert gerügte noch behauptete mögliche weitere Verstöße anführen zu können, so hat dies den Charakter eines aufs Geratewohl oder ins Blaue hinein aufgestellten Behauptung, es fehlt insoweit für die begehrte Akteneinsicht an einem diesen begründenden beachtlichen und entscheidungserheblichen Sachvortrag (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 09. Januar 2020 – Verg 10/18 -).

Soweit der Nachprüfungsantrag aufgrund fehlender Erheblichkeit des vorgetragenen, angeblichen Vergaberechtsverstoßes bereits unzulässig ist, kann es für die Begründetheit auf die begehrte Akteneinsicht nicht mehr ankommen, der Akteneinsichtsantrag stellt sich dann vielmehr als Ausforschungsanliegen dar (VK Karlsruhe, Beschluss vom 23. Januar 2018 – 1 VK 57/17 -).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 182 GWB.

1. Gemäß § 182 Abs. 1 GWB werden für Amtshandlungen der Vergabekammer Kosten, u.a. Gebühren, erhoben. Die Gebühren auslösende Amtshandlung ist hier schon mit der Prüfung des Antrages gemäß § 163 Abs. 2 Satz 1 GWB durch die Vergabekammer gegeben (Losch in: Ziekow/Völlink, a.a.O., GWB § 182 GWB Rn. 5).

Die Festsetzung der Gebühr bestimmt sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens, wobei vorrangig vom Wert des Verfahrensgegenstandes auszugehen ist (BGH Beschluss vom 25.10.2011 – X ZB 5/10, BeckRS 2012, 2820; OLG Hamburg Beschluss vom 3.11.2008 – 1 Verg 3/08, BeckRS 2010, 26820.).

Der Aufwand der Vergabekammer ergibt sich hier nicht nur aus der Übermittlung des Nachprüfungsantrags und der vorangegangenen Prüfung gemäß § 163 Abs. 2 Satz 1 GWB, sondern auch aus ihren nachfolgenden weiteren Amtshandlungen, wie der Beiladung sowie der internen Beratung der Vergabekammer.

Hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung des Verfahrensgegenstandes ist grundsätzlich der im Angebot des Antragstellers genannte Brutto-Angebotspreis als Wert des zur Vergabe vorgesehenen Auftrags zugrunde zu legen (OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 29. August 2014 – Az.: 11 Verg 3/14 -). Es ist grundsätzlich auf den Bruttowert abzustellen (Glahs in: Reidt/Stickler/Glahs., Vergaberecht, 4. Auflg. 2018, § 182 Rn. 8). Zur Ermittlung kann auch gemäß § 3 VgV der Bruttoauftragswert herangezogen werden (Glahs in: Reidt/Stickler/Glahs., a.a.O., § 182 GWB, Rn. 8). Daraus ergibt sich unter Berücksichtigung der von der Vergabekammer des Bundes erarbeiteten Gebührentabelle, die auch die erkennende Vergabekammer anwendet, eine Gebühr von Der Netto-Auftragswert liegt vorliegend bei Der Brutto-Auftragswert demnach bei 8.330.000 Euro.

2. Diese Kosten hat die Antragstellerin zu tragen (§ 182 Abs. 3 Satz 1 und 2 GWB), da sie mit ihren Anträgen unterliegt.

3. Gemäß § 182 Abs. 4 Satz 1 GWB ist auch darüber zu entscheiden, ob und inwieweit ein Beteiligter die notwendigen Aufwendungen eines anderen Beteiligten zu tragen hat. Diese Vorschrift ist § 182 Abs. 3 Satz 5 GWB angeglichen, wodurch ein Gleichlauf der Regelungen für die Vergabekammergebühren einerseits und für die Aufwendungserstattung zwischen den Beteiligten andererseits hergestellt wird (BT-Drs. 18/6281, S. 136 [zu § 182]), so dass nunmehr bei der Entscheidung über den Aufwendungsersatz nach einheitlichem billigen Ermessen über die Erstattung zu befinden ist (Damaske in: Müller-Wrede, GWB Vergaberecht, § 182 Rn. 80, s. Rn. 81).

Damit gelten hier die vorstehenden Erwägungen über die Kostenlast auch für die Aufwendungserstattung.

IV.

Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt.

Notwendig i.S.d. § 182 Abs. 4 Satz 4 GWB i.V.m. § 80 Abs. 2 HVwVfG ist die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts dann, wenn sie von dem Standpunkt eines verständigen, nicht rechtskundigen Beteiligten für erforderlich gehalten werden durfte. (BVerwG Urt. V. 10.4.1978 – 6 C 27/77, BVerwGE 55, 299 (306). Bei der Beurteilung sind außer der Schwierigkeit und dem Umfang des Falles und der allgemeinen persönlichen Sach- und Rechtskunde insbesondere auch eine berufsbedingte oder durch andere besondere Umstände bedingte Vertrautheit mit dem Sach- und Rechtsgebiet zu berücksichtigen (Losch in: Ziekow/Völlink, GWB, § 182, Rn. 53).

Für die Notwendigkeit spricht unter anderem die Tatsache, dass es sich bei der Antragsgegnerin um ein juristisches Unternehmen des Privatrechts handelt, das nur unter den oben dargestellten Voraussetzungen zur Beachtung des Vergaberechts verpflichtet ist.

V.

Es wird darauf hingewiesen, dass ein Kostenfestsetzungsverfahren hinsichtlich der Aufwendungen der Beteiligten vor der Vergabekammer gemäß § 182 Abs. 4 Satz 5 GWB nicht stattfindet.

VI.

(…)